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Takte_1_19

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[t]akte<br />

1I20<strong>19</strong><br />

Kalkulation<br />

und Inspiration<br />

Manfred Trojahn über sein Liedschaffen<br />

Klavierlieder sind eine Konstante in Manfred<br />

Trojahns Œuvre. Im Interview gibt er seine<br />

Gedanken zum „Vertonen“ preis: „verändern,<br />

ohne zu beschädigen“.<br />

[t]akte: In den vergangenen 14 Jahren haben Sie über<br />

100 Klavierlieder geschrieben. Was reizt Sie an dieser in<br />

Avantgarde-Kreisen aus der Mode gekommenen Gattung?<br />

Manfred Trojahn: Ich denke, die Liedarbeit ist sehr eng<br />

mit dem Musiktheater verbunden. Das<br />

Lied und die ihm zugrundeliegende poetische<br />

Form vermitteln konkrete Inhalte<br />

so wie das Musiktheater, und ich habe ein<br />

gewisses Bedürfnis nach diesen Inhalten.<br />

Ist da etwas aus der Mode gekommen?<br />

Wahrscheinlich ist mir das nicht weiter<br />

aufgefallen. Mode ist nicht das, worauf<br />

ich es primär abgesehen habe.<br />

Erst in den <strong>19</strong>80er Jahren haben Sie, relativ<br />

spät und nur vereinzelt, Beiträge zu dieser<br />

Gattung komponiert: die „Trakl-Fragmente“<br />

<strong>19</strong>84 und den Zyklus „Spätrot“ nach Karoline<br />

von Günderrode <strong>19</strong>87. Ab 2004 hingegen<br />

Manfred Trojahn<br />

scheint es bei Ihnen zu einem Umdenken gekommen zu<br />

sein Man bekommt den Eindruck, dass es für Sie inzwischen<br />

zu einer Art Gewohnheit geworden ist, fast jedes<br />

Jahr mindestens eine kleine Sammlung von Liedern zu<br />

komponieren. Wie kam es zu diesem Wandel?<br />

Den Wandel hat es nicht wirklich gegeben, von einigen<br />

wenigen Jahren abgesehen, war immer die Bemühung<br />

um Lieder ein zentraler Wunsch. Trakl war zum Beispiel<br />

ein frühes Opfer dieser Bemühungen, aber nicht nur<br />

er, auch Storm hatte es mir angetan. Allerdings war<br />

ich nicht immer auf der Höhe meiner Möglichkeiten.<br />

Ich bin ein Spätentwickler und so sind die Genres, die<br />

meine wichtigsten geworden sind, recht spät zur Umsetzung<br />

gekommen.<br />

2004 begann die „Liederwerkstatt“ – eine von der<br />

GEMA-Stiftung und später von der Siemens-Stiftung<br />

geförderte Unternehmung – zunächst in Bad Reichenhall,<br />

dann in Bad Kissingen Liedkompositionen<br />

anzuregen. Die Kollegen wie Reimann, Killmayer,<br />

Rihm, Schleiermacher und etliche andere begannen,<br />

diese Anregung sehr interessiert aufzugreifen, und<br />

so entstanden in diesem Zusammenhang viele Liedkompositionen.<br />

Außerhalb dieser Reihe kam dann<br />

noch das eine und andere hinzu. Zudem war die<br />

„Liederwerkstatt“ ein Ort, an dem man zusammenkommen<br />

konnte – das passiert ja nicht so oft. Man<br />

geht essen, man besucht Proben – alles Dinge, die mit<br />

dem Älterwerden seltener werden. Vor allem ist man<br />

mit wunderbar motivierten jungen Sängerinnen und<br />

Sängern und exquisiten Pianisten zusammen – also<br />

ein Stückchen vom totalen Glück.<br />

Es fällt auf, dass der Schwerpunkt Ihrer Dichterauswahl auf<br />

dem klassischen Kanon, vor allem aber in der Romantik<br />

