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ALfA e.V. Magazin – LebensForum | 123 3/2017

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tur einer pathogenen Genmutation in<br />

menschlichen Embryonen) lautet der für<br />

eine naturwissenschaftliche Publikation<br />

beinah schon triumphal anmutende Titel,<br />

die das Wissenschaftsmagazin »Nature«<br />

Anfang August (doi: 10.1038/nature23305)<br />

veröffentlichte. In ihr berichten<br />

Wissenschaftler der Oregon Health<br />

and Science University in Portland, es sei<br />

ihnen mit Hilfe der CRISPR/Cas9-Technologie<br />

erstmals gelungen, in 42 von 58<br />

menschlichen Embryonen ein mutiertes<br />

Gen erfolgreich zu korrigieren.<br />

Die Mutation, die auch als MYBPC3<br />

bezeichnet wird, kann eine hypertrophe<br />

Kardiomyopathie auslösen. Eine solche<br />

einseitige Verdickung des Herzmuskels<br />

kann dessen Pumpleistung verringern und<br />

<strong>–</strong> im schlimmsten Fall <strong>–</strong> zu einem plötzlichen<br />

Herzstillstand führen. Anders als<br />

die beiden Forscherteams aus China, deren<br />

Experimente noch als Fehlschläge betrachtet<br />

werden konnten, weil die Genscheren<br />

den DNA-Doppelstrang in den<br />

Embryonen auch an zahlreichen anderen<br />

Stellen durchtrennten als an den von den<br />

Forschern gewünschten (Off-Target-Effekt),<br />

brachten die Wissenschaftler der<br />

Arbeitsgruppe um den US-amerikanischen<br />

Klonforscher Shoukhrat Mitalipov<br />

die molekularen Genscheren statt<br />

in die Embryonen in noch unbefruchtete<br />

Eizellen gesunder Spenderinnen ein.<br />

Erst dann befruchteten sie diese mit den<br />

Samenzellen von Spendern, die das mutierte<br />

Gen vererben, das die Forscher zu<br />

korrigieren trachten.<br />

Mit anderen Worten: Das Team um<br />

Mitalipov erschuf also absichtlich menschliche<br />

Embryonen mit einem genetischen<br />

Defekt, um diesen anschließend zu beheben.<br />

Damit nicht genug: Am fünften Tag<br />

sezierten die Forscher die so manipulierten<br />

Embryonen. Dabei wollen sie festgestellt<br />

haben, dass die Genscheren den<br />

DNA-Strang exakt an der gewünschten<br />

»Am fünften Tag sezierten die<br />

Forscher die Embryonen.«<br />

NEWS.OHSU.EDU<br />

Stelle durchteilt hätten. Hatten die chinesischen<br />

Wissenschaftler noch feststellen<br />

müssen, dass die Genscheren in den<br />

Embryonen ein wahres Schlachtfest veranstalteten<br />

und die DNA auch an zahlreichen<br />

anderen Stellen zerteilten als an<br />

den beabsichtigten, so wollen die Forscher<br />

um Mitalipov keinen einzigen Off-<br />

Target-Effekt gefunden haben. Mehr<br />

noch: In rund drei Viertel der Embryonen<br />

(72,4 %) soll die vererbbare Mutation<br />

anschließend in keiner einzigen Zelle<br />

mehr nachweisbar gewesen sein. Um<br />

den »Fortschritt«, den die Forscher erzielten,<br />

einigermaßen korrekt einschätzen<br />

zu können, muss man wissen, dass die<br />

Wahrscheinlichkeit, dass ein Embryo das<br />

mutierte Gen erbt, bei diesem Humanexperiment<br />

ohnehin »nur« bei 50 Prozent<br />

lag. Statistisch gesehen hätte jeder zweite<br />

Embryo die Mutation auch ohne den<br />

Eingriff in die Keimbahn »vermieden«.<br />

Doch auch der womöglich tatsächlich<br />

erzielte »Fortschritt« des Teams um Mitalipov<br />

wird von anderen Wissenschaftlern<br />

inzwischen offen angezweifelt. Darunter<br />

Shoukhrat Mitalipov<br />

auch von solchen, die selbst mit CRIS-<br />

PR/Cas9 forschen, wie etwa der Genetiker<br />

