12.04.2019 Aufrufe

Sampler / dérive - Zeitschrift für Stadtforschung, Heft 75 (2/2019)

Der Wiener Nordwestbahnhof ziert die Titelseite der 75. Ausgabe von dérive. In einigen Jahren wird er verschwunden sein, wie andere Logistikareale vor ihm. Grund genug seine wechselvolle Geschichte zu erzählen. In aller Munde ist die Kampagne »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«, Andrej Holm beleuchtet für dérive die Hintergründe. Ein weiterer Text über das Wohnungswesen analysiert das aus kritischer Perspektive viel zu wenig beachtete Modell der Vorsorgewohnungen. Darüberhinaus stellen wir Protestbewegungen in Wien (Donnerstagsdemos) und Budapest vor. Die reichhaltige Samplerausgabe bietet weiters Texte über die Raumpolitik in der Türkei, Krieg und artifiziellen Städtebau sowie Fahrradbotendienste im Zeitalter des Plattformkapitalismus. Das Heft kann hier https://shop.derive.at/collections/einzelpublikationen/products/sampler-heft-75-2-2019 bestellt werden.

Der Wiener Nordwestbahnhof ziert die Titelseite der 75. Ausgabe von dérive. In einigen Jahren wird er verschwunden sein, wie andere Logistikareale vor ihm. Grund genug seine wechselvolle Geschichte zu erzählen. In aller Munde ist die Kampagne »Deutsche Wohnen & Co. enteignen«, Andrej Holm beleuchtet für dérive die Hintergründe. Ein weiterer Text über das Wohnungswesen analysiert das aus kritischer Perspektive viel zu wenig beachtete Modell der Vorsorgewohnungen. Darüberhinaus stellen wir Protestbewegungen in Wien (Donnerstagsdemos) und Budapest vor. Die reichhaltige Samplerausgabe bietet weiters Texte über die Raumpolitik in der Türkei, Krieg und artifiziellen Städtebau sowie Fahrradbotendienste im Zeitalter des Plattformkapitalismus. Das Heft kann hier https://shop.derive.at/collections/einzelpublikationen/products/sampler-heft-75-2-2019 bestellt werden.

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Kunstinsert<br />

Sonja Gangl<br />

Transport und Transformation<br />

Auch wenn wir die Arbeit von Sonja Gangl schon lange kennen und schätzen, entstand die Idee,<br />

die Künstlerin <strong>für</strong> ein <strong>dérive</strong>-Insert einzuladen, konkret letztes Jahr in Zusammenhang mit ihrer<br />

Ausstellung in der Galerie Krobath. Dort zeigte Sonja Gangl bestechend minutiöse Bleistiftzeichnungen<br />

von Kartonkisten, geschlichteten Kartons, Plastiksäcken, Weggeworfenem, das als<br />

Verpackung gedient hatte. Diese auf Fotografien beruhenden Sujets, denen normalerweise<br />

keine Aufmerksamkeit zukommt, transformierte sie in eine völlig neue Ästhetik, die den dargestellten<br />

Objekten eine unerwartete Bedeutung zukommen lassen.<br />

Sonja Gangl bezieht sich in ihrer Arbeit immer wieder auf die Tradition von Stillleben,<br />

wobei sie besonders die kontrastreichen Bilder des spanischen Malers Juan Sánchez Cotán vom<br />

Beginn des 17. Jahrhunderts faszinieren. In ihren neueren Stillleben sind Verpackungen oder<br />

Überreste der eigentlichen Konsumobjekte, die den Überfluss unserer Zivilisation bzw. die lange<br />

Reise der abwesenden Objekte in den Vordergrund stellen, das eigentliche Thema. Dabei wird<br />

die einzigartige Akribie ihres Bleistiftstriches zum Stilmittel, das den Sujets – kontrastierend<br />

zum Nichtwert der Objekte – <strong>für</strong> den Betrachter einen Wert verleiht.<br />

In ihrem Beitrag <strong>für</strong> <strong>dérive</strong> finden wir auf der Front- und Rückseite ein Netz, wie wir es<br />

von großen Kartoffelsäcken kennen, bzw. das hier <strong>für</strong> Muscheln (Vongole) verwendet worden ist.<br />

Diese Netze sind aus starken Kunststofffasern gefertigt, die dann meist schwarz, blau oder orange<br />

eingefärbt werden. Auf der Mittelseite ist ein detailgetreu gezeichneter, deformierter Autoreifen<br />

zu sehen, dessen Unbrauchbarkeit durch eine möbius-schleifenartige Zusammenfaltung noch<br />

verstärkt wird. Auch hier hinterfragt die feine Struktur des Bleistiftstriches die Vergänglichkeit<br />

der dargestellten Objekte, die beide aus Erdöl gefertigt sind und als nicht verrottbar gelten.<br />

Bei Sonja Gangl geht es um den Transformationsprozess eines Fotos zur Zeichnung,<br />

der einen Bedeutungstransfer mit sich bringt. So steht in ihrem Wikipedia-Eintrag: »Dabei geht<br />

es um die Transformation von Bildinhalten vom Medium Film und Fotografie in das Medium<br />

Zeichnung. Die ›großformatigen Zeichnungen setzen sich nicht expressiv sondern konzeptuell<br />

mit anderen Medien auseinander: mit Film und Fotografie.‹«<br />

Diese Haltung erinnert uns auch an die Tradition der Fotorealisten der 1970er-Jahre,<br />

wobei ich hier im Besonderen an Rolf Goings Stillleben aus Ketchup-Flaschen und Salzstreuer<br />

einerseits und andererseits an den britischen Maler John Salt, der sich der Vergänglichkeit von<br />

Automobilen verschrieben hat, erinnern möchte. Doch Sonja Gangl benötigt keine großformatigen<br />

Ölbilder: Sie eröffnet eine neue Betrachtungsweise durch allerfeinste Strukturen, die sie<br />

mit dem bescheidenen Mittel eines monochromen Bleistifts erzeugt, und schafft es, damit<br />

komplexe Fragen zu unserem Konsumverhalten zu stellen.<br />

Sonja Gangl lebt und arbeitet in Graz und Wien. Sie hat an der Akademie <strong>für</strong> Bildende Künste in<br />

Wien (Meisterklasse Markus Prachensky) und an der Universität <strong>für</strong> angewandte Kunst Wien<br />

(Meisterklasse Ernst Caramelle) studiert. Die Künstlerin hat 2018 den Würdigungspreis des<br />

Landes Steiermark <strong>für</strong> bildende Kunst erhalten. Im Mai <strong>2019</strong> sind im Rahmen einer Einzelausstellung<br />

Arbeiten in der Galerie Artelier Contemporary in Graz (www.artelier-contemporary.at)<br />

zu sehen. Im Jänner 2020 gibt es dann – ebenfalls in Graz – eine große Personale im Künstlerhaus,<br />

Halle <strong>für</strong> Kunst & Medien. (www.sonjagangl.com)<br />

Barbara Holub / Paul Rajakovics<br />

32<br />

<strong>dérive</strong> N o <strong>75</strong> — <strong>Sampler</strong>

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