liegt – Hölderlin, Schlegel, Eichendorff, Heine, um nur<br />

einige Namen zu nennen. Nach welchen Kriterien suchen<br />

Sie die Gedichte aus? Finden Sie die Gedichte oder finden<br />

die Gedichte Sie? Wie kommt es zu diesem Bogen um<br />

moderne Lyrik?<br />

Es gibt keinen Bogen um irgendetwas herum. Aber es<br />

gibt Voraussetzungen des Genres. Ich habe natürlich<br />

auch zeitgenössische Lyrik verwendet wie in den Arbeiten<br />

zu René Char oder Johannes Poethen. Ich neige<br />

aber deutlich dazu, für diese Texte das Ensemble zu<br />

bevorzugen und dem Klavierlied sozusagen eine andere<br />

Form zu geben. Die genannten Dichter, unter denen<br />

nur Peter Horst Neumann mit zwei Liedern (die für die<br />

Akademie der Schönen Künste in München entstanden)<br />

die Ausnahme darstellt, sind solche, auf welche die<br />

Wahl der „Liederwerkstatt“ gefallen ist. Es gibt aber<br />

auch andere, die sich frei gewählten Zusammenhängen<br />

verdanken: Zum Beispiel der Lasker-Schüler-Zyklus, die<br />

Rilke-Vertonungen oder auch ein Zyklus wie Abendröte<br />

von Friedrich Schlegel, der auf Anregung von „Im Zentrum<br />

Lied“ entstand.<br />

Die Dichter für die „Liederwerkstatt“ brauchten die<br />

Voraussetzung der Mehrfachvertonung, auch im Repertoire;<br />

das Konzept der Werkstatt sieht neben den neuen<br />

Stücken immer auch Werke des klassischen Repertoires<br />

vor. Inzwischen gibt es konzeptionelle Änderungen,<br />

aber dieser Schwerpunkt ist glücklicherweise geblieben.<br />

Die Gedichte sind also nicht primär frei gewählt,<br />

sondern dienten einem Konzept. So ist es auch vorgekommen,<br />

dass ich einem Dichter nicht folgen konnte,<br />

bei Schiller war das so, oder dass Stücke zu spät fertig<br />

wurden und daher nicht realisiert werden konnten, wie<br />

die Three women from Shakespeare. Ich habe diese Anregungen<br />

immer als Möglichkeit begriffen und nicht als<br />

Einschränkung, denn es ging ja um die Beschäftigung<br />

mit Texten, mit denen ich ohnehin dauernd befasst bin.<br />

Gedichte sind verdichtete Sprache. Wie schaffen Sie sich<br />

Freiräume für Ihre Musik?<br />

Zunächst einmal stelle ich nicht in Zweifel, dass es diese<br />

Freiräume gibt. Dem Gedicht geht nichts verloren von<br />

seiner Eigenwertigkeit, es wächst ihm etwas zu. Allerdings<br />

können wir sagen, dass das Gedicht es eigentlich<br />

nicht benötigt. Es kann aber ein wunderbares Erlebnis<br />

sein, beides zu haben. Es ist also eine dieser ganz<br />

seltenen Situationen, in denen ich verändern kann,<br />

ohne zu beschädigen. Darin liegt doch ein wahrlich<br />

gewaltiger Freiraum und eine große Hypothek: Es liegt<br />

alles an mir.<br />

Arnold Schönberg schrieb einmal, dass er „berauscht<br />

von dem Anfangsklang der ersten Textworte, ohne<br />

[sich] auch nur im geringsten um den weiteren Verlauf<br />

der poetischen Vorgänge zu kümmern, ja ohne diese im<br />

Taumel des Komponierens auch nur im geringsten zu<br />

erfassen“ seine Lieder komponiert habe. Wie gehen Sie<br />

bei der Komposition Ihrer Lieder vor – erleben Sie auch<br />

4<br />

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diesen „berauschten Taumel“? Und wie hängen Wort und<br />

