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SEE-LEUTE<br />
Der Bergbauernsohn aus Alberschwende in Vorarlberg war<br />
sechs Jahre alt, als er den Tod seiner Mutter erleben musste.<br />
Er wuchs mit seinen acht Geschwistern als Halbwaise<br />
auf; die älteste Schwester Elsa übernahm die mütterlichen<br />
Aufgaben im Haus. Ein Stipendium ermöglichte ihm den<br />
Besuch des Gymnasiums in Feldkirch. Nach dem Krieg begann<br />
er im Herbst 1946 in Innsbruck Medizin zu studieren.<br />
Er wurde zudem Leiter der Dekanatsjugend Innsbruck und<br />
begegnete vielen Kriegswaisen. Ihr Schicksal erschütterte ihn<br />
– auch wegen seiner eigenen Kindheitserfahrungen. Es kann,<br />
so dachte sich Gmeiner, doch nicht angehen, dass all diese<br />
Kinder in Waisenhäusern landen. „Es muss einen Weg geben,<br />
diese Kinder wieder hereinzuholen in die Gesellschaft,<br />
dieses Kind zu einem unsrigen zu machen“, sagte er einmal.<br />
Der Weg, den Hermann Gmeiner einschlug, war für die damalige<br />
Zeit geradezu revolutionär. Waisenkinder wurden<br />
damals in Massenunterkünften untergebracht, die eher<br />
Gefängnissen glichen und abschätzig „Erziehungskasernen“<br />
genannt wurden. Die Kinder litten unter Lieblosigkeit<br />
und brutaler Härte. Gmeiner setzte die Idee von familienähnlichen<br />
Einrichtungen mit einer kontinuierlichen<br />
Bezugsperson dagegen. Jedes verlassene, Not leidende<br />
Kind sollte wieder eine (Kinderdorf-)Mutter haben, mit<br />
Geschwistern aufwachsen und mit ihnen in einem Haus leben,<br />
das zu einem kleinen Dorf mit weiteren Familienhäusern<br />
gehört. „Und von diesem Dorf gehen sie dann hinaus<br />
in die große Welt“, beschrieb er seine Vision. Vorbild war<br />
übrigens das „Kinderdorf Pestalozzi“, das bereits 1944 bis<br />
1946 hauptsächlich für Kriegswaisen in der Schweizer Gemeinde<br />
Trogen AR entstanden war. Und 1947 wurde bei<br />
Stockach das „Pestalozzi Kinder- und Jugenddorf Wahlwies“<br />
gegründet – als erstes Kinderdorf in Deutschland.<br />
Von Imst in alle Welt<br />
Am 25. April 1949 gründete Hermann Gmeiner mit einem<br />
Kreis junger Frauen und Männer in Innsbruck den Verein<br />
„Societas Sociales“ (Soziale Gemeinschaft), der später in<br />
den Verein SOS-Kinderdorf umgewandelt wurde. Für den<br />
Start hatte Gmeiner persönlich nur 600 Schilling zur Verfügung.<br />
In der Tiroler Gemeinde Imst konnte er nach langer<br />
Suche ein Grundstück für das erste SOS-Kinderdorf kaufen.<br />
Die finanzielle Basis dafür stellte Mitstreiterin Maria Hofer<br />
mit dem Erlös eines Grundstückes in Igls (ca. 50.000 Schilling)<br />
zur Verfügung. 1951 konnten die ersten 40 Kriegswaisen<br />
im ersten Familienhaus aufgenommen werden. Es folgten<br />
weitere Häuser – bald auch jenseits der Landesgrenzen:<br />
Das erste SOS-Kinderdorf in Deutschland wurde 1956 in<br />
Dießen am Ammersee gebaut, 1963 entstanden erste SOS-<br />
Kinderdörfer in Asien und Lateinamerika.<br />
Hermann Gmeiner starb am 26. April 1986 im Alter von<br />
65 Jahren in Innsbruck. Bis heute umgibt den charismatischen<br />
Kinderdorf-Gründer ein Mythos, der ihn – wie<br />
Kritiker bisweilen anmerken – jahrelang zum ruhmreichen<br />
Übervater hochstilisierte, während Frauen auf ihre Mütterrolle<br />
festgelegt wurden. Aufsehen erregte 2014 eine<br />
Studie, die nachwies, dass es in der Gründerphase in<br />
SOS-Kinderdörfern auch Gewalt und Missbrauch gegeben<br />
habe. Die SOS-Leitung selbst hatte die Studie in Auftrag<br />
gegeben, um eine Aufarbeitung zu ermöglichen.<br />
Hilfe für 1,5 Millionen Menschen<br />
Über allem steht das große Ziel, die Welt ein bisschen<br />
besser zu machen. Auch nach Gmeiners Tod wird sein<br />
Lebenswerk fortgesetzt und weiterentwickelt. Noch zu<br />
Lebzeiten hat er 1985 den Chefposten an Helmut Kutin<br />
abgegeben, der selbst ein SOS-Kind aus dem ersten SOS-<br />
Kinderdorf in Imst war. 2012 wurde der Inder Siddharta<br />
Kaul zum neuen Präsidenten gewählt. Heute betreibt die<br />
SOS-Hilfsorganisation 572 Kinderdörfer, 744 Jugendbetreuungsprogramme,<br />
237 Kindergärten, 786 Sozialzentren<br />
und Programme für Familienhilfe, 70 medizinische<br />
Zentren, 38 Nothilfeprogramme, 185 Hermann-Gmeiner-<br />
Schulen und 104 Berufsausbildungszentren. Insgesamt<br />
unterstützt dieses Kinderhilfswerk nach eigenen Angaben<br />
weltweit rund 1,5 Millionen Kinder und Erwachsene. In<br />
der Bodenseeregion gibt es zwar kein traditionelles SOS-<br />
Kinderdorf, jedoch Wohngruppen für Jugendliche in Bregenz<br />
und Dornbirn.<br />
„Alle Wunder dieser Welt entstehen dadurch,<br />
dass einer mehr tut, als er tun muss.“<br />
Eine solche Organisation kann natürlich nur dann erfolgreich<br />
Hilfe leisten, wenn sie zahlreiche Förderer hat. „Es<br />
gibt viele Möglichkeiten, sich zu engagieren, zum Beispiel<br />
mit Einzelspenden oder mit Patenschaften“, erklärt Hermann<br />
Kley aus Konstanz, der sich als ehrenamtlicher Berater<br />
für die SOS-Kinderdörfer einsetzt. Denn er und seine<br />
Frau seien, wie er sagt, in intakten Familien mit mehreren<br />
Geschwistern aufgewachsen und in der Gesellschaft ordentlich<br />
vorangekommen. „Wir wollen etwas zurückgeben<br />
von dem, was wir erreichen konnten“, sagt Kley, der sich<br />
in vielerlei Hinsicht sozial engagiert. Bei den SOS-Kinderdörfern<br />
sei er vom Sinn, von der Notwendigkeit und vom<br />
Konzept überzeugt.<br />
www.sos-kinderdorf.de<br />
www.sos-kinderdoerfer.de<br />
TEXT: RUTH EBERHARDT<br />
FOTO (GROSS): ALEXANDER GABRIEL/SOS-KINDERDÖRFER WELTWEIT;<br />
FOTO (KLEIN): SOS-ARCHIV/SOS-KINDERDÖRFER WELTWEIT<br />
Hermann Gmeiner<br />
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