casanostra 153 - November 2019
Wider die Rumpelkammern – Ein Selbstversuch | Eidg. Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen»: Casafair empfiehlt ein deutliches Ja | Heisses Wasser vom Hausdach: Ein Plädoyer für thermische Solaranlagen | Serie «Wohnen im Alter»: Gemeinschaftliches Wohnen als Zukunftsmodell
Wider die Rumpelkammern – Ein Selbstversuch | Eidg. Initiative «Mehr bezahlbare Wohnungen»: Casafair empfiehlt ein deutliches Ja | Heisses Wasser vom Hausdach: Ein Plädoyer für thermische Solaranlagen | Serie «Wohnen im Alter»: Gemeinschaftliches Wohnen als Zukunftsmodell
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
thema__ENTRÜMPELN_5<br />
Erleichtert!<br />
Ausmisten, Entrümpeln und Aufräumen – diese unangenehmen Alltagspflichten<br />
sind in letzter Zeit richtig trendy geworden. Auch <strong>casanostra</strong>-Autorin Mirella<br />
Wepf wurde vom Zeitgeist erfasst. Zu ihrer eigenen Überraschung hat sie innerhalb<br />
eines Jahres 3000 Gegenstände aus ihrer Wohnung spediert. Der Bericht<br />
ihres Selbstversuchs.<br />
WIEDER SCHÖNER WOHNEN<br />
f<br />
Tausend und eine<br />
Sache! All diese Gegenstände<br />
hat unsere<br />
Autorin innerhalb eines<br />
Jahres weggegeben.<br />
Taschenaschenbecher,<br />
Voodoo-Zwerge, unbenutzte<br />
Gartenlaternen<br />
und vieles, vieles<br />
mehr …<br />
Fotos_Mirella Wepf<br />
__Eines Tages hallte eine Art Urschrei durch meine<br />
Wohnung: «Maaaaannn! Mir hend sones Puff! Ich<br />
drääie jetzt denn dure!!!!» Dieses Gejammer erklang<br />
natürlich nicht zum ersten Mal. Und mir ist klar, dass<br />
es vielen so geht: Auf den Tischen sammeln sich Unterlagen,<br />
die gelesen, beantwortet oder bezahlt werden<br />
müssten. Kaum ist die Waschmaschine geleert,<br />
ist der Wäschekorb wieder voll. Im Gang stolpert man<br />
über Schulranzen und Schuhe oder über die Tasche<br />
mit den leeren Flaschen, die zur Sammelstelle gebracht<br />
werden sollten.<br />
Also alles ganz normal. Und doch: Mir war einfach<br />
nicht mehr wohl. Deshalb beschloss ich, meinem<br />
fortwährenden Kampf mit der Materie etwas<br />
Neues entgegenzusetzen. Eines war mir klar: es<br />
musste etwas sein, das ich zeitlich und energietechnisch<br />
schaffen würde. Denn: Es mag Leute geben, die<br />
sich für eine Entrümpelungsaktion einen Tag oder<br />
zwei freischaufeln können. Ich nicht. Auch fehlt mir<br />
ganz und gar die Lust dazu.<br />
Ein Ding pro Tag muss weg<br />
Also beschloss ich, klein anzufangen und ab sofort<br />
jeden Tag etwas aus meinem Haushalt zu entfernen.<br />
Die Aussicht, dass ich so innerhalb eines Jahres 365<br />
Gegenstände weniger haben würde, motivierte mich.<br />
Eine alte Zeitschrift hier, ein paar verstaubte Kosmetik-Gratismuster<br />
da, Kinderkleider an Kolleginnen<br />
weitergeben und und und …<br />
Aus Angst, dass ich den Drive verlieren würde,<br />
wenn ich einen Tag ausliesse, räumte ich auch dann<br />
etwas weg, wenn ich müde und spät nach Hause kam.<br />
Die Krimskramsschublade in der Küche war dann jeweils<br />
meine Rettung. Irgendeine verbogene Büroklammer<br />
oder ein spröd gewordenes Gümmeli fand<br />
sich dort immer.<br />
Aufschreiben hilft<br />
Der Zufall wollte es, dass ich einer Nachbarin von<br />
meinem neuen «Hobby» erzählte. Am Abend schickte<br />
ich ihr ein scherzhaftes SMS: «Heute die Gewürze<br />
ausgemistet. 6 Gläschen mussten weg. Ablaufdaten<br />
bleiben geheim.» Ihre Antwort: «Hihi, bei Gewürzen<br />
schockt mich gar nichts!» Und so rutschten wir für<br />
eine Weile in einen amüsanten Dialog. Wir tauschten<br />
Entsorgungsideen aus und kicherten leicht verschämt<br />
über die «gruusigen» Sachen, die wir beim<br />
Rumstöbern entdeckt hatten.<br />
Nach einer Weile schlief unser SMS-Chat ein, aber<br />
ich hatte dabei festgestellt, dass mir das Notieren der<br />
entsorgten Dinge Energie verschafft. Deshalb richtete<br />
ich mir auf der Notizen-App des Handys ein Entsorgungs-Tagebuch<br />
ein. Die Liste wuchs und wuchs.<br />
Und damit auch meine Energie. Nach kurzer Zeit entsorgte<br />
ich oft auch zehn oder zwanzig Dinge pro Tag.<br />
Meinem Mann wurde ganz bange. Vorsichtig fragte<br />
er: «Gäll, du hörsch denn scho wieder mol uuf?»<br />
Der Blick verändert sich<br />
Es war nie mein Plan, in eine ewige Putzwut zu verfallen.<br />
Aber wie ein Sportler, der nach ersten Anlaufschwierigkeiten<br />
immer mehr in Fahrt kommt, hatte<br />
ich plötzlich die Power, in Ecken zu schauen, die ich<br />
früher tunlichst ignoriert hatte. Eine vollgestopfte<br />
Schublade wurde nun nicht mehr möglichst schnell<br />
wieder verschlossen, sondern sie mutierte zum Projekt.<br />
Nach und nach arbeitete ich mich durch jedes<br />
Tablärli, Schublädli und Schränkli. Der Vorsatz «ein<br />
Ding pro Tag» half mir, konsequent dran zu bleiben,<br />
er trug aber auch dazu bei, dass ich mich nie überfordert<br />
fühlte, wenn ich neue Mist-Nester entdeckte –<br />
etwa uralte Ski, eine jahrzehntelang ungebrauchte<br />
Wollknäuelsammlung oder ungeöffnete Zügelkisten<br />
im Keller. Ich wusste: Das schaffe ich vielleicht nicht<br />
heute, aber bald.<br />
Das Internet, dein Freund und Helfer<br />
Im Internet stösst man auf eine immense Flut von<br />
Ratgeberseiten, Blogs, Buchtipps und Austauschforen.<br />
Das Gute daran: Ich fand einige vorgefertigte<br />
To-do-Listen für Entrümpelungsaktionen, die mich<br />
inspirierten. Aber die Erkenntnis, wie viele Menschen<br />
sich weltweit mit dem Thema Aufräumen und Entrümpeln<br />
beschäftigen, war auch ein Schock. Wo ums<br />
Himmels Willen sind wir da eigentlich hingeraten!?<br />
>>><br />
<strong>casanostra</strong>_<strong>153</strong> / <strong>November</strong> <strong>2019</strong>