Sport + Mobilität mit Rollstuhl 11/2019
Informationsschrift des Deutschen Rollstuhl-Sportverbandes e. V.
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Zum Abschluss des zehntägigen<br />
Camps stellten sich alle Teilnehmer*<br />
innen und Organisator*innen zum<br />
Gruppenbild.<br />
fühlten wir uns <strong>mit</strong> der Zeit immer mehr<br />
der Gruppe zugehörig; als Beobachter, Berichterstatter<br />
und eben Botschafter meiner<br />
Heimat. Der ›Außenminister‹ der DRS<br />
rollikids eben, in diplomatischer Mission<br />
für eine Vernetzung unter den aktiven Rollifahrer*innen<br />
und Assistenten sowie als<br />
Bindeglied zu den Maltesern, im Geiste eines<br />
gemeinsamen europäischen Gedankens<br />
in Frieden und Freiheit.<br />
Wioletta hatte es in meinen Augen da<br />
schon etwas leichter. Immer wieder kam<br />
sie zu mir und sagte, wer sich als polnisch<br />
sprechend geoutet und wen sie wieder<br />
Neues kennen gelernt hat. Neben Christionas<br />
öffnen sich uns noch Aisté und Greta.<br />
Aisté ist Physio in einer Rehaklinik und<br />
Greta mehrfachbehinderte <strong>Rollstuhl</strong>fahrerin.<br />
Dalia, die ich bereits im Vorfeld in<br />
Deutschland kennen gelernt hatte, ist <strong>mit</strong><br />
der Organisation des Mega‐Malteser<br />
Events viel beschäftigt und kommt nur ab<br />
und an bei uns vorbei. Sieht, dass es wohl<br />
ganz gut läuft und ist auch schnell wieder<br />
verschwunden.<br />
Am dritten Tag haben dann alle Teilnehmer<br />
auch T‐Shirts <strong>mit</strong> Namen drauf, so<br />
wird die direkte Ansprache nun schon etwas<br />
einfacher. Obschon mir die Namen<br />
nicht so leicht in den Kopf wollen: Duonis,<br />
Edvinas, Arnoldas, Tomukas, Laisvydas,<br />
Remigius – Raimeda, Greda, Erika, Irma<br />
und Milda war da dann doch was leichter<br />
zu merken und auszusprechen. So machen<br />
wir einfach überall <strong>mit</strong>, und man gesteht<br />
uns auch zu, dass wir nicht nur Fragen<br />
stellen, sondern ab und an auch zeigen,<br />
wie wir die Spiele begreifen, nämlich im<br />
Sinne eines gemeinsamen, inklusiven Miteinanders.<br />
Und wir haben unsere Freiräume; so<br />
werden wir von Aisté zum Meer begleitet,<br />
das sich ca. 1½ km westlich unseres<br />
Camps befindet. Für mich erstaunlicherweise<br />
geht es noch ganz gut bergab, und<br />
ich bin sehr froh, den Swiss‐Trac vor allem<br />
für den Rückweg dabei zu haben. Es führen<br />
wunderschöne Wege durch den lichten<br />
Wald und das Rauschen kommt immer<br />
näher. Über einen neu angelegten Bretterweg<br />
und eine solide gezimmerte Rampe<br />
erreichen wir dann endlich das Baltische<br />
Meer.<br />
VIEL FREIRÄUME, DIE SINN-<br />
VOLL GENUTZT WURDEN<br />
Wir unternehmen Ausflüge nach Klaipėda<br />
und dem Seebad Palanga. Es gibt tolle<br />
Abendstimmungen <strong>mit</strong> Sonne, Wolken,<br />
Regen und am Himmel einer Windhose,<br />
sowie einer ordentliche Brandung und soweit<br />
das Auge reicht erstreckt sich ein feiner<br />
Sandstrand.<br />
Doch auch hier zeugen gewaltige Fundamente<br />
aus verwittertem Beton von den<br />
kriegerischen Streitigkeiten, die hier tobten.<br />
Wer Augen hat zu sehen, der sehe: ein<br />
Deutscher Soldatenfriedhof in Klaipėda<br />
und der Untergang der ›Wilhelm Gustloff‹,<br />
gemahnen der Opfer der Vergangenheit<br />
