Programmheft
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
68.<br />
Preisträger Wim Wenders ist<br />
mit seinem neuesten Spielfilm<br />
„Land of Plenty“ und dem knapp<br />
fünfstündigen Directors Cut des<br />
Films „Bis ans Ende der Welt“<br />
vertreten<br />
2004 2008<br />
DEN MENSCHEN VERTRAUEN<br />
Nun denke ich das auch heute noch: Dass dem<br />
Publikum regelmäßig von den ProgrammmacherInnen<br />
viel zu wenig zugetraut wird, ihm viel zu wenig<br />
vertraut wird, viel zu selten auf dessen Neugier und<br />
Flexibilität gesetzt wird. Und zwar durch die immer<br />
wieder sich selbst erfüllende Prophezeiung, nach<br />
der es im deutschen Fernsehen deshalb so viele<br />
Krimis geben müsse, weil die meisten so gerne Krimis<br />
sehen würden oder im deutschen Kino fortlaufend<br />
Komödien, am besten Wiederholungen der schon<br />
einmal erfolgreichen Komödien ... Dagegen gilt „Man<br />
kann den Menschen vertrauen“ – um ein Bonmot<br />
von Alexander Kluge zu zitieren. Es ist also ganz<br />
richtig, statt der vielen üblichen Filme, die auf einen<br />
„mittleren Realismus“ (Kluge) eingedampft sind, nach<br />
Filmwerken zu suchen, die authentisch und persönlich<br />
und auch ehrlich sind gegenüber der Kultur, aus der sie<br />
kommen. Die nicht primär darauf aus sind, weltweit<br />
gleich gut und gleich schnell verstanden zu werden<br />
(wie leider heute auch die meisten „modernen“<br />
Serien), sondern künstlerische Unikate sind.<br />
Aber es gibt ein wichtiges Element, das nie fehlen darf,<br />
wenn man Filme dieser Art sucht und auswählt: ein<br />
ehrliches Gefühl der Verantwortung, ein Gewissen,<br />
wenn man so will. Dieses Element des Gewissens<br />
freilich ist deutlich weniger oft anzutreffen als es<br />
angemessen wäre. Wenn auch oft ohne böse Absicht.<br />
Denn es zu haben, setzt eine gewisse Reife des<br />
Entscheidens voraus, eine Qualität des Abwägens,<br />
die ich jedenfalls erst mühsam lernen musste. Worin<br />
besteht dieses Abwägen? Zunächst in einer an sich<br />
ganz einfachen Frage, die man sich als Entscheider<br />
selbst stellen muss: Würde ich das Werk persönlich<br />
gern auch noch ein zweites Mal sehen? Lautet die<br />
Antwort „Nein, dazu hätte ich keine Lust“, dann gilt es,<br />
eine zweite Frage anzuschließen, deren Beantwortung<br />
allerdings schon deutlich schwieriger ist: „Mag ich den<br />
„Fünf Frauen lesen<br />
Truffauts Die Amerikanische<br />
Nacht“ mit<br />
Johanna ter Steege,<br />
Nina Hoger,<br />
Anna Thalbach,<br />
Leslie Malton &<br />
Carola Regnier<br />
Filmemacher Edgar Reitz ist Mitglied der<br />
Internationalen Jury<br />
Atom Egoyan, der 1984 seinen ersten<br />
Film als Newcomer in Mannheim<br />
präsentierte, kehrt zurück und wird<br />
als Master of Cinema geehrt<br />
Im 57. Jahr wird erstmals der Filmkulturpreis<br />
vergeben und die Filme mit<br />
deutschen Untertiteln gezeigt<br />
2009r<br />
Film persönlich deshalb nicht, weil er eine Aversion berührt,<br />
ein individuelles Tabu, eine ganz persönliche Angst oder<br />
Abneigung?“ Wenn das so ist, dann sollte der Film – in dubio<br />
pro reo – dennoch gezeigt werden. Denn der Entscheider ist<br />
im klassischen Sinne der Juristen befangen. Stelle ich aber<br />
bei mir bei bestem Willen keine solche Befangenheit fest,<br />
dann wäre es falsch, den Film zu zeigen – jedenfalls, wenn<br />
man seiner eigenen Urteilskraft vertraut. Denn dann sind<br />
die Gründe, den Film zu zeigen, im wahren Sinne äußerlich<br />
und nicht wahrhaftig. Dann liegen sie beispielsweise in einer<br />
Angst begründet davor, sich einem Trend zu verweigern, der<br />
gerade Mode ist, einer Zuschauergruppe, deren Beifall man<br />
haben möchte, manchmal auch der Gefälligkeit gegenüber<br />
GeldgeberInnen, befreundeten FilmproduzentInnen oder<br />
VerleiherInnen – und vieles andere mehr. Denn je länger<br />
man Programmverantwortlicher ist, desto größer und<br />
stärker werden diese äußeren Faktoren der Einflussnahme.<br />
Ich könnte auch „Ehrlich währt am längsten“ sagen, ehrlich<br />
mit sich selbst. Und meine Erfahrung sagt: Je größer diese<br />
Ehrlichkeit mit sich selbst, die manchmal viel Mut verlangt,<br />
desto größer die Freude des Publikums. Da gibt es nämlich<br />
eine geheime Verbindung, einen heimlichen Austausch –<br />
echte Glaubwürdigkeit gegen echte Begeisterung.<br />
Diese Grundhaltung muss für jede/n MitarbeiterIn des<br />
Programmbereiches gelten, die/der als „ProgrammerIn“<br />
oder im Auswahlkomitee tätig ist, in besonderem Maße<br />
aber für diejenige bzw. denjenigen, die/der die letztendliche<br />
Verantwortung für das Programm trägt, den Künstlerischen<br />
Direktor, die Direktorin. Nie dürfen die sich hinter dem Team<br />
verstecken. Denn auch wenn das demokratisch und uneitel<br />
aussieht, so bedroht es doch substanziell das Element der<br />
glaubwürdigen Verantwortung. In der Folge erkennt das<br />
Publikum, wie so oft bei Filmfestivalprogrammen, bei denen<br />
viele ProgrammerInnen jede/r für sich einen Bereich entscheiden,<br />
dann auch keine Handschrift und keine Verantwortung mehr.<br />
Auch ein Filmfestival muss ein Werk sein, wie der einzelne Film:<br />
authentisch, ehrlich und persönlich verantwortet.<br />
7<br />
2003