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Kaiserlich Erleben

Ausgabe 3/2018

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24 GENUSS<br />

Jetzt beginnt die Straußen-Zeit<br />

Genießen auf gut Badisch<br />

Es mag vielleicht übertrieben klingen: Aber wer im Herbst an Kaiserstuhl und Tuniberg war und<br />

keine Strauße besucht hat, ist nur halb hier gewesen. Neuer Wein und feine Hausmannskost stehen<br />

im Mittelpunkt. Doch das ist nicht alles, was die Einkehr so besonders macht.<br />

Zunächst einmal gilt es,<br />

Missverständnisse vorzubeugen:<br />

Nein, Straußen<br />

sind keine Lokale, in denen<br />

etwa Vogel Strauß-Fleisch serviert<br />

wird. Und sie haben auch<br />

nichts mit Blumen zu tun. Für<br />

manche Besucher aus anderen<br />

Regionen Deutschlands könnte<br />

der Begriff irreführend sein. Der<br />

Name kommt vielmehr daher,<br />

dass traditionellerweise die Winzerfamilien<br />

mit dem Hinaushängen<br />

eines Straußes, Besens oder<br />

Kranzes ihren Gästen signalisieren,<br />

dass die Lokalität geöffnet<br />

hat. An Kaiserstuhl und Tuniberg<br />

sind es meist alte Reisigbesen,<br />

geschmückt mit bunten,<br />

im Wind flatternden Bändern,<br />

die den Vorbeikommenden signalisieren:<br />

Hier darf eingekehrt<br />

werden.<br />

Eine Einladung, der man unbedingt<br />

folgen sollte. Denn diese<br />

Wirtschaften sind urgemütlich,<br />

eng mit der Region verwurzelt<br />

und die Preise sind verträglich.<br />

Sie werden – sofern sie zu den<br />

Straußen im engeren Sinne gehören<br />

– von Winzerfamilien auf ihrem<br />

Hof in eigenen Räumlichkeiten<br />

betrieben und haben nur eine<br />

begrenzte Zeit im Jahr geöffnet.<br />

Meist sind das zwei Monate am<br />

Stück, jeweils im Frühjahr und<br />

im Herbst. Die Idee dahinter ist,<br />

dass die Weinbauern ihren selbsterzeugten<br />

Wein oder Most, aber<br />

auch Produkte wie Spargel oder<br />

anderes frisch geerntetes Gemüse<br />

„zu Hause“ an den Mann oder<br />

die Frau bringen können, ohne<br />

gleich ein Restaurant aufmachen<br />

und eine Gaststätten-Konzession<br />

erwerben zu müssen. Diese Form<br />

von Bewirtung gibt es deshalb<br />

bevorzugt auf dem Land.<br />

Nicht jede Wirtschaft, die sich<br />

„Strauße“ nennt, ist übrigens<br />

eine solche im engeren Sinne.<br />

Viele Wirtsleute haben sich eine<br />

Gaststättenkonzession geholt.<br />

Diese macht zwar gewisse Auflagen,<br />

ermöglicht es aber auch,<br />

mehr als die bei einer Strauße<br />

maximal erlaubten 40 Sitzplätze<br />

bereitzustellen, eine üppigere<br />

Speisekarte zu bieten und ganzjährig<br />

geöffnet zu haben. Dennoch<br />

halten die Wirtsleute an<br />

dem Begriff „Strauße“ fest. Das<br />

verwundert nicht, denn mit ihm<br />

schwingen eine Reihe positiver<br />

Bilder und Erfahrungen mit –<br />

und das lockt die Besucher.<br />

Was erwartet die Gäste, wenn<br />

sie dem Wink des Besens am<br />

Wegesrand folgen? Das kann<br />

ganz unterschiedlich sein. Manche<br />

Gastwirte haben alte Ställe<br />

oder Scheunen ausgebaut, andere<br />

