09.01.2019 Aufrufe

tecta_katalog_bauhausnowhaus_2018_yumpu_test

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

1


07<br />

15<br />

23<br />

37<br />

45<br />

KERSTIN BRUCHHAUSER<br />

D4N<br />

KATRIN GREILING<br />

F51N<br />

TOBIAS GROSS<br />

D1N K10N<br />

PETER OTTO VOSDING<br />

B51<br />

ESTHER WILSON<br />

D4N


55<br />

61<br />

115<br />

121<br />

139<br />

155<br />

167<br />

185<br />

JOSEF ALBERS<br />

L61<br />

MARCEL BREUER<br />

B40 D4 D40 F40<br />

F41E K40 M45<br />

S40 S41 S43 S44<br />

ERICH BRENDEL<br />

K10 M10<br />

WALTER GROPIUS<br />

D51 D51–2 D51–3<br />

F51 F51–2 F51–3<br />

PETER KELER<br />

D1 D1–2 D1–3 W1<br />

EL LISSITZKY<br />

D61 D62<br />

MIES VAN DER ROHE<br />

B42 D42 F42E F42E1<br />

SERGIUS RUEGENBERG<br />

D5 D5A


KERSTIN BRUCHHAUSER<br />

<strong>2018</strong>


D4N<br />

7<br />

Bauhaus Neuinterpretation – Original von Marcel Breuer, 1926/27


KERSTIN BRUCHHAUSER<br />

<strong>2018</strong>


Ein Schmetterling entfaltet die Poesie des D4<br />

D4N 9<br />

Für ihre Interpretation eines Bauhaus Möbels wählte Kerstin Bruchhäuser<br />

bewusst den ungepolsterten Stuhl D4 von Marcel Breuer. Entworfen als<br />

Allrounder „für Schiffe, Sportplätze, Terrassen, Sommerhäuser, Gärten,<br />

Gartencafés“ wurde der zusammenklappbare Stahlrohrklubsessel mit<br />

Stoffgurtbespannung im Jahr 1927 vorgestellt. Längst Ikone, ist Breuers<br />

mobiler D4 bereits seit 1980 in die ständige Sammlung des Museum of<br />

Modern Art New York aufgenommen.<br />

Für ihre Version hat Kerstin Bruchhäuser entschieden, das<br />

Stahlrohrgestell des D4 zu belassen, um sich auf die Gestaltung der<br />

textilen Gurtflächen – Sitz, Rücken- und Armlehnen – zu konzentrieren.<br />

In aufwändiger Handarbeit kreierte sie über drei Monate ein Patchwork<br />

und bediente sich der traditionellen koreanischen Pojagi-Technik. Hierbei<br />

werden Stoffreste mit markanten Kedern aneinander genäht, so das Vorder-<br />

und Rückseite fast identisch aussehen. Das Ergebnis: ein beidseitig<br />

ästhetisch-schönes Textil.<br />

Als Referenz zu den vier Grundfarben, wählte Bruchhäuser für<br />

ihren Stoff vier Kolorits: Gelb, Grün, Blau und Pink. „Ich habe das Patchwork<br />

entsprechend dem Bauhaus Gedanken bewusst auf vier Farben begrenzt“,<br />

erklärt sie.<br />

Die verwendeten Stoffreste besitzen globale Wurzeln: ein Teil<br />

stammt aus der Lauenförder Werkstatt von Tecta. Ein weiteres Material<br />

aus deutschen Militärrucksäcken, die sie in einem Second Hand-Militärladen<br />

in Los Angeles fand. Blaue Stoffe waren einst Jeanshosen, dazu<br />

mischt sie einen alten, japanischen Kimonostoff zu einem symmetrischen<br />

Muster.<br />

Ausgangspunkt für ihr Patchwork ist ein Schmetterling des<br />

Kimonostoffes, der sich im Zentrum der D4 Sitzfläche befindet und von<br />

dort aus das gesamte Muster entfaltet. Die Stoffreste sind in perfekter<br />

Symmetrie angeordnet, durch das Übereinandernähen per Hand gibt es<br />

immer wieder leichte Verschiebungen. „Ein spannender Kontrast entsteht:<br />

Der flexible Stoff mit den leicht versetzten Nähten wird auf dieses super<br />

gerade und glänzende Stahlrohr aufgezogen“, erklärt die Hamburger<br />

Designerin.<br />

Mit ihrer Interpretation weist Kerstin Bruchhäuser dem D4 eine<br />

neue Zukunft: Das Mix & Match der unterschiedlichen Stoffe in koreanischer<br />

Nähtechnik zitiert nicht nur die globale Welt, sondern ist zugleich ein<br />

Versprechen an die Nachhaltigkeit. Eine Ikone, die Historie und Zeitgeist<br />

neu verbindet.


KERSTIN BRUCHHAUSER<br />

<strong>2018</strong>


D4N<br />

11


KERSTIN BRUCHHAUSER<br />

Wie kam es zu der Kooperation mit Tecta?<br />

Kerstin Bruchhäuser: Der Kontakt zu Tecta besteht schon sehr<br />

lang. Durch eine verwandtschaftliche Beziehung zu Axel Bruchhäuser<br />

und Christian Drescher. Vor kurzem berichtete ich von der koreanischen<br />

Pojagi-Nähtechnik, mit der ich großformatige Textilarbeiten erstelle. Ich<br />

nähe Portraits aus alter Weißwäsche. Christian und Daniela Drescher<br />

waren sehr interessiert an dieser Technik und besuchten mich in meinem<br />

Atelier in Hamburg. Sie fragten direkt, ob ich mir vorstellen kann,<br />

einen Bauhaus-Stuhl mit Pojagi neu zu interpretieren.<br />

Wie ging es dann weiter?<br />

KB: Ich habe mir einen Stuhl aus der Bauhaus Serie zur<br />

Neuinterpretation ausgesucht: den Clubsessel D4 von Marcel Breuer.<br />

Ich finde den Stuhl cool, weil er nicht gepolstert ist. Man kann Vorderund<br />

Rückseite sehen. Das passt perfekt zur Pojagi-Technik.<br />

Was ist das Besondere an Pojagi?<br />

KB: Es ist eine traditionelle koreanische Patchworkart, bei der<br />

Stoffreste einlagig zusammengenäht werden. Vorder- und Rückseite<br />

sehen also nahezu identisch aus: Die Stoffteile werden so aneinander<br />

gefügt, dass man keine offenen Nähte und keine Fransen hat. Beim „normalen“<br />

Patchwork bleibt die Rückseite offen – es muss immer zusätzlich<br />

ein Stoff gegen genäht werden. Durch die offensichtlichen Nähte erinnern<br />

Pojagi-Tücher an Bleiglasfenster, an Sakrales. Gleichzeitig besitzen<br />

Pojagi Textilien auch etwas Alltägliches. Es ist ein eher pragmatischer<br />

Nutzen, verbunden mit einer räumlichen und ästhetischen Wirkung. Denn<br />

traditionell entstehen sie aus Stoffresten. Ihr Vorleben macht die Tücher<br />

also auch sehr spannend und bedeutsam. Pojagi-Tücher werden vielseitig<br />

verwendet: als Sichtschutz an Fenstern oder in Türrahmen. Aber auch als<br />

Verpackung, um Lebensmittel zu transportieren. Wenn man die Tücher<br />

gegen das Licht hängt, entstehen im Raum Farbfelder. – Der Aspekt der<br />

Nachhaltigkeit spielt auf vielschichtige Weise mit – aber sehr subtil.<br />

Pojagi haben Sie dann einfach so auf den Stuhl übertragen können?<br />

KB: Die ersten zwei Entwürfe habe ich beim Nähen wieder verworfen.<br />

Die Muster passten nicht. – Sonst stelle ich eher großformatige<br />

Bilder her, zwei mal drei Meter. Da sind die Gestaltungsfreiheit und die<br />

Flexibilität größer. Wenn ein Stoffrest nicht an eine Stelle passt, schiebt<br />

man ihn woanders hin, vergleichbar einem Puzzle. Bei dem Breuer Stuhl<br />

ging das aber nicht, weil man sehr schmale Stellen hat, wie etwa die<br />

Armlehnen. Ich stellte fest, dass viele Ideen auf der Sitzfläche nicht<br />

funktionierten und das Dessin kleinteiliger werden musste. So kam ich<br />

beim dritten Entwurf auf das symmetrische Muster, das jetzt umgesetzt<br />

ist.<br />

Gab es im Projektverlauf Abstimmungsmeetings oder haben Sie völlig frei<br />

an Ihrem Entwurf gearbeitet?<br />

KB: Ich habe in Eigenregie das Muster kreiert und die Stoffe<br />

ausgesucht. Sitzfläche, Rücken- und Armlehnen mit der Hand genäht.<br />

Eine sehr filigrane Arbeit und sehr aufwändig. Weil das Patchwork beim<br />

D4 eben zum Teil des Stuhls wird und nicht hängt, fällt natürlich das<br />

Lichtspiel weg, d.h. auch die Wirkung für den Raum kippt. Es bleiben<br />

aber die auffälligen Nähte. Dort, wo die Stoffe zusammengeführt werden,<br />

sind sie teilweise vierfach übereinandergeschichtet. So entsteht<br />

eine mehrdimensionale, reliefartige Sitz-Oberfläche.<br />

Sehen Sie in Ihrer Neuinterpretation einen konkreten Bezug zum Bauhaus?<br />

KB: Das Projekt Bauhaus Nowhaus knüpft an die Historie an.<br />

In meinem Fall an den Entwurf von Marcel Breuer, der nach wie vor Aktualität<br />

besitzt. Das greife ich durch die Pojagi-Technik wieder auf: Indem<br />

ich Altes, die Stoffreste, zusammenfüge und daraus Neues entstehen<br />

lasse. Etwas Neues zu entwickeln und auf traditionelle Techniken zurückzugreifen<br />

ist ein klassischer Bauhaus-Gedanke.<br />

Wie ist es, eine Design-Ikone zu verändern?<br />

KB: Es ist sehr ambivalent. Segen und Fluch zugleich (lacht).<br />

Man hat total viel Respekt. Weil der Stuhl eben in seinem Original perfekt<br />

ist. Ich kenne den D4 seit meiner Kindheit. Ich weiß, was Marcel<br />

Breuer sich gedacht hat. Gleichzeitig ist es eine absolute Ehre, einen<br />

neuen Ansatz erschaffen zu dürfen. Die Freiheit zu haben, an dieses<br />

heilige Stück heranzugehen, es auch ein bisschen entweihen zu dürfen.


INTERVIEW<br />

D4N<br />

13<br />

Vita: Kerstin Bruchhäuser, geboren 1974, lebt und arbeitet in Hamburg. Sie studierte von<br />

1999 bis 2005 Illustration und Kommunikationsdesign an der Hochschule für Angewandte<br />

Wissenschaften Hamburg. In dieser Zeit begann sie, erste textile Bilder zu kreieren. 2009<br />

fügte sie einen Promotionsstudiengang in Kunst und Design an der Bauhaus Universität Weimar<br />

hinzu, den sie mit dem PhD abschloss. Ihre Dissertation befasste sich mit dem Thema<br />

„Text auf gebrauchtem Textil in der Gegenwartskunst“.<br />

Zahlreiche Ausstellungen in Berlin, Hamburg und Weimar sowie Stipendien an<br />

der Bauhaus Research School markieren seitdem ihren Weg.<br />

Ein Aufenthalt in Los Angeles von 2005 bis 2007 nahm außerdem großen Einfluss<br />

auf ihr textiles, künstlerisches Werk, das auch dort auf große Anerkennung stößt. <strong>2018</strong><br />

ist Kerstin Bruchhäuser mit der Ausstellung „The world of Frida“ im kalifornischen Walnut<br />

Creek vertreten. Seit 2014 lehrt die Gestalterin außerdem an der HAW Hamburg das Fach<br />

Textildesign.


KATRIN GREILING<br />

<strong>2018</strong>


F51N<br />

15<br />

Bauhaus Neuinterpretation – Original von Walter Gropius, 1922


KATRIN GREILING<br />

<strong>2018</strong>


Des Gropius neue Kleider<br />

F51N 17<br />

Es sind die goldenen 1920er Jahre und etwas liegt in der Luft: „Die Erdenträgheit in Wirkung<br />

und Erscheinung schwebend überwinden“, benennt es Bauhaus-Gründer Walter Gropius. Seine<br />

würfelförmige Kragkonstruktion des Direktorensessels F51 glich diesem prophetischen Zitat - für<br />

ein neues Kapitel des Sitzens der Moderne: der Kragidee.<br />

Die Armlehnen des F51 kragten frei heraus und der Rücken schwebte über dem Boden.<br />

Ein Stück, das bewusst die Visionen Lissitzkys aufgriff und als Innovation galt.<br />

Für ihre Neuinterpretation des F51 zeigt Katrin Greiling nun, dass Flächen und Farbtöne<br />

dieser Ikone neu gedacht werden können. Den Gropius-Sessel stellt sie in markanten Farb- und<br />

Texturwelten vor, die Perspektiven verändern und Blicke leiten. So verleiht sie ihm nach 100 Jahren<br />

ein neues Gesicht.<br />

Dafür verwendet sie Stoffe, die der belgische Modedesigner Raf Simmons für Kvadrat<br />

entwarf. Inspiriert von Wolle, Twill und Tweed entstand eine Kollektion, deren Texturen und Farbtöne<br />

den Transfer zu zeitgenössischem Mobiliar schaffen.<br />

Katrin Greiling teilt den Sessel in drei Gestaltungsflächen: Gestell, Sitz- und Armlehnen-Polster.<br />

Den markanten, geometrischen Holzrahmen präsentiert sie in sechs neuen Farben,<br />

die in Hochglanzlack umgesetzt werden. Farbe spielt in ihren gesamten Entwürfen eine große<br />

Rolle und so ist es auch beim F51. Mit Farbe und Textur leitet sie das Auge, betont Form und<br />

Proportion. Inspiration boten dabei auch die textilen Arbeiten von Gunta Stölzl – Zeitgenossin von<br />

Walter Gropius und Meisterin der Weberei am Bauhaus – eine der wichtigsten Werkstätten, dessen<br />

geschichtliche Bedeutung aber noch bis heute oft unterschätzt wird. So wird der F51 von Katrin<br />

Greiling zu einem Zusammenspiel von Geometrien, Farben und Texturen, das Heute und Gestern<br />

gekonnt vereint.


KATRIN GREILING<br />

<strong>2018</strong>


F51N<br />

19


KATRIN GREILING INTERVIEW<br />

Lässt sich an einem Klassiker noch etwas optimieren?<br />

KG: Der F51 ist eine Ikone, deshalb ergab sich nicht die Frage,<br />

an der Form zu arbeiten, sondern ich konzentrierte mich auf die Oberflächen<br />

– die weichen Polster sowie die harten konstruktiven Flächen. Ich<br />

habe das Möbel auseinandergenommen und geschaut: Wie kann ich in<br />

diesem präzisen, vorformulierten Rahmen etwas modifizieren? Es ist der<br />

Versuch, das Möbel aus der Zeit zu holen und in einen zeitgenössischen<br />

Rahmen zu integrieren, so dass man das Alter von 100 Jahren nicht<br />

ablesen kann. Dabei war es wichtig, den F51 in der Basis zu belassen,<br />

damit er von Tecta im regulären Produktionsfluss weiter hergestellt werden<br />

kann.<br />

Wie kam es zu der Idee, den legendären Sessel F51 von Gropius neu<br />

einzukleiden?<br />

Katrin Greiling: Ich habe an der HBKsaar im Herbst 2017 ein<br />

Projekt mit der Fragestellung initiiert: Wie gehen Firmen mit dem Bauhaus-Erbe<br />

um? Wie kreieren sie aus diesem Erbe Neues? Bei Tecta<br />

fragte ich an, ob Interesse an einer Hochschul-Kooperation bestände.<br />

Daraus entstand ein wunderbares Projekt, bei dem ich das Unternehmen<br />

und die Menschen dahinter kennenlernte. Bei einem Wiedersehen<br />

auf der imm Cologne <strong>2018</strong> in Köln fragte Christian Drescher, ob ich Lust<br />

hätte eine Re-Edition des Sessels F51 von Walter Gropius zu entwickeln.<br />

Was war Ihr erster Gedanke zur Veränderung?<br />

KG: Ich habe mir überlegt: Wie würde ich den Sessel in einem<br />

zeitgenössischen Mobiliar sehen? Ich wollte den Stuhl nicht neu entwerfen,<br />

sondern den gegebenen Rahmen aus Fläche, Textur und Farbe neu<br />

interpretieren und proportionieren.<br />

Welcher Aspekt spielte bei dem Entwurf eine<br />

große Rolle?<br />

KG: Der Körper des F51 lässt sich unterschiedlich wahrnehmen.<br />

Er besteht aus Holz- und Polster-Oberflächen. Mich beschäftigte<br />

die Frage: setzt man diese Flächen kontrastreich gegen- oder harmonisch<br />

miteinander? Farbe spielt in meinen gesamten Entwürfen eine<br />

große Rolle. Durch Farbe lässt sich das Auge leiten, lassen sich Proportionen<br />

gewichten, Formen hervorheben oder zurückhalten. Die textilen<br />

Arbeiten von Gunta Stölzl begeistern mich schon lange. Sie war Zeitgenössin<br />

von Walter Gropius und Meisterin der Weberei am Bauhaus<br />

- eine der wichtigsten Werkstätten, dessen geschichtliche Bedeutung<br />

aber noch bis heute oft unterschätzt wird.<br />

Haben Stölzls Arbeiten Sie konkret weiter inspiriert?<br />

KG: Gunta Stölzls Arbeiten inspirierten mich, um mit monochromen<br />

und gemusterten Oberflächen, der Struktur des Webstoffes und<br />

einer differenzierten Farbwahl weiter zu arbeiten. Um die taktilen Stoffe<br />

von Kvadrat zu kontrastieren, wählte ich für die hölzernen Elemente des<br />

Sessels einen Lack in Hochglanzoptik , der die darunter liegende Materialstruktur<br />

verbirgt. Inspiration hierfür sind die traditionellen, japanischen<br />

Gefäße und Objekte, die mit Urushi lackiert sind. Hier stehen die<br />

Materialien in starkem Kontrast zueinander und ergeben als Ganzes ein<br />

harmonisches Möbel.<br />

Warum setzten Sie Stoffe von Kvadrat ein?<br />

KG: Bei Kvadrat schätze ich das Verständnis von Farbe, Material<br />

und Haptik. Ich arbeite seit vielen Jahren mit der dänischen Firma<br />

an verschiedenen Projekten und kenne das Sortiment. Viele der Stoffproben<br />

hatte ich bereits bei mir im Studio und nach Gesprächen mit<br />

Kvadrat stand meine Auswahl für die Re-Edition fest.<br />

Gibt es einen Bezug zwischen Ihrer Arbeit und der Idee Bauhaus?<br />

KG: Der Zugang zum Handwerk spielt eine bedeutende Rolle<br />

und ist tonangebend für die späteren Entwürfe. In der Lehre lege ich großes<br />

Gewicht auf das Verständnis von Material und Konstruktion. Meine<br />

eigene Ausbildung gestaltete ich ähnlich, vor dem Möbeldesignstudium<br />

in Stockholm studierte ich zwei Jahre Möbelschreinerei. Dort war – wie<br />

im Bauhaus – die Werkstatt der Arbeitsplatz.


