09.01.2019 Aufrufe

tecta_katalog_bauhausnowhaus_2018_yumpu_test

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Der schönste Stuhl des Jahrhunderts<br />

D42/B42<br />

171<br />

1926 wird die Architektenvereinigung „Der Ring“ ins Leben gerufen, zu der<br />

unter anderem Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe gehören.<br />

Ludwig Mies van der Rohe entwarf im gleichen Jahr, im wahrsten Sinne<br />

des Wortes, aus dem Handgelenkden schönsten Stuhl des Jahrhunderts:<br />

den Weißenhofstuhl. Er wurde ein Jahr später, 1927, in Stuttgart auf der<br />

Weißenhof-Ausstellung gezeigt. Als „schönstes „Stuhlbauwerk“ seit dem<br />

Thronsessel Karls des Großen“, bezeichnete ihn Stefan Wewerka 1985.<br />

Die ersten Entwürfe entstanden unter dem Eindruck des hinterbeinlosen<br />

Gasrohrstuhles des Architekten Mart Stam.<br />

Sergius Ruegenberg berichtete 1985 über die Entstehung des<br />

Weißenhof-Stuhles: „Mies kam im November 1926 aus Stuttgart zurück<br />

und erzählte von Mart Stam und seiner Stuhlidee. Wir hatten ein Zeichenbrett<br />

an der Wand, darauf zeichnete Mies den Stam-Stuhl, rechtwinklig,<br />

von oben angefangen.“<br />

Ludwig Mies van der Rohe befand zu dem Stam-Stuhl: „Häßlich,<br />

so was häßliches mit diesen Muffen. Wenn er wenigstens abgerundet<br />

hätte – so wäre es schöner – und skizzierte einen Bogen. Nur ein Bogen<br />

aus seiner Hand an der Stam-Skizze machte den neuen Stuhl aus.“<br />

Zur außergewöhnlichen Form fehlte nur noch eins: der Sitz und<br />

seine Bespannung. Dafür stand Lilly Reich, Innenarchitektin, die ab 1926<br />

in Ludwig Mies van der Rohes Büro arbeitete. Von ihr und Mies stammt die<br />

Idee, den Weißenhof-Stuhl mit einem Geflecht auszustatten. Gemeinsam<br />

mit einem Korbmacher-Meister entwickelte Reich die neue Ästhetik, die<br />

den raumgreifenden Stuhl als Gesamtkunstwerk vollendete.<br />

1985 analysierte Axel Bruchhäuser von Tecta mit Hilfe von<br />

Sergius Ruegenberg den gestalterischen Ansatz von Lilly Reich. Das<br />

Spannungsverhältnis zwischen dem kühlen Stahlrohr und dem warmen<br />

Naturrohr wurde für ihn besonders deutlich an der Übergangsstelle: sie ist<br />

markiert durch einen kleinen Wulst, der den Abschluss des Geflechts und<br />

die Fortsetzung des Stahles markiert. Einer der Hinweise, dass es sich<br />

hier um ein Original handelt. Eine weitere Besonderheit, die sich heute<br />

nur noch im Hause Tecta findet ist das doppelt verarbeitete, linsenförmige<br />

Naturgeflecht der Rotangpalme aus Indonesien.<br />

Seit den 1980er Jahren wird es in Lauenförde originalgetreu von<br />

einem der letzten Flechtwerkmeister per Hand hergestellt und für den<br />

Weißenhofstuhl, B42 und ebenso für sein Pendant, den D42 verwendet.<br />

Der D42 zeichnet sich durch seine zusätzlichen, bogenförmigen Armlehnen<br />

aus. So avancierte der Weißenhof-Stuhl zu einem der schönsten „Bauwerke“<br />

des Jahrhunderts, über das Künstler Stefan Wewerka festhielt:<br />

„Als Baumeister sage ich: Reiner kann die Verbindung von zwei Materialien<br />

nicht sein. Als Bildhauer sage ich: Erhabener kann Skulptur nicht<br />

Raum schaffen. Als Grübler frage ich: Wie kann ich diese Reinheit mit<br />

Anmut, Sinnlichkeit, Ökonomie und Nutzbarkeit alltäglicher Notwendigkeit<br />

verbinden?“<br />

Über Ludwig Mies van der Rohe: Der 1886 geborene Sohn einer katholischen Steinmetz-Familie in Aachen, gilt bis heute als einer der wichtigsten Architekten der Moderne. Mit einem<br />

Federstrich gelang es ihm, Gebäude schweben zu lassen und oszillierende Möbel zu entwerfen. Der Mann, der den berühmten Barcelona-Pavillon oder die Villa Tugendhat in Brünn entwarf,<br />

erlaubte sich mittags gerne ein Nickerchen. Am liebsten lag Mies van der Rohe dabei in seinem Badezimmer. Das berichtete sein Zeitzeuge Sergius Ruegenberg, die rechte Hand von Ludwig<br />

Mies van der Rohe, des unerreichten Baumeisters.<br />

„Baukunst ist die räumliche Auseinandersetzung des Menschen mit seiner Umwelt und der Ausdruck dafür, wie er sich darin behauptet und wie er sie zu meistern versteht,“ sagte<br />

Ludwig Mies van der Rohe. Für sein Verständnis von Architektur stehen bis heute wegweisende Gebäude und Möbel. „Die Mies‘sche Stadt ist im Mies‘schen Stuhl impliziert,“ bemerkte<br />

auch Peter Smithson. 1921 zeigt Mies van der Rohe bei einem Hochhaus- Wettbewerb an der Friedrichstraße in Berlin einen visionären, aber abgelehnten Entwurf, der eine fast vollständig<br />

verglaste Fassade zeigt und das erste Zeugnis für seine spätere „Haut-und-Knochen“-Architektur sein wird. 1924 tritt Ludwig Mies van der Rohe auf Einladung der dem Deutschen Werkbund<br />

bei, als Vizepräsident leitete er später die Werkbundausstellung „Die Wohnung“ 1927 in Stuttgart, die die Weißenhof-Siedlung hervorbrachte. Eines seiner berühmten Bauwerke, das Haus<br />

Tugendhat im tschechischen Brünn, stellt er 1930 fertig, im gleichen Jahr die Häuser Lange und Esters, für die er auch die Liegen F42E und F42-1E entwarf.<br />

Nach der gemeinsamen Arbeit an der Sitzfläche des Weißenhof-Stuhls im Jahr 1926, arbeitet Ludwig Mies van der Rohe auch zwei Jahre später mit der Innenarchitektin Lilly<br />

Reich zusammen. Sie erhalten nach dem Erfolg der Stuttgarter Werkbundausstellung die künstlerische Leitung der deutschen Abteilung der Weltausstellung in Barcelona. Mies van der Rohe<br />

baut hier den berühmten Barcelona-Pavillon. 1930 wird Ludwig Mies van der Rohe zum Direktor des Bauhauses in Dessau berufen. Er erlebt eine Zeit voller schmerzhafter Kompromisse<br />

unter den Nationalsozialisten, so dass das Bauhaus am 10. August 1933 endgültig aufgelöst wird. Ludwig Mies van der Rohe emigriert in die Vereinigten Staaten, 1951 baute er das<br />

weltberühmte Farnsworth House, später das Seagram Building in New York von 1958. Ludwig Mies van der Rohe stirbt im Jahr 1969 in Chicago als eine der unerreichten Architekten der<br />

Moderne.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!