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»Dem Computer ist es egal, wie komplex die

Rechnung für eine treffende Vorhersage ist«

(Jürgen Hoyer)

scheidung zu Stande kommt«, sagt Jürgen Hoyer.

»Gleichwohl können Algorithmen bessere

Entscheidungen treffen, als wenn der Therapeut

nach seinen persönlichen Einschätzungen und

Werthaltungen entscheidet, welche Therapie ein

Patient erhalten soll.«

Geht in der Psychiatrieambulanz in Trier

eine Psychotherapie erst einmal ihren Gang,

nimmt Wolfgang Lutz mit seinem Therapienavigator

auch den Verlauf unter die Lupe. Zu diesem

Zweck füllen die Patienten in der Ambulanz

vor jeder Sitzung an einem Touchscreen im

Behandlungsraum einen Fragebogen aus. Dabei

geben sie unter anderem ihre Belastungen und

zwischenmenschlichen Probleme an.

Ungünstige Therapieverläufe erkennt Wolfgang

Lutz daran, dass die Therapieziele aus dem

Blick geraten: »wenn der Therapeut nicht mehr

gezielt an den Problemen arbeitet, sondern die

Therapie mehr zu einem normalen Gespräch geworden

ist«. Entwickelt sich die Therapie nicht

gut, erhält der Therapeut über den Navigator

ein Warnsignal und Hinweise, wie er die Therapie

wieder stärker fokussieren kann. Sinkt die

Motivation des Patienten, bekommt er passende

Maßnahmen vorgeschlagen.

Wie hilfreich so ein Feedback ist, demonstrierte

ein Team um den Psychologen Jaime Delgadillo

von der University of Sheffield bei mehr

als 2200 Patienten mit Depressionen beziehungsweise

Angststörungen. Die Patienten beurteilten

jede Woche vor der Therapiesitzung elektronisch

in einem Fragebogen die Schwere ihrer Symptome.

Für Untergruppen mit dem gleichen Schweregrad

berechneten Delgadillo und seine Kollegen

den zu erwartenden Therapieverlauf.

Software warnt vor

negativem Behandlungsverlauf

Bahnte sich ein ungünstiger Verlauf an, bekamen

die Therapeuten in der Feedback-Gruppe

ein Warnsignal über ein elektronisches Informationssystem,

und die betreffenden Patienten

profitierten davon. Zu diesem Ergebnis kam

auch eine Metaanalyse des Therapieforschers

Michael Lambert von der Brigham Young University.

»Therapie mit ständiger Verlaufskontrolle mag

aufwändig klingen«, sagt Wolfgang Lutz. »Aber

in England ist ein solches Rückmeldesystem bereits

Standard.« Dort werden im Rahmen des

Programms »Improving Access to Psychological

Therapies« die Fortschritte der Patienten dokumentiert

und an die Therapeuten zurückgemeldet.

In Deutschland sei das bislang nur an einzelnen

Standorten wie der Trierer Ambulanz üblich.

Jürgen Hoyer kann sich vorstellen, dass ein

solches Expertensystem in Zukunft von Therapeuten

genutzt wird. Die Akzeptanz hänge natürlich

davon ab, ob die Therapeuten und ihre

Patienten gute Erfahrungen damit machen. Man

müsse dafür sorgen, dass der Ansatz nicht zu

technokratisch erscheine. »Der ein oder andere

Patient könnte enttäuscht sein, wenn es im Therapiegespräch

mehr um nackte Zahlen als um

seine innersten Probleme geht.«

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