F51N<br />

21<br />

Vita: Die 1978 in Deutschland geborene Katrin Greiling zog 1998 von ihrer Heimatstadt<br />

München auf die schwedischen Insel Öland, um dort Möbelschreinerei und Tischlerei zu<br />

lernen. Anschließend fügte sie in Stockholm ein fünfjähriges Masterstudium in Möbeldesign<br />

und Innenarchitektur an der renommierten Hochschule für Design, Kunst und Handwerk,<br />

Konstfack, hinzu. Ihren Abschluss machte sie dort 2005.<br />

Nach ihrem Studium begann sie Design weltweit zu erforschen: Es folgte ein dreijähriger<br />

Aufenthalt in Dubai, während welchem sie für einen ansässigen Immobilienentwickler<br />

Büros in Shanghai, Kairo und Istanbul entwarf. Anschließend arbeitete sie als Direktorin für<br />

Industriedesign, und entwickelte in Zusammenarbeit mit der Kunstmesse Art Dubai die Sofakollektion<br />

Bidoun, welche dann auch 2010 den ersten Pavillion der Vereinigten Arabischen<br />

Emirate auf der Kunstbiennale in Venedig möblierte. Während ihrer Forschungsreisen im<br />

Mittleren Osten entstanden auch zahlreiche Photographien welche unter anderem von Rem<br />

Koolhaas veröffentlicht wurden.<br />

Zurück in Stockholm konzentrierte sie sich weiter auf Design als Themenschwerpunkt,<br />

entwarf für die Stockholm Möbelmesse die Design Bar und arbeitete an zahlreichen<br />

Entwürfen. 2013 dann etablierte sie ihr Studio in Berlin.<br />

In ihrer Arbeit verbindet sie Möbeldesign, Innenarchitektur und Photographie –<br />

ein interdisziplinärer Mix, der es ihr ermöglicht, Projekte aus verschiedensten Perspektiven<br />

zu erfassen. Studio Greiling’s Entwürfe sind mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, zugleich<br />

ist sie an vielen internationalen Projekten und Ausstellungen beteiligt, wie zum Beispiel<br />

2010 an der ersten „Wallpaper Handmade“ Ausstellung in Mailand während der Möbelmesse.<br />

2012 gehörte sie zu den ausgewählten Designern für die „Halingdal 65“-Ausstellung von<br />

Kvadrat. Zusammen mit Etienne Descloux entwickelte sie 2014 das „Freunde von Freunden“<br />

Apartment von Vitra – ein Showroom und Veranstaltungsort in Berlin. Zuletzt hat sie mit<br />

Kinnasand kooperiert: In Mailand war im April <strong>2018</strong> die Ausstellung „Structures“ zu sehen,<br />

welche die Relation zwischen Teppich und Objekt erforschte.<br />

Seit 2017 ist Katrin Greiling Professorin für Produktdesign an der HBK Saar in<br />

Saarbrücken.


TOBIAS GROSS<br />

<strong>2018</strong>


K10N<br />

23<br />

Bauhaus Neuinterpretation – Original von Erich Brendel, 1924


TOBIAS GROSS<br />

<strong>2018</strong>


Unsichtbar wird sichtbar<br />

K10N 25<br />

Tobias Groß verwandelt das unauffällige Klappwunder K10 in ein frisches,<br />

farbiges Möbel mit Überraschungen. Als unauffälliger Kubus scheint sich<br />

Erich Brendels Tisch Entdeckungen zu entziehen. Dann aber zaubert er<br />

ein Lächeln in die Gesichter der Betrachter: er entfaltet sich, wird ein<br />

Schweizer Kreuz und spiegelt seine Inspirationsquelle – die strengen<br />

Linien des Direktorenzimmers von Walter Gropius.<br />

Bei seiner Neuinterpretation des K10 nimmt Tobias Groß einen<br />

Anlauf: er erlöst Brendels Tisch von seiner Unsichtbarkeit, gestaltet ihn<br />

sichtbar, kleiner und farbenfroh. ,Den konstruktiven Charakter des Tisches<br />

behält er dabei im Auge und stellt ihn in den Mittelpunkt. Flächen und<br />

Stützen des K10 wurden filigraner gestaltet, so dass sie an Massivität<br />

verlieren und ein leichtes, flexibles Möbel entsteht. Der kleinere Bruder<br />

des einstigen Teetisches von Erich Brendel.<br />

Und weil ein Tisch heute nicht mehr allein die Idee des „Five<br />

o‘clock-Tea“ vertreten kann, verkleinert ihn der Kölner Gestalter prozentual<br />

auf das Format eines Beistelltisches. Ein fröhliches Augenzwinkern<br />

verleiht er dem Möbel auch von außen.<br />

Eine neue Zweifarbigkeit macht den Tisch attraktiv für zeitgemäßes<br />

Wohnen. In der Fläche arbeitet Tobias Groß mit ruhigen, gedeckten<br />

Farben von Oliv über Rot und Blau. Die Profilkanten hebt er durch frische<br />

Pastelltöne hervor. Sie verlaufen um den Tisch und geben ihm, je nach<br />

Stellung der Tischplatten, ein neues, immer überraschendes Erscheinungsbild.<br />

Für die Kampagne BauhausNowhaus hat der Kölner Gestalter<br />

dem K10 so zur Sichtbarkeit verholfen. Daraus entstand ein Produkt –<br />

perfekt konstruiert und zeitlos schön und bereit dafür, sich in modernen<br />

Wohnwelten zu entfalten.


TOBIAS GROSS<br />

<strong>2018</strong>


K10N<br />

27


TOBIAS GROSS<br />

Tobias Groß hat sich bei der Neuinterpretation eines Bauhaus-Möbels für<br />

den Teetisch von Erich Brendel entschieden. Ein auf den ersten Blick zurückhaltendes<br />

Möbel. Warum sprach es Dich an?<br />

Tobias Groß: Wir arbeiten als Gestalter schon lange<br />

mit Tecta zusammen. Im Laufe dieser Zusammenarbeit fiel mir dieser<br />

ungewöhnliche und zugleich zurückhaltende Teetisch mehr und mehr ins<br />

Auge. Er drängt sich nicht auf und bekam in der Kommunikation bisher<br />

noch keine große Bühne. Die Begeisterung wuchs, als wir uns näher<br />

mit ihm beschäftigten. Brendels Gestaltung ist reduziert und klar wie<br />

das Bauhaus. Sie verkörpert Reduktion, Funktionalität, aber auch das<br />

Verspielte und den Humor. Dinge, die stark mit dem „Heute“ verbunden<br />

sind.<br />

Welcher konstruktive Blick gefiel an diesem Möbel?<br />

TG: Es ist ein Tisch, der sich zurücknimmt, aber im<br />

nächsten Augenblick extrovertiert, großzügig und raumgreifend erscheinen<br />

kann. Durch die Möglichkeit des Ausklappens erhält er immer wieder<br />

eine neue Form. Mit einer ausgeklappten Seite verkörpert er das<br />

Auskragende und damit den engen Bezug zu Tecta. Mit jeder geöffneten<br />

Seite gewinnt er an Dimension. Der Tisch ist ein geniales Möbel, bei<br />

dem man die Flächen verdoppeln, verdrei- oder vervierfachen kann.<br />

Was wurde mit der Neuinterpretation verändert?<br />

TG: Eigentlich hat man vor dem Bauhaus-Möbel so<br />

viel Respekt, dass man gar nichts verändern will. BauhausNowhaus hat<br />

uns in die Karten gespielt bei der „erlaubten“ Fragestellung: an welcher<br />

Stelle kann man das Möbel noch verbessern? Wir merkten, dass man<br />

es noch weiter reduzieren kann. Die Grundform des Kubus haben wir in<br />

den Mittelpunkt gestellt, aber das Podest weggenommen, weil es eine<br />

Veränderung des Kubus in die Vertikalen mit sich brachte. Erich Brendel<br />

wollte den Tisch damit auf Höhe bringen, wir brauchten die Höhe aber<br />

nicht für die ausdifferenzierte Form.<br />

INTERVIEW<br />

zum Marketing-Objekt oder Grafik-Würfel degradieren. Man will alles mit<br />

Sinn und Verstand tun, mit Blick auf die Konstruktion. Wir arbeiten nicht<br />

mit Effekthascherei, dafür steht auch unser Studio für Gestaltung nicht.<br />

Für wen könnte sich der M10 heute eigenen?<br />

TG: So wie er sich jetzt zeigt, zum Beispiel für kleinere<br />

Wohnungen, in denen man ein flexibles Möbel braucht. Er ist nicht festlegt<br />

auf eine bestimmte Verwendung und Handlung, sondern ein Möbel,<br />

das sich vielseitig präsentiert. Man könnte ihn als Hocker nutzen, wenn<br />

man ihn aus der Ecke schiebt. Die meisten Produkte sind auf eine bestimmte<br />

Handlung hin gestaltet. Das gibt zwar Orientierung beim Kauf,<br />

aber mit mehr Flexibilität hat man später den Riesenvorteil, dass das<br />

Produkt vielseitig einsetzbar ist und eine deutlich höhere Nutzbarkeit<br />

hat.<br />

Was wäre das nächste Produkt, für das sich dass Studio für Gestaltung<br />

interessieren könnte?<br />

TG: Wir sind Fans von Peter Keler. Der D1, der an die<br />

hundert Jahre alt ist, ist Sinnbild eines rollenden Sessels in seiner kubistischen<br />

Grundform. Man könnte hier viel mit dem Thema Materialität<br />

anstellen. Es wäre darüber hinaus eine tolle Idee, mit den rollenden<br />

Tecta-Tischen und Sesseln ein „rollendes Tecta-Popup-Café“ zu eröffnen,<br />

in dem nichts fest steht. Jede Stunde sieht es anders aus, weil die<br />

Besucher alles neu stellen und verändern können – ob zu zweit, zu viert<br />

oder zu zehnt. Das wäre ein freudvolles Projekt (lacht).<br />

Ist der Teetisch heute noch für seinen Einsatz als Five o´clock-Möbel gedacht?<br />

TG: Ich denke ihn als Beistelltisch, nicht mehr als Teetisch.<br />

Ich habe ihn zu Hause ausprobiert, aber in seiner alten Dimension<br />

war er eher störend. Für moderne, junge Wohnwelten haben wir seine<br />

Maße bewusst reduziert. Flächen und Stützen sind filigraner gestaltet,<br />

so erreichen wir ein leichteres, flexibleres Möbel als zuvor.<br />

Was sollte an dem neuen Tisch betont und zeitgemäß nach vorne getragen<br />

werden?<br />

TG: Wir wollten den konstruktiven Moment des Möbels<br />

betonen. Die Scharniere sind sichtbar, alles Konstruktive ablesbar.<br />

Durch die bewusste farbliche Betonung der Profilkanten lenken wir den<br />

Blick auf den eigenwilligen Charakter des Möbels und unterstreichen<br />

ihn. Die neue Zweifarbigkeit lässt das Möbel zeitgemäß erscheinen. In<br />

der Fläche arbeiten wir mit ruhigen, gedeckten Farben: Oliv, Rot und<br />

Blau. Die Kanten stechen durch frische Pastelltöne hervor. Sie verlaufen<br />

um den Tisch und geben ihm je nach Stellung der Tischplatten ein neues,<br />

überraschendes Erscheinungsbild.<br />

Denkt man als Grafiker Produkte eigentlich anders?<br />

TG: Als Grafiker haben wir zu Beginn irre Entwürfe<br />

auf die Flächen des M10 gelegt. Bauhaus-Muster, Pop-Art-Farben, Memphis-Grafiken<br />

– wir haben alles Denkbare ausprobiert. Aber wir haben<br />

uns dagegen entschieden, weil es zu laut gewesen wäre. Es ist beim<br />

Kubus eine Menge möglich. Aber wir wollten das Bauhaus-Produkt nicht


K10N<br />

29<br />

Vita: Tobias Groß wurde 1976 in Braunschweig geboren, ist verheiratet, Vater zweier Kinder.<br />

Von 1997 bis 2002 Studium an der FH Köln, Fachbereich Design, Abschluss Diplom Designer.<br />

Auszeichnung der Diplomarbeit mit dem ersten Platz des First Move Design Award,<br />

Messe Frankfurt a.M. Anstellung bei diversen Designagenturen, u.a. 2003 frog design Kalifornien,<br />

Sunnyvale, Brand Department.<br />

2004 Gründung »großgestalten Kommunikationsdesign«. <strong>2018</strong> Gründung des<br />

interdisziplinären Designbüros »Studio für Gestaltung«, Köln. Arbeit bis heute für zahlreiche<br />

namhafte Kunden im Kontext Architektur, Design, Kunst und Kultur. Über 50 nationale und<br />

internationale Auszeichnungen dokumentieren die hohe Qualität seiner Arbeit. Seit 2013 Dozent<br />

für Informationsdesign an der Rheinischen Fachhochschule Köln. Mitherausgeber des<br />

»Kölner Architekturführer« und Auszeichnung zum Schönsten Deutschen Buch 2016 durch<br />

die »Stiftung Buchkunst«. Jurymitglied »Stiftung Buchkunst« Förderpreis für junge Buchgestaltung<br />

2017 – das Buch von Morgen. Mitinitiator des Designfestivals Rheindesign, Cologne<br />

Design Summer.


TOBIAS GROSS<br />

<strong>2018</strong>


D1N<br />

31<br />

Bauhaus Neuinterpretation – Original von Peter Keler, 1925


TOBIAS GROSS<br />

<strong>2018</strong>


D1N<br />

33


TOBIAS GROSS<br />

<strong>2018</strong>


Passepartout für den Be-Sitzer<br />

D1N 35<br />

Der radikale Denkansatz, den Peter Keler mit seinem Sessel D1 schuf, faszinierte Tobias Groß<br />

sofort. Der Kölner Gestalter, der auch dem Teetisch von Erich Brendel ein neues Erscheinungsbild<br />

verlieh, beschäftigte sich hier ebenfalls intensiv mit den Farbwelten. Sein Ziel: den D1 in<br />

zeitgemäßen Kolorierungen markanter zu gestalten. So legte er für den „Rahmen“ des Sessels<br />

dunklere Farbtöne auf, den Innenraum, also Sitz- und Rückenfläche, gestaltete er um eine Nuance<br />

heller. So erhält der „Urvater“ der Sessel, der ganze Gestalter-Generationen prägte, eine überraschende<br />

Leichtigkeit im Raum. Und einen neuen Effekt: für den sitzenden Menschen wirkt er wie<br />

ein ästhetisch vollendeter Rahmen. Ein Passepartout, das den Körper in Form- und Farbwelten<br />

zu versetzen mag wie ein Bild.<br />

Die kubische Grundform der neuen D1-Serie zeigt sich in Blauschattierungen und etwas<br />

heller abgetönten Pastelltönen. Das Material, der streichelweiche Samtstoff, nimmt den Be-Sitzer<br />

angenehm auf. Nach wie vor faszinieren die Rollen, auf denen man das Möbel fast schwerelos<br />

bewegen und kreisen lassen kann. Interessant wird der D1 in Kombination mit der Neuinterpretation<br />

des Brendel-Tisches von Tobias Groß: ein Duo aus frischen Farbwelten und schwungvoller<br />

Beweglichkeit, die für modernes, zeitgemäßes Wohnen stehen.


