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Muelheimia_Quarterly_1_2020

Stadtteilzeitung für Köln-Mülheim. Themenschwerpunkt „Wohnen".

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2020 #1 Mülheimia Quarterly

Mülheimia

Mülheim baut

auf dich!


Mülheimia Quarterly

Stadt. Kultur. Soziales

GRATIS-VORSTADTKINO 2020 IN BUCHFORST

4.1.2020, 20.00 Uhr:

PERSONA

Regie: Ingmar Bergmann

Schweden 1966, 84 Min.

4.7.2020, 20.30 Uhr:

NAOKOS LÄCHELN

Regie: Trần Anh Hùng

Japan 2010, 133 Min.

1.2.2020, 20.00 Uhr:

SO SIND DIE TAGE UND DER MOND

Regie: Claude Lelouch

Frankreich 1990, 117 Min.

1.8.2020, 20.30 Uhr:

THE WIND THAT SHAKES BARLEY

Regie: Ken Loach

Großbritannien/Irland/Frankreich 2006,

127 Min.

7.3.2020, 20.00 Uhr:

BERLIN ALEXANDERPLATZ

Regie: Phil Jutzi

Deutschland 1931, 88 Min.

5.9.2020, 20.30 Uhr:

BERLIN CHAMISSOPLATZ

Regie: Rudolf Thome

Deutschland 1982, 112 Min.

4.4.2020, 20.00 Uhr:

ELF UHR NACHTS - PIERROT LE FOU

Regie: Jean-Luc Godard

Frankreich/Italien 1965, 110 Min.

3.10.2020, 20.30 Uhr:

DIE BITTEREN TRÄNEN DER

PETRA VON KANT

Regie: Rainer Werner Fassbinder

Deutschland 1972, 124 Min.

2.5.2020, 20.00 Uhr:

MAMMA ROMA

Regie: Pier Paolo Pasolini

Italien 1962, 105 Min.

14.11.2020, 20.00 Uhr:

DENK BLOSS NICHT, ICH HEULE

Regie: Frank Vogel

DDR 1965, 91 Min.

6.6.2020, 20.30 Uhr:

BEAT GENERATION IM FILM:

PULL MY DAISY

Regie: Robert Frank/Alfred Leslie

USA 1959, 28 Min.

5.12.2020, 20.00 Uhr:

DIE TOTEN

Regie: John Huston

USA 1987, 83 Min.

ON THE ROAD - UNTERWEGS

Regie: Walter Salles

USA/Frankreich/Großbritannien/

Kanada/Brasilien 2012, 140 Min.

Januar bis Dezember 2020

Kulturkirche Ost

Kopernikusstraße 32/34, Köln-Buchforst

Eintritt frei

Gratis Kino jeden ersten Samstag im Monat

mit Einführung und anschließender Diskussion

Vor- und Nachbesprechung: Kulturexperte Jürgen Kisters, freier Journalist

www.kulturkirche-ost.de


3 #1 Januar 2020 Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales

Editorial

Inhalt

Liebe Leser*innen,

Mülheim wächst – wie ganz Köln. In

dieser Mülheimia Quarterly gehen

wir den unterschiedlichen Facetten

dieser Diagnose nach:

• Was meinen Stadtentwicklungspolitker*innen

dazu?

• Welche stadtentwicklungspolitischen

Ideen, Konzepte und

Mittel für eine verträgliche

Entwicklung möglichst ohne

Verdrängung und Segregation

stehen zur Verfügung?

• Wie kann der wachsende Bedarf –

insbesondere nach bezahlbarem

Wohnraum – gedeckt werden?

Diese Fragen bilden das Schwerpunktthema

dieser Ausgabe.

In eigener Sache ist zu berichten,

dass wir umgezogen sind. Mitten

hinein ins Veedel in ein Ladenlokal

auf der Berliner Straße – in unmittelbarer

Nähe zum wachsenden

ehemaligen Güterbahnhof an der

Schanzenstraße.

Mit der angekündigten Ansiedlung

der IHK Köln auf dem Gelände der

„I/D Cologne“ und dem Einzug von

ca. 1.000 Siemens Mitarbeiter*-innen

schreitet die Entwicklung der

Schanzenstraße und des Carlswerks

als Zentrum der Digitalisierung und

als gefragter Ort für die Kreativ- und

Kulturwirtschaft voran.

Die lebendige, mulitkulturelle Berliner

Straße mit dem „Kulturbunker

Köln-Mülheim“, dem „Bürgerhaus

MüTZe“, den zahlreichen sozialen

Unternehmungen, ihren Künstlerateliers

und kleinteiligen Kreativbüros

bildet im Kontrast zum

Güterbahnhof das sozio-kulturelle

Zentrum Mülheims. Dieser gewachsene

Stadtteil sollte in seiner Vielfalt

geschützt werden. »

Ihre

Herausgeberin

Special zu Bauboom und

Wohnungsfragen in Köln

Mülheim

Mülheim ackert Seite 4

Mülheimer Presspan, getanzt

Seite 5

Mülheimia fragt, Politiker*innen

antworten Seite 7

Mülheim im Überflug Seite 10

Konkrete Utopien braucht das

Land Seite 12

Friede den Hütten Seite 13

Über die Vielfalt der inneren

Haymat Seite 15

Hermann Rheindorf und sein

bewegtes Köln Seite 16

Ein Jahr in Ruanda Seite 17

Was wäre, wenn wir keine

Häuser bauen würden?

