Enya-Windsbraut-Birte-Laemmle-Leseprobe
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Aurora<br />
Alles schwankte. Unmöglich, die Sonne mit dem Horizont<br />
auf eine Linie zu bringen. <strong>Enya</strong> stand gegen das Deckshaus<br />
gelehnt. Ihre Füße waren so verkeilt, dass sie beide Hände für<br />
den Sextanten frei hatte. Die aufgewühlte See machte es ihr<br />
schwer, eine ordentliche Mittagsbreite zu nehmen. Wenigstens<br />
war die Sonne am Himmel zu sehen und nicht hinter einer<br />
dichten Wolkendecke versteckt, wie an den beiden vergangenen<br />
Tagen.<br />
Der Sextant war das Heiligtum ihres Vaters. Er ließ selten<br />
jemanden an das empfindliche Instrument heran. Golden<br />
glitzerte es in der Sonne. <strong>Enya</strong> hatte diese filigrane Apparatur<br />
schon als kleines Kind fasziniert, doch bis vor kurzem hatte sie<br />
sie nicht einmal halten dürfen. Früher war ihr eben noch nicht<br />
klar gewesen, dass ihre sichere Ankunft allein von diesem Gerät<br />
abhing. Eine andere Möglichkeit, ihre Position zu bestimmen,<br />
gab es auf hoher See nicht.<br />
In den vergangenen Tagen hatte ihr Vater sie mehrfach gebeten,<br />
eine Breite zu nehmen. Dann sollte sie mit ihm zusammen<br />
die komplizierten Berechnungen durchführen, um ihre Position<br />
zu bestimmen. Man musste den genauen Winkel zwischen<br />
Sonne und Horizont messen, dann hatte man zusammen mit der<br />
Uhrzeit alle wichtigen Daten. Sie sollte es nun endlich lernen,<br />
hatte ihr Vater gesagt. <strong>Enya</strong> wagte nicht, an den wahren Grund<br />
dieses plötzlichen Sinneswandels zu denken.<br />
„<strong>Enya</strong>, komm schnell, Kapitän Tore ist zusammengebrochen!<br />
Wir haben ihn in seine Koje gebracht. Er will mit dir sprechen“,<br />
riss Josse sie aus ihrer Konzentration. <strong>Enya</strong> legte sofort den<br />
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