PC_10_2019_FINAL_X1
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UNTERWEGS MIT EF<br />
© Getty Images<br />
Exprofi Tom Southam<br />
ist Sportlicher Leiter bei<br />
EF Education First. Bei<br />
der Tour dirigiert er die<br />
Fahrer, wenn sie in einer<br />
Ausreißergruppe sind,<br />
und er ist für die Logistik<br />
zuständig. Hier erinnert<br />
er sich an prägende<br />
Momente der Tour<br />
de France <strong>2019</strong>.<br />
WOCHE EINS<br />
NIEMAND SAGT<br />
SO RESOLUT<br />
UND MIT SO VIEL<br />
ENDGÜLTIGKEIT<br />
„NON“ WIE EIN<br />
MÜRRISCHER<br />
GENDARM.<br />
Freitag, 5. Juli – der Vortag: Das Holiday Inn<br />
Brussels Airport ist das erste von 18 Hotels, in<br />
denen wir in den nächsten drei Wochen übernachten<br />
werden. Es ist ein nüchterner Durchgangsort<br />
für Geschäftsleute, und sechs Tage<br />
kommen einem hier wie eine Ewigkeit vor. Die<br />
Tage vor dem Rennen sind eine endlose Flut von<br />
administrativen Aufgaben und Presseinterviews.<br />
Obendrein sind alle gestresst und scheinen nach<br />
ihrer Akkreditierung zu suchen. Ehrlich gesagt<br />
nutze ich meine nur, um mir das Brathähnchen<br />
und die Pommes zu holen, die es im Village<br />
Départ gibt, aber dann sitze ich die meiste Zeit<br />
im Auto. Doch die Tour ist das eine Rennen, bei<br />
dem es zu einem Problem werden kann, wenn<br />
man nicht das richtige Stück Kunststoff um den<br />
Hals baumeln hat, daher darf man sich schon Sorgen<br />
machen, wo es ist. Niemand sagt so resolut<br />
und mit einer solchen Endgültigkeit „non“ wie ein<br />
mürrischer, unter der Hitze leidender Gendarm.<br />
Samstag, 6. Juli – Grand Départ: Wenn sie<br />
im Ausland startet, zieht die Tour immer mehr<br />
Menschen an. Dass die Tour zum 50. Jahrestag<br />
von Eddy Merckx’ erstem Toursieg im radsportverrückten<br />
Belgien beginnt, führt dazu, dass<br />
Brüssel beim Grand Départ brechend voll ist. Große<br />
Mengen bedeuten viel Verkehr, was potenzielle<br />
logis tische Albträume bedeutet. Am Morgen der<br />
1. Etappe freue ich mich festzustellen, dass die<br />
Hauptverkehrsstraße für die Öffentlichkeit gesperrt<br />
ist, sodass die Teams mit dem Bus in die<br />
Stadt fahren können. Eine Polizeieskorte ist gut<br />
– eine ganze Schnellstraße für uns zu sperren ist<br />
noch besser.<br />
Montag, 8. Juli – 3. Etappe: Das Rennen ist<br />
im Gange. Die Nerven beruhigen sich und die<br />
Routine beginnt. In der ersten Woche kommen<br />
die Ausreißergruppen selten durch und meine<br />
Hauptaufgabe im zweiten Mannschaftswagen<br />
ist, wach zu bleiben. Aber hin und wieder siehst<br />
du etwas, bei dem du dich fragst, ob du das jetzt<br />
wirklich gerade gesehen hast. Im Schlussanstieg<br />
der 3. Etappe nach Epernay kam ich an einem<br />
perplexen Zuschauer vorbei, der in einem Weinberg<br />
stand und eine Colnago-Rennmaschine in<br />
den Teamfarben von UAE Emirates festhielt. Ein<br />
Blick in den Rückwinkel bestätigte, dass kein<br />
UAE-Wagen folgte, was hieß, dass der genannte<br />
Zuschauer sich wohl fragte (genau wie ich), welche<br />
Verkettung von Ereignissen dazu geführt<br />
hatte, dass man Fabio Aru ein Ersatz-Colnago<br />
gegeben hatte, ohne das defekte Rad mitzunehmen.<br />
Ich bin überrascht, dass der Fan so ehrlich<br />
war, bis dahin nicht damit abgehauen zu sein.<br />
Freitag, 12. Juli – 7. Etappe: Lustiges im Äther<br />
heute. Mit 230 Kilometern war die Etappe von<br />
Belfort nach Chalon-sur-Saône die längste und<br />
bisher einschläferndste. Stéphane Rossetto und<br />
Yoann Offredo waren den ganzen Tag mit zwei<br />
Minuten Vorsprung vor dem Feld hergefahren und<br />
hatten nicht den Hauch einer Chance, es ins Ziel<br />
zu schaffen. Aber rund 60 Kilometer vor dem<br />
Ziel kam plötzlich Leben in Radio Tour und die<br />
Stimme des Rennens, Seb Piquet, verkündete den<br />
Zeitabstand mit 14 Minuten 45 Sekunden. Für<br />
den Bruchteil einer Sekunde fingen die Mannschaftswagen<br />
an, aus dem Konvoi auszuscheren,<br />
da alle halb dösenden Sportlichen Leiter einen<br />
„Was zum Teufel ist jetzt los“-Moment hatten.<br />
Monsieur Piquet meldete sich gleich wieder und<br />
teilte mit, er habe einen Scherz gemacht und der<br />
Abstand betrage immer noch zwei Minuten. Oh,<br />
was haben wir gelacht. Trotzdem fühlte es sich<br />
an wie ein Arzt, der einen Witz macht, wenn er<br />
dir die Untersuchungsergebnisse sagt.<br />
Viel Platz im Kofferraum ist bei<br />
der Tour de France unerlässlich.<br />
70 PROCYCLING | OKTOBER <strong>2019</strong>