Mülheimia Miniatur #6 Seite 18

Werden Sie Mitglied im

www.muelheimia.koeln/salon

Zukunftsfähige Stadt- und Platzentwicklung

Wien, Wien (nicht) nur du allein

von Eva Rusch

Illustration: Eva Rusch

Köln-Mülheim nennt seinen zentralen

Verkehrsknotenpunkt Wiener

Platz. Namensgebend im Jahr

1938 war – wenig rühmlich – die

Annektion Österreichs durch Nazideutschland.

Heute ist der namensgebende

Anlass verblasst. Wien gilt

unter Stadtplaner*innen heute als

gelungenes Vorbild für den sozialen

Wohnungsbau. Und Wien ist die lebenswerteste

Stadt Europas. So wird

sie in jedem City-Ranking gelobt.

Die Internationale Bauausstellung

IBA-Wien im Jahr 2022 steht unter

dem Motto „Neues Soziales Wohnen“.

Köln beteiligt sich an der IBA: Was

kann Wien, was hat es gut gemacht,

was könnten wir zum Vorbild nehmen?

Dies können unsere Leitfragen

für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung

Mülheims sein. Wir werden

dazu eine Stadtbauexpert*in aus

Wien befragen.

Das Schicksal des Wiener Platzes

kommt immer mehr in das Bewusstsein

der Öffentlichkeit. Nicht nur

unter Mülheimer*innen. Die Stadt

Köln kümmert sich wieder um die

Aufenthaltsqualität ihrer Plätze.

Auch der Wiener Platz erhält als

erste Maßnahme ein Startbudget

von 500.0000 Euro für den städtischen

Doppelhaushalt 2020/2021.

Sowohl der Wiener Platz als auch die

beiden großen Konversionsflächen

Mülheims im Norden und im Süden

sind in Bewegung. Der ehemalige

Güterbahnhof wird in den nächsten

Jahren zum modernen Dienstleistungszentrum,

der Mülheimer Süden

wird zu einem neuen Wohnstadtteil

mit vielfältigen Quartieren. Der

Wiener Platz als zentraler Ort könnte

attraktiver Identifikationsort dieses

wachsenden Mülheims werden.

Dazu bedarf es einer kreativen und

professionellen Planung, die die

Bedürfnisse und Ideen der Bürger*-

innen in einem Prozess einbezieht.

So hat sich beispielsweise aus der

„Initiative für ein lebenswertes Mülheim“

u. a. eine Interessensgemeinschaft

gebildet, die „Die Nacht der

Frischen Winde“ plant. Das ist frischer

Wind für Mülheim. Nun setzen

sich neben der Bürgervereinigung

Mülheim, dem „Markt der Möglichkeiten“,

dem Mülheimer Tag und

dem Verein „Wiener Platz e. V.“ eine

weitere Initiative für die Belebung

des Wiener Platzes ein. Auch der in

diesem Jahr in Mülheim stattfindende

„Tag des guten Lebens“ wird den

Wiener Platz im Zentrum haben.

Mülheimia Quarterly wird im Frühjahr

einen Workshop mit interessierten

Bürger*innen, Politiker*innen,

Verwaltung, Architekt Stefan

Schmitz und weiteren Expert*innen

abhalten. Wir möchten mit Ihnen

diskutieren, um in einem ersten

Schritt herauszuarbeiten, wie der

Prozess zur Umgestaltung des

Wiener Platzes aussehen sollte.

Wer muss alles dazu gehören? Wie

werden Entscheidungen getroffen?

Zu diesem Workshop laden wir Sie

jetzt schon herzlich ein. Näheres zu

Termin und Ort erfahren Sie alsbald.

Gefördert wird unsere Aktivität

übrigens durch bezirksorientierte

Mittel aus dem Bereich Kultur.»

> www.muelheimia.koeln/

lebenaufdemwienerplatz3

#lebenaufdemwienerplatz


Mülheimia Quarterly

Stadt. Kultur. Soziales

#1 Januar 2020 4

Neues Wohnen und Arbeiten in Köln Mülheim

Mülheim ackert

von Kenan Zöngör

Für Adenauer war rechtsrheinisch schon Sibirien, also

bestenfalls kalter Acker. Jahrzehnte hörte für den gern

aufteilenden und abgrenzenden Kölner an sich seine

Stadt am Rhein auf und höchstens Industriemotor

Deutz brummte herüber.

