Enya-Windsbraut-Birte-Laemmle-Leseprobe

„Ich habe mein Testament gemacht, es liegt in der Truhe.
Die Aurora wird dann dir gehören. Ich wäre sehr froh, wenn du
sie nicht verkaufen und das Geschäft weiterführen würdest. Ich
weiß, du liebst das Leben auf See.“
„Ich? Die Aurora? Vater, ich …“
„Bitte Kleines, vielleicht steht es ja doch nicht so schlimm
um mich. Aber es würde mich sehr beruhigen, wenn du den
Schlüssel zur Truhe an dich nimmst, er liegt im Kartentisch.“
Zögernd nahm Enya den rollenden Bleistift vom Kartentisch
und klappte dann die Tischplatte hoch. In dem Fach darunter
wurden normalerweise die Seekarten aufgehoben. Jetzt lag darin
auch noch eine Kette, an der ein kleiner goldener Schlüssel hing.
Er war fein gearbeitet und mit tunischen Mustern verziert. Sie
legte sich die Kette um den Hals. Der kleine Schlüssel war kaum
zu spüren, so leicht war er. Sie wusste, dass sich das dazu passende
Schloss an der Truhe unter der Koje des Kapitäns befand.
Die Kiste war fest an die Planken montiert und aus gehärtetem,
tunischen Stahl gefertigt. In dieser Truhe bewahrte der Kapitän
neben persönlichen Dingen auch die Heuer für die Mannschaft
und die Bordkasse auf.
„Ich soll die Aurora übernehmen?“
„Wer denn sonst? Du bist alles, was ich an Familie habe und
sie ist dein Zuhause. Ich bin mir sicher, du hast das Zeug zu
einem guten Kapitän“, zwinkerte er ihr zu.
„Wer schickt denn seine Fracht mit einem Schiff, das von
einem kleinen Mädchen geführt wird? Ich bin erst siebzehn!
Und was wird die Mannschaft dazu sagen?“ Wusste Tore überhaupt,
was er da sagte? Sie wäre allein. Allein verantwortlich für
das Schiff, die Ladung und die Mannschaft. Die Mannschaft.
Natürlich würden sie weiterhin ihre Arbeit machen – zumindest
bis zum nächsten Hafen … aber dann?
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