Musik bei Ihnen zusammen?<br />

Ich bin sicher weniger expressiv, als es Schönberg war<br />

und denke, wenn ich das Glück hätte, meinen Arbeitsvorgang<br />

in der Nähe von beispielsweise Francis Poulenc<br />

ansiedeln zu dürfen, dann käme das der Mischung aus<br />

Kalkulation und Inspiration, die meine Musik prägt,<br />

eigentlich sehr nahe.<br />

Auffällig an Ihren Liedern ist eine Bevorzugung von<br />

tonaler Klanglichkeit. Woher kommt diese Neigung zur<br />

Tonalität? Gibt es textliche Zusammenhänge?<br />

Es gibt sehr viele verschiedene Texte, von daher ist<br />

diese zweifellos vorhandene Tendenz sicher nicht in<br />

erster Linie auf die Vorlagen zurückzuführen. Vielleicht<br />

können wir uns noch einmal an den Begriff des Genres<br />

erinnern: Ich denke, die erweiterte Tonalität ist eine<br />

perfekte Sprache für das Genre Klavierlied, dem sie<br />

alles ermöglicht und eigentlich nichts verstellt.<br />

Wie bereits angesprochen, ist das Musiktheater, die Oper,<br />

ein wichtiger Pfeiler in Ihrem Schaffen. Einige Ihrer Werke<br />

für Gesang und Klavier tragen den Untertitel „Szene“. Was<br />

Es schwin-delt<br />

mir, es brennt mein Ein -ge<br />

-<br />

- wei - de.<br />

Nur wer die Sehn - sucht<br />

kennt, weiß, was ich lei - de!<br />

Manfred Trojahn, aus der Szene „Sie ist nicht mehr da“<br />

Sie ist jetzt nicht mehr<br />

ist für Sie das dramaturgische Element und wie unterscheiden<br />

sich die Szenen von den Liedern?<br />

Die Szenen sind wirklich eine spezielle Form, die in ihrer<br />

Freiheit der Gestik viel mehr am Musiktheater orientiert<br />

ist, als es die Lieder sein könnten. Die Vielfältigkeit<br />

dessen, was sich ereignet, ist im Allgemeinen größer.<br />

Ich habe bei diesen Stücken durchaus auch szenische<br />

Vorstellungen, stärkere als bei Gedichten, auch solchen,<br />

bei denen es zum Beispiel Ortsbeschreibungen gibt.<br />

Vielleicht ist es eine fast private Form, aber immerhin<br />

sollten die Unterschiede zum Lied schon deutlich werden.<br />

Auch dem Gesang ist eine eher dramatische Rolle<br />

zugedacht und das erzählend Lyrische der Lieder spielt<br />

eine weniger große Rolle. Es gibt auch Mischformen,<br />

so ist in die Szene „Sie ist jetzt nicht mehr da“ Goethes<br />

„Nur wer die Sehnsucht kennt“ eingearbeitet, und das<br />

Gedicht bekommt in diesem Fall auch einen eher dramatischen<br />

Charakter.<br />

Die Fragen stellte Robert Krampe.<br />

Aktuell<br />

Manfred Trojahn<br />

31.3.20<strong>19</strong> Wien (Staatsoper), Orest. Musiktheater<br />

in sechs Szenen, Musikal. Leitung: Michael<br />

Boder, Regie/Bühne/Licht: Marco Arturo Marelli<br />

(Weitere Termine: 5., 7., 10.4.20<strong>19</strong> Livestream:<br />

Vorstellung vom 5.4.20<strong>19</strong>) +++ 29./30.6.20<strong>19</strong> Bad<br />

Kissingen (Liederwerkstatt), Neues Werk für Mezzosopran<br />

und Klavier (Uraufführung)<br />

Ľubica Čekovská<br />

22.7.20<strong>19</strong> Bratislava, Piano Concerto, Miki Skuta<br />

(Klavier), Slovak Youth Orchestra, Leitung: Benjamin<br />

Bayl (auch 26.7. Prag, 28.7.20<strong>19</strong> Berlin )<br />

Rudolf Kelterborn<br />

5.5.20<strong>19</strong> Basel (Pantheon), Musica luminosa per<br />

orchestra, Basel Sinfonietta, Leitung: Baldur<br />

Brönnimann +++ 7.9.20<strong>19</strong> Luzern (Festwochen),<br />

Duett für Oboe und Englischhorn, Heinz Holliger<br />

(Oboe), Marie-Lise Schüpbach (Englischhorn)<br />

+++ 24.11.20<strong>19</strong> Mosbach (Klassische Konzerte),<br />

Klavierstück 7 für zwei Klaviere („Quinternio“).<br />

Klavierduo Soós / Haag<br />

Thomas Daniel Schlee<br />

<strong>19</strong>.5.20<strong>19</strong> Sailauf (Kirche St. Vitus), Sicut ros Hermon<br />

op. 74/1, Martin Patzlaff (Orgel) +++ 5.7.20<strong>19</strong><br />

Ossiach, Stiftskirche (Eröffnung Festival Carinthischer<br />

Sommer), Choralvorspiele op. 18, Emma<br />

Black (Oboe), Davide Mariano (Orgel)<br />

]<br />

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