Mülheim wurde zwar mit einer Brücke zur Eingemeindung

verlockt, blieb aber dennoch wenig geliebtes wenn

auch fleißiges Stiefkind. Gewohnt haben hier nur die, die

mussten und selbst die Arbeiter der großen Industrieunternehmen

im Schanzenviertel und Mülheim-Süd zogen

gern „rüber“ oder „raus“, wenn es sich ergab. Im Zuge der

Einwanderung von Arbeitern in den 1960ern wurde

Mülheim diverser, was aber damals wie heute wenig

anziehend wirkte.

Geackert wurde immer hart. Industriearbeit hieß Schicht

und Schweiß. Doch schließlich wanderten nicht mehr

Menschen ein, sondern Arbeit ab und zum schlechten

Image kamen erhebliche wirtschaftliche Probleme hinzu.

Selbst die verklärte Wiege der Automobilität verwaiste und

das weitläufige ehemalige KHD Gelände lag brach. Von der

verhärmten Magd wurde Mülheim zum zwielichtigen Gauner,

dessen schlechter Ruf bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts

im Stadtdurchschnitt niedrige Mieten bewahrte.

Jetzt entgleist der Immobilienzug auf wilder Fahrt vom

Otto und Langen Quartier bis hinter die Keupstraße und

Cowboys und Indianer ahnen, dass der wilde Osten bald

der Vergangenheit angehören wird. Der Wohnungsrausch

lässt junge Familien von drüben vom erschwinglichen

Wohnen am Rechtsrhein träumen. Allerdings bringen

die neuen Einwanderer*innen keine Arbeitskraft sondern

Zahlungskraft und wohnen dankbar abgelegten Altbau

auf. Wenn nun in die etwa 3.000 neuen Wohnungen

etwa 6.000 bis 8.000 Menschen ziehen, einhergehende

Gewerbeansiedlungen, Schulen und Einzelhandel hinzukommen,

wird das Viertel erneut vor eine Integrationsaufgabe

gestellt. Einen Überblick aus Vogelperspektive

erhalten Sie auf den Seiten 10 und 11.

Es stellt sich die derzeit am dringlichsten empfundene

Frage des bezahlbaren Wohnraums; wer kann sich leisten,

hier zu wohnen? Angesichts der in den letzten 10 Jahren

um 30 % gestiegenen Mieten ist Mülheim schon auf

linksrheinischem Niveau angekommen. Nicht minder

wichtig und keine ökologische Träumerei, sondern gesunder

Pragmatismus steckt hinter der Frage nach einem

nachhaltigen Verkehrs- und Mobilitätskonzept. Parken

Autos oder gehen Leute in Parks? Wie verändert sich angesichts

des Fahrt aufnehmenden Gentrifizierungsrades

die Stadtteilgesellschaft? Kapseln sich die neuen Mülheimer

ab oder leben die dann auch hier? Wie stark ist die

Zentrifuge Up„Schäl Sick“ling?

Was die hiesigen Politiker der verschiedenen Parteien

denken und wie sie für erschwinglichen Wohnraum

sorgen wollen, lesen Sie auf den Seiten 7 bis 9. Es ist kein

Spoiler, dass sich die Parteien in wesentlichen Punkten

einig scheinen. Eigentlich gut … Dass es durchaus möglich

ist, attraktive Stadt zu sein und unterschiedlichen Menschen

Lebensqualität zu bieten, zeigt gegenwärtig nicht

nur Wien mit seiner gelungenen Baupolitik. Die Idee im

Wortsinne politisch auf das Wohnen zu bauen, ist schon

älter, wie das Portrait des Politikers Paul Lücke auf

Seite 12 zeigt.

Die Chancen einer politischen Gestaltung der Bauprojekte

in Mülheim sind allerdings ungenutzt verstrichen. Die

Flächen sind an Immobilienunternehmen verkauft worden.

So ist umso wichtiger, wie weit es den engagierten

Lokalpolitiker*innen und politischen Aktivist*innen gelingt,

trotz geschlossener Verträge die Investor*innen zur

Schaffung mehr bezahlbaren Wohnraums zu bewegen, als

bislang vorgesehen. Näheres finden Sie auf Seite 13 und 14.

Eine mollgetönte Freude empfinden viele Mülheimer angesichts

der enormen Belebung der Kunst- und Kulturszene

im Viertel. Schließlich verläuft die Bilderbuchgentrifizierung

in der Kaskade „Kunst – Kultur – Kapital“. Auf den

Seiten 5, 15 und 16 lesen Sie von dieser neuen Lebendigkeit.

Aus den Brachen sind also fruchtbare Flächen geworden,

die Äcker bestellt, die blühenden Landschaften voraus.

Die Aufgabe, Mülheim zu einem sozialen vielfältigen und

nachhaltig wirtschaftenden Stadtteil zu machen, beginnt

erst. Und trotz verpasster Chancen auch zu fortgeschrittener

Zeit viel zu bewegen, ist nicht erst seit den Abenteuern

eines schwedischen Mädchens mit Zöpfen, nicht Pippi

ist gemeint, denkbar.

