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tvv tvv - Thüringer Volkshochschulverband e.V.

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Aufbauen und konstruieren in Deutschland<br />

Eine sprachliche Polyfonie<br />

Bei uns zu Hause herrscht eine große sprachliche Vielfalt –<br />

nicht weniger als drei Sprachen werden ins Spiel gebracht. Ich<br />

selbst bringe aus der Heimat zwei Sprachen mit – Russisch,<br />

die Amtssprache in Dagestan, und meine Muttersprache Kumykisch.<br />

Dazu kommt natürlich Deutsch – die Sprache, die<br />

uns im Alltäglichen vor allem begleitet. Diese drei Sprachen<br />

sind dazu ganz unterschiedlich und gehören verschiedenen<br />

Sprachfamilien an. Kumykisch ist eine von mehreren Sprachen<br />

in Dagestan und gehört zur nordwesttürkischen Sprachgruppe.<br />

Sie können sich sicher vorstellen, welch schöne sprachliche<br />

Polyfonie durch diese Sprachkombinationen entstehen<br />

kann. Den Kindern scheinen die variierenden sprachlichen<br />

Klänge aber gar nichts auszumachen. Dass sie Deutsch korrekt<br />

und tiefgründig lernen, darüber mache ich mir keine Sorgen.<br />

Die Kinder sprechen im Kindergarten natürlich Deutsch. Es ist<br />

mir aber wichtig, dass sie meine Muttersprache lernen, denn<br />

wir reisen ja auch zu meiner Familie nach Dagestan zu Besuch.<br />

Um beim sprachlichen Thema zu bleiben: Ich habe mich seit<br />

meiner Ankunft in Deutschland natürlich intensiv mit der<br />

deutschen Sprache beschäftigt. So habe ich den Integrationskurs<br />

besucht und an der Volkshochschule in Erfurt das Niveau<br />

B2 erreicht. Dabei habe ich auch den Test-DaF abgelegt – das<br />

war für mich eine Herausforderung, aber zum Glück hatte ich<br />

tolle Lehrkräfte und letztendlich habe ich die Prüfung mit<br />

der Note 1 geschafft – ein sehr gutes Ergebnis. Dass es mit<br />

der deutschen Sprache so gekommen ist, hat mich ehrlich<br />

gesagt überrascht. Meine Vorstellung nach der Ankunft in<br />

Deutschland war es, dass ich gleich mit der Arbeit anfange.<br />

Zu dem Zeitpunkt konnte ich aber noch kein Wort Deutsch<br />

und die Arbeitssuche war schwieriger als gedacht. Durch den<br />

Integrationskurs und durch die Förderung der Otto-Benecke-<br />

Stiftung, durch die ich die Möglichkeit hatte an einem Förderprogramm<br />

für Ausländer zwei Semester an der Bauhaus<br />

Universität in Weimar zu studieren (davon erzähle ich Ihnen<br />

gleich mehr), haben sich meine Ansichten geändert: Ich habe<br />

die große Bedeutung erkannt, die es hat, Deutsch zu lernen,<br />

und ich habe gemerkt, dass ich mich auch in Deutschland<br />

beruflich verwirklichen kann. Die Förderprogramme haben<br />

mich motiviert und zu neuen Einsichten gebracht und ich<br />

weiß jetzt, dass es sich lohnt, sich für die sprachliche Integration<br />

einzusetzen.<br />

2007 hat Gadzhi Mutalimov die lange Reise von der Heimatstadt Kizilyurt<br />

in Dagestan am kaspischen Meer nach Deutschland gemacht. In Deutschland<br />

hat seine deutsche Frau auf ihn und die Familienzusammenführung<br />

gewartet. Seit der Ankunft in Deutschland konstruiert der 27jährige nicht<br />

nur in seinem Studium zum Bauingenieur, sondern baut auch eine Familie<br />

auf und setzt sich berufliche und private Ziele. So hat er z. B. die deutsche<br />

Sprache erworben und seine zwei Kinder sind auf die Welt gekommen. „Ja,<br />

ich bin der einzige Ausländer in der Familie“, lacht Gadzhi Mutalimov und<br />

fängt an zu berichten.<br />

Chancengleichheit und sprachliche Experimente<br />

Wenn ich Wünsche für die zukünftige Integrationsarbeit<br />

in Deutschland aufstellen könnte, gäbe es vor allem zwei<br />

Sachen. Als erstes würde ich die bestehenden Kurse für<br />

Migranten einheitlicher aufteilen, so dass die sprachlichen<br />

Niveauunterschiede nicht so groß sind. Davon würden alle<br />

mehr haben – auch die Lehrkraft, denn es ist ja fast eine unmögliche<br />

Aufgabe, alle Lerner in einer bezüglich des sprachlichen<br />

Niveaus sehr heterogenen Gruppe zu berücksichtigen.<br />

Ich denke, dass auch mehr Teilnehmer auf diese Weise die<br />

Prüfungen bestehen würden.<br />

Die andere Sache, für die ich mich einsetzen würde, wären<br />

Deutschkurse für alle Menschen, die nach Deutschland<br />

kommen, egal wie ihre Aufenthaltsbedingungen sind. Die<br />

sprachlichen Grundlagen erleichtern den Aufenthalt in einem<br />

Land enorm und gestatten dem jeweiligen Menschen viel<br />

mehr Möglichkeiten, den Alltag zu meistern. Hier sollten alle<br />

Menschen die gleiche Chance bekommen! Das unangenehme<br />

Gefühl des sprachlichen Vakuums habe ich selbst erlebt,<br />

als ich gerade nach Deutschland gekommen bin und den<br />

Integrationskurs angefangen habe. Die anderen Teilnehmer<br />

waren etwas fortgeschrittener als ich und konnten sich schon<br />

vorstellen. Als ich dran war, konnte ich fast nichts sagen. Das<br />

ist ein komisches Gefühl. Zum Glück konnte ich mich aber<br />

auch bald auf Deutsch vorstellen und im Kurs mitreden.<br />

Wege und Umwege zum Studium<br />

In meiner Heimat in Dagestan habe ich von 2001 bis 2006 ein<br />

Studium im Bereich Bauingenieurwesen und Immobilienwirtschaft<br />

absolviert und bin also Diplomingenieur. Allerdings<br />

habe ich gewusst, dass es wahrscheinlich schwierig wird, in<br />

Deutschland eine Arbeit als Ingenieur zu finden. Die vorher erwähnte<br />

Förderung durch die Otto-Benecke-Stiftung war sehr<br />

aufschlussreich. Ich wurde sogar dazu aufgefordert, an der<br />

Universität weiter zu studieren und habe auch die Zulassung<br />

zum Studium bekommen. Das waren erst mal gute Nachrichten!<br />

Später gab es aber Probleme, weil ich wegen meines<br />

Diploms aus der Heimat kein BAföG beziehen konnte. Als<br />

ich daraufhin meinen Abschluss in Deutschland anerkennen<br />

lassen wollte, wurde mein Diplom nur als deutsches Abitur<br />

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