George Church von der Harvard Medical<br />

School. Denn obwohl die Forscher<br />

um Mitalipov kurze DNA-Stränge als Vorlagen<br />

für die Reparatur der durchtrennten<br />

DNA in die Eizellen miteinbrachten,<br />

scheinen diese von den Zellen ignoriert<br />

worden zu sein. Jedenfalls fehlten bei allen<br />

Embryonen, wie die Forscher in ihrer<br />

Publikation berichten, diese spezifischen<br />

Sequenzen.<br />

Woraus das Team um Mitalipov schloss,<br />

dass sich die Zellen für die Reparatur der<br />

DNA jeweils an dem nicht mutierten<br />

Gen der Eizellen orientiert und dieses<br />

<strong>–</strong> durch homologe Rekombination <strong>–</strong> gewissermaßen<br />

rekonfiguriert hätten. Genau<br />

das jedoch ziehen Church und andere<br />

jetzt in Zweifel.<br />

In dem Wirbel um die Publikation des<br />

Teams um Mitalipov, der inzwischen angekündigt<br />

hat, »auf die Kritikpunkte Punkt<br />

für Punkt« antworten zu wollen, sind die<br />

weniger spektakulären CRISPR/Cas9-<br />

Experimente, mit welchen Forscher um<br />

Kathy Niakan vom Francis Crick Institute<br />

in London menschlichen Embryonen<br />

auf den Leib rückten, beinah untergegangen.<br />

Auch bei diesen in der zweiten<br />

Septemberhälfte ebenfalls in »Nature«<br />

publizierten Versuchen handelt es<br />

sich letztlich um ein Humanexperiment,<br />

selbst wenn die Wissenschaftler für dieses<br />

keine menschlichen Embryonen eigens<br />

erzeugten, sondern sich mit solchen<br />

»begnügten«, die ihnen Paare spendeten,<br />

die sich einer künstlichen Befruchtung<br />

unterzogen hatten.<br />

Das Team um Niakan nutzte die Genscheren,<br />

um in den befruchteten Eizellen<br />

ein Gen abzuschalten, welches für die<br />

Synthese des Proteins Oct4 verantwortlich<br />

gemacht wird (doi.10.1038/nature24033).<br />

Dabei fanden sie heraus, dass die Blockade<br />

der Proteinsynthese in den Embryonen<br />

die Aktivität einer Vielzahl anderer<br />

»Ethikrat sieht ›Interessen der<br />

gesamten Menschheit berührt‹.«<br />

Gene veränderte, die die Forscher für die<br />

Steuerung der Embryogenese verantwortlich<br />

machen. Bei 30 der 37 Embryonen<br />

(81 %) kam diese ganz zum Stillstand.<br />

Wie die Forscher schreiben, erreichten<br />

diese Embryonen nicht einmal das Blastozystenstadium.<br />

Und auch bei den übrigen<br />

Embryonen verlief die Embryogenese<br />

nicht mehr in den bekannten Bahnen.<br />

Selbst wenn es den Forschern um<br />

Niakan um nicht mehr als die Klärung<br />

der Bedeutung des Proteins Oct4 gegangen<br />

sein sollte, zeigt das Experiment vor<br />

allem zweierlei. Nämlich zunächst wie<br />

geradezu selbstverständlich inzwischen<br />

menschliche Embryonen für scheinbar<br />

»hochgradige« Forschungserkenntnisse<br />

verbraucht werden. Und sodann, welche<br />

gravierenden Wechselwirkungen die<br />

Veränderung der Funktion eines einzelnen<br />

Gens im menschlichen Organismus<br />

in Gang setzen kann.<br />

Letzteres erfüllt inzwischen auch den<br />

Deutschen Ethikrat mit Sorge. Ende September<br />

veröffentlichte das Gremium, das<br />

Bundesregierung und Parlament in bioethischen<br />

Fragen berät, eine sogenannte<br />

Ad-hoc-Empfehlung. Das sechsseitige<br />

und überraschenderweise sogar einstimmig<br />

verabschiedete Papier schlägt<br />

schon in der Überschrift Alarm: »Keimbahneingriffe<br />

am menschlichen Embryo:<br />

Deutscher Ethikrat fordert globalen politischen<br />

Diskurs und internationale Regulierung«.<br />

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