NEUMANN Februar | März 2020
Das Magazin für Kultur & Lifestyle
Das Magazin für Kultur & Lifestyle
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
62<br />
COMICS<br />
Das absurde Leben der Agenturmenschen<br />
Das Strichfigurenkabinett<br />
kredenzt er seinen Fans pro Woche via Social Media<br />
– ein Riesenfundus in nach Themen sortierten<br />
Ordnern setzen ihn dabei nicht unter Druck.<br />
Der Stuttgarter Cartoonist und „Egon forever“-Macher Andre Lux hat mit<br />
seiner Graphic Novel „Lars, der Agenturdepp“ eine saftige Abrechnung mit<br />
der Agenturwelt gezeichnet. Seine einfachen und typischen Strichmännchen<br />
erzählen von den Abgründen des dortigen Arbeitsalltags.<br />
„Sorry, ich komme gerade von einer Bauklötzchenschlacht<br />
und bin ganz schön durch“, entschuldigt<br />
Andre Lux eventuelle Wortfindungsstörungen –<br />
die er aber gar nicht hat. Wenige, und vor allem<br />
bissige Worte sind zwar das Metier des Stuttgarter<br />
Cartoonisten, der mit seinen einfachen „Egon<br />
forever“-Strichmännchen-Comics in den vergangenen<br />
Jahren eine richtige Fangemeinde um sich<br />
geschart hat. Doch der 36-jährige ausgebildete Jugend-<br />
und Heimerzieher, der im „richtigen Leben“<br />
als Betreuer an einer Ganztagsschule arbeitet, hat<br />
auch einiges zu sagen – was er mit seiner neuen<br />
Graphic Novel „Lars, der Agenturdepp“ tut.<br />
Während die satirischen „Egon forever“-Strips in aller<br />
Kürze von Abgründen der Gesellschaft erzählen<br />
und seit gut zehn Jahren im Netz und in Satire- und<br />
Popkultur-Magazinen zu finden sind, ist aus „Lars,<br />
dem Agenturdeppen“ ein richtiges Buch geworden.<br />
„Ich wollte was erzählen, das im Universum auch<br />
stattfindet und nicht nur schräg und nerdig und<br />
nischig ist“, so Lux. Etwas, mit dem sich jeder identifizieren<br />
kann. Haltung zeigen und seine Anliegen<br />
verlost<br />
3 Graphic Novels<br />
→ Seite 82<br />
kundtun. Angefangen, die Beobachtungen seiner<br />
Umwelt auf Papier festzuhalten hat der Stuttgarter<br />
bereits 1994 – im Realschulunterricht. „Da war mir<br />
oft langweilig und ich habe Strichmännchen gemalt,<br />
eigene Heftchen und Gag-Magazine gemacht“,<br />
erzählt er. Ihn hat es immer fasziniert, Mainstreamiges<br />
in seiner eigenen Realität zu erzählen, woraus<br />
erfundene Interviews und ganze Galerien<br />
wurden. Immer schön mit wenigen Strichen und<br />
sarkastischen Sprechblasen: „Mein Stil hat sich eigentlich<br />
nie verändert“. Lux, der als „Autobot“ seit<br />
Jahren auch Musik macht, ist ein Autodidakt: „Ich<br />
komme aus der Hardcore- und Punkszene, da reichen<br />
ein paar Akkorde für einen guten Song – mir<br />
reichen wenige Striche, um etwas Gutes zu erzählen,<br />
ich hatte nie Ambitionen, etwas zu verändern.“<br />
Inspiration holt sich der leidenschaftliche VfB-Fan<br />
im Alltag – im Gespräch mit Freunden, im Stadion,<br />
in der Bahn, in Einkaufszentren. „Dort gibt es den<br />
besten Querschnitt der Gesellschaft, ich beobachte<br />
gerne Menschen und verarbeite das in meinen Comics“,<br />
erzählt er. Zwei bis drei neue Egon-Comics<br />
Bei seinem aktuellen Werk hat er dennoch etwas<br />
verändert: das Erzählen einer ganzen Geschichte.<br />
Bei Lars geht es um einen Typen, der in einer Agentur<br />
arbeitet und vom dortigen Arbeitsalltag erzählt<br />
– „und der vor Langweile und Absurditäten immer<br />
mehr abfuckt“, wie Lux sagt. Ein Agentur depp<br />
eben. Um ihn herum nur ausgebrannte Zombies,<br />
die nichts zu tun haben und doch ständig einen<br />
auf vielbeschäftigt machen, sozial inkompetente<br />
koksende Chefs, Agentur-Slang und die ewige<br />
Selbstbeweihräucherung der Schnösel – der<br />
aus dem Schwarzwald stammende Cartoonist<br />
rechnet gnadenlos ab. Erlebt hat er vieles<br />
selbst: „Ich habe ein Jahr lang in einer Agentur<br />
gearbeitet und dabei gedacht, das kann doch<br />
nicht wahr sein“, erzählt er. Ein CEO, der an seinem<br />
Rechner hockt und Skispringen zockt, Kollegen, die<br />
sich stundenlang YouTube-Links hin-und herschicken.<br />
Manches habe er erzählt bekommen – „die<br />
Story ist eine Mischung aus Fiktion und Realität.“<br />
Andre Lux hat nach seiner Agentur-Erfahrung beschlossen,<br />
wieder in den Sozialberuf zurückzukehren.<br />
„Eine Agentur ist ein System, das sich innerhalb<br />
seiner Blase erhält, aber der Gesellschaft<br />
keinen Mehrwert bietet“, findet er. „Da werden<br />
Unsummen hin- und hergeschoben, während man<br />
in anderen Bereichen jede Kröte umdrehen muss“.<br />
Lars ist Teil dieses Systems und macht sich viele<br />
Gedanken um den Sinn seiner Arbeit. Am Ende<br />
entscheidet er sich für einen Sozialberuf. „Klar, das<br />
ist ein ganz persönlicher Twist, es ist auch meine<br />
eigene Geschichte“, gibt Lux zu. Und erklärt sein<br />
Anliegen: Man muss im Job kein Roboter am<br />
Schreibtisch sein, sondern kann Spaß haben und<br />
dennoch sinnvolle Arbeit leisten – selbst wenn es<br />
weniger Kohle dafür gibt. „Das<br />
ist für einen selbst, aber auch<br />
für alle anderen besser.“ lis<br />
ANDRE LUX<br />
Lars – der Agenturdepp<br />
Cross Cult | 36 Seiten<br />
<strong>Februar</strong> | <strong>März</strong> <strong>2020</strong>