und bilden die Überleitung zur der Gegenwart,<br />
den Flüchtlingen und Ertrinkenden<br />
im Mittelmeer.<br />
Die nächsten Tage vergehen wie im Fluge.<br />
Herrliches Wetter, gute Stimmung,<br />
wenn auch <strong>mit</strong> ganz vielen neuen Eindrücken.<br />
Angefangen von den Frühstücken<br />
<strong>mit</strong> Ravioli und überbackenem Milchreis,<br />
den pünktlichen Teilnehmer*innen, die ihre<br />
Betten so akkurat gemacht haben, als<br />
ob da niemals jemand drin gelegen hätte.<br />
Den Toiletten, die obschon in geringer Anzahl<br />
doch immer frei und sauber waren.<br />
Für mich war das schon ein Heraustreten<br />
aus meiner Komfortzone, die ich mir als<br />
<strong>Rollstuhl</strong>fahrer aber auch wünsche, und<br />
die ich für meinen alltäglichen Tagesablauf<br />
auch brauche, denn ich sehe und rieche<br />
auch die Probleme, die hinter den<br />
sportlichen Rollstühlen herschweben. Es<br />
ist nicht leicht seinen Weg in ein selbstbestimmtes<br />
Leben <strong>mit</strong> Querschnitt oder<br />
Muskelkrankheit zu finden. Da ist so ein<br />
Camp schon ungemein wichtig. Auch bei<br />
mir als ›Frischling‹ waren es starke,<br />
scheinbar unverwüstliche Muskelmänner<br />
und besondere Frauen, die mir Mut machten,<br />
Kraft gaben und Perspektiven aufzeigten.<br />
Ich war aber auch nie ein Vertreter<br />
der ›harten Schule‹ und so wie ich mich<br />
<strong>mit</strong> meinem Freund Herbert ergänzte<br />
(›good cop, bad cop‹), so hoffe ich auch,<br />
dass ich den Teilnehmer*innen und Instruktoren<br />
etwas von meiner nunmehr<br />
fast 40jährigen Rollierfahrung auf vielen<br />
Ebenen weitergeben konnte.<br />
Das Move‐it Camp lief zehn Tage, <strong>mit</strong><br />
Ausflügen und Highlights, hartem Arbeiten<br />
und Stunden minderen Ernstes. Eine<br />
super tolle Sache. Gerne wollen wir noch<br />
mehr Erfahrungen einbringen, gerade was<br />
die Übungsleiter Aus‐ und Weiterbildung<br />
anbelangt. Als ich dann meinen Infoworkshop<br />
anbot, war das Eis gebrochen. Es gab<br />
viele Fragen und eine rege Diskussion,<br />
schnell war die Zeit verflogen. Und da wir<br />
nur eine Woche Zeit hatten, hieß es auch<br />
schon wieder Abschied nehmen.<br />
Wir haben viele neue Freunde gefunden.<br />
Wenn auch der Abschied für mich etwas<br />
nordisch kühl war, so waren die Begegnungen<br />
doch auch sehr herzig und<br />
warm – und wie ich <strong>mit</strong>tlerweile von Pia<br />
und Dalia erfahren habe, sind wir auch<br />
nächstes Jahr wieder willkommen.<br />
KRÖNENDER ABSCHLUSS:<br />
NERINGA – FÄHRFAHRT<br />
Der krönende Abschluss unserer Reise –<br />
in die Vergangenheit und Zukunft Europas<br />
– war der Besuch auf der Kurischen Nehrung<br />
(Neringa). Man setzt <strong>mit</strong> der Fähre<br />
über und kommt in ein über 100 Kilometer<br />
langes Naturschutzgebiet, das seit dem<br />
Jahre 2000 auch UNESCO Weltkulturerbe<br />
ist. Riesige Sanddünen wechseln sich <strong>mit</strong><br />
Wäldern und kleinen Ortschaften ab. Wir<br />
durchstreifen sie vom Norden bis hinunter<br />
zur russischen Grenze. Und beim nächsten<br />
Mal möchte ich auch versuchen ein Tran‐<br />
<strong>Sport</strong> + <strong>Mobilität</strong> <strong>mit</strong> <strong>Rollstuhl</strong> <strong>11</strong>/<strong>2019</strong> 23