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GASTKOLUMNE<br />
INSIGHT<br />
<strong>NRW</strong>, mein Leben<br />
Wie Sie sehen,<br />
und ich<br />
Lars Vollmering, 43,<br />
gelernter Redakteur und Autor<br />
mehrerer Bücher. Schreibt in<br />
der Freizeit gern eigene Songs<br />
und ist großer Fußballfan.<br />
sehen Sie nichts<br />
Lars Vollmering<br />
arbeitete als Redakteur<br />
bei RTL jahrelang<br />
viel nachts. Wie es ist<br />
auf zustehen, wenn<br />
andere tief schlafen,<br />
berichtet er uns<br />
in der Gastkolumne.<br />
Einsatz auch mal vor der Kamera:<br />
Studio-Talk mit RTL-Moderator<br />
Wolfram Kons und Lars Vollmering.<br />
Abendstimmung in Köln:<br />
Die Nachtschicht naht.<br />
Es ist 1 Uhr nachts. Sagt jedenfalls<br />
mein Handywecker.<br />
Zwei Stunden Schlaf. Mein<br />
Körper rebelliert. Aufstehen.<br />
Duschen. Abfahrt. Die Straßen rund<br />
um Köln sind erfreulich leer. Während<br />
tausende Pendler sich um diese<br />
Uhrzeit noch einmal im Bett rumdrehen,<br />
liegt mein Ziel des nächtlichen<br />
Ausflugs nach knapp 30 Minuten<br />
Fahrt vor mir: der gewaltige<br />
Backsteinbau mit dem hohen Turm<br />
direkt am Rhein, wo die Senderlogos<br />
der Mediengruppe thronen.<br />
RTL, Ntv, Vox, SuperRTL. Jahrelang<br />
gehört der Besuch hier für mich<br />
zum normalen Arbeitsritual. Nachtschicht.<br />
Erst für die Frühsendungen<br />
Punkt 6 und Punkt 9, später Guten<br />
Morgen Deutschland, aber auch<br />
immer wieder Einsätze für Ntv und<br />
die Vox-Frühnews.<br />
Die Atmosphäre im modernen<br />
Gebäudeinneren mit den vielen Glasfassaden<br />
hat etwas vom Film<br />
„Passengers“ mit Jennifer Lawrence:<br />
Alles auf diesem „TV-Raumschiff“<br />
ist hell erleuchtet, doch ansonsten<br />
menschenleer. 2 Uhr, Redaktionskonferenz.<br />
Die Stimmung ist ruhig.<br />
Die Kollegen, die in der Regel bewusst<br />
ihren Arbeitstag in die Nacht<br />
verlegt haben, sind ein eingespieltes<br />
Team. Die meisten schon journalistische<br />
Ewigkeiten dabei. Der Kampf<br />
gegen den Biorhythmus, chronischen<br />
Schlafmangel und die zickende<br />
Kaffeemaschine schweißt zusammen.<br />
Es ist eine ganz andere Art des<br />
Arbeitens. Nicht umsonst hängt an<br />
der Redaktionstür eine Spaß-Postkarte<br />
mit der Aufschrift: „Tagsüber<br />
kann jeder“. Insofern teilen fast<br />
alle hier die Attitüde einer heroischen,<br />
„Game-of-Thrones-gleichen“<br />
Nachtwache mit dem Ziel, Fernseh-<br />
Deutschland früh am Morgen bestmöglich<br />
zu informieren und zu<br />
unterhalten. Fünf Tage die Woche,<br />
52 Wochen im Jahr.<br />
Doch die Nachtschicht hat auch<br />
viele Vorteile. Die Ruhe zum Beispiel.<br />
Weitab von der Tageshektik.<br />
Die Chef-Chefs lassen sich selten<br />
um 4 Uhr blicken. Ein weiterer<br />
Vorteil in der Nacht: die Möglichkeit,<br />
einfach seinen Job zu machen<br />
in all seiner Vielfalt mit dem Vorsprung<br />
der Zeitzonen im Rücken.<br />
Ich habe Oscars verliehen, US-<br />
Präsidenten gewählt, Grammys<br />
übergeben, Fußball-Weltmeisterschaften<br />
begleitet, unsagbare<br />
Verbrechen aufgeklärt.<br />
Inzwischen habe ich meinen Beitrag<br />
getextet, die Bilder rausgesucht<br />
und vom CvD abnehmen lassen.<br />
Es ist 5 Uhr. Jetzt wird Fernsehen<br />
gemacht. Ein Cutter schneidet die<br />
Bilder zu sammen. Alles muss rechtzeitig<br />
fertig sein. Kein Plan B.<br />
Vom ersten Tag an bekommt man<br />
eingebläut: Sei ja pünktlich!<br />
Von all dem Drumherum, den vielen<br />
kleinen Rädchen, den Unzulänglichkeiten<br />
oder auch dem außergewöhnlichen<br />
Einsatz bekommt der<br />
Zuschauer nichts mit. Die Sendung<br />
läuft in der Regel wie eine gut<br />
geölte Maschine. Und dann endet<br />
es. Sendung vorbei. Wohlwollendes<br />
Nicken der Beteiligten. Manchmal<br />
Applaus. Es gibt Feedback, Vorschau<br />
