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SJ-Sep-2019

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die eigenen Bürger nutzen. Insgesamt glaubten die Kärlicher<br />

auch, in ihrer Gemeinde eine fortgeschrittenere Infrastruktur<br />

verwirklicht zu haben als die Mülheimer. Diese Vorzüge sah<br />

man gefährdet, wenn die kleinere Gemeinde Kärlich mit der<br />

größeren Mülheim vereinigt würde, so dass auch das Abstimmungsgewicht<br />

der Kärlicher Vertreter in einem gemeinsamen<br />

Gemeinderat stark reduziert würde. Unter Berücksichtigung<br />

dieser Aspekte war man überzeugt, für die Bürger Kärlichs keinen<br />

Vorteil aus einem Zusammenschluss erwarten zu können.<br />

„Der Bürgermeister freute sich über die Meinung der Einwohner.<br />

Er erklärte sich bereit, sich auch weiterhin für die Bevölkerung<br />

einzusetzen, auch gegen die Fraktionen in Mainz.“<br />

Doch schon in der Sitzung am 4.2.1969 wurde in Kärlich<br />

bekannt gegeben, „dass mit der 6. Ergänzung des Verwaltungsgesetzes<br />

des Landes Rheinland-Pfalz<br />

der Zusammenschluss der Gemeinde Kärlich<br />

mit der Gemeinde Mülheim beschlossen<br />

worden ist“.<br />

Damit waren endgültige Tatsachen von<br />

oben her geschaffen. Einige Mitglieder<br />

im Gemeinderat Kärlich waren empört, so<br />

dass sogar erwogen wurde, eine Verfassungsklage<br />

gegen die Verordnung anzustrengen.<br />

Während die Mülheimer sich mit<br />

der neuen Situation abgefunden hatten,<br />

konnte man sich im Kärlicher Gemeinderat<br />

nicht so leicht beruhigen. In der nächsten<br />

Sitzung vom 5.3.1969 wurde unter „Mitteilung<br />

der Verwaltung“ vom „schwärzesten<br />

Tag in der über 1000 Jahre alten Geschichte<br />

der Gemeinde Kärlich“ und von „Willkür“ der Landtagsabgeordneten<br />

gesprochen. Mit Mehrheit beschloss man,<br />

eine Verfassungsklage zu erheben. Dieser Beschluss wurde<br />

aber später nicht mehr aufgegriffen, da es der Regierung in<br />

Mainz gelungen war, die Ratsmitglieder von der Aussichtslosigkeit<br />

des Vorhabens zu überzeugen.<br />

Als sich nach einigen Wochen die Wogen der Empörung geglättet<br />

hatten, dachte man schon über den Namen der neuen Großgemeinde<br />

nach. Im Kärlicher Gemeinderat votierte man für die<br />

Bezeichnung „Kärlich“; sollte man sich darauf mit den Mülheimern<br />

nicht einigen können, wollte man die Neuschöpfung „Kirschheim“<br />

vorschlagen. In der nächsten Ratssitzung vom 1.4.1969<br />

standen dann nur noch die Vorschläge „Kärlich“ und erstmals ein<br />

Doppelname, nämlich „Kärlich-Mülheim“, zur Debatte.<br />

Andererseits entschied sich der Gemeinderat Mülheim in seiner<br />

Sitzung vom 2.4.1969 für den Vorschlag „Mülheim-Kärlich“.<br />

Die endgültige Festlegung traf aber auch in diesem Fall die<br />

Landesregierung; denn am 12.5.1969 gab der erste Beigeordnete<br />

des Gemeinderates Mülheim, Philipp Heift, lapidar<br />

bekannt: „Der Innenminister hat am 28.4.1969 den Namen der<br />

neuen Gemeinde bestimmt. Der neue Name heißt: MÜLHEIM-<br />

KÄRLICH; es wurde am 4. Mai im Staatsanzeiger verkündet.“<br />

Dass man sich schließlich bald auf beiden Seiten mit den<br />

neuen Gegebenheiten abgefunden hat, ergibt sich nicht<br />