> www.muelheimia.koeln/muelheimackert


5 #1 Januar 2020 Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales

Tanztheater zu Gast im Kulturbunker Mülheim

Mülheimer Pressspan, getanzt

von Marita Odia

Fotos: Eva Rusch

Elsa Artman und Samuel Duvoisin sind ein Paar. Sie

leben seit fünf Jahren gemeinsam in Mülheim. Kennengelernt

haben sie sich während ihres Studiums in

Leipzig. Das war schon so etwas wie eine Heimatstadt,

erinnert sich Samuel, der ursprünglich aus Berlin

kommt. Jetzt sind Elsa und Samuel in Mülheim zu

Hause. Und arbeiten auch im Viertel: Ende Oktober

hatte ihr Tanzstück „Pressspan“ Premiere im Mülheimer

Kulturbunker an der Berliner Straße.

Elsa, Samuel und ihre Kolleg*innen sind Tanzperformer*innen.

Sie setzen in getanzte Szenen und Bilder um,

was sie in einem knappen halben Jahr intensiver Recherche

über das Wohnen in Mülheim erfahren haben. Dabei

gingen sie sehr systematisch vor, fast wissenschaftlich

forschend. Im Frühjahr haben sie über Wurfsendungen

und online Mülheimer*innen angeschrieben. Sie baten für

ihr Projekt um Interviews, Texte („Was siehst Du, wenn

Du aus Deinem Fenster schaust?“) oder die Erlaubnis, für

eine begrenzte Zeit in den Wohnungen mit zu leben. Oder

dort sogar ihr Tanzstück aufzuführen. Mehr als zehn lange

Interviews haben sie geführt, in fünf Wohnungen auf

Zeit mitgelebt und im privaten Raum viermal eine passende

Version ihres Stückes Pressspan getanzt: dreimal

in Köln-Mülheim, einmal in Köln-Kalk.

Sie haben genau hingeschaut und beobachtet, was Wohnen

in Mülheim bedeutet. Bewerten wollen sie ihre Beobachtungen

nicht. Eher feststellen und zeigen, was passiert.

Elsa und Samuel wissen, dass sie nur einen kleinen Ausschnitt

des Mülheimer Wohnens erkunden konnten. Und

dennoch bieten ihr Stück „Pressspan“ und der parallel

entstandene Postkartenroman interessante Ansichten des

Wohnens in Mülheim.

Rhythmus

Es gibt viele Parallelgesellschaften im Stadtteil, auch

beim Wohnen: Das Tanzteam zeigt in seiner Aufführung

diejenigen, die sich in ihren Räumen ein Zuhause schaffen

konnten. So heimelig, dass sie einen gemeinsamen

Rhythmus leben und ihn scheinbar täglich tanzen. Selbst

für Abweichungen aus dem Rhythmus ist Platz. Dann gibt

es diejenigen, die keinen eigenen Raum für die Gestaltung

ihres Lebens haben. Ihre Bewegungen sind schief, nicht

im Fluss, tastend. Sie versuchen, sich gegenseitig Halt

zu geben, sich anzulehnen, festzuhalten. Sie klettern

aneinander hoch, es ist sehr anstrengend, aber sie kommen

dabei nirgendwo an. Denn irgendwie scheint das

Bewegen in einem Rahmen nicht zu gelingen. Alles ist so

mühevoll und schnell aus dem Gleichgewicht. „Ich verstehe

nicht, was das Problem mit Parallelgesellschaften

sein soll“, hat jemand im Interview zu Elsa gesagt.


Mülheimia Quarterly

Stadt. Kultur. Soziales

#1 Januar 2020 6

Die Gründe, in Mülheim zu wohnen, sind vielfältig. Das haben Elsa

und Samuel während ihrer Interviews erfahren. Sie haben Geschichten

gehört von Menschen, die mit dem Bus nach Mülheim

kamen, um ein neues Leben anzufangen: „Man tritt aus dem Bus in

die neue Welt, und direkt im gleichen Viertel leben Menschen, die

die eigene Sprache sprechen.“ Viele Linien kreuzen sich, am Bahnhof,

am Wiener Platz. Eine mäßig sichere Struktur. Problematische

Wohnbedingungen treffen besonders Menschen, die in Armut leben.

Die Diskriminierung von Migrant*innen setzt sich in einigen Fällen

auch in den Mietverhältnissen fort.

Durchbruch

Wohnungen bieten eine gewisse Freiheit, sie zu gestalten. Elsa und

Samuel kamen in den Austausch mit Menschen, die es schaffen, ihr

Leben im gemieteten Wohnraum zu gestalten. Doch diese Freiheit

ist zerbrechlich und an Bedingungen geknüpft. Für das Tanz-Team

wurden fünf Mülheimer Wohnungen im Sommer 2019 zu „Residenzen“,

in denen sie für begrenzte Zeit mit den Bewohner*innen

lebten. Auch hier haben sie nach einer Erkundungsphase ihr Stück

Pressspan aufgeführt, aus den Wohnungen Aufführungsorte gemacht,

mal über den Flur weg, mal in zwei oder drei Zimmern. Viele

Mitwohn-Bedingungen mussten für diese Aufenthalte ausgehandelt

werden. Mit Erstaunen haben die Tänzer die Gestaltungslust der

Mieter zur Kenntnis genommen. Elsa: „Ich traue mich noch nicht

mal, in meiner Mietwohnung einen Nagel an die Wand zu hauen.“

Samuel und Elsa brachten den Pressspan mit in die fremden Wohnungen.

