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KERSTIN BRUCHHAUSER<br />
Wie kam es zu der Kooperation mit Tecta?<br />
Kerstin Bruchhäuser: Der Kontakt zu Tecta besteht schon sehr<br />
lang. Durch eine verwandtschaftliche Beziehung zu Axel Bruchhäuser<br />
und Christian Drescher. Vor kurzem berichtete ich von der koreanischen<br />
Pojagi-Nähtechnik, mit der ich großformatige Textilarbeiten erstelle. Ich<br />
nähe Portraits aus alter Weißwäsche. Christian und Daniela Drescher<br />
waren sehr interessiert an dieser Technik und besuchten mich in meinem<br />
Atelier in Hamburg. Sie fragten direkt, ob ich mir vorstellen kann,<br />
einen Bauhaus-Stuhl mit Pojagi neu zu interpretieren.<br />
Wie ging es dann weiter?<br />
KB: Ich habe mir einen Stuhl aus der Bauhaus Serie zur<br />
Neuinterpretation ausgesucht: den Clubsessel D4 von Marcel Breuer.<br />
Ich finde den Stuhl cool, weil er nicht gepolstert ist. Man kann Vorderund<br />
Rückseite sehen. Das passt perfekt zur Pojagi-Technik.<br />
Was ist das Besondere an Pojagi?<br />
KB: Es ist eine traditionelle koreanische Patchworkart, bei der<br />
Stoffreste einlagig zusammengenäht werden. Vorder- und Rückseite<br />
sehen also nahezu identisch aus: Die Stoffteile werden so aneinander<br />
gefügt, dass man keine offenen Nähte und keine Fransen hat. Beim „normalen“<br />
Patchwork bleibt die Rückseite offen – es muss immer zusätzlich<br />
ein Stoff gegen genäht werden. Durch die offensichtlichen Nähte erinnern<br />
Pojagi-Tücher an Bleiglasfenster, an Sakrales. Gleichzeitig besitzen<br />
Pojagi Textilien auch etwas Alltägliches. Es ist ein eher pragmatischer<br />
Nutzen, verbunden mit einer räumlichen und ästhetischen Wirkung. Denn<br />
traditionell entstehen sie aus Stoffresten. Ihr Vorleben macht die Tücher<br />
also auch sehr spannend und bedeutsam. Pojagi-Tücher werden vielseitig<br />
verwendet: als Sichtschutz an Fenstern oder in Türrahmen. Aber auch als<br />
Verpackung, um Lebensmittel zu transportieren. Wenn man die Tücher<br />
gegen das Licht hängt, entstehen im Raum Farbfelder. – Der Aspekt der<br />
Nachhaltigkeit spielt auf vielschichtige Weise mit – aber sehr subtil.<br />
Pojagi haben Sie dann einfach so auf den Stuhl übertragen können?<br />
KB: Die ersten zwei Entwürfe habe ich beim Nähen wieder verworfen.<br />
Die Muster passten nicht. – Sonst stelle ich eher großformatige<br />
Bilder her, zwei mal drei Meter. Da sind die Gestaltungsfreiheit und die<br />
Flexibilität größer. Wenn ein Stoffrest nicht an eine Stelle passt, schiebt<br />
man ihn woanders hin, vergleichbar einem Puzzle. Bei dem Breuer Stuhl<br />
ging das aber nicht, weil man sehr schmale Stellen hat, wie etwa die<br />
Armlehnen. Ich stellte fest, dass viele Ideen auf der Sitzfläche nicht<br />
funktionierten und das Dessin kleinteiliger werden musste. So kam ich<br />
beim dritten Entwurf auf das symmetrische Muster, das jetzt umgesetzt<br />
ist.<br />
Gab es im Projektverlauf Abstimmungsmeetings oder haben Sie völlig frei<br />
an Ihrem Entwurf gearbeitet?<br />
KB: Ich habe in Eigenregie das Muster kreiert und die Stoffe<br />
ausgesucht. Sitzfläche, Rücken- und Armlehnen mit der Hand genäht.<br />
Eine sehr filigrane Arbeit und sehr aufwändig. Weil das Patchwork beim<br />
D4 eben zum Teil des Stuhls wird und nicht hängt, fällt natürlich das<br />
Lichtspiel weg, d.h. auch die Wirkung für den Raum kippt. Es bleiben<br />
aber die auffälligen Nähte. Dort, wo die Stoffe zusammengeführt werden,<br />
sind sie teilweise vierfach übereinandergeschichtet. So entsteht<br />
eine mehrdimensionale, reliefartige Sitz-Oberfläche.<br />
Sehen Sie in Ihrer Neuinterpretation einen konkreten Bezug zum Bauhaus?<br />
KB: Das Projekt Bauhaus Nowhaus knüpft an die Historie an.<br />
In meinem Fall an den Entwurf von Marcel Breuer, der nach wie vor Aktualität<br />
besitzt. Das greife ich durch die Pojagi-Technik wieder auf: Indem<br />
ich Altes, die Stoffreste, zusammenfüge und daraus Neues entstehen<br />
lasse. Etwas Neues zu entwickeln und auf traditionelle Techniken zurückzugreifen<br />
ist ein klassischer Bauhaus-Gedanke.<br />
Wie ist es, eine Design-Ikone zu verändern?<br />
KB: Es ist sehr ambivalent. Segen und Fluch zugleich (lacht).<br />
Man hat total viel Respekt. Weil der Stuhl eben in seinem Original perfekt<br />
ist. Ich kenne den D4 seit meiner Kindheit. Ich weiß, was Marcel<br />
Breuer sich gedacht hat. Gleichzeitig ist es eine absolute Ehre, einen<br />
neuen Ansatz erschaffen zu dürfen. Die Freiheit zu haben, an dieses<br />
heilige Stück heranzugehen, es auch ein bisschen entweihen zu dürfen.