zuletzt daraus, dass beide Gemeinderäte den „Auseinandersetzungsvertrag<br />

zwischen den Gemeinden Mülheim – Kärlich“<br />

nach einigen geringfügigen Änderungen problemlos ratifiziert<br />

haben. Andererseits wurde die Empörung über den ungewollten<br />

Zusammenschluss in Kärlich noch dadurch für die<br />

Öffentlichkeit sichtbar gemacht, dass der Bürgermeister die<br />

Ortsfahne mit einem Trauerflor während der letzten Tage der<br />

Selbständigkeit der Gemeinde auf Halbmast setzen ließ.<br />

Am 11. Juli 1969 trat erstmals der am 9.6.1969 neu gewählte<br />

Gemeinderat der neuen Großgemeinde Mülheim-Kärlich<br />

zusammen. Er wählte Philipp Heift (CDU) aus dem Ortsteil Mülheim<br />

zum ersten Bürgermeister, erster Beigeordneter wurde<br />

Ludwig Hahn (SPD) aus Mülheim, zweiter Beigeordneter Viktor<br />

Flöck (CDU), bisheriger Bürgermeister von Kärlich. Am 28.<br />

Januar beschloss der Rat die Festlegung eines neuen Gemeindewappens:<br />

„In Silber zwei schräggekreuzte Bischofsstäbe,<br />

belegt mit einem roten Balkenkreuz, in<br />

dessen Mitte ein silbernes Mühleisen.“<br />

Man kann feststellen, dass die Zusammenarbeit<br />

der Ratsmitglieder nach näherem<br />

Kennenlernen immer besser und problemloser<br />

verlief, wenn es auch noch einige Jahre<br />

gedauert hat, bis das Ortsteildenken in den<br />

politischen Gremien keine Rolle mehr spielte.<br />

Dazu hat auch beigetragen, dass von 1991<br />

bis 2004 als Nachfolger von Philipp Heift der<br />

aus Kärlich stammende Rudolf Oehlig zum<br />

Bürgermeister der Gemeinde bzw. seit 1996<br />

der Stadt gewählt worden ist.<br />

Und die Bewohner der beiden<br />

ehemals selbständigen Orte?<br />

Für sie haben sich die geschilderten Ereignisse und deren<br />

Folgen kaum nennenswert bemerkbar gemacht. Drei Ortsteile,<br />

nämlich Mülheim, Kärlich und Urmitz-Bahnhof, und der<br />

Gewerbepark Depot wurden nun ausgewiesen. Auch einige<br />

wenige Straßen mussten nach dem Zusammenschluss wegen<br />

Doppelbenennung neu bezeichnet werden, so erhielten Waldstraße,<br />

Auf dem Nippes, Stationsweg, Clemensstraße und Blumenstraße<br />

ihre heutigen Namen. Viele Vorbehalte und Ängste<br />

haben sich als unbegründet erwiesen. Das Rathaus befand<br />

sich jetzt für alle Einwohner in Mülheim; aber auch im Kärlicher<br />

Gemeindebüro fanden Sprechstunden statt, und man konnte<br />

sich wie vorher an den jeweiligen Bürgermeister, nun an den<br />

neuen volksnahen Ortsvorsteher oder den bekannten Beigeordneten<br />

aus dem eigenen Ortsteil wenden, wenn Anliegen<br />

oder Fragen anstanden. So kann man sagen, dass die Existenz<br />

der einen Gemeinde bzw. seit 1996 Stadt „Mülheim-Kärlich“<br />

sehr bald zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Auch die<br />

bisher ortsteilbezogenen Vereine öffnen sich immer mehr für<br />

Mitglieder aus dem jeweils anderen Stadtteil. Die Bevölkerung<br />

fühlt sich wohl in einem überschaubaren, ökonomisch erfolgreichen<br />

und selbstbewussten Gemeinwesen, das durch den<br />

Zusammenschluss zweier alter Gemeinden auch in Verbandsgemeinde<br />

und Kreis an Bedeutung gewonnen hat.<br />

Winfried Henrichs<br />

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