Der lässt sich ganz schnell legen und wieder wegnehmen.

Doch anders als die tanzenden Gäste gestalten die Gastgeber ihr Zuhause

nicht als Provisorium: Deckenabhängungen im Altbau werden

entfernt. Wände werden durchbrochen, um den eigenen Lebensentwürfen

besser gerecht zu werden. Wie lange wird der persönlich

gestaltete Mietraum noch verfügbar sein? Rechts und links auf den

Straßen neben den eigenen Wohnungen entstehen teure Neubauten –

für Eigentümer. Der Wohnwert des Viertels steigt, die Mieten ziehen

an. Elsa und Samuel haben in Zusammenarbeit mit Kolleg*innen

Anna-Lena und Diane mit den Bewohner*innen ihrer Residenzen

Gespräche geführt, über Mietwucher, das veränderte Gesicht des

Viertels und über Gentrifizierung.

Kunstharz

Ihre Erkundungen haben Elsa und Samuel gezeigt, wie vielfältig,

vieldeutig und besonders Mülheim als Wohnort ist. Ein Stadtteil in

Bewegung, mit vielen zeitgleichen Veränderungen. Dennoch sind

die Tänzer*innen auch an die Grenzen ihres Vorhabens gestoßen:

Natürlich macht nicht jeder seine Wohnung zur Residenz. Wohnen

ist Privatsache und findet hauptsächlich im Verborgenen statt. Ein

häufig genutzter Baustoff für Möbel ist Pressspan, also Spanplatten

aus Holzspänen. Deshalb heißt das Stück auch wie dieser Möbelbaustoff.

In Mülheim ist er überall zu haben, liegt wortwörtlich auf der

Straße. So konnte das Bühnenbild für Pressspan fast ohne Materialkosten

entstehen.

Die Fundstücke aus Holz und Kunstharz mit einem unverwechselbar

muffigen Geruch erhielten für die Performance geometrische

Formen, die an das Legespiel Tangram erinnern. Samuel hat Pressspan

schätzen gelernt, die einfache Lösung, die unterschiedlichen

Gewichte, die schier unbegrenzte Verfügbarkeit. Zu Beginn des

Tanzstücks balanciert Elsa liegend auf einem Stapel Pressspan. Dann

legt sie mit den Pressspan-Stücken ein unendliches Tangram auf dem

Tanzboden, baut Grundrisse von Zimmern und Wohnungen. Dann

wieder entsteht aus Pressspan ein Tangram-Weg, den die Tänzer*innen

legen, während sie sich Fragen zum Wohnen in Mülheim stellen:

Kannst Du Mülheim jederzeit verlassen? Haben deine Nachbar*innen

Angst vor dir? Hast du in den letzten Jahren begonnen, für Übernachtungen

in deiner Wohnung Geld anzunehmen? Macht dich der

Wohlstand anderer Leute wütend? Jede neue Antwort liegt wie eine

Platte aus Pressspan auf dem Boden. Eine Strecke entsteht. Wohin?

Diese Frage beantworten die Performer*innen nicht. Sie ist an ganz

Mülheim gerichtet.

Elsa Artmann und Samuel Duvoisin haben das Tanzstück Pressspan

entwickelt, produziert und choreografiert. Mit ihnen getanzt haben

Anne-Lene Nöldner (Antwerpen) und Diana Treder Köln. Maren

Zimmermann war verantwortlich für die Dramaturgie. Ale Bachlechner

(Köln) begleitete sie als Videokünstlerin, Georg Stein unterstützte

sie mit der Verarbeitung von Pressspan. Mehrere öffentliche

Einrichtungen haben das Konzept und seine Aufführung gefördert:

Das Team freut sich über Anfragen nach Gastspielen an artmann.

duvoisin@gmail.com. Den Postkartenroman „Pressspan“ kann man

dort ebenfalls bestellen. »

www.muelheimia.koeln/pressspan

KULTUR AUF

DER RICHTIGEN

SEITE

Berliner Straße 20, 51063 Köln

Tel. 0221 – 61 69 26

Fax 0221 – 6 16 07 96

info@kulturbunker-muelheim.de

www.kulturbunker-muelheim.de


7 #1 Januar 2020 Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales

Mülheimia fragt, Politiker*innen antworten

Michael Frenzel, SPD

… im Gespräch mit Eva Rusch

Genug Mülheim für Alle?!

Michael Frenzel vertritt die SPD Mülheim/Buchheim

seit fünf Jahren im Kölner Stadtrat. Zuvor

war er sachkundiger Einwohner im Stadtentwicklungsausschuss

der Stadt Köln, berufen von

der SPD. Michael Frenzel engagiert sich in

Mülheim, unterhält mit Karl Lauterbach und

Martin Börschel ein Bürgerbüro auf der Buchheimer

Straße, veranstaltet Workshops mit

Bürger*innen, setzt sich ein für einen attraktiveren

öffentlichen Raum. Wir unterhalten uns in

einem Lokal nahe des Mülheimer Hafens.