PETER OTTO VOSDING<br />

<strong>2018</strong>


B51<br />

37


PETER OTTO VOSDING<br />

<strong>2018</strong>


Streng geometrischer Nachfahre<br />

B51<br />

39<br />

Funktion, Eleganz und Wert in Möbeln zu vereinen, reizt den Kölner Gestalter Peter Otto Vosding.<br />

So auch bei der Blockbank. Inspirationsquelle für sein streng geometrisches Möbel war das<br />

geradlinige Stabwerk von Fachwerkhäusern. „Es gibt nur wenige schöne Bänke“, erzählt der Designer,<br />

„die meisten sind Einbaumöbel und dadurch eher Mittel zum Zweck. Bei der Blockbank ist<br />

besonders reizvoll, dass sie von allen Seiten Wirkung besitzt. Selbst von hinten ist sie auffallend<br />

schön, aufgrund ihrer Details und der Tragkonstruktion.“<br />

Vosdings Blockbank, deren breite Armlehnen als kleine Tischchen fungieren können, ist<br />

durch den Kontrast von geschlossenen Flächen, offenem Gestell, der strengen Geometrie und<br />

den nach außen versetzten Hinterbeinen geprägt.<br />

Ein Möbel, das für viele Situationen denkbar ist: als Denk- und Wartemöbel für Empfang<br />

oder Museen; ob mit der Tasse Kaffee auf der Arm-Ablage oder einem Moleskine für Notizen.<br />

Nach den ersten Modellen, die Peter Vosding baute, entstand in den Werkstätten von<br />

Tecta der erste Prototyp. „Als ich den Entwurf bei Tecta vorstellte, fiel uns die Nähe zu Walter<br />

Gropius Bank D51 auf. Sowohl die Verwandtschaft zu den nach außen versetzten Vorder- und<br />

Hinterbeinen als auch die strenge Geometrie,“ beschreibt Vosding. „Die Blockbank könnte als<br />

Neuinterpretation der D51 erscheinen, verwandt aber eigenständig.“ Gerade weil sie ohne Bezug<br />

zur D51 entworfen wurde, unterstreicht sie die Aktualität der Bauhauslehre und ihren bleibenden<br />

Einfluss auf die Gestaltung.“


PETER OTTO VOSDING<br />

<strong>2018</strong>


B51<br />

41


PETER OTTO VOSDING<br />

VITA<br />

Peter Otto Vosding wurde 1990 in Wiesbaden geboren. Er studierte Industriedesign am Fachbereich<br />

Gestaltung der Hochschule Darmstadt, im Anschluss Produktdesign und Prozessentwicklung<br />

an der TH Köln. Während des Studiums absolvierte er Praktika bei squareone GmbH<br />

in Düsseldorf und kaschkasch in Köln. Durch ein Stipendium der IKEA Stiftung Deutschland<br />

konnte er darüber hinaus ein Auslandssemester am Ingvar Kamprad Design Centrum (IKDC)<br />

der Universität Lund in Schweden absolvieren.<br />

2017 gründete der Gestalter in Köln sein Büro VOSDING Industrial Design und<br />

wurde vom Rat für Formgebung zum Newcomer Finalisten beim German Design Award gekürt.<br />

Seither arbeitet er mit internationalen Kunden an der Realisierung neuer Möbel, Leuchten<br />

und weiterer Produkte.


B51<br />

43


ESTHER WILSON<br />

<strong>2018</strong>


D4N<br />

45<br />

Bauhaus Neuinterpretation – Original von Marcel Breuer, 1926/27


ESTHER WILSON<br />

<strong>2018</strong>


Bauhaus Wort-Werk wird poetisches Stick-Werk<br />

D4N<br />

47<br />

Esther Wilson interpretiert Marcel Breuers Stuhlikone D4 neu. Der D4 ist Zeitzeugnis, Zauber und<br />

ein Möbel, mit dem die britische Gestalterin und Künstlerin Esther Wilson aufgewachsen ist. Ein<br />

Stuhl, der Erinnerungen an ihre Großeltern, die Architekten Alison und Peter Smithson weckt, die<br />

das Möbel besaßen und eng mit Tecta zusammen gearbeitet haben.<br />

Die als Stickerin ausgebildete Gestalterin Esther Wilson hat deshalb ein poetisches<br />

Denk-Werk geschaffen, das sich vor Breuers Stuhl und dem Bauhaus verneigt. Die Basis für ihre<br />

Arbeit lieferte das Bauhaus Manifest in seinem Original-Layout. Wilson markierte auf einer Kopie<br />

in Farbe einzelne Worte und Bleistift-Handnotizen, die ihr wichtig erschienen. Die entstanden Farbblocks<br />

transferierte sie gemäß ihrer Positionen im Manifest als Stickerei auf die textilen Flächen<br />

des D4. So entstanden intensive, minimale Stickereien. Kunstwerke in einzigartiger Rhythmik<br />

aus Anordnung und Farbwiederholung. Größen und Proportionen der Farbblocks variieren nach<br />

Stuhl-Version –das Muster hat Wilson jeweils passgenau skaliert.


ESTHER WILSON<br />

<strong>2018</strong>


D4N<br />

49


ESTHER WILSON<br />

Sie haben eine Ausbildung zur Stickerin an der Royal School of Needlework<br />

in London gemacht. Ein Handwerk, das am Bauhaus gelehrt wurde,<br />

aber heute eher ungewöhnlich ist. Wie kam es dazu, dass Sie diesen seltenen<br />

Beruf erlernen wollten?<br />

Esther Wilson: Nähen und Sticken war immer ein großes Thema<br />

bei uns zu Hause. Das Handwerk hat Tradition in meiner Familie. Meine<br />

Großmutter, die Architektin Alison Smithson, die mit meinem Großvater<br />

Peter Smithson das Tecta-Hexenhaus und -Museum sowie zahlreiche<br />

Möbel entwickelte, hat sehr viel genäht. Sie hat ihr Wissen und Können<br />

an ihre Tochter, meine Mutter, weitergegeben und die wiederum an mich.<br />

Ich habe mich dann entschieden, meine Fähigkeiten auf das Sticken<br />

zu fokussieren. Ich bin sehr stolz, dass ich diese Kunst meiner Familie<br />

fortführe und nun auf das Projekt BauhausNowhaus anwenden konnte.<br />

Aus der Perspektive einer jungen britischen Designerin: Was bedeutet<br />

BauhausNowhaus für Sie?<br />

EW: Obwohl ich eine dreijährige Ausbildung als Stickerin mit<br />

BA Abschluss gemacht habe, wird meine Arbeit oft als Handwerk oder<br />

Frauenarbeit abgestuft. Die heutige Unterteilung in Handwerk und Kunst<br />

hat eine Hierarchie kreiert, in der Techniken wie Sticken oder Weben<br />

eine untergeordnete Rolle spielen. Das Bauhaus hingegen glaubte fest<br />

an die Einheit von Kunst und Handwerk und verstand es, Konzept mit<br />

Ausführung und traditionellen Techniken zu verbinden. Genau das ist für<br />

mich heute in meiner Arbeit relevant.<br />

Was war Ihre Idee, als Tecta mit der Aufgabe einer BauhausNowhaus<br />

Re-Edition an Sie herantrat?<br />

EW: Ich wollte den D4 von Marcel Breuer neu interpretieren<br />

und das Bauhaus-Manifest nutzen, um neue Stickmuster zu kreieren.<br />

Ich habe schon lange die Idee, Texte auf abstrakte Weise zu editieren.<br />

Es ging mir nicht darum, Wörter eins zu eins in Stickerei zu übertragen.<br />

Mein Plan war es, lediglich bestimmte Passagen oder Worte mit unterschiedlichen<br />

Farben hervorzuheben und das so entstandene Muster zu<br />

nutzen. Christian Drescher schickte mir daraufhin ein Foto des Original-Manifestes.<br />

Es war wichtig für mich zu sehen, wie das Layout mit<br />

den unterschiedlichen Schriftgrößen und auch den Bleistiftkorrekturen<br />

aussieht. All das bildete die Inspiration meiner neuen Muster für den<br />

D4.<br />

Sie haben also einzelne Wörter im Manifest markiert. Deren Position im<br />

Manifest lieferte dann die Basis für Ihr Designlayout, das wiederum „nur“<br />

aus gestickten Farbblocks besteht ...?<br />

EW: Genau. Es gibt keine Worte zu lesen. Stattdessen werden<br />

einzelne Worte von Farben repräsentiert. Die erste Stuhlversion zeigt<br />

dementsprechend etwa die Wörter „Bauhaus“, „Kunst“ und „Handwerk“<br />

als drei unterschiedliche Farbblocks. Ich habe dann weiter an der Idee<br />

gearbeitet und auch Interpunktionen integriert.<br />

Wie sieht Ihr Farbkonzept aus?<br />

EW: Es gibt zwei Stühle aus weißem und zwei aus schwarzem<br />

Stoff, die mit kräftigen Farben bestickt sind. Ich liebe es, mit Farben zu<br />

arbeiten. Das Bauhaus hat großartige Farbkonzepte entwickelt. Meine<br />

Kompositionen für die Breuer Re-Edition sollten davon inspiriert sein<br />

INTERVIEW<br />

und gleichzeitig frisch und neu aussehen. Ich habe sehr viele unterschiedliche<br />

Paletten kreiert, bevor ich eine endgültige Auswahl getroffen<br />

habe. Jeder der vier Stühle präsentiert ein individuelles Stick- und Farbkonzept.<br />

Wie lange haben Sie gebraucht, um eine Breuer Re-Edition fertig zu stellen?<br />

EW: Das Sticken inklusive der Kreation des Musters hat etwa<br />

30 Stunden pro Stuhl gedauert.<br />

Warum interpretieren Sie gerade den Breuer-Stuhl?<br />

EW: Ich bin mit diesem Stuhl aufgewachsen. Er stand im Haus<br />

meiner Großeltern. Der Inbegriff eines Bauhaus-Möbels. Ich mag die<br />

übereinandergelagerten Textilgurte und die Art, wie sie über das Stahlrohr<br />

gezogen sind.<br />

Wo knüpfen Sie in Ihrer Arbeit an das Bauhaus an?<br />

EW: Meine Designs verbinden Kunst und Handwerk. Funktion,<br />

Form, Langlebigkeit spielen in der Kreation schöner, praktischer Produkte<br />

eine große Rolle. Ich schätze sehr den Bauhaus-Ansatz, mit leuchtenden<br />

Farben zu arbeiten – das versuche ich zu integrieren.<br />

Ist es für Sie ein vertrautes Gefühl, wenn Sie Tecta in Lauenförde besuchen?<br />

– Ihre Großeltern haben ja das Hexenhaus und das Museum dort<br />

erschaffen.<br />

EW: Ich bin dort zum ersten Mal gewesen als ich 12 Jahre alt<br />

war. Wir reisten mit dem Zug aus London an. Ich war so verzaubert von<br />

dem Hexenhaus mit den Baumhäusern und den Wegen. Es war magisch!<br />

Ich beneidete Axel darum, dass er dort leben konnte. Tecta zollt<br />

dem Handwerk und den Materialien größten Respekt – genau das versuche<br />

ich auch in meiner Arbeit auszudrücken. Die Synergie zwischen Tecta<br />

und meinen Großeltern hat wirklich etwas Himmlisches, gleichzeitig<br />

Zweckmäßiges und Effizientes kreiert.<br />

Ihre Großeltern Alison und Peter Smithson haben zahlreiche Möbel für<br />

Tecta entwickelt. Welches davon ist Ihr Lieblingsmöbel?<br />

EW: Ich mochte schon immer den „Collectors Table“. Als Kind<br />

habe ich kleine Dinge gesammelt und Dioramen arrangiert. Mit dem<br />

„Collectors Table“ ergaben sich unendlich viele Möglichkeiten, die Dinge<br />

immer wieder neu zu arrangieren.<br />

Erinnern Sie sich aus Ihrer Kindheit an Tecta, da ja Ihre Großeltern und<br />

Axel Bruchhäuser sich sehr nahe standen?<br />

EW: Ihre Freundschaft mit Axel war ganz besonders. Sie war in<br />

meiner gesamten Kindheit sehr präsent, allein schon durch Postkarten,<br />

lustige Zeichnungen und die Arbeitsideen, die kommuniziert wurden.<br />

Axel Bruchhäuser kann sich sehr für neue Ideen und Projekte begeistern.<br />

So auch für einen „chair essay“, den ich als Kind schrieb. – Ich<br />

arbeite übrigens gerade an einem Smithson Projekt – ich dokumentiere<br />

ihre Weihnachtskarten. Axel Bruchhäuser konnte mich auch dabei enorm<br />

unterstützen. Wir schreiben E-mails, vergleichen Bilder und Fotos. Es ist<br />

wunderbar, dass ich so an die Freundschaft meiner Großeltern zu Axel<br />

anknüpfen kann.


D4N<br />

51<br />

Vita: Esther Wilson, Enkeltochter des legendären Architektenpaares Peter und Alison Smithson,<br />

arbeitet als Künstlerin und z als Stickerin in London.<br />

Vor ihrer Ausbildung zur Stickerin an der Royal School of Needlework, London,<br />

studierte Wilson am European Institute of Design in Madrid und absolvierte dort ihren Abschluss<br />

in „Fashion Communication“.<br />

Das Thema Mode spielt in Wilsons aktuellen Arbeiten eine wichtige Rolle. Für<br />

internationale Kunden entwirft und fertigt sie Kleidung und appliziert Stickereien. 2016 etwa<br />

wurde sie von Modeschöpfer Hussein Chalayan beauftragt, an seiner Kollektion mitzuwirken<br />

und Stickereien mit Swarovski-Kristallen zu entwickeln. Im Rahmen der 2017er Kollektion<br />

„The Makers House“ des Modehauses Burberry, bestickte Wilson Kopfkissen mit Insektenmotiven<br />

in sogenannter „Blackwork“ Technik. Einer Stickerei aus dem arabisch-persischen<br />

Raum, mit der einst geometrische Muster erstellt wurden.<br />

Fernab der Fashionwelt gibt es aber auch immer wieder neue und ungewöhnliche<br />

Kooperationen, in denen Wilson Anwendungsmöglichkeiten mit Stickerei aufzeigt: Zum Beispiel<br />

in Zusammenarbeit mit der Landschaftsarchitektin Gali Izard. Esther Wilson kombiniert<br />

dreidimensionale, traditionelle Sticktechniken mit dem Thema Modellbau, um organische<br />

und konstruierte Baumwurzelformationen zu präsentieren.<br />

Ungewöhnliches schuf sie auch für die Printausgabe des Bike Magazine: hier<br />

entwickelte sie eine Stickerei im Seventies-Style für eine Headline.<br />

Ihre modernen Stickereien und Konzepte bringt sie gleichzeitig als Dozentin in<br />

Workshops ein, etwa beim Launch von Threadworks in London. Esther Wilsons Arbeiten sind<br />

in zahlreichen Ausstellungen in ganz Großbritannien vertreten.


JOSEF ALBERS<br />

1926


L61<br />

55


JOSEF ALBERS<br />

1926


L61<br />

57


JOSEF ALBERS<br />

1926


Das Strahlen der ökonomischen Form<br />

L61<br />

59<br />

Das Wesen der Bauhaus-Lehre basierte auf der berühmten Vorlehre von<br />

Walter Gropius und Josef Albers, einer rund einjährigen Grundausbildung,<br />

in der die Schüler zweckfrei mit Farbe, Form und Material experimentieren<br />

konnten. Josef Albers (1888-1976) fiel schon früh durch sein künstlerisches<br />

Talent auf, so dass ihn Walter Gropius noch vor seiner Gesellenprüfung<br />

zum Jungmeister berief. Von der Fläche zum Raum – dieser<br />

experimentelle Ansatz zählte später zu den zentralen Aufgabenstellungen<br />

im Bauhaus-Vorkurs von Josef Albers.<br />

Die konzentrischen Kreise der Saturn-Leuchte von 1926 beruhen<br />

auf dieser Vorlehre. Eine seiner bekann<strong>test</strong>en Schülerinnen war übrigens<br />

Ati Gropius, die Tochter von Walter Gropius, die über Jahrzehnte die Arbeit<br />

von Tecta konstruktiv begleitete.<br />

Mit der Saturn-Leuchte wurde eine fundamentale Gestaltung ohne<br />

Verschnitt vorgestellt, gearbeitet nach den gestalterischen Grundsätzen<br />

des Bauhaus-Meisters und seiner Idee von der „Ökonomie der Form“.<br />

Ein weiterführendes Zitat von Josef Albers von 1926: „Wie kann ich aus<br />

einem Stück Papier ohne Abfall ein schönes Raumgebilde schaffen?“<br />

Umgesetzt nach einem Entwurf des Schülers Arieh Sharon von<br />

1926, hatte Tecta zunächst die Hängeleuchte „Saturn“ konzipiert. 1998<br />

folgte die Tischleuchte. Bis heute entsteht in Lauenförde aus einem<br />

flachen, zweidimensionalen Stahlblech durch Laserschnitt die dreidimensionale<br />

Skulptur der Saturn-Leuchte – immer noch charakteristisch ohne<br />

Verschnitt.<br />

Atmosphärisch strahlt sie wie eine Kerze und verteilt festliches<br />

Licht. Sie ökonomisiert das Material und prägt die Licht-Philosophie durch<br />

ihr schlankes Stahlblech. Die Tisch- und die Hängeleuchte wurden mit<br />

dem Signet des Bauhaus-Archivs lizensiert. „Kunst heißt aus 1+1 Drei<br />

machen.“ Das Zitat von Josef Albers steht auf dem kleinen Anhänger<br />

der Leuchte. Und wird ergänzt von Mies van der Rohes Gedanken: „Gott<br />

steckt im Detail.“<br />

Über Josef Albers: „Wenn ich male, sehe und denke ich zunächst – Farbe“. Der in Bottrop geborene Josef Albers forschte und experimentierte mit Formen und Farben in ihrer künstlerischen<br />

Dimension und optischen Wahrnehmung wie kaum ein zweiter. Josef Albers begann 1905 eine Ausbildung zum Volksschullehrer. Von 1919 bis 1920 war er Schüler der Malklasse von<br />

Franz von Stuck an der Königlich-Bayerischen Akademie der Bildenden Künste München. 1920 ging er nach Weimar. Unter anderem besuchte Albers den Vorkurs bei Johannes Itten und<br />

die Glasmalereiwerkstatt. Josef Albers fiel durch sein Ausnahmetalent auf. So berief ihn Walter Gropius noch vor der Gesellenprüfung zum Jungmeister und ab 1923 in das Kollegium des<br />

Bauhauses. Josef Albers leitete hier die berühmte Vorlehre, eine rund einjährige Grundausbildung, in der die Schüler zweckfrei mit Farbe, Form und Material experimentieren konnten. Hier<br />

entwickelte er eine richtungsweisende Kunstpädagogik.<br />

Er vertrat die Bauhaus-Auffassung, nach der die Gesetze künstlerischer Tätigkeit aus der Funktion des Werkstücks und des Materials entwickelt werden müssten. Von 1927<br />

bis 1928 leitete er am Bauhaus Dessau gemeinsam mit László Moholy-Nagy den Vorkurs. Nach dessen Weggang 1928 war Albers alleiniger Leiter des Vorkurses und bis 1929 Leiter der<br />

Tischlereiwerkstatt.<br />

Nach der Schließung des Bauhauses 1933 emigrierten Albers und seine Frau Anni, ehemalige Bauhaus-Studentin, die er 1925 geheiratet hatte, in die USA. Albers wurde an das<br />

Black Mountain College in Asheville berufen. Er unterrichtete hier das Fach Kunst, und seine außerordentliche Lehre zog junge Künstler wie Donald Judd, Willem de Kooning oder Robert<br />

Rauschenberg an. Ab 1936 erhielt Albers weltweit zahlreiche Gastprofessuren. Er vertrat die Auffassung: „Kunst ist zuerst Vision, nicht Expression.“ Viele bekannte Werke stammen aus<br />

Albers Bauhauszeit – Glasbilder, Entwürfe für Möbel und Gebrauchsgegenstände. Auch seine künstlerischen Arbeiten wurden mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt. Insgesamt wurde<br />

Albers in den Vereinigten Staaten, in Kanada und Europa vierzehn Mal die Ehrendoktorwürde verliehen.


