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Juli/August 2019 - coolibri Hamm, Unna, Hagen

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THEMA<br />

E S S E N<br />

Der Fußball im<br />

Bankschließfach<br />

In einem BankschließfachinEssen ruht derSchatzvon PeterSchreiber.<br />

Der Friseurmeister öffnet das Fach nurselten,<br />

und wenn, dann nurmit Baumwoll-Handschuhen. Der<br />

Schatz im Schließfach stammt ausdem Jahr 1954, ist rund,<br />

gehört ins Eckige und trägt 15 Unterschriften von Fußball-<br />

Heroen, diebei der WM von1954 dabeiwaren.Beimlegendären<br />

„Wunder vonBern“.<br />

1954 war Schreiber drei Jahrealt. Sein Vater<br />

fuhrzur WM nach Bern,der kleine Peterblieb zu<br />

HauseinGelsenkirchen. MitinPapas Gepäck:<br />

eineigensgekaufter Fußball,ähnlich desdamaligenTurnierballes.„Mein<br />

Vaterwar einganzgroßerFußballfan“,<br />

sagt Schreiber,der als FriseurmeisterinEssen<br />

eineigenes Geschäft hat, „und<br />

er kannte denBerni Klodtpersönlich.<br />

Derkam ja auch aus<br />

Gelsenkirchen.“<br />

Bernhardt„Berni“ Klodtgehörte<br />

zurdeutschen Fußball-Nationalmannschaft<br />

von1954. Im Finale<br />

saßerallerdingsauf derErsatzbank.Erhätte<br />

alsovielleichtZeit<br />

gehabt, denBall fürUnterschriftenherumzureichen.<br />

Schreiber:<br />

„MeinPapahat mir erzählt,dass<br />

derinder Halbzeit dieUnterschriftenbekommen<br />

hat.“<br />

Unbestätigt, aber<br />

wahrscheinlich<br />

Fußball-Artefaktewie derBall<br />

vonPeter Schreiber erinnernan<br />

eine Periode, in derFußball noch<br />

nichtsostark wieheute inszeniertwurde.Vielleichtist<br />

das<br />

„Wundervon Bern“auch deshalb<br />

heute noch wichtig. Nach<br />

demWM-Sieg 1954 feierten viele<br />

Deutschendie Wiedergeburt<br />

desSelbstbewusstseins. Man<br />

war wieder wer–undhatte das<br />

Gefühl, es auch wieder sein zu<br />

dürfen.Zudemkam derSiegunerwartet.Deutschland<br />

hattevor<br />

demFinalegezittert.Dennbereitsimzweiten<br />

Spielder WM<br />

hattedie „Goldene Elf“, wiedie<br />

Ungarn damals ihre Nationalmannschaft<br />

nannten, Deutschland<br />

mit8:3 vomPlatz gefegt.<br />

Und im Finale führtUngarnlange<br />

2:0. AlsUnderdog gelang es<br />

Deutschlanddann doch noch irgendwie,<br />

drei Tore zu schießen.<br />

18<br />

„MeinPapa hat<br />

mir erzählt,dass<br />

der in derHalbzeit<br />

dieUnterschriften<br />

bekommen hat.“<br />

Vielleichterklärtauch dasdie Faszination, die<br />

60 Jahre alte Fußbällemit verblassendenUnterschriftenheute<br />

noch auslösen können.Ansgar<br />

Molzberger istDozent an derSporthochschule<br />

Köln.Erweiß: „18- oder 19-jährige Studenten<br />

kennen heute dieWMvon 1954,imGegensatz<br />

zu dervon 1974.Die istvergessen.“<br />

PeterSchreiber hält einenSchatzvon 1954 in denHänden.<br />

Doch kann derBall vonPeter Schreiber echt<br />

sein? DieUnterschriften? Undwarum interessiertdas<br />

heuteüberhauptnochjemanden, 64<br />

Jahredanach? Möglichwär’s –einen handfestenBeweishat<br />

Schreiber nicht.<br />

Wenn es eine InstitutioninDeutschland gibt,<br />

diePeter SchreibersBallbeurteilenkann,dann<br />

istesdas Deutsche Fußballmuseum<br />

in Dortmund.Schließlich<br />

liegtdortder echteBall desFinalesvon<br />

1954,ineiner eigenen<br />

Abteilung,hinterSpezialglas.<br />

Manuel Neukirchnerist derDirektor<br />

desDeutschen Fußballmuseums.Erfindet:<br />

„DieGeschichte<br />

können wirIhnen natürlichsonicht<br />

bestätigen,wir<br />

halten siejedochauch nichtfür<br />

unwahrscheinlich.“<br />

Im Fußball wird nichtnur viel gekickt,<br />

sondernauch viel geredet.<br />

Weil es eine Beschäftigungist,<br />

über dieman eben viel reden<br />

kann.Esmacht halt mehr Freude,überFußball<br />

zu fachsimpeln<br />

als über dieeigenen Finanzen<br />

oder dieRente.Und wirklich jederkann<br />

mitreden.DennFußball<br />

isteinfach.<br />

Manbrauchteigentlich keinen<br />

DFB, keineFIFAund auch kein<br />

Fußballmuseum, um Freude am<br />

Fußball zu haben.Man braucht<br />

nureinen Ball,ein paar Kumpels<br />

undzweiRucksäckeals Tor. JederNeunjährige<br />

kann sich so an<br />

derBewegungund an dereigenenLeistungberauschen.<br />

Kann<br />

davonträumen,einmal Fußballprofizuwerden.Ganzegal,<br />

wo<br />

er herkommt oder wasdie Eltern<br />

verdienen. Vielleichtist das<br />

auch einGrund,warum Relikte<br />

wiePeter SchreibersBall in einemSchließfach<br />

aufbewahrt<br />

werden.<br />

TimMüßle<br />

Foto: Tim Müßle

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