Wie lauten die Kernthesen der SPD zu „bezahlbarem

Wohnen“ in Köln?

Ich habe drei Kernthesen zum Wohnungsbau:

1. Mehr neue Wohnungen. Wir haben einen eklatanten

Wohnungsmangel. Der Leerstand liegt unter

1 %. 20.000 Interessent*innen kommen auf eine

GAG Wohnung, aber nur wenige 100 bis maximal

1.000 Wohnungen kann die GAG im Jahr neu

bauen. Wir brauchen mehr Grundstücke, um den

Wohnungsbau auch von Genossenschaften in der

Stadt voranzutreiben. Seit 2014 hat Köln jedes Jahr

die gesetzten Ziele von 6.000 neuen Wohnungen

deutlich verfehlt. Insofern waren die Reker-Jahre

verlorene Jahre, denn die Wohnungsnot hat sich

weiter verschärft.

2. Wir müssen dadurch etwas im Bestand tun,

d. h. wir müssen die Mieter*innen vor exorbitanten

Mietsteigerungen schützen, z. B. durch

Millieuschutzsatzungen oder einen freiwilligen

Mietendeckel, die für eine Mietobergrenze sorgen.

Es braucht einen qualifizierten Mietspiegel.

3. Die Stadt muss sich als Akteur mehr einbringen,

beispielsweise durch städtischen Wohnungsbau

für Bevölkerungsschichten, die heute auf dem

freien Markt praktisch keine Wohnungen mehr

bekommen und durch Nutzung des städtischen

Vorkaufsrechtes. Das Beispiel Wiens ist gut und

richtig. Nicht nur mit der GAG können wir preiswerten

Wohnraum zur Verfügung stellen, sondern

auch mit weiteren Institutionen, wie beispielsweise

Werkswohnungen der Stadtwerke-Tochter WSK.

Welche Herausforderungen siehst du für

Köln-Mülheim als Stadtteil und Bezirk in Bezug

auf Wohnraum?

Mülheim ist eine Stadtteil, der zunehmend an

Attraktivität gewinnt. Durch die aktuellen

Gebietsentwicklungen im Mülheimer Süden wird

diese noch einmal steigen. Die steigende Attraktivität

zeigt allerdings auch die negativen Seiten des

gesamtstädtischen Wohnungsmarktes mit Kostensteigerungen.

Das müssen wir politisch verhindern.

Hier gilt es den Zusammenhalt, das Milieu im Veedel

zu schützen, beispielsweise mit Milieuschutzsatzungen.

Aus meiner Sicht eines der größten

Probleme ist die Umwandlung von Mietshäusern

in Eigentumswohnungen, weil sich dadurch in der

Regel auch die Bevölkerungszusammensetzung im

Quartier und der soziale Zusammenhalt ändert. Es

werden bei einer ungehemmten Marktentwicklung

Schritt für Schritt die Menschen, die hier Jahrzehnte

gelebt haben, verdrängt.

Der ehemalige Güterbahnhof wird als Gewerbeund

Dienstleistungsquartier entwickelt. Wohnen

findet nur rudimentär Platz. Wie siehst du die damalige

Entscheidung in Anbetracht der heutigen

Wohnraumdebatte?

Ich halte die Entscheidung genau wie damals für

richtig. Die Verwaltung/die Stadt hat glaubhaft

dargelegt, dass Wohnen nur sehr untergeordnet an

diesem Standort zu realisieren ist, aus Abstandsgründen

und zum Schutz der Industriearbeitsplätze

an der Schanzenstraße. Es sind in Mülheim

unheimlich viele Arbeitsplätze verloren gegangen

zum Beispiel bei der Deutz AG und Felten &

Guilleaume. Deshalb ist es wichtig, dass wir wieder

Arbeitsplätze nach Mülheim bekommen. Natürlich

stehen Gewerbe und Wohnen immer im Wettbewerb

um die knappen Flächen, aber wir brauchen

auch Arbeitsplätze in Mülheim. Die sozialdemokratische

Bildungspolitik hat es ermöglicht, dass

Kinder ehemaliger Industriearbeiter heute hoch

qualifizierte Abschlüsse haben, Hochschulabschlüsse,

jedenfalls eine gute Bildung und entsprechende

Arbeitsplätze suchen. Wir bekommen in

dem Quartier zudem relativ viele Dienstleistungen,

beispielsweise Gastronomie. Es gibt glücklicherweise

die Möglichkeit, entlang der Keupstraße im

südlichen Bereich des Güterbahnhofs Wohnen zu

realisieren. Es sind ungefähr 150 Wohneinheiten

vorgesehen. Ich halte den im Werkstattverfahren

gekürten Siegerentwurf für eine gute Chance, die

trennende Wirkung der Stadtachse Markgrafenstraße

zwischen der Schanzenstraße und Mülheim-Nord

aufzuheben und das Quartier zusammenwachsen

zu lassen.