MARCEL BREUER<br />

1925


B40<br />

61


MARCEL BREUER<br />

1925


B40<br />

63


MARCEL BREUER<br />

1925


Revolution des Sitzens: das Schweben<br />

B40<br />

65<br />

Ikonisch und doch so leicht, als hätte ihn Marcel Breuer in einem Augenblick<br />

hingezaubert. Der Stuhl B40 entstand jedoch aus einer neuen<br />

Entwicklungs-Idee: Breuer entwickelte ihn aus seinem um 90 Grad gedrehten<br />

Bauhaus-Hocker. Der daraus geborene B40 wurde zum Inbegriff der<br />

Bauhaus-Moderne, die gegen schwere Möbel und unhandliche Massen<br />

revoltierte. Im Katalog der „Standard Möbel“ liest sich das so: „Die<br />

stoffbespannten Stahlrohrmöbel haben die Bequemlichkeit von guten<br />

Polstermöbeln, ohne deren Gewicht, Preis, Unhandlichkeit und unhygienische<br />

Beschaffenheit.“ Es lohnt sich, die Augen auf Wanderschaft zu<br />

schicken und die feinen Anschlüsse der Stahlrohre genauer anzusehen.<br />

El Lissitzky sagte: „Nur Erfindungen werden die Gestaltung beeinflussen.“<br />

Diese Erfindungen lagen erstens in der Ausnutzung der elastischen<br />

Eigenschaften von Stahl und dem Rohrbiegen, später im Abplatten<br />

des Rohrs, um eine höhere Festigkeit zu gewinnen. Zwei fundamentale<br />

Faktoren für die Entwicklung des Kragstuhls auf der Basis eines neuen<br />

Zeitgefühls: des Schwebens und Schwingens.<br />

Der B40 lebt deshalb von kleinen Details, die seine kubische<br />

Form in Eleganz verwandeln. Hier folgt die Geometrie dem Körper. So<br />

ist die Rückenlehne in Höhe der Lendenwirbelsäule leicht nach hinten<br />

geknickt und läuft in einem Bogen aus, der den Stuhl leicht transportabel<br />

macht. Konstruktiv vielleicht nicht notwendig, dafür hochästhetisch ist<br />

hingegen die doppelte Verstrebung an der Front, die den Stuhl aussteift<br />

und einen Rhythmus im Raum setzt, so als hätte Breuer hier kristalline<br />

Musik geschaffen – und keinen Stuhl mit hohem Gebrauchswert.<br />

Mit seiner genialen Idee, den Leichtbau von Fahrrädern auf die<br />

Konstruktion von Möbeln zu übertragen, hat Marcel Breuer (1902–1981)<br />

der Möbelindustrie völlig neue Wege eröffnet. „Mein plötzlicher Einfall,<br />

der mich beim Radfahren über das Material des Fahrradlenkers zur Konstruktion<br />

des Rohrmöbels führte – ganz unerwartet breitete er sich über<br />

die ganze Welt aus“, schrieb Marcel Breuer 1937. Seine Stahlrohrmöbel<br />

wurden zum Inbegriff von Eleganz und Leichtigkeit einer Welt, die im<br />

Aufbruch war – und der unseren damit in vielem gleicht. Diesen Impuls<br />

kann man im B40 körperlich nachvollziehen.<br />

Über Marcel Breuer: Natürlich verbinden wir den Bauhaus-Meister Marcel Breuer zuvorderst mit einem Werkstoff: Stahlrohr. Und einem Prinzip: dem Kragstuhl, der als Initialzündung modernen<br />

Möbelbaus diente. „Die Entfesselung des Menschen vom starren Sitz wich der Entfesselung auf den schwebenden Sitz. Der Kragstuhl wurde zum Zeitsymbol.“ Doch damit werden wir<br />

Marcel Lajos („Lajkó“) Breuer (1902-1981) nicht gerecht. Der Gestalter betrieb tatsächlich „Wesensforschung“: Was soll, was kann ein modernes Möbel heute leisten, war die Frage des<br />

Bauhauses. 1925 wurde Breuer als „Jungmeister“ Leiter der Möbelwerkstatt in Dessau. Schon im Jahr zuvor formulierte er, was er unter zeitgemäßer Einrichtung verstand.<br />

Breuer ging es nicht ums Formale, auch wenn er höchsten Wert auf Details legte, ihm ging es um gedankliche Präzision. „Es gibt die Perfektion von Konstruktion und Detail,<br />

zusammen mit und im Gegensatz zur Einfachheit und Großzügigkeit in Form und Gebrauch“, schrieb er in einem Grundsatzessay.<br />

Dass er dem Stahlrohr zum Durchbruch im Möbelbau verhalf, mag auch daran liegen, dass er als einer der ersten erkannte, dass unser Leben dynamischer geworden war und<br />

ebenso leichte wie bewegliche Lösungen verlangte. Der begeisterte Radsportfan nutzte zugleich das Modernste, was Architektur, Industrie und Gestaltung aufbringen konnten für einen<br />

neuen Zeitgeist. „Ich habe für diese Möbel Metall gewählt, um die Eigenschaften moderner Raumelemente zu erreichen“, erklärte Breuer. „Die schwere Polsterung eines bequemen Sessels<br />

ist durch die straff gespannte Stofffläche und einige leicht dimensionierte, federnde Rohrbügel ersetzt.“ Dazu gehörte auch, dass die Konstruktion nicht mehr versteckt wurde, sondern<br />

chromblitzender Teil der Erscheinung war.<br />

Kragstühle wurden geschraubt, nicht geschweißt, Funktionen gestapelt und farblich gefasst. Das Ergebnis waren entmaterialisiertes Schweben und ein neuer Geist im Raum.<br />

Der Kragstuhl stellte eine Befreiung vom jahrtausendealten Thronmodell des steifen Sitzens dar. Er war das umgesetzte funktionelle, kinetische und konstruktive Gegenprinzip. Diese kinetische<br />

Linie, der Aufbruch der Moderne, ist heute bis zu den jungen Bauhaus-Gestaltern nachvollziehbar.


MARCEL BREUER<br />

1926/27


D4<br />

67


MARCEL BREUER<br />

1926/27


D4<br />

69


MARCEL BREUER<br />

1926/27


Luftiger Schritt in die Moderne<br />

D4 71<br />

Sinn für Schönheit, gepaart mit Funktionalität. Diese Verbindung zeichnet viele Marcel-Breuer-Entwürfe<br />

aus, ganz besonders aber den D4 (früher B4). Der zusammenklappbare Stahlrohr-Klubsessel<br />

mit Gurtbespannung entstand 1926/27 und wurde im ersten Breuer-Stahlrohr<strong>katalog</strong> als „besonders<br />

geeignet“ für Schiffe und Sportplätze beworben sowie für Terrassen, Sommerhäuser, Gärten<br />

und Gartencafés. Dieses sportliche-luftige Ambiente hat sich in die Konstruktion eingeschrieben,<br />

leicht und federnd wirkt der D4 noch heute. Hier ist der Schritt in die Moderne greifbar und lenkt<br />

den Blick auf die funktionelle Gestaltung.<br />

Die Geschichte des D4 bei Tecta begann Mitte der 1970er Jahre. Axel Bruchhäuser stieß<br />

bei einer Literaturrecherche auf den Breuer-Entwurf und suchte Kontakt zu Breuer. Er verkündete<br />

ihm, dass der faltbare Sessel viel schöner sei als sein kufenförmiges Pendant und man ihn produzieren<br />

müsse. Breuer freute sich, dass sein Entwurf entdeckt worden war und schrieb zurück:<br />

„Das Auftauchen dieses Sessels ist wie ein längst vergessener Traum.“<br />

Er sah diesen Stuhl als Ergebnis einer genetisch-konstruktiven Entwicklung an, die beim<br />

vierbeinigen Wassily Sessel begann, anschließend über die Einführung der Kufe durch die Junkers<br />

Flugzeugwerke führte und schließlich in der Faltbarkeit endete. Soweit verbessert, bis eine<br />

Variation nicht mehr möglich war. Diese endgültige Reduktion auf das Wesentliche beinhaltete<br />

das Motiv der Bewegung, indem man ihn zusammenklappen, verstauen und leicht transportieren<br />

konnte. Durch den sparsameren Einsatz von Stahlrohr und dem Wegfallen der Seitensitzgurte war<br />

er effektiver im Materialverbrauch und bot deutlich höheren Sitzkomfort.<br />

1980 wird der D4 in die ständige Sammlung des Museum of Modern Art in New York<br />

aufgenommen. Das Unikat des ersten Sessels, mit Rosshaargewebe von Peter Keler, ist heute<br />

Teil der ständigen Sammlung des Kragstuhlmuseums in Lauenförde. Hier präsentiert er sich als<br />

luftige Konstruktion mit einem Minimum an Material.


MARCEL BREUER<br />

1928


D40<br />

73


MARCEL BREUER<br />

1928


Ein guter Stuhl zum guten Tisch<br />

D40 75<br />

Unter allen ikonischen Entwürfen Marcel Breuers nimmt der D40 von 1928 eine besondere Stellung<br />

ein. Man könnte ihn mit geschlossenen Augen nachfahren. Eine elegante S-Kurve mit einem leicht<br />

abgeschrägten Querstrich im oberen Drittel – die Rückenlehne. Erlebbare Dynamik, die in sich ruht.<br />

Denn alle Schwünge des Stahlrohrs finden ihr Gegenstück. Bogen-Schwung-Gegenschwung – eine<br />

Konstruktion, die alle Gegensätze harmonisch vereint. Die für den Möbelbau revolutionäre Technik<br />

des gebogenen Stahlrohrs machte es möglich. Und führte zu ungeahnter Leichtigkeit.<br />

Marcel Breuer schrieb 1924: „Ein Stuhl soll nicht horizontal-vertikal sein, auch nicht expressionistisch,<br />

auch nicht konstruktivistisch“, er soll „ein guter Stuhl sein, und dann passt er zu<br />

dem guten Tisch.“ Nun wollte man nur zu gerne wissen, was genau ein guter Stuhl denn ist. Denn<br />

eines war klar: Auf Kompromisse wollte sich Breuer nicht einlassen. Also war auch die Verarbeitung<br />

entsprechend hochwertig. Die in der Weberei von Grete Reichert eigens hergestellten Eisengarngurte<br />

waren aus mehrfach gezwirnten Baumwollfäden, deren Halt und Schmutzresistenz durch Paraffin<br />

erhöht wurde. Noch heute sind die Sitz- und Rückengurte aus besonders strapazierfähigem Material.<br />

Hier erschließt sich körperlich, was ein „guter Stuhl“ leisten kann.


MARCEL BREUER<br />

1931


F40<br />

77


MARCEL BREUER<br />

1931


Filigranes Tragwerk und fliegende Polster<br />

F40<br />

79<br />

Ein vernickeltes Stahlrohrgestell, darauf eine Sitz- und Rückenfläche aus geknöpftem Leder. Wenn<br />

Reduktion ein Schlüssel für das Verständnis der Moderne ist, dann hat Marcel Breuer mit dem Sofa<br />

F40 ein abstraktes Prinzip anschaulich gemacht. Das Sofa F40 ist ganz Silhouette, ganz Struktur,<br />

ganz Idee. Seinen Reiz gewinnt der Entwurf von 1931 aus dem Wechselspiel von filigranem Tragwerk<br />

und vergleichsweise kräftigem Polster. Doch selbst die Polsterelemente wirken zeichenhaft,<br />

als hätte sie Breuer direkt vom Reißbrett in die dritte Dimension gebracht.<br />

Das Sofa F40 setzt auf starke Kontraste und kehrt das Verhältnis von Tragen und Lasten<br />

um. Die Basis ist nicht mehr als ein gebogenes Stahlrohr, gewissermaßen eine Linie im Raum, die<br />

an ihren Enden abgeplattet ist (»tube aplati. Darüber fliegende Polsterelemente. Ähnliches ist der<br />

modernen Architektur gelungen, die ihren Bauten etwas Schwebendes verliehen hat – oft, indem<br />

sich ein weißer Körper über einer dunklen Basis erhob. Oder indem das Gebäude als umgekehrte<br />

Stufenpyramide aus dem Boden zu wachsen scheint, wie das Whitney Museum of American Art<br />

(1966) in New York, das Breuer zusammen mit Hamilton P. Smith an der Madison Avenue entwarf.<br />

Auch F40 nimmt dieses Prinzip auf. So entstand ein ausgesprochen architektonisches Möbel, das<br />

sich in jedem Ambiente behauptet. Nicht indem es sich aufdrängen würde, sondern in dem es<br />

einfach da ist.<br />

Das Sofa F40 wurde im Jahr 1940 von Marcel Breuer während einer Ausstellung in Berlin<br />

gezeigt. Anhand eines Fotos widmete sich Tecta später der originalgetreuen Reedition des Möbels.<br />

Mittels einer Computergrafik, die man bei einem Ingenieur von Volkswagen erstellen liess, konnte<br />

F40 rekonstruiert und bis ins Detail nachgebaut werden. Auch dem F40 wurde das Original-Bauhaus-Signet<br />

mit dem Motiv von Oskar Schlemmer verliehen.


MARCEL BREUER<br />

1928


F41E<br />

81


MARCEL BREUER<br />

1928


F41E<br />

83


MARCEL BREUER<br />

1928


Das bewegliche Manifest<br />

F41E 85<br />

Marcel Breuer war konsequent in allem, was er tat. Leichtbau und Fahrradsport<br />

hatten es dem Leiter der Bauhaus-Möbelwerkstatt ohnehin angetan.<br />

Also ging er einen Schritt weiter. Nachdem die Welt der schweren<br />

Möbel einmal ins Rutschen gekommen war, gab es kein Halten mehr. Um<br />

1928 skizzierte Breuer die Idee, Fahrrad und Sitzmöbel zu einer Liege<br />

auf Rädern zu verbinden. Welch wunderbar-verrückte Eingebung! Über<br />

ein halbes Jahrhundert blieb sie unausgeführt, bis Tecta 1984 die mobile<br />

Liege ins Programm nahm, als Außenraumfahrzeug, mit dem man in freier<br />

Luft auf geflochtenen Flächen gemächlich dem Licht folgen kann, das im<br />

Metallrahmen reflektiert wird.<br />

So entstand keine banale Liege auf Rädern, sondern eher ein<br />

bewegliches Manifest. Eine filigrane Skulptur, fast zu schön, um darauf<br />

Platz zu nehmen. Während der Futurismus martialische Worte nutzte, um<br />

der Geschwindigkeit zu huldigen – „ein Rennwagen, dessen Karosserie<br />

große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen …“,<br />

gewann Breuer der Bewegung fast schon meditative Züge ab. Und schuf<br />

ein Möbel, das den Gegensatz von Entspannung und Bewegung aufhob.<br />

Wer die filigrane Liegefläche aus Naturrohrgeflecht sieht, das<br />

matte Gestell aus Edelstahl und die strapazierfähigen Bauhaus-Gurte,<br />

entdeckt eine bewegliche Skulptur für den Hausgebrauch, die perfekt in<br />

unsere Zeit passt.