auf kommende Themen des Tages.<br />
Planungs-Update. Alle wissen, dass<br />
sich in 24 Stunden viel geändert<br />
haben wird. Dann, wenn die nächste<br />
Wacht beginnt …<br />
Augen zu und durch – das denken wohl die meisten<br />
Gäste, wenn sie das erste und älteste Dunkelrestaurant<br />
des Ruhrgebiets betreten. Für viele ist ein Dinner<br />
im Dunkeln eine echte Herausforderung. Und trotzdem<br />
Finster – der Name des Essener Lokals ist Programm.<br />
Bei völliger Dunkelheit gibt es für die<br />
Gäste ein Gaumenerlebnis der besonderen Art:<br />
Nur anhand von Gerüchen und Geschmack<br />
können Sie herausfinden, welche Gerichte ihnen<br />
die Kellner servieren.<br />
Thorsten Haneke und seiner Frau Diana kam die<br />
Idee, nachdem sie selbst in Köln an einem Dinner<br />
in the Dark teilgenommen hatten. Von dem Konzept<br />
waren sie so begeistert, dass sie im Juni<br />
<strong>20</strong>07 das „Finster“ in Essen eröffneten. Die Küche<br />
ist vielfältig – von Wild bis Vegan. Die Gäste wissen<br />
nicht, was sie da mit der Gabel aufgreifen –<br />
sofern sie überhaupt den Teller treffen. „Ein Besuch<br />
bei uns ist ein besonderes Erlebnis und mit<br />
einem normalen Restaurantbesuch nicht zu vergleichen“,<br />
fasst es Inhaber Haneke zusammen.<br />
„Ich muss zugeben, dass ich als Brillenträgerin<br />
erst mal Respekt vor der anstehenden Situation<br />
hatte. Alles schwammig zu sehen ist schon<br />
schlimm – das ist aber nichts gegen die völlige<br />
Dunkelheit“, erzählt Ann- Christin Hagemann<br />
aus Dormagen. Das Dunkel-Dinner im „Finster“<br />
bekam sie von ihrem Freund geschenkt. Sie ist<br />
happy, die Herausforderung gemeistert zu<br />
haben. Besitzer Haneke erlebt oft Skepsis bei<br />
seinen Gästen. „Die meisten bemerken bei uns<br />
zum ersten Mal, wie abhängig sie im Alltag von<br />
ihrem Augenlicht sind“, erzählt er. „Die Gäste<br />
müssen die Anweisungen unserer Kellner befolgen<br />
und ihnen komplett vertrauen. Das ist zunächst<br />
ungewohnt.“ Hanekes Kellner sind blind<br />
oder sehbehindert – sie können sich daher routiniert<br />
in der Dunkelheit bewegen und die Gäste<br />
ideal anleiten.<br />
geht es im „Finster“ meistens heiter zu.<br />
Per Polonaise führen die Kellner ihre Gäste an<br />
den Platz. Raum und Umgebung können nur<br />
erahnt werden und bekommen erst in der eigenen<br />
Fantasie Farbe und Form. Zumindest über die<br />
Inneneinrichtung kann sich also kein Gast bei<br />
den Hanekes beschweren. Mit dem Sehvermögen<br />
geht für viele auch das Zeitgefühl verloren.<br />
„Ich weiß bis heute nicht, wie lange ich für die<br />
einzelnen Gänge gebraucht habe. Nur an Geräuschen<br />
konnte ich erraten, was um mich herum<br />
passiert“, erinnert sich Ann-Christin Hagemann.<br />
So hörte sie es, wenn ein Teller vor der Nase<br />
abgestellt wurde, aber nicht, wenn ihr Freund<br />
heimlich etwas vom Teller klaute. „Ohne zu<br />
sehen ist es mir total schwergefallen, etwas zu<br />
riechen oder zu schmecken. Nicht einmal die<br />
Tomatensuppe konnte ich erkennen.“<br />
Erst am Ende löst Haneke das Menügeheimnis<br />
auf. „Nur wenige liegen richtig“, sagt er lachend.<br />
Besonders stolz ist Haneke auf den Aha-Effekt<br />
des Dunkel-Dinners: „Die Leute haben im wahrsten<br />
Sinne des Wortes die Situation aus der<br />
Perspektive eines Blinden betrachtet“, erklärt er.<br />
„Auch meine Kellner wachsen mit diesem Rollenwechsel<br />
über sich hinaus. Hier im Restaurant<br />
kennen sie sich aus und werden gebraucht. Bei<br />
uns wird der Blinde zum Sehenden – und umgekehrt.“<br />
INFO<br />
Auswahl aus 8 Menüs (auch vegetarisch und vegan)<br />
Preis: Zwischen 35 und 53 Euro pro Person<br />
Kontakt: Steinhausenstraße 26, 45147 Essen<br />
Tel. 0<strong>20</strong>1 4519567<br />
Weitere Infos: www.finster-essen.de<br />
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