Wir befinden uns im Mülheimer-Süden. Hier

sollen auf rund 70 Hektar Fläche gemischte

Quartiere entstehen. Wohnen, Einkaufen und

Arbeiten, Schulen und Kitas und kulturelle

Angebote. Wie schätzt du die Vernetzung mit

dem alten Mülheim ein, droht uns eine

Trabantenstadt oder wird Mülheim-Süd

Deutz zugehörig?

Mülheim ist ein so attraktiver Stadtteil, allein

schon auf Grund seiner Lage am Rhein, des Stadtparks,

der Einkaufsmöglichkeiten und der Infrastruktur,

so dass die neuen Bewohner*innen sich

mit Mülheim voll identifizieren werden. Sie werden

sich nicht nach Deutz orientieren, sondern werden

sagen, ich bin stolz, in Mülheim zu wohnen. Da bin

ich mir 100 Prozent sicher. Zur Frage der sozialen

Zusammensetzung. Hier ist einfach nur wichtig,

dass wir das Ganze nicht dem Markt überlassen.

Dass wir nicht einfach ungehindert maximale

Profitoptimierung der Investoren zulassen, sondern

steuernd eingreifen und für eine gute soziale

Durchmischung sowie kulturelle Nutzungen

sorgen. Neben 2.500 bos 3.000 Wohnungen, davon

30 % gefördert, werden auch neue Einkaufsmöglichkeiten

entstehen.

Das Otto und Langen Quartier stellt eine Besonderheit

innerhalb der Entwicklung des Mülheimer

Südens dar. Hier bestände die Chance, dass die Stadt

Köln sich konkret einmischt. Welche Zukunft des

Quartiers präferierst du?

Als SPD haben wir uns hier klar mit einem Antrag

im Januar 2018 positioniert. Weil das Gelände NRW

Urban, also dem Land gehört, haben wir beantragt,

dass die Stadt dieses Gelände kaufen und mit ihrer

Entwicklungsgesellschaft moderne stadt GmbH

oder der GAG oder einem anderem Partner entwickeln

soll. Insbesondere um dort Nutzungen zu

ermöglichen, wie preiswertes Wohnen, andere Nutzungen,

kulturelle Nutzungen, die ein privater Investor

wahrscheinlich bei einer Höchstpreisvergabe

nicht realisieren würde. Leider ist unser Antrag von

der Ratsmehrheit abgelehnt worden. Wahrscheinlich

ein „Betriebsunfall“, weil Schwarzgrün derzeit

fast alle SPD-Vorschläge reflexartig ablehnt. Die

Stadt sollte nach wie vor aktiv werden und sich das

Grundstück zu bevorzugten Konditionen vom Land

überschreiben lassen.

Nun ist Eile geboten, weil mittlerweile raum13

zum April 2020 gekündigt wurde. Es wäre fatal,

wenn die Betreiber*innen, die dort sehr viel

investiert haben an Ideen und Vernetzungsarbeit,

das Feld räumen müssten.

Ich bin regelmäßiger Besucher der Ausstellungen

und Workshops im raum13. Es ist wirklich ganz

beachtlich, was dort auf die Beine gestellt worden

ist von Anja und Marc. Ich empfehle jedem, das

mal anzusehen, weil es erfahrbar macht, wie sehr

sich der Industriekern, der ganz stark die Identität

von Mülheim geprägt hat, verändert hat. Das ist

eine Form von künstlerischer Bearbeitung, die

die Wahrnehmung erweitert und zukunftsweisend

ist. Sie ermahnt uns, die gebaute Identität

dieses Teils der Stadt zu erhalten und zu

schützen. »

www.muelheimia.koeln/michaelfrenzel


Mülheimia Quarterly

Stadt. Kultur. Soziales

#1 Januar 2020 8

Niklas Kienitz, CDU

… im Gespräch mit Eva Rusch

„Der besondere Mülheim Charme“

Niklas Kienitz, Ehrenfelder, studierter Jurist und

Immobilienökonom (IREBS) ist Geschäftsführer

der 25-köpfigen CDU-Fraktion im Rat der Stadt

Köln. Auch als Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses

ist er vertraut mit dem Immobilienmarkt.

Ich treffe Niklas Kienitz im Spanischen Bau in

seinem Büro mit Blick auf das Historische Rathaus.

Mülheim liefert mit seinen Konversionsflächen

Raum für Wachstum. Welche Qualität der städtebaulichen

Entwicklung wünschen Sie sich als

Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses

auch im Hinblick auf ein Zusammenwachsen des

rechten und linken Kölns zu einer Stadt?

Das Zusammenwachsen hat für mich zwei Ebenen.

Der ganz praktische Aspekt ist der Zustand und

die Anzahl der Brücken, die beide Seiten verbinden.