MARCEL BREUER<br />

1927/28


K40<br />

87


MARCEL BREUER<br />

1927/28


Vom Biegen, Schweben und Vereinfachen<br />

K40 89<br />

K40, das ist die Quadratur des Kreises. Und zwar ganz wörtlich. Die runde<br />

Kristallglasplatte ruht auf einem gebogenen Stahlrohr, das wiederum eine<br />

quadratische Fassung horizontal aussteift. Einfacher lässt sich ein Tisch<br />

nicht mehr konstruieren – und kaum überzeugender. Die abgerundeten<br />

Ecken der horizontalen Träger tauchen als feine Stahlschlaufen der Kufen<br />

wieder auf. Der K40 ist gewissermaßen die Inkarnation einer Versuchsanordnung:<br />

Wie viel Masse braucht es eigentlich, um einen Tisch zu formen<br />

– oder vielmehr: Wie viel Leichtigkeit steckt in einer solchen Aufgabe?<br />

Entworfen hat Breuer den markanten Tisch 1927/28 für den<br />

Berliner Theaterregisseur Erwin Piscator, und zwar für dessen Privatwohnung.<br />

Nicht nur auf der Bühne hatte sich der Intendant also einer<br />

radikalen Moderne verschrieben, mit Autoren wie Bertolt Brecht, Egon<br />

Erwin Kisch, Heinrich Mann und Erich Mühsam sowie Bühnenbildern wie<br />

George Grosz, John Heartfield und László Moholy-Nagy.<br />

Auch privat ging Piscator neue Wege, weg von den schweren<br />

Möbeln der Vergangenheit, hin zu einer leichten, luftigen Atmosphäre.<br />

Der Couchtisch K40 fügte sich perfekt in dieses Programm. Und auch<br />

hier fällt eine Verbindung des Tisches auf: Die Entmaterialisierung, die<br />

Paul Klee in seiner Zeichnung „Ideal Ménage Lily“ zeigte und die die Reduktion<br />

des Bauhauses schon vorwegnahm, konkretisiert sich in diesem<br />

wegweisenden Möbel, von dem Architekt Peter Smithson sagte, dass es<br />

eine Ent-Materialisierung bedeute, damit der Raum leichter werde. Die<br />

Visionen und Ziele der Bauhäusler vom Biegen, Schweben und Vereinfachen<br />

zitiert der K40 bis heute – die Trias der Stahlrohr-Moderne.


MARCEL BREUER<br />

1932


M45<br />

91


MARCEL BREUER<br />

1932


Stabilität und Bewegung<br />

M45<br />

93<br />

Gezielte Asymmetrie zeichnet den Schreibtisch von 1932 aus. Auf der einen Seite erhebt sich<br />

eine schwere, rechteckige Kommode, keck schwarz-weiß gestreift. Auf der anderen Seite blitzt<br />

eine schlanke Stahlstütze, an der eine schwenkbare Ablageplatte befestigt ist. Das skulpturale<br />

Zusammenspiel von Stand- und Spielbein, abstrakt interpretiert: Stabilität und Bewegung. Ruhe<br />

und Dynamik bringt Marcel Breuer so ganz selbstverständlich zusammen. Die Kombination aus<br />

Kommode (drei Schubfächer, dazu eine Hängeregistratur) sowie der klaren schwarzen Tischplatte<br />

aus Esche stand wie der Beistelltisch K40 in Erwin Piscators Berliner Wohnung, die Breuer 1928<br />

eingerichtet hatte. Dort tauchte er erstmals auf – mit Einzelplatte und einem Einzelfuß.<br />

Der Schreibtisch mit Kommode hat im Laufe der Jahrzehnte nichts von seiner Frische<br />

verloren. Seine Zebra-Musterung prägte noch Entwürfe, die sie in den 1980er Jahren wiederaufgelegt<br />

wurden. Zugleich verweist der Entwurf auf Breuers eigenes Gesellenstück, das er 1923<br />

für das „Haus am Horn“ vorgesehen hatte. Der filigrane Frisiertisch besticht sowohl durch funktionale<br />

Reduktion wie durch seine beweglichen Elemente. Breuer verfeinerte jedoch das Spiel<br />

der Massen aus Festigkeit und Bewegung. Vor dunklem Eschenholz und den schwarz lackierten<br />

Schüben heben sich die Edelstahlgriffe besonders gut ab und setzen optische Glanzpunkte.<br />

Auf Wunsch ist der Schreibtisch in der Variante M45-1 zu ordern, mit verkleinerter Tischplatte<br />

in der Breite von 160 Zentimetern.


MARCEL BREUER<br />

1925


S40<br />

95


MARCEL BREUER<br />

1925


S40<br />

97


MARCEL BREUER<br />

1925


Zwei Ansichten einer Skulptur<br />

S40<br />

99<br />

Marcel Breuer dachte immer strukturell und architektonisch. So erscheint<br />

die Vitrine S40 wie ein Modell für ein Hochhaus in New York City: Klar<br />

ablesbar sind ihre gestapelten Elemente, überraschend ist die Konstruktion.<br />

Es scheint, als habe Breuer die Basis unter schlanke Tragstreben<br />

eingeschoben. So entstehen zwei völlig gegensätzliche Ansichten. Die<br />

Seiten springen vor und zurück, kragen aus. Da steht nicht etwa ein Monolith,<br />

Breuer schuf eine dynamische Skulptur, die an große Ladefahrzeuge<br />

am Hafen denken lässt, die Container aufnehmen und transportieren.<br />

„Structure is not just a means to a solution. It is also a principle<br />

and a passion“, sagte Breuer und zeigte deutlich seine Freude am Fügen<br />

von Materialien. Die furnierten und lackierten Streben aus Esche sind<br />

auch sichtbar mit anderen Elementen verbunden, hier wird keine Schraube<br />

verborgen, sondern durch den Kontrast aus Edelstahl und dunkler Oberfläche<br />

noch betont. Das Prinzip verweist auf seine parallel entstandenen<br />

Stahlrohrentwürfe, die stets sichtbare Schraubverbindungen aufwiesen.<br />

Der Entwurf von 1925, zu sehen in der Ausstellung am Staatlichen<br />

Bauhaus Weimar, besticht durch seine menschlichen Dimensionen:<br />

165 Zentimeter hoch, 80 Zentimeter breit und tief, feiert er eine lässige<br />

Moderne, die sich entspannt einstellt auf dynamische Menschen, denen<br />

er dienen sollte.


MARCEL BREUER<br />

1924/27


S41<br />

101


MARCEL BREUER<br />

1924/27


Der Vollendungsinstinkt<br />

S41<br />

103<br />

Ein Entwurf, so einfach wie nachvollziehbar: Marcel Breuer stapelte für die<br />

Kommode S41 sechs Schubladenelemente und markierte sie alternierend<br />

in Kontrastfarben: Schwarz und Weiß. Die schwarz lackierten zylindrischen<br />

Griffe wiederum verschmelzen so entweder mit der ebenfalls schwarzen<br />

Front oder heben sich deutlich ab. Ein Rhythmus entsteht, der durch die<br />

schwarze Glasplatte der Ablage wieder zur Ruhe kommt. Hier zeigt sich<br />

ein nützliches Detail: Die leicht überhöhten Ränder der „Attika“ sorgen<br />

dafür, dass keine Stifte von der Kommode rollen.<br />

Die Kommode mit ihrer deutlich architektonischen Anmutung weiß<br />

sich in Szene zu setzen. Ihre perfekte Form wird durch zwei seitliche Griffe<br />

in eine Schwebe gebracht, wie eine Andeutung darauf, dass Kommoden<br />

fortan nicht fixiert auf dem Boden ruhen, sondern auf Rollen leichtfüßig zu<br />

bewegen sein sollten. „Gott weiß, dass ich für das ungezwungene Leben<br />

bin und für eine Architektur, die es unterstützt und den Hintergrund dazu<br />

liefert“, schrieb Breuer in einem Essay und fügte augenzwinkernd hinzu:<br />

„Aber wir können dem Vollendungsinstinkt nicht ausweichen – einem<br />

wirklich menschlichen Instinkt.“<br />

Die kleinen Kommoden, die von ihren schwarz-weißen Kontrasten<br />

leben, verwendete Breuer von 1924 bis 1926 durchgängig am Bauhaus<br />

Weimar in seinen Inneneinrichtungen. Ausdruckstarke Grundelemente,<br />

die immer wieder auf den menschlichen Proportionen fußten und in<br />

ihrer Brillanz sehr ästhetisch wirkten. Markenzeichen sind bis heute die<br />

typischen Griffe.<br />

Noch leichter und beweglicher wird die Kommode S41 in Ihrer<br />

Variante S41E, mit einem Korpus aus Edelstahl, der sich materialtechnisch<br />

an die Stahlrohrinnovation des Bauhauses anschließt.


MARCEL BREUER<br />

1924/27


S43<br />

105


MARCEL BREUER<br />

1924/27


Präzision des Denkens<br />

S43<br />

107<br />

Neun Schubladen, gestapelt und alternierend schwarz und weiß voneinander abgesetzt. Ein lebendiger,<br />

ein sympathischer Entwurf des Bauhaus-Meisters. Die Kommode sollte beweglich bleiben,<br />

daher steht sie auf Rollen und kann mit zwei seitlichen Griffen in Position geschoben werden. In<br />

einem Grundsatzessay beschrieb Breuer seinen Antrieb als Entwerfer: „Das Menschliche sollte,<br />

wie mir scheint, mehr bedeuten, als nur liebenswürdige Duldsamkeit gegenüber Schlendrian und<br />

Unvollkommenheit, nämlich eine Präzision des Denkens, eine Qualität der Planung und die daraus<br />

sich ergebenden Konsequenzen für Materialien, Details und Konstruktion.“<br />

Präzision als Menschlichkeit, das ist genau jene gedankliche Wendung, die Breuers<br />

Entwürfe auszeichnet und so sympathisch macht. Wer die Kommode S43 neben ihrer kleinen<br />

Schwester S41 sieht, erkennt sofort ihre Familienbande. Hier hat Marcel Breuer eine Hommage<br />

an die großen Hochbauten der Moderne geschaffen, die Stockwerk für Stockwerk Funktionen<br />

aufnahmen und gewissermaßen unendlich in die Höhe schossen. Und doch greift dieser Vergleich<br />

zu kurz. Breuer hat einen zweiten Ansatz mit dem architektonischen Grundprinzip der Addition<br />

verwoben: jenen der Serialität.<br />

Wie bei Constantin Brâncusis „Unendlicher Säule“, 1937/38 am Südrand der Karpaten<br />

aufgerichtet, ging es darum, die Vorzüge des Seriellen künstlerisch umzusetzen und über das Materielle<br />

selbst hinauszugehen. Breuer stapelt zwar keine Pyramidenstümpfe, sondern „nur“ Boxen.<br />

Und doch ist der Effekt spürbar: Hier geht es nicht allein darum, Funktionen zu stapeln, hier bietet<br />

Breuer Auge und Hirn Gelegenheit, zu wachsen und über das Materielle selbst hinauszugehen.<br />

Noch leichter und beweglicher wird die Kommode S43 in Ihrer Variante S43E, mit einem<br />

Korpus aus poliertem Edelstahl, der sich materialtechnisch an die Stahlrohrinnovation des Bauhauses<br />

anschließt.


MARCEL BREUER<br />

1932


S44<br />

109


MARCEL BREUER<br />

1932


S44<br />

111


MARCEL BREUER<br />

1932


Ein Ort für die guten Dinge des Lebens<br />

S44 113<br />

Was soll ein Regal anderes als Tragen? Bücher, Objekte, Erinnerungen.<br />

Genau dafür hat Marcel Breuer das S44 entwickelt. Die vier höhenverstellbaren<br />

Fachböden werden von einem Paar verchromter Stahlrohrstangen<br />

getragen, deren Füße breitbeinig nach außen schwingen. Einfach und<br />

klar. Vor allem aber ist ihre Konstruktion sofort nachvollziehbar. Die Regalbretter<br />

lassen sich durch feststellbare Bodenträger in unterschiedliche<br />

Höhen bringen, optional gibt es einen zusätzlichen Fachboden in Esche<br />

oder Eiche furniert und decklackiert sowie verchromte Bücherstützen.<br />

Was Marcel Breuer 1932 für das Haus Clarté in Genf entwickelte,<br />

ist eine Liebeserklärung an die Dinge des Lebens, die uns umgeben<br />

und hier ihren Ort finden. Das 140 Zentimeter breite und gerade 121<br />

Zentimeter hohe Regal ist ideal für Bürolandschaften, die sich nicht<br />

durch schwere Raumteiler belasten wollen, sondern Licht und Luft als<br />

Gestaltungselemente souverän einbeziehen.<br />

Die einfache, durchdachte Erscheinung ist eine Konsequenz<br />

ebensolchen Denkens. „Die Gegenstände bekommen ihre verschiedenen<br />

Funktionen nach verschiedenen Erscheinungen“, schrieb Breuer. Zusammen<br />

ergäben sie unseren Stil. Genau das ist bei dem S44 zu erleben.<br />

Die Materialien und ihre Fügung sind präzise ablesbar, hier scheint kein<br />

Gramm zu viel oder an der falschen Stelle. So entstehen Klassiker, die<br />

heute Bestand haben und auch morgen noch begeistern.


ERICH BRENDEL<br />

1924


M10/K10<br />

115


ERICH BRENDEL<br />

1924


M10/K10<br />

117


ERICH BRENDEL<br />

1924


Tischlein klapp dich<br />

M10/K10<br />

119<br />

Er verkörpert den Urgedanken eines intelligenten, raumsparenden Möbels und ist damit so aktuell<br />

wie einst: der Tisch M10. Erich Brendel entwarf ihn 1924 in den Frühzeiten des Weimarer Bauhaus.<br />

Als Tischlerlehrling und Bauhaus-Schüler ließ er sich durch die markanten, kubischen Formen<br />

des Direktorenzimmers von Walter Gropius inspirieren. Brendel gestaltete daraufhin ein rollbares<br />

Möbel, das er Tee-Tisch nannte. Ausgeklappt wird er veritabler Esstisch und greift eine Urform<br />

auf: das Schweizer Kreuz mit vier gleich langen Seiten, die im rechten Winkel zueinanderstehen.<br />

Der Entwurf überlebte fast 60 Jahre als Unikat bei der Bauhaus-Bildhauerin Karla Luz-Ruland<br />

in Aachen. 1968 versuchte das Museum of Modern Art in New York, ihr den Tisch abzukaufen.<br />

Die Bildhauerin lehnte ab und vererbte den Prototyp aufgrund der freundschaftlichen Beziehungen<br />

zu Tecta vierzehn Jahre später dem Unternehmen. Auf Wunsch von Erich Brendel ist das Unikat<br />

heute in der Sammlung des Kragstuhlmuseums in Lauenförde zu sehen.<br />

Seit 1981 stellt Tecta nach diesem Original von 1924 den M10 werkgetreu in Lizenz<br />

und Serie her. Der Tisch M10 trägt das Original-Bauhaus-Signet von Oskar Schlemmer. Auch<br />

hier schließt sich ein Kreis: Für Oskar Schlemmer fertigte die Bildhauerin Karla Luz-Ruland die<br />

berühmten „Schlemmer-Figurinen“ für das Triadische Ballett in den 1920er Jahren.<br />

Über Erich Brendel: Das Bauhaus Weimar in den goldenen Zwanziger Jahren: In der Tischlerwerkstatt studierten 31 Lehrlinge, darunter Erich Brendel und Marcel Breuer, die beide dort<br />

ihren Gesellenbrief erwarben. Von 1921-1926 dauerte Brendels Studium in der Goethe-Stadt. Er war begabt und einer der wenigen, die im Architekturbüro von Walter Gropius tätig werden<br />

durften. Spuren finden sich im einzigen Architekturzeugnis des Bauhauses: das „Haus am Horn“ in Weimar, das 1923 zur großen Bauhaus-Ausstellung entworfen wurde und als Muster- und<br />

Experimentalhaus für modernes Wohnen mit formschönen Materialien galt. Alle Werkstätten steuerten zur Inneneinrichtung der Wohnräume bei, die sich um ein lichtdurchflutetes Atrium<br />

gruppierten. Erich Brendel entwarf mit Alma Buscher das Kinderzimmer. Möbel, Leuchten, Teppiche, keramische Gefäße und die farbige Gestaltung sollten eine Einheit bilden.<br />

Dass Erich Brendels Denken formal wie konstruktiv geprägt war, beweist nicht nur seine Tätigkeit von 1948-1963 als Dozent in Frankfurt am Main für Hochbau, sondern vor<br />

allem ein Möbel, das er 1924, inspiriert von den strengen, kubischen Formen des Direktorenzimmers von Walter Gropius entwarf. Ein rollbarer Würfel, der sich an vier Seiten wie eine Blume<br />

aufklappen ließ und sich vom kleinen Teetisch zum Esstisch entfaltete.<br />

Er wurde als Nr. 7 der „Neuen Arbeiten der Bauhaus-Werkstätten“ dokumentiert. Zwischen 1978-1981 arbeitete Tecta intensiv mit Erich Brendel, um den Tisch unter der Bezeichnung<br />

M10 werkgetreu in Lauenförde zu reproduzieren und auf Brendels Wunsch ebenfalls in einer verkleinerten Version als Couchtisch K10 auszuarbeiten.


