07.02.2020 Aufrufe

Muelheimia_Quarterly_1_2020

Stadtteilzeitung für Köln-Mülheim. Themenschwerpunkt „Wohnen".

Stadtteilzeitung für Köln-Mülheim. Themenschwerpunkt „Wohnen".

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Mülheimia Quarterly

Stadt. Kultur. Soziales

#1 Januar 2020 12

Sozialer Wohnungsbau mit Paul Lücke

Konkrete Utopien braucht das Land

Links: Paul Lücke.

Rechts: Paul Lücke

und Konrad Adenauer

bei der Übergabe der

sechmillionensten

Nachkriegswohnung

in Bensberg-Kippekausen.

Beide Fotos aus:

der Broschüre „Ein

Viertel Jahrhundert

- Ein Mann in dieser

Zeit“, CDU Bergisch

Gladbach, 1960

von Tim Lücke

Abgesehen vom Klimawandel gibt es

wohl kaum ein Thema, was momentan

die Gemüter in Deutschland so

sehr erhitzt wie das Problem steigender

Mieten und fehlenden Wohnraums.

Die Nachfrage nach bezahlbaren

Wohnungen in den Städten steigt

konstant und ein Ende dieses Trends

ist nicht abzusehen. Vor allem für

Menschen mit einem niedrigen Einkommen

verschärft sich die Situation

zunehmend. Die Zahl der Sozialwohnung

hat sich seit 1990 um mehr

als die Hälfte verringert and fällt

kontinuierlich. 1 Zur gleichen Zeit

scheinen die Politiker hilflos vor dem

Problem zu stehen. Mietpreisbremse

oder Wohnraumverdichtung, dies

sind nur zwei Beispiele für kleinteilige

Instrumente, die die Misere nicht

wirklich lösen und im schlimmsten

Fall nach hinten losgehen. Was fehlt,

ist die große Vision.

Die Generation, die nach dem Zweiten

Weltkrieg die Trümmer beiseite

geräumt hat und mit dem Wiederaufbau

begann hatte so eine Vision. Oder,

um genauer zu sein, sie hatte viele

Visionen und Visionäre, die die Rolle

des Wohnungsbaus und des Wohnens

generell in gesellschaftspolitische

Lücke mit neun Geschwistern in einem

kleinen Haus im Bergischen Land auf.

Tief verwurzelt in der katholischen

Jugendbewegung war er ein entschiedener

Gegner der Nationalsozialisten.

Während der 30er Jahre machte er eine

Ausbildung in Berlin-Wedding, wo ihn

die Zustände der überfüllten Arbeiterviertel

zutiefst schockierten. Nach dem

Krieg kümmerte er sich zunächst um

die Unterbringung von Flüchtlingen im

Oberbergischen Kreis und war dann als

Amtsleiter für den Wiederaufbau von

Engelskirchen verantwortlich, einer

der meist zerstörtesten Städte in NRW.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges

war ein Fünftel aller Wohnungen

in Deutschland unbewohnbar. An

die 13 Millionen Vertriebene und

Flüchtlinge suchten ein neues Zuhause.

Zwischen den Jahren 1949 und

1964 wurden dann jedoch mehr als

8 Millionen neue Wohnung errichtet.

Von 1953 bis 1963 wurden jedes

Jahr mehr als 500.000 Wohnungen in

Westdeutschland gebaut, 1964 waren

es sogar über 600.000 2 . Der Anteil

der neugebauten Sozialwohnungen

betrug in diesem Zeitraum über 50

Prozent. Im Vergleich dazu wurden in

den Jahren 2014 – 2018 im Durchschnitt

nur 250.000 Wohnungen pro

Jahr fertiggestellt, und das in Ost-

günstiger. Aber trotzdem ist der

Unterschied immens. Hinzu kommt,

dass es Politikern wie Paul Lücke

selbst damals, in Zeiten von zerstörten

Städten, die überfüllt waren

von Vertriebenen und Flüchtlingen,

nicht darauf ankam einfach schnell

und billig Wohnungen zu bauen. Die

Vision von Paul Lücke war es, den Bau

von guten Wohnungen und Häusern

zu fördern, die erschwinglich waren

für alle Menschen, ob arm oder reich.

Mit „guten“ Wohnungen meinte er

Wohnungen, die genügend Platz für

Familien boten. Diese Wohnungen

sollten bezahlbar sein selbst für

Menschen mit geringem Einkommen.

Warum? Weil eine vernünftige

Wohnung, oder idealerweise ein

Eigenheim, den Menschen mit Grund

und Boden verwurzelt und somit auch

in der Gesellschaft fest verankert. Das

dies ein fundamentales Ziel von Wohnungspolitik

sein müsse, ging aus der

Erfahrung dieser Generation und aus

den persönlichen Erlebnissen meines

Großvaters in der Weimarer Republik

und der Nazizeit hervor. Wie der Historiker

Günther Schulz betont: „Er [Paul

Lücke] faßte den Wohnungsbau auch

stets als Prophylaxe gegen den Nationalsozialismus

auf. Der Bau besserer

Wohnungen sollte verhindern, daß

noch einmal solche gesellschaftliche

1 Janson, Matthias

(2018): Immer weniger

Sozialwohnungen

in Deutschland,

Statista, https://

de.statista.com/

infografik/12473/

immer-weniger-sozialwohnungen-in-deutschland/

2 Mehr Als Vier Wände,

Verlag Seidl, S. 2.

Siehe auch Schulz,

Günther (1994):

Wiederaufbau in

Deutschland, Droste,

S. 351, Tabelle 4.

3 Breitkopf, A. (2019):

Baufertigstellungen –

Anzahl der Wohnungen

in Deutschland

bis 2018, Statista,

https://de.statista.

com/statistik/daten/

studie/39008/umfrage/baufertigstellungen-von-wohnungen-in-deutschland/

4 Zeit Online

(2019): „Bau von

Sozialwohnungen

stagniert trotz

Milliardenausgaben“,

https://www.zeit.

de/politik/deutschland/2019-06/

wohnungsbau-sozialwohnungen-neubauten-bund-foerderung

5 Schulz, Günther

(1994): Wiederaufbau

in Deutschland,

Droste, S. 262.

Konzepte eingebettet haben.

und Westdeutschland zusammen 3 . Im

Unzufriedenheit wie in den überfüllten,

Jahr 2018 wurden 27.000 Sozialwoh-

engen Quartieren der Mietskasernen

Einer dieser Visionäre war mein

nungen gebaut 4 , dass entspricht nicht

entstand, die von den Demagogen zur

Großvater Paul Lücke (1914 – 1976),

einmal zehn Prozent des gesamten

politischen Radikalisierung umge-

der als Vorsitzender des Ausschusses

Wohnungsbaus im Jahr 2018.

münzt werden konnte.“ 5 Diesen Satz

für Wiederaufbau und Wohnungswe-

sollte man sich in unserer Zeit, geprägt

sen (1950 – 1957) und danach als Bun-

Nun waren die Umstände damals

von Rechtsruck und wachsender Po-

desminister für Wohnungsbau (1957

sicherlich in vielerlei Hinsicht anders

litikverdrossenheit, mal so richtig auf

– 1965) den erfolgreichen Wiederauf-

als heute. Die Zerstörung des Krieges

der Zunge zergehen lassen.

bau Westdeutschlands maßgeblich

machte Wohnungsbau zu einer

geprägt und gestaltet hat. Als Sohn

absoluten Priorität und der Bau von

Es gab sicherlich auch viele Dinge,

eines Steinbruchmeisters wuchs Paul

Wohnungen war damals wesentlich

die man damals an der Politik von

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!