Aktuell wird ja die Mülheimer Brücke saniert und

darüber hinaus gibt es die Idee neuer Rad- und

Fußgängerbrücken. Als Grundlage dafür dient der

Masterplan Speers, der eine Querung zwischen

Deutzer Hafen und Ubierring sowie eine vom

Rheinpark zur Bastei vorsieht. Letzteres würde

Mülheim bzw. den Mülheimer Süden zusätzlich

anbinden.

Die zweite Ebene besteht darin, die Qualität der

städtebaulichen Entwicklung zu erhöhen. Der

Mülheimer Süden bietet mit seiner Historie und

seinem besonderen Charme dafür beste Voraussetzungen.

Bei den Entwicklungsflächen im Stadtbezirk,

wie Schanzenstraße oder ID/Cologne, gilt für

mich, dass qualitativ hochwertige Gestaltungen,

Materialitäten und Architekturen gute Verfahren

verlangen und sich zudem an der Akzeptanz der

neuen Quartiere messen lassen müssen. Daher ist

es unbedingt erforderlich, wie auch geschehen,

dass eine frühe Bürgerbeteiligung stattfindet.

Eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Einkaufen,

Kultur, Versorgung und Bildungsinfrastruktur sind

ebenso unabdingbar.

Die Angst geht um, dass die Entwicklung am

Güterbahnhof die Mietpreise im näheren Umfeld

stark steigen lässt.

Diesen Sorgen versuchen wir mit verschiedenen

Maßnahmen entgegenzutreten. Dazu zählen einerseits

Milieuschutzsatzungen. Für das Severinsviertel

haben wir eine solche kürzlich im Rat beschlossen

und auch für ein Gebiet in Mülheim ist eine

solche Satzung geplant. Außerdem haben wir das

„Kooperative Baulandmodell“ beschlossen, was allerdings

nur dort greift, wo Wohnungsbau entsteht.

Zudem überlegen wir, ob bestimmte Grundstücke,

die im Eigentum der Stadt stehen, in Erbpacht

vergeben werden, um Wohnraum zu schaffen. Auch

auf dem Güterbahnhof hätten wir gerne mehr

Wohnungen realisiert, aber der Schallschutz hat

hier Grenzen gesetzt. Aber wir bleiben dran und

müssen die Frage beantworten, wieviel Wohnraum

wir insgesamt in der Stadt noch schaffen können.

Dazu muss auch das weitere Umfeld einbezogen

werden, wie Dellbrück oder Holweide.

In Mülheim-Nord gibt es Anzeichen, dass in

den Innenhöfen an der Berliner Straße durch

Nachverdichtung sehr hochpreisige neue

Wohnungen in der Umgebung des Güterbahnhofs

entstehen. Wie wirkt sich dies auf die

gewachsenen Strukturen aus?

Durch den Bau neuer Wohnungen – auch in

diesen Lagen – entspannt sich der Zugriff auf die

Bestandswohnungen. Ganz vermeidbar ist der

Übergriff beispielsweise auf die attraktiven Altbauwohnungen

allerdings nicht. Ähnliches kenne

ich aus Ehrenfeld. Was dort nach einer ersten

Gentrifizierungsphase allerdings passiert ist, ist

eine positive Rückbesinnung auf das Viertel.

Zur Ehrenfelder Mischung tragen die alteingesessene

Rösterei Schamong, urige Cafés und

andere Institutionen bei. Daher stellt sich die

Frage, ob Gentrifizierung per se schlecht ist oder

auch gute Seiten hat? Positiv gesehen, werden Immobilien

renoviert und modernisiert, die Substanz

wird verbessert und man rückt im Veedel näher

zusammen und besinnt sich auf starke Gemeinsamkeiten.

Was muss geschehen, dass der Rhein als Mitte

der Stadt betrachtet wird und nicht länger als

Teilung in eine „1. und 2. Klasse Köln“ ?

Das Bild einer despektierlich bezeichneten Schäl

Sick ist meiner Ansicht nach überholt. Was Mülheim

mit seinen großen Entwicklungsflächen

betrifft, liegt in der schieren Größe ein enormes

Potential. Die angrenzende Messe zum Beispiel investiert

um die 600 Millionen Euro in den Standort.

Sie wird in den nächsten Jahren eine neue Hauptzentrale

bauen. Die IHK hat sich jetzt für Mülheim

entschieden: Das zeigt, dass die rechte Rheinseite

deutlicher in den Fokus rückt. Was die Mobilität

angeht, müssen wir den Rhein stärker als Mitte

sehen. Das Thema Wassertaxi bzw. Bus, genau wie

eine Seilbahn als Vorschlag der Ratsgruppe Gut,

stehen zur Debatte. Ich glaube, dass sich das Image

der Schäl Sick in den vergangenen zehn Jahren

stark zum Positiven gewandelt hat. Heute sind

stark industriell geprägt Stadtteile wie in Mülheim

hoch attraktive Quartiere.

Im Mülheimer Süden entstehen gemischte

Viertel. Den Großteil der Flächen haben

Investoren unter sich aufgeteilt. Welche Rolle

würden Sie vor