WALTER GROPIUS<br />

1922/23


D51<br />

121


WALTER GROPIUS<br />

1922/23


D51<br />

123


WALTER GROPIUS<br />

1922/23


Architektur – gerade und konstruktiv<br />

D51<br />

125<br />

Streng sieht er aus, der Gropius-Armlehnstuhl D51 von 1922/23, mit<br />

seinen nach hinten auskragenden Armlehnen und dem geraden Rücken.<br />

„Haltung“, scheint er seinen Besitzern zuzuflüstern. Vier hölzerne Beine<br />

sind perspektivisch versetzt angeordnet. Die hinteren tragen die Rückenlehne,<br />

die vorderen schwingen mitsamt der ausladenden Armlehne frei in<br />

den Raum. Ein kleines Stück Architektur hat Walter Gropius geschaffen,<br />

gerade und konstruktiv. Der Stuhl und die daraus abgeleitete Möbelserie<br />

D51-2 und D51-3 passen perfekt zur klaren Architektur des Fagus-Werks<br />

mit seiner typischen, stützenlosen Ecke.<br />

Mit dieser Fabrik begann die Moderne. Als Walter Gropius 1911<br />

in der niedersächsischen Kleinstadt Alfeld an der Leine den Auftrag erhielt,<br />

die Fagus-Werke neu zu gestalten, war noch nicht ausgemacht, dass er<br />

damit Geschichte schreiben würde.<br />

Der Architekt tat es und revolutionierte zugleich das Bauen.<br />

Statt historistischem Dekor ließ er eine leichte Vorhangfassade um die<br />

Produktionshalle fließen. Wände lösten sich in große Glasflächen auf.<br />

Licht, Luft und Sonne, die Trias der Moderne, ist hier Antrieb zu einer befreiten<br />

Architektur, die sich ihre Regeln einzig nach den Notwendigkeiten<br />

der Bauaufgabe sucht.<br />

Wie es die Zeitläufe wollten, ist diese Geschichte verwoben mit<br />

der von Tecta. Axel Bruchhäuser, seit 1972 Gesellschafter der Firma und<br />

wichtiger Zeitzeuge der Bauhausgeneration, erinnert sich: „Wir saßen im<br />

Foyer auf Stühlen von Walter Gropius, von denen die Inhaber gar nichts<br />

wussten. Bei Recherchen entdeckte ich dann eine Zeichnung der Stühle<br />

und daraus entstand der erste Kontakt zu Ise Gropius in den USA. Wir<br />

fragten, ob wir diesen Stuhl in Lizenz herstellen dürfen und sie schrieb<br />

begeistert zurück, jawohl, das wäre möglich.“<br />

Seit 2011 ist die Fagus-Fabrik UNESCO-Weltkulturerbe. Ihre<br />

korrespondierende Innenausstattung trug die Idee vom Aufbruch der<br />

Moderne jedoch schon weit vorher in die Welt.<br />

Über Walter Gropius: Der Architekt und Gründer des Bauhauses, Walter Gropius (1883-1969), verspottete die überkommene Architektur gerne als „Salonkunst“. Er stammte selbst aus<br />

einer Familie großer Baumeister: Martin Gropius war sein Großonkel. Walter Gropius brach sein Architekturtudium ab und lernte zunächst im Büro von Peter Behrens – wie übrigens auch<br />

Adolf Meyer, Mies van der Rohe oder Le Corbusier. In kurzer Folge schuf Gropius das, was wir heute Moderne nennen – einen entschiedenen Bruch von und mit den Konventionen der<br />

Vergangenheit. Dazu zählte, dass er die Prinzipien des Maschinenzeitalters – Typisierung und Standardisierung – nicht etwa ablehnte, sondern in seiner Gestaltung produktiv machte. „Entschlossene<br />

Bejahung der lebendigen Umwelt der Maschinen und Fahrzeuge“, schrieb der Bauhausdirektor 1926 und sah in der „Schaffung von Typen für die nützlichen Gegenstände des<br />

täglichen Gebrauchs eine soziale Notwendigkeit.“<br />

Aus diesem Geist entstand nicht nur das Fagus-Werk als Ikone modernen Bauens und das Dessauer Bauhaus. Hier wurden die Grundlagen dessen gelegt, was uns heute noch<br />

antreibt. „Das Ziel, typische Modelle zu schaffen, die alle wirtschaftlichen, technischen und formalen Forderungen erfüllen, verlangt eine Auslese bester, umfassend gebildeter Köpfe, die<br />

in gründlicher Werkpraxis wie in exaktem Wissen der formalen und mechanischen Gestaltungselemente und ihrer Aufbaugesetze geschult sind.“ Seiner kritischen Haltung zur traditionellen<br />

Baukunst konnte er mit der Bauhaus-Gründung eine neue Denkschule entgegen setzen. 1919 wurde Gropius zum Direktor der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst<br />

im thüringischen Weimar ernannt und gab der neuen Schule den Namen „Staatliches Bauhaus in Weimar“.<br />

Die Vision, die Gropius trieb, war nicht allein die Errichtung eines „Baus der Zukunft“ und ein Gesamtkunstwerk, sondern der höchst moderne Ansatz die Einteilung von Lehrling<br />

und Meister zwar einzuhalten, aber die beiden Lehren neu zu verweben. Über die Disziplinen hinweg zu arbeiten, interdisziplinär und im Geist des Forschens und Experimentierens. So verstand<br />

es Gropius ebenso, die Ideen aus der Architektur in die Gestaltung von Möbeln zu übertragen, etwa die einzigartige Durchdringung von Volumen und Linearität, die viele seiner Entwürfe<br />

auszeichnet. Walter Gropius führte das Bauhaus bis zu seiner Schließung 1933, emigrierte 1934 nach England und 1937 nach Cambridge in die USA, um als Professor für Architektur an<br />

der Harvard University zu lehren.


WALTER GROPIUS<br />

1922/23


D51–2/3<br />

127


WALTER GROPIUS<br />

1922/23


Klarer Rhythmus im Raum<br />

D51–2/3 129<br />

Schlichte Eleganz zeichnet die zweisitzige Bank D51-2 von 1922/23 aus.<br />

Man könnte auch sagen: eine geradezu kompromisslose Haltung. Hier<br />

ist kein Gramm zu viel und alles auf das Ziel ausgerichtet, zwei oder drei<br />

Menschen aufzunehmen. Es sind die Details, die den Entwurf auszeichnen<br />

– abgerundete Ecken umfassen die Sitzenden lässig, die Beine sind<br />

in schreitender Position und wirken dadurch menschlich.<br />

Gropius verstand es nicht nur, den gestalterischen Aufbruch der<br />

Zeit in Form zu gießen, er schuf auch einen gedanklichen Rahmen dafür.<br />

Die Kollektion aus Stuhl und zweisitziger Bank entstand für das Vestibül<br />

des Fagus-Werks, mit dem Gropius die Tore zur Moderne weit aufstieß.<br />

„Der Mensch in seiner ewigen Neugierde hat gelernt, seine Welt mit dem<br />

Skalpell des Wissenschaftlers zu sezieren und hat offenbar in diesem<br />

Prozess das Gefühl für Gleichgewicht und Einheit verloren“, sagte der<br />

Architekt und schuf eine integrative Architekturikone.<br />

Wie es die Zeitläufe wollen, ist diese Geschichte verwoben mit<br />

der von Tecta. Axel Bruchhäuser, seit 1972 Gesellschafter der Firma und<br />

wichtiger Zeitzeuge der Bauhausgeneration, erinnert sich: „Wir saßen im<br />

Foyer auf Stühlen von Walter Gropius, von denen die Inhaber gar nichts<br />

wussten. Bei Recherchen entdeckte ich dann eine Zeichnung der Stühle<br />

und daraus entstand der erste Kontakt zu Ise Gropius in den USA. Wir<br />

fragten, ob wir diesen Stuhl in Lizenz herstellen dürfen und sie schrieb<br />

begeistert zurück, jawohl, das wäre möglich.“<br />

So wurde passend zur zweisitzigen Bank später auch ihr dreisitziges<br />

Pendant, die D 51-3, von Tecta entwickelt. Man könnte meinen,<br />

hier sei eine Reflexion über das Thema Sitzen und Ruhen eingeflossen.<br />

Die lange Gerade sucht eine passende Vertikale. Rücken- und Armlehnen<br />

verleihen dem Möbel Halt und Begrenzung. Es ist eine alte Regel unter<br />

Gestaltern, die Proportionen zu dehnen, um Eleganz zu erreichen. Hier<br />

wurde die Möbellinie verlängert und schafft das perfekte Spiel aus Ästhetik<br />

und Funktion. Auch dieses Möbel trägt das Oskar Schlemmer-Signet für<br />

die originalgetreu ausgeführte Reedition.


WALTER GROPIUS<br />

1922/23


F51<br />

131


WALTER GROPIUS<br />

1922/23


Der wegweisende Kubus<br />

F51 133<br />

Wir befinden uns im Arkanum der Moderne. Der F51 ist nicht irgendein Sessel, er ist der ikonische<br />

Sessel für das Direktorenzimmer des Weimarer Bauhauses. Walter Gropius hatte dem Gebäude<br />

bereits die Dynamik der Moderne verliehen, entwarf ein kleines Gesamtkunstwerk aus Raum und<br />

Mobiliar, Wandteppich und Deckenleuchte. Nichts ist hier zufällig und alles nimmt Bezug aufeinander.<br />

Wer den isometrischen Aufriss des Direktorenzimmers studiert, sieht die Möbel als Teil<br />

eines dreidimensionalen Koordinatensystems.<br />

Durch diesen zentralen Raum des Bauhauses in Weimar sind alle wichtigen Gestalter<br />

gegangen, auch Mart Stam. Bewusst oder unbewusst wurden sie schon damals von der überkragenden<br />

Idee des Sessels F51 beeinflusst. Seine Kragarmkonstruktion kann als Vorläufer der<br />

hinterbeinlosen Stühle von Mart Stam gelten oder als Vorwegnahme des Kufenhockerprinzips von<br />

Marcel Breuer (1925). „Die erste Kragstuhl-Idee stammt von Walter Gropius, die erste Krag-Arm-Architektur<br />

von El Lissitzky “, beschreibt Axel Bruchhäuser von Tecta. Walter Gropius Gedanke<br />

lautete dazu: Das Ziel der modernen Architektur ist, „die Schwerkraft der Erde in Wirkung und<br />

Erscheinung schwebend zu überwinden.“ Später wurden es die geistigen Wurzeln der Krag-Idee<br />

und das Leitmotiv der Sammlung des Tecta Kragstuhl-Museums, Lauenförde.<br />

Trotz seiner kubischen Form ist die Anmutung des Sessels mit seinen schweren, jedoch<br />

scheinbar schwebenden Polstern und dem klaren Tragwerk menschlich. Gropius hat mit dem F51<br />

ein Stück Raum um uns greifbar gemacht und in eine geometrische Form gegossen. Es scheint,<br />

als ob der Architekt zwei C-förmige Körper so ineinandergesteckt hätte, dass sie weiterhin Spannung<br />

vermitteln. Das auskragende Tragwerk stemmt die Sitzrücken- und Armlehnpolster vom<br />

Boden ab. Ruhe und Dynamik – der Sessel strahlt beides zugleich aus und verweist damit auf die<br />

zukunftsweisende Entwurfshaltung des Architekten, der Überkommenes radikal in Frage stellte.<br />

1926 schreibt Gropius in „Grundsätze der Bauhausproduktion“ eindringlich: „Nur durch<br />

dauernde Berührung mit der fortschreitenden Technik, mit der Erfindung neuer Materialien und<br />

neuer Konstruktionen gewinnt das gestaltende Individuum die Fähigkeit, die Gegenstände in lebendige<br />

Beziehung zur Überlieferung zu bringen“ Genau das ist dem sorgsam gearbeiteten Sessel<br />

F51 anzusehen. Das Bestehende wird neu interpretiert und die Konstruktion, das „Gemachte“,<br />

tritt offen zu Tage.


WALTER GROPIUS<br />

1920


F51–2/3<br />

135


WALTER GROPIUS<br />

1920


Die Schwerkraft der Erde schwebend überwinden<br />

F51–2/3 137<br />

Das zweisitzige Gropius-Sofa F51-2 und das dreisitzige Sofa F51-3 entwickelten<br />

sich organisch aus dem kubischen Sessel F51 im Direktorenzimmer<br />

des Weimarer Bauhauses. Wechselnd stechen die scheinbar schwebenden<br />

Polster ins Auge, ebenso wie die prägende Kragkonstruktion, die die Polsterelemente<br />

umfängt – man könnte auch sagen: durchdringt. Die Sofas<br />

F51-2 und F51-3 haben einen engen Bezug zu Tecta. Im Austausch mit Erich<br />

Brendel konnte dieser verantwortlich versichern, dass schon im Frühjahr<br />

1920 der Sessel F51 im Direktorenzimmer stand, nicht aber das Sofa.<br />

Von der Sofa-Gruppe selbst gab es nur wenige Fotos, die das<br />

Dreisitzer-Sofa dokumentieren. Axel Bruchhäuser von Tecta erinnert<br />

sich: „Es gibt ein Foto, das J. J. Pieter Oud, den niederländischen De Stijl-Künstler,<br />

dazu Wassily Kandinsky und Walter Gropius in der Mitte zeigt.<br />

Man brauchte detektivische Augen, um zu sehen, dass es das dreisitzige<br />

Sofa ist.“ Nach der originalgetreuen Reedition des Dreisitzers entwickelte<br />

Tecta auch den eleganten Zweisitzer.<br />

Dabei wurde ebenso radikal das Programm der konstruktivistischen<br />

Moderne von Walter Gropius weiter verfolgt. Axel Bruchhäuser,<br />

sieht darin Aufbruchsstimmung pur: „Dieser Anfang bei Null nach der<br />

totalen moralischen, materiellen und geistigen Zerstörung durch den<br />

Ersten Weltkrieg.<br />

Durch die Bauhausgründung 1919 wollte er sich von alten<br />

Konventionen befreien, alles neu denken und vollkommen offen für das<br />

Neue sein.“ Dass dieses Neue inzwischen selbst fast ein Jahrhundert alt<br />

ist, muss man sich erst wieder ins Gedächtnis rufen angesichts dieses<br />

radikalen Aufbruchs in die Moderne.<br />

Besonders eindrücklich zeigt sich hier die im Bauhaus propagierte<br />

Idee des überkragenden Sessels, die Brücken schlägt bis hin zu<br />

El Lissitzkys Wolkenbügel von 1924. Das radikal Neue, hier ist es zu<br />

greifen. Walter Gropius sagt dazu: Das Ziel der modernen Architektur<br />

ist, „die Schwerkraft der Erde in Wirkung und Erscheinung schwebend<br />

zu überwinden.“ Genau das lässt sich hier erleben.


PETER KELER<br />

1925


D1<br />

139


PETER KELER<br />

1925


D1<br />

141


PETER KELER<br />

1925


Es lebe der neue Kubus!<br />

D1<br />

143<br />

Als Peter Keler den Sessel D1 im Jahr 1925 entwarf, verfolgte er einen radikalen Denkansatz:<br />

Die Klarheit des Kubus sollte auf ein Möbel übertragen werden – dazu noch auf eines, das der<br />

Bequemlichkeit diente. Keler entwarf den Kubus-Sessel als Prototypen am Staatlichen Bauhaus<br />

Weimar. Er war gedacht für das Haus „roter Kubus“ von 1923, das aus der Hand seines Freundes,<br />

des Architekten Farkas Mólnar, stammte.<br />

Dieser rote Wohnkubus, auch der rote Würfel genannt, wurde am Horn in Weimar mit<br />

großen Fensterflächen und einem ausgelagertem Glasgang geplant. „Es lebe der neue Kubus:<br />

das erste, würfelförmige Haus der Welt – KURI!“, formulierte die Kuri-Guppe am Bauhaus.<br />

Den ersten Prototyp des D1 gibt es heute noch: Mit rotem Leder bezogen, ist das Original<br />

im Kragstuhl-Museum, Lauenförde, zu sehen. Nach jahrelanger, intensiver Zusammenarbeit mit<br />

Tecta beschloss Peter Keler, seinen Prototyp der Sammlung zu stiften. Sichtbar ist hier übrigens<br />

ein merkwürdiges Detail: Unterhalb der Armlehne wird eine Naht offenbar. Ein Kunstgriff, da das<br />

Leder für den Prototyp nicht ausreichte.<br />

Über Peter Keler: Peter Keler gehört zu den zentralen Köpfen, die die Bauhaus-DNA von Tecta nachhaltig prägten. Angefangen bei dem ersten Kontakt zwischen Peter Keler und Axel Bruchhäuser<br />

im Jahr 1975. Keler lebte in Weimar, wo er über Jahre eine Professur an der Hochschule für Baukunst und bildende Künste innehatte und später als freischaffender Architekt und<br />

Künstler arbeitete. Keler war so begeistert, als er hörte, dass Tecta seine Wiege produzieren wollte, dass er die kolorierte Originalzeichnung Axel Bruchhäuser schenkte. Die Wiege war<br />

inzwischen zu einem Sinnbild für das Bauhaus avanciert. Die legendäre Form, bestehend aus Kreis, Dreieck und Quadrat, hatte Peter Keler 1923 nach der synästhetischen Farb- und Formlehre<br />

von Wassily Kandinsky entworfen. Ein Jahr zuvor, 1922, war Keler Teil der am Bauhaus tätigen KURI-Gruppe (konstruktiv, utilitär, rationell, international).<br />