servieren im Gewölbekeller oder<br />

im hübsch dekorierten Hof. Man<br />

sitzt auf Bänken, alten Baumstämmen<br />

oder steht an Holzfässern.<br />

In den Ästen hängen<br />

Lampions oder Girlanden, an<br />

den Wänden Gemälde regionaler<br />

Künstler, altes landwirtschaftliches<br />

Gerät oder Instrumente.<br />

Es gibt aber auch Straußen, die<br />

mit Tonkübeln, Geranien, Oliven<br />

und dem Duft von Oleanderbäumen<br />

mediterranes Flair verbreiten.<br />

Schließlich sind wir hier am<br />

Kaiserstuhl, einer der wärmsten<br />

Regionen Deutschlands.<br />

So unterschiedlich sie in ihrem<br />

Erscheinungsbild sind, eines ist<br />

allen Straußen gemein: Sie sind<br />

unkompliziert, aber mit viel Liebe<br />

zum Detail ausgestattet.<br />

Früher wurde im<br />

Wohnzimmer bewirtet<br />

Die pragmatische Herangehensweise<br />

hängt sicherlich<br />

mit dem Eingebundensein der<br />

Wirtsleute ins landwirtschaftliche<br />

Leben zusammen. Und sie<br />

erinnert an den Ursprung der<br />

Straußen: Der Legende nach<br />

soll Karl der Große bereits um<br />

800 nach Christus den Winzern<br />

erlaubt haben, auf ihrem Hof<br />

eigenen Wein auszuschenken.<br />

Damals räumten die Familien<br />

kurzerhand ihre Scheune aus<br />

oder stellten Tische und Bänke<br />

ins Wohnzimmer, um für die<br />

Gäste Platz zu schaffen.<br />

Bodenständig, familiär und<br />

herzlich – das ist die Stimmung,<br />

die Ausflüglern, Wanderen oder<br />

Radfahrern nach ihrer Tour in<br />

Straußen entgegenschlägt. Hier<br />

ist man schnell beim „Du“ und<br />

es wird zusammengerückt. Wer<br />

allein sein oder seine Ruhe haben<br />

möchte, sollte besser nicht hier<br />

einkehren. Nicht selten wird über<br />

die Tische hinweg geredet, man<br />

kommt ins Gespräch, tauscht<br />

Wanderrouten oder Ausflugstipps<br />

aus, plaudert über das<br />

Wetter, den Wein und genießt die<br />

Geselligkeit. Manch lebenslange<br />

Freundschaft wurde schon in<br />

Straußen über Flammenkuchen<br />

und Neuem Süßen geschlossen.<br />

Apropos Flammenkuchen: Das<br />

Essen spielt natürlich mit dem<br />

Wein eine zentrale Rolle. Serviert<br />

werden einfache Speisen<br />

ohne viel Schnickschnack. Neben<br />

dem klassischen Vesper mit<br />

Wurst, Käse und selbstgebackenem<br />

Brot sind das unter anderem<br />

frische Salate, Speckeier, gebratene<br />

Rinderleber, Käsespätzle und<br />

natürlich „Brägele“ – Bratkartoffeln<br />

–, wahlweise entweder mit<br />

„Schäufele“ (Schweineschulter)<br />

oder „Bibiliskäs“, worunter wir<br />

Badener eine Art Quarkfrischkäse<br />

mit Schnittlauch verstehen.<br />

Während diese Speisen den<br />

Grundstock einer jeden Karte<br />

bilden, verstehen es die jeweiligen<br />

Winzerfamilien durch kreative<br />

Zugaben ihrer Strauße eine persönliche<br />

Note zu verleihen. Sie<br />

bereichern den Flammenkuchen<br />

mit eigenen Trüffeln, brutzeln<br />

Bildnachweis: Gerhart’s Strauße/Lisa Amann<br />

<strong>Kaiserlich</strong> erleben · 03/2018

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