„Meine bauhaus-<strong>tecta</strong>-reise steckt mir überall lebendig im geist und in den bauhaus KURI-Knochen“, schrieb später der emeritierte Peter Keler über sein Schaffen und die<br />

jährlichen Reisen aus der DDR zu Tecta nach Lauenförde. Schon in jungen Jahren suchte der 1898 geborene Keler Anschluss an geistesverwandte Köpfe. Die Vision der Umgestaltung<br />

aller Lebensaspekte spiegelte sein Schaffen und die Arbeit als Maler Grafiker, Architekt, Fotograf und Möbelgestalter. 1921 ging er, so wie sein Künstlerkollege Wilhelm Wagenfeld, von<br />

Worpswede nach Weimar. Peter Keler schrieb sich am Bauhaus ein, besuchte den Vorkurs bei Johannes Itten und die Wandmalerei bei Schlemmer und Kandinsky.<br />

Rund sieben Jahre arbeitet Peter Keler ab 1975 als „<strong>tecta</strong>-mitarbeiter“ wie er sich selbst bezeichnete. 1981 schreibt er an den Sohn von Paul Klee, Felix Klee in Bern, einen<br />

deutsch-schweizerischen Kunsthistoriker und Maler, und unterzeichnet den Brief aus Lauenförde mit „<strong>tecta</strong> -new bauhaus“ als Absender. Damit legte er unbewusst den Grundstein für<br />

die aktuelle BauhausNowhaus-Edition, mit der das Unternehmen zeigt, dass die Ideen des Bauhauses heute noch so aktuell sind wie einst und ständig weitergedacht werden sollten.<br />

Die freundschaftliche Zusammenarbeit mit Axel Bruchhäuser von Tecta ist geprägt von Gesprächen, Besuchen, Briefwechseln oder gemeinsamen Reisen, zum Beispiel einem Besuch bei<br />

Erich Brendel in Wedel bei Hamburg. An einer anderen, abenteuerlichen Geschichte ist Keler ebenfalls maßgeblich beteiligt: Er vermittelte an Axel Bruchhäuser den Prototypen des ersten<br />

Faltsessels seines Freundes, Marcel Breuer. Prof. Edmund Kesting hatte den Breuer-Faltsessel von der Galerie „Neue Kunst Fides“ in Dresden Ende der 1920er Jahre erworben, über die<br />

Nazi-Zeit in Ahrenshoop versteckt und damit als „entartete Kunst“ über zwei Diktaturen gerettet.<br />

Um den wertvollen Sessel erfolgreich aus der DDR nach Lauenförde zu verschicken, musste eine List angewandt werden: Das alte Gestell wurde als gebrauchter Wäscheständer<br />

deklariert und an Axel Bruchhäusers Mutter versendet. So entging es der Kontrolle als Handelsware. Daher bedankt sich Keler 1976 in einem Brief an Axel Bruchhäuser für dessen<br />

„Bekenntnis zum Bauhaus“, nachdem seine Ideen in der DDR noch als elitär abgelehnt wurden.


PETER KELER<br />

1925


D1–2/3<br />

145


PETER KELER<br />

1925


Der Kubus als Sofa<br />

D1–2/3<br />

147<br />

Der Sessel D1, den Tecta nach dem Original von Peter Keler produziert, gehörte zu den radikalsten<br />

Objektansätzen seiner Zeit. Aus dem Sessel D1 und der für ihn typischen, kubischen Grundhaltung<br />

heraus entwickelte Keler zusammen mit Tecta später das zwei- und dreisitzige Sofa. Der gleiche<br />

architektonische Gedanke eines kubischen Möbels wohnt beiden inne. Ein Gedanke, der später<br />

eine ganze Generation von Gestaltern inspirieren sollte, auch Le Corbusier zu dem Entwurf seines<br />

Möbels LC2.<br />

Als das Bauhaus 1925 nach Dessau wechselte, entschied sich Keler gegen den Umzug<br />

und führte in Weimar das „Peter Keler Atelier, Weimar“, in dem er sich unter anderem mit Modellen<br />

zur Fertigung von typisierten Sitzmöbeln beschäftigte.<br />

Parallel arbeitete er an der Entwicklung eines neuen Rosshaar-Gewebes und dem Dessin<br />

der Gurte für die Holzstuhl-Gestelle seines Freundes Marcel Breuer. Die originalen Reste des<br />

Rosshaar-Gewebes aus Weimar sendete er später an Tecta. Mit ihnen wurde das Gestell des<br />

Breuer-Wassily-Sessels bespannt, ein Unikat, das heute im Kragstuhl-Museum Lauenförde zu<br />

sehen ist.


PETER KELER<br />

1922


W1<br />

149


PETER KELER<br />

1922


W1<br />

151


PETER KELER<br />

1922


Die Wiege des Bauhauses<br />

W1<br />

153<br />

Auf den ersten Blick ist sie ein Bruch mit den gängigen Vorstellungen einer<br />

Wiege: Der Wiegen-Entwurf von Peter Keler stammt aus den Anfängen des<br />

Bauhauses, von 1922. Ein Werk aus blauem Kreis, gelbem Dreieck und<br />

rotem Rechteck, das den Einfluss, den die synästhetische Farbtheorie<br />

des Lehrers Wassily Kandinsky auf Peter Keler ausübte, greifbar macht.<br />

Zugleich verkörperte sie die erste Idee eines schwebenden, schwingenden<br />

und rollenden Objekts, das zum Symbol für das Bauhaus wurde.<br />

Ursprünglich war sie Teil eines Möbelwettbewerbs nach der<br />

Aufgabenstellung von Walter Gropius für einen Bettentwurf für Mann,<br />

Frau und Kleinkind. Das Bett des Mannes besaß rechtwinklige Kopf- und<br />

Fußteile, das der Frau zeichnete einen weichen Halbkreis. Die Kinderwiege<br />

ergänzte die zwei geometrischen Formen durch das Dreieck.<br />

Den ersten Kontakt zu Peter Keler und seiner Wiege hatte Axel<br />

Bruchhäuser 1975, als er darum bat, die Wiege produzieren zu dürfen.<br />

Gemeinsam mit Peter Keler setzte Tecta die Reedition der berühmten<br />

Bauhauswiege nach der Idee von Wassily Kandinsky werkgetreu, aber<br />

industriell um.<br />

Heute gilt die Wiege als Ikone. Peter Keler selbst bezeichnete sie<br />

als Werk, das „zum Symbol des Bauhaus wurde.“ Keler, der am Weimarer<br />

Bauhaus Malerei, Farbgestaltung und Tischlerei studierte, verweist mit<br />

ihr auf die Formensprache und das Leitbild des Bauhauses: die Wiederbelebung<br />

des Kunsthandwerks und die Auflösung des Unterschieds von<br />

Künstler und Handwerker.<br />

Nach Kelers Lehrer Kandinsky versprachen die geometrischen<br />

Formen je nach Form-Farb-Kombinationen zudem Bewegung oder Entspannung.<br />

Ein Zylinder an der Unterseite dient als Schwerpunkt und verhindert<br />

das Kippen des Möbels. Die Reedition besitzt die Zertifikats-Prägung mit<br />

dem von Oskar Schlemmer kreierten Bauhaus-Signet. Peter Keler regte<br />

auch die Herstellung einer verkleinerten Wiege an – ab <strong>2018</strong> ebenfalls<br />

bei Tecta im Lizenzprogramm.


EL LISSITZKY<br />

1928


D61<br />

155


EL LISSITZKY<br />

1928


D61<br />

157


EL LISSITZKY<br />

1928


Mit außergewöhnlicher Form zum Thron<br />

D61<br />

159<br />

El Lissitzky entwarf das transportable Sperrholzmodell D61 im Jahr 1930 für die Hygieneausstellung<br />

in Dresden. Die Ausstellung stellte eine Besonderheit dar und ging auf den Direktor des damaligen<br />

Hygiene-Museums zurück. Ziel war es, die zeitgenössischen Probleme der Hygiene aufzuzeichnen<br />

und für eine gesundheitsorientierte Lebensweise zu werben. Man versprach sich einen positiven<br />

Einfluss des Gesundheitssektors auf die Wirtschaft, sowie eine umfassende Zusammenarbeit mit<br />

Künstlern und Wissenschaftlern. Die besondere Einbindung der Künste entsprach dem damals<br />

schon modernen Bild von Kommunikation und Netzwerkgedanken der Ausstellungsmacher.<br />

Anlässlich der Ausstellung wurde in Dresden neben dem bekannten Museum eine Reihe<br />

kleiner, temporärer Bauten im Stil des Bauhauses errichtet. Unter ihnen gab es den Sowjetpavillon<br />

von El Lissitzky, der die moderne Gesundheitspolitik der UdSSR abbilden sollte. El Lissitzky war<br />

nicht nur Ausstellungsgestalter des Pavillons, sein D61 war als transportables Möbel für diesen<br />

Pavillon gedacht. Das Buchensperrholz wurde kaltgepresst in die außergewöhnliche Form gebracht,<br />

die den Sessel zum Thron stilisiert. Ursprünglich in Natur gehalten, unterstrich Tecta seinen Auftritt<br />

mit den markanten Bauhaus-Farben Schwarz und Blau.<br />

Über El Lissitzky: Der Universalkünstler El Lissitzky (1890-1941) ist einer der Hauptvertreter des Konstruktivismus. Der Architekt, Fotograf, Designer, Grafiker und Maler studierte zunächst<br />

Architektur an der Technischen Hochschule Darmstadt (1909-14) und in Moskau (1914-18) und unterrichtete – eingeladen von Marc Chagall – an der Kunstschule Witebsk, wo er auf Kasimir<br />

Malewitsch trifft. Lissitzky selbst bezeichnete sich gerne als Konstrukteur. Begeistert von exakten Wissenschaften und der Technik der Neuzeit schuf er fortan geometrisch-abstrakte<br />

Arbeiten (Proun = Projekt zur Bestätigung des Neuen), die scheinbar schwerelos im Weltraum schweben.<br />

Berühmt, aber nicht gebaut, wurde sein „schwebendes, horizontales Hochhaus“ von 1924/25, dessen Name „Wolkenbügel“ möglicherweise auf Hans Arp zurückgeht. Der<br />

„Wolkenbügel“ war El Lissitzkys Beitrag zur Modernisierung der Stadt, ein beliebig anzuwendender Prototyp, der markante Punkte auszeichnen sollte. Der „Wolkenbügel“ wurde zugleich<br />

zur Ikone der Moderne und sein Erschaffer sollte Recht behalten: „Nur Erfindungen werden die Gestaltung beeinflussen.“ Der Wolkenbügel und seine Kragkonstruktion prägten auch die<br />

Entwicklung des Kragstuhls auf der Basis eines neuen Zeitgefühls: des Schwebens und Schwingens.<br />

Als Gestalter prägte der Konstruktivist El Lissitzky die Avantgarde der Zwanziger Jahre wesentlich. Unvergessen ist seine Tribüne für Lenin, die den Revolutionär in einer weit<br />

ausladenden Stahlkonstruktion über dem Boden schweben lässt und die Geste Lenins bei seinen Reden zitiert. Tectas Zusammenarbeit mit Lissitzkys Witwe und Sohn Jen geht auf das Jahr<br />

1978 zurück und gilt zunächst einem gebogenen Sperrholzstuhl, ursprünglich für die Hygiene-Ausstellung 1930 in Dresden entworfen. Der Beginn einer Reihe von gemeinsamen Schritten<br />

und Entdeckungen.


EL LISSITZKY<br />

1928


D62<br />

161


EL LISSITZKY<br />

1928


D62<br />

163


EL LISSITZKY<br />

1928


Architektur, die rollt, schwimmt, fliegt<br />

D62<br />

165<br />

1926 postulierte der Architekt, Fotograf, Designer, Grafiker und Maler El Lissitzky: „Die statische<br />

Architektur der ägyptischen Pyramide ist überwunden: unsere Architektur rollt, schwimmt, fliegt.<br />

Es kommt das Schweben, Schwingen. Die Form dieser Realität will ich miterfinden und gestalten.“<br />

Der Konstruktivist schuf Bildkompositionen und Layouts, die die Grenzen des Gekannten<br />

sprengen. Diese Kraft war in zahlreichen Projekten und Pavillons zu erleben – und steckt ebenso<br />

in dieser Sitzskulptur.<br />

Der konische Clubsessel wirkt unglaublich modern und könnte durchaus ein halbes<br />

Jahrhundert später entstanden sein, also Ende der 1970er Jahre. Tatsächlich entwarf El Lissitzky<br />

den Sessel bereits 1928 für den sowjetischen Pavillon der Internationalen Kölner Druck- und Presse-Ausstellung<br />

„Pressa“. Er war Teil des Auftritts der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken,<br />

Element eines Gesamtkunstwerks aus dem monumentalen, fabrikähnlichen Pavillon und einem<br />

vor Fotos, Typografie und Installationen berstenden Innenleben.<br />

Im Gegensatz dazu strahlt der Sessel D62 Ruhe aus. Der konstruktivistische Architekt<br />

spielt mit zwei Ansichten und zwei gegensätzlichen Materialien: einer harten, dünnen, gleichwohl<br />

biegsamen Hülle und einem weichen‚ vergleichsweise voluminösen Kern.<br />

Getragen wird das Objekt von einem gespannten Holzrahmen aus Ahorn oder Buche,<br />

dessen konische Form eine geradezu üppige Leder-Polsterung für Rücken und Sitzfläche umfängt.<br />

Diese reicht bis zum Boden. Fast entsteht der Eindruck, ein Schalentier vor sich zu haben mit<br />

hartem Panzer und strahlend weichem Kern, das den Besitzer einlädt, Platz zu nehmen.


MIES VAN DER ROHE<br />

1927


D42/B42<br />

167


MIES VAN DER ROHE<br />

1927


D42/B42<br />

169


MIES VAN DER ROHE<br />

1927


Der schönste Stuhl des Jahrhunderts<br />

D42/B42<br />

171<br />

1926 wird die Architektenvereinigung „Der Ring“ ins Leben gerufen, zu der<br />

unter anderem Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe gehören.<br />

Ludwig Mies van der Rohe entwarf im gleichen Jahr, im wahrsten Sinne<br />

des Wortes, aus dem Handgelenkden schönsten Stuhl des Jahrhunderts:<br />

den Weißenhofstuhl. Er wurde ein Jahr später, 1927, in Stuttgart auf der<br />

Weißenhof-Ausstellung gezeigt. Als „schönstes „Stuhlbauwerk“ seit dem<br />

Thronsessel Karls des Großen“, bezeichnete ihn Stefan Wewerka 1985.<br />

Die ersten Entwürfe entstanden unter dem Eindruck des hinterbeinlosen<br />

Gasrohrstuhles des Architekten Mart Stam.<br />

Sergius Ruegenberg berichtete 1985 über die Entstehung des<br />

Weißenhof-Stuhles: „Mies kam im November 1926 aus Stuttgart zurück<br />

und erzählte von Mart Stam und seiner Stuhlidee. Wir hatten ein Zeichenbrett<br />

an der Wand, darauf zeichnete Mies den Stam-Stuhl, rechtwinklig,<br />

von oben angefangen.“<br />

Ludwig Mies van der Rohe befand zu dem Stam-Stuhl: „Häßlich,<br />

so was häßliches mit diesen Muffen. Wenn er wenigstens abgerundet<br />

hätte – so wäre es schöner – und skizzierte einen Bogen. Nur ein Bogen<br />

aus seiner Hand an der Stam-Skizze machte den neuen Stuhl aus.“<br />

Zur außergewöhnlichen Form fehlte nur noch eins: der Sitz und<br />

seine Bespannung. Dafür stand Lilly Reich, Innenarchitektin, die ab 1926<br />

in Ludwig Mies van der Rohes Büro arbeitete. Von ihr und Mies stammt die<br />

Idee, den Weißenhof-Stuhl mit einem Geflecht auszustatten. Gemeinsam<br />

mit einem Korbmacher-Meister entwickelte Reich die neue Ästhetik, die<br />

den raumgreifenden Stuhl als Gesamtkunstwerk vollendete.<br />

1985 analysierte Axel Bruchhäuser von Tecta mit Hilfe von<br />

Sergius Ruegenberg den gestalterischen Ansatz von Lilly Reich. Das<br />

Spannungsverhältnis zwischen dem kühlen Stahlrohr und dem warmen<br />

Naturrohr wurde für ihn besonders deutlich an der Übergangsstelle: sie ist<br />

markiert durch einen kleinen Wulst, der den Abschluss des Geflechts und<br />

die Fortsetzung des Stahles markiert. Einer der Hinweise, dass es sich<br />

hier um ein Original handelt. Eine weitere Besonderheit, die sich heute<br />

nur noch im Hause Tecta findet ist das doppelt verarbeitete, linsenförmige<br />

Naturgeflecht der Rotangpalme aus Indonesien.<br />

Seit den 1980er Jahren wird es in Lauenförde originalgetreu von<br />

einem der letzten Flechtwerkmeister per Hand hergestellt und für den<br />

Weißenhofstuhl, B42 und ebenso für sein Pendant, den D42 verwendet.<br />

Der D42 zeichnet sich durch seine zusätzlichen, bogenförmigen Armlehnen<br />

aus. So avancierte der Weißenhof-Stuhl zu einem der schönsten „Bauwerke“<br />

des Jahrhunderts, über das Künstler Stefan Wewerka festhielt:<br />

„Als Baumeister sage ich: Reiner kann die Verbindung von zwei Materialien<br />

nicht sein. Als Bildhauer sage ich: Erhabener kann Skulptur nicht<br />

Raum schaffen. Als Grübler frage ich: Wie kann ich diese Reinheit mit<br />

Anmut, Sinnlichkeit, Ökonomie und Nutzbarkeit alltäglicher Notwendigkeit<br />

verbinden?“<br />

Über Ludwig Mies van der Rohe: Der 1886 geborene Sohn einer katholischen Steinmetz-Familie in Aachen, gilt bis heute als einer der wichtigsten Architekten der Moderne. Mit einem<br />

Federstrich gelang es ihm, Gebäude schweben zu lassen und oszillierende Möbel zu entwerfen. Der Mann, der den berühmten Barcelona-Pavillon oder die Villa Tugendhat in Brünn entwarf,<br />

erlaubte sich mittags gerne ein Nickerchen. Am liebsten lag Mies van der Rohe dabei in seinem Badezimmer. Das berichtete sein Zeitzeuge Sergius Ruegenberg, die rechte Hand von Ludwig<br />

Mies van der Rohe, des unerreichten Baumeisters.<br />

„Baukunst ist die räumliche Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt und der Ausdruck dafür, wie er sich darin behauptet und wie er sie zu meistern versteht,“ sagte<br />

Ludwig Mies van der Rohe. Für sein Verständnis von Architektur stehen bis heute wegweisende Gebäude und Möbel. „Die Mies‘sche Stadt ist im Mies‘schen Stuhl impliziert,“ bemerkte<br />

auch Peter Smithson. 1921 zeigt Mies van der Rohe bei einem Hochhaus- Wettbewerb an der Friedrichstraße in Berlin einen visionären, aber abgelehnten Entwurf, der eine fast vollständig<br />

verglaste Fassade zeigt und das erste Zeugnis für seine spätere „Haut-und-Knochen“-Architektur sein wird. 1924 tritt Ludwig Mies van der Rohe auf Einladung der dem Deutschen Werkbund<br />

bei, als Vizepräsident leitete er später die Werkbundausstellung „Die Wohnung“ 1927 in Stuttgart, die die Weißenhof-Siedlung hervorbrachte. Eines seiner berühmten Bauwerke, das Haus<br />

Tugendhat im tschechischen Brünn, stellt er 1930 fertig, im gleichen Jahr die Häuser Lange und Esters, für die er auch die Liegen F42E und F42-1E entwarf.<br />

Nach der gemeinsamen Arbeit an der Sitzfläche des Weißenhof-Stuhls im Jahr 1926, arbeitet Ludwig Mies van der Rohe auch zwei Jahre später mit der Innenarchitektin Lilly<br />

Reich zusammen. Sie erhalten nach dem Erfolg der Stuttgarter Werkbundausstellung die künstlerische Leitung der deutschen Abteilung der Weltausstellung in Barcelona. Mies van der Rohe<br />

baut hier den berühmten Barcelona-Pavillon. 1930 wird Ludwig Mies van der Rohe zum Direktor des Bauhauses in Dessau berufen. Er erlebt eine Zeit voller schmerzhafter Kompromisse<br />

unter den Nationalsozialisten, so dass das Bauhaus am 10. August 1933 endgültig aufgelöst wird. Ludwig Mies van der Rohe emigriert in die Vereinigten Staaten, 1951 baute er das<br />

weltberühmte Farnsworth House, später das Seagram Building in New York von 1958. Ludwig Mies van der Rohe stirbt im Jahr 1969 in Chicago als eine der unerreichten Architekten der<br />

Moderne.


MIES VAN DER ROHE<br />

1931


F42E<br />

173


MIES VAN DER ROHE<br />

1931


F42E<br />

175


MIES VAN DER ROHE<br />

1931


Filigrane Schwebewerke<br />

F42E<br />

177<br />

Mies van der Rohe meldete 1931 ein Patent für ein „multifunktionales Ruhemöbel“ an. Ergonomisch<br />

als auch elegant sollte es sein, freischwingend und hängend, sowohl für den Innen- als<br />

auch für den Außenbereich einsetzbar. Bis heute kondensiert die Hängeliege F42E den Moment<br />

des Schwebens in einem Möbel, das wie ein Flügelschlag wirkt und in Räumen als Silhouette<br />

Funktionalität, Ästhetik und Zurückhaltung verbreitet. Während ihr Pendant, die mit der gleichen<br />

Liegefläche ausgestattete, verstellbare F42E1, mit ihrem Kraggestell das Schwingende des<br />

Kragstuhles zitiert.<br />

Entworfen wurden die Liegen von Mies van der Rohe für ein Villen-Ensemble in Krefeld.<br />

Die heute als Museen bekannten Gebäude, Haus Lange und Haus Esters, die auf der Krefelder<br />

Wilhelmshofer Allee in direkter Nachbarschaft liegen, waren von den Gründern der vereinigten<br />

Seidenwebereien Hermann Lange und Josef Esters in Auftrag gegeben worden und als private<br />

Wohnhäuser für ihre Familien gedacht.<br />

1930 stellt sie Mies van der Rohe fertig und zeichnet für diese geradlinigen, fast japanisch<br />

anmutenden Gebäude die Liegen mit Federaufhängung, die von Tecta ergänzt wurden und dem<br />

Kraggestell, die heute beide noch von Tecta hergestellt werden und das Oskar-Schlemmer-Signet<br />

für originalgetreu reeditierte Bauhaus-Möbel tragen.


MIES VAN DER ROHE<br />

1931


F42E1<br />

179


MIES VAN DER ROHE<br />

1931


F42E1<br />

181


MIES VAN DER ROHE<br />

1931


Filigrane Schwebewerke<br />

F42E1 183<br />

Mies van der Rohe meldete 1931 ein Patent für ein „multifunktionales Ruhemöbel“ an. Ergonomisch<br />

als auch elegant sollte es sein, freischwingend und hängend, sowohl für den Innen- als<br />

auch für den Außenbereich einsetzbar. Bis heute kondensiert die Hängeliege F42E den Moment<br />

des Schwebens in einem Möbel, das wie ein Flügelschlag wirkt und in Räumen als Silhouette<br />

Funktionalität, Ästhetik und Zurückhaltung verbreitet.<br />

Während ihr Pendant, die mit der gleichen Liegefläche ausgestattete, verstellbare F42E1,<br />

mit ihrem Kraggestell das Schwingende des Kragstuhles zitiert. Entworfen wurden die Liegen von<br />

Mies van der Rohe für ein Villen-Ensemble in Krefeld. Die heute als Museen bekannten Gebäude,<br />

Haus Lange und Haus Esters, die auf der Krefelder Wilhelmshofer Allee in direkter Nachbarschaft<br />

liegen, waren von den Gründern der vereinigten Seidenwebereien Hermann Lange und Josef Esters<br />

in Auftrag gegeben worden und als private Wohnhäuser für ihre Familien gedacht.<br />

1930 stellt sie Mies van der Rohe fertig und zeichnet für diese geradlinigen, fast japanisch<br />

anmutenden Gebäude die Liegen mit Federaufhängung, die von Tecta ergänzt wurden und dem<br />

Kraggestell, die heute beide noch von Tecta hergestellt werden und das Oskar-Schlemmer-Signet<br />

für originalgetreu reeditierte Bauhaus-Möbel tragen.


SERGIUS RUEGENBERG<br />

1986


D5A/D5<br />

185


SERGIUS RUEGENBERG<br />

1986


D5A/D5<br />

187


SERGIUS RUEGENBERG<br />

1986


Der Tugendhafte Sessel<br />

D5A/D5<br />

189<br />

In streichen Zusammenarbeit mit Tecta zeichnet Sergius Ruegenberg Ende<br />

der 1980er Jahre einige besondere Entwürfe. Dazu gehört Ruegenbergs<br />

Sessel, den er selbst den „Tugendhaften Sessel“ nannte und der die<br />

Studien aus Barcelona Sessel und Weißenhof-Stuhl verschmelzen ließ.<br />

Rund zwanzig Jahre später, im Jahr 2006, editiert Tecta nach enger Zusammenarbeit<br />

mit Ruegenberg und zehn Jahre nach seinem Tod, unter<br />

der Modellbezeichnung D5, den „Ruegenberg-Sessel“.<br />

Aufmerksam wurde Axel Bruchhäuser im Rahmen der Recherchen<br />

zum hinterbeinlosen Kragstuhl auf Sergius Ruegenberg. Dieser<br />

offenbarte seine Zeichnungen zu einer Weiterentwicklung des Sessels<br />

für die Tugendhaft-Villa, in denen das vernickelte Weißenhof-Gestell mit<br />

dem Lilly-Reich-Geflecht und der Barcelona-Polsterung in einem neuen<br />

Möbel Verbindung fanden.<br />

„Die Haupttugend des Sessels ist das Geheimnis seiner Federung“,<br />

erklärt Axel Bruchhäuser. „Er schwingt durch seinen langen Federarm<br />

stärker als der Weißenhof-Stuhl.“ Gemeinsam betrachteten Sergius<br />

Ruegenberg und Axel Bruchhäuser den „Tugendhaften Sessel“ als eine<br />

organische Weiterentwicklung des schönsten Stuhls des Jahrhunderts.<br />

Über Sergius Ruegenberg: Sergius Ruegenberg, mit dem Tecta eine lange Zusammenarbeit verband, prägte die Arbeit deutscher Architekten von Bruno Paul über Mies van der Rohe bis<br />

zu Hans Scharoun maßgeblich mit. Der 1903 in Sankt Petersburg geborene Architekt Ruegenberg war einer der kreativen Köpfe in Mies van der Rohes Büro zwischen 1925 und 1934. Er<br />

prägte dort die Weiterentwicklung der wichtigsten Möbel der Moderne, zum Beispiel des Kragstuhls, den der Holländer Mart Stam entwickelt hatte. Ein Modell, das mit zwei statt vier Beinen<br />

auskommt und später unter dem Begriff »Freischwinger« in die Designgeschichte eingehen sollte.<br />

„Mies kam im November 1926 aus Stuttgart zurück und erzählte von Mart Stam und seiner Stuhlidee. Wir hatten ein Zeichenbrett an der Wand, darauf zeichnete Mies den Stam-<br />

Stuhl (...). Hässlich, so was Hässliches mit den Muffen. Wenn er wenigstens abgerundet hätte – so wäre es schöner – und er skizzierte einen Bogen. Nur ein Bogen aus seiner Hand an der<br />

Stam-Skizze machte den Stuhl aus.“ Das erzählte Sergius Ruegenberg im Alter von 82 Jahren in einer unveröffentlichten Tonbandaufzeichnung für das Buch „Der Kragstuhl“. Eine einzige<br />

Handbewegung hatte den schönsten Stuhl hervorgebracht. Ruegenberg selbst zeichnete Mies van der Rohes Idee zu Ende. Die schwingende Dynamik und der runde Bogen, ausgestellt in<br />

der Weißenhofsiedlung in Stuttgart, haben bis heute Geschichte geschrieben.<br />

Doch wie funktionierte das so unterschiedliche Gestaltungsteam? „Mies war Architekt und Bürochef. Ruegenberg der liebenswerte, musisch begabte Partner. Er wollte nur das<br />

machen, was er konnte“, erinnert sich Axel Bruchhäuser. Bruchhäuser besuchte 1985 Ruegenberg um die Urheberschaft des Kragstuhls von Mart Stam aufzuklären. Aus dieser Begegnung<br />

erwuchsen weitere Recherchen, auch zum berühmten Barcelona-Sessel von Mies van der Rohe, der durch sein Kreuzgestell zur Ikone wurde. „Drei Tage vor meiner Abreise als Bauführer<br />

nach Barcelona erhielt ich von Mies den Auftrag, einen Sessel zu entwerfen“, schrieb Ruegenberg an Tecta im Jahr 1988. Ruegenberg war weder eitel noch um Vorteil bemüht – er wollte<br />

nur klarstellen, dass Ludwig Mies van der Rohe nicht alles allein gemacht hatte. Ruegenberg hatte zwar den Weißenhof-Stuhl nach einer Idee von Mies gezeichnet, aber den berühmten<br />

Barcelona-Sessel hatte er eindeutig federführend gestaltet. Er war für den Repräsentationspavillon des Deutschen Reiches auf der Weltausstellung in Barcelona gedacht, den sogenannten<br />

„Barcelona-Pavillon“.<br />

Am 20. April 1988 schrieb Ruegenberg an Axel Bruchhäuser: „In den Skizzen, die ich auf Grundlage des Hockers ausführte, ist auch die Idee für den Barcelona-Sessel enthalten.<br />

Aber da ich mehrere Zeichnungen hinterließ, ist es richtig, dass die Entscheidung bei Mies lag. Aus diesen Skizzen hat Mies ausgewählt, neu komponiert. Ich bitte Sie, Herr Bruchhäuser,<br />

dies nicht zu korrigieren, da es zu Irritationen in der Öffentlichkeit führen könnte.“


INDEX<br />

GESTALTERÜBERSICHT<br />

JOSEF ALBERS<br />

MARCEL BREUER<br />

ERICH BRENDEL<br />

KERSTIN BRUCHHÄUSER<br />

KATRIN GREILING<br />

WALTER GROPIUS<br />

TOBIAS GROSS<br />

PETER KELER<br />

EL LISSITZKY<br />

MIES VAN DER ROHE<br />

SERGIUS RUEGENBERG<br />

PETER OTTO VOSDING<br />

ESTHER WILSON<br />

L61<br />

B40<br />

D4<br />

D40<br />

F40<br />

F41E<br />

K40<br />

M45<br />

S40<br />

S41<br />

S43<br />

S44<br />

K10<br />

M10<br />

D4N<br />

F51N<br />

D51<br />

D51–2<br />

D51–3<br />

F51<br />

F51–2<br />

F51–3<br />

D1N<br />

K10N<br />

D1<br />

D1–2<br />

D1–3<br />

W1<br />

D61<br />

D62<br />

B42<br />

D42<br />

F42E<br />

F42E1<br />

D5<br />

D5A<br />

B51<br />

D4N<br />

55<br />

61<br />

67<br />

73<br />

77<br />

81<br />

87<br />

91<br />

95<br />

101<br />

105<br />

109<br />

115<br />

115<br />

7<br />

15<br />

121<br />

127<br />

127<br />

131<br />

135<br />

135<br />

31<br />

23<br />

139<br />

145<br />

145<br />

149<br />

155<br />

161<br />

167<br />

167<br />

173<br />

179<br />

185<br />

185<br />

37<br />

45


191<br />

B40<br />

B42<br />

B51<br />

D4<br />

D4N<br />

D4N<br />

D5<br />

D5A<br />

D40<br />

D42<br />

D51<br />

D51–2<br />

D51–3<br />

D1<br />

D1–2<br />

D1–3<br />

D1N<br />

F51<br />

F51–2<br />

F51–3<br />

F51N<br />

D61<br />

D62<br />

F40<br />

F41E<br />

F42E<br />

F42E1<br />

K10<br />

K10N<br />

K40<br />

M10<br />

M45<br />

L61<br />

S40<br />

S41<br />

S43<br />

S44<br />

W1<br />

61<br />

167<br />

37<br />

67<br />

7<br />

45<br />

185<br />

185<br />

73<br />

167<br />

121<br />

127<br />

127<br />

139<br />

145<br />

145<br />

31<br />

131<br />

135<br />

135<br />

15<br />

155<br />

161<br />

77<br />

81<br />

173<br />

179<br />

115<br />

23<br />

87<br />

115<br />

91<br />

55<br />

95<br />

101<br />

105<br />

109<br />

149<br />

STÜHLE/<br />

BÄNKE<br />

SESSEL/<br />

SOFAS<br />

LIEGEN<br />

TISCHE<br />

LEUCHTEN<br />

REGALE/<br />

VITRINEN<br />

WIEGEN<br />

MÖBELÜBERSICHT<br />

40<br />

42<br />

51<br />

1<br />

1–2<br />

1–3<br />

1N<br />

4<br />

4N<br />

4N<br />

5<br />

5A<br />

40<br />

42<br />

51<br />

51–2<br />

51–3<br />

D61<br />

D62<br />

40<br />

41E<br />

42E<br />

42E1<br />

51<br />

51–2<br />

51–3<br />

51N<br />

10<br />

10N<br />

40<br />

61<br />

10<br />

45<br />

40<br />

41<br />

43<br />

44<br />

1<br />

61<br />

167<br />

37<br />

139<br />

145<br />

145<br />

31<br />

67<br />

7<br />

45<br />

185<br />

185<br />

73<br />

167<br />

121<br />

127<br />

127<br />

155<br />

161<br />

77<br />

81<br />

173<br />

179<br />

131<br />

135<br />

135<br />

15<br />

115<br />

23<br />

87<br />

55<br />

155<br />

91<br />

95<br />

101<br />

105<br />

109<br />

149<br />

B<br />

D<br />

F<br />

K<br />

L<br />

M<br />

S<br />

W<br />

NACH PRODUKTKÜRZEL


IMPRESSUM


HERAUSGEBER<br />

TECTA – BRUCHHAUSER<br />

& DRE SCHER KG<br />

SOHNREYSTRASSE 10<br />

37697 LAUERNFÖRDE<br />

+49 5273 37 89 0<br />

INFO@TECTA.DE<br />

TECTA.DE<br />

GESTALTUNG<br />

STUDIO FÜR GESTALTUNG<br />

FOTOGRAFIE<br />

HG ESCH<br />

TEXTE<br />

GROSZ-HERZIG<br />

HERSTELLUNG<br />

DRUCKVERLAG KETTLER<br />

COPYRIGHT<br />

TECTA – BRUCHHAUSER<br />

& DRESCHER KG<br />

BAUHAUS-ARCHIV, BERLIN


BAUHAUSNOWHAUS.DE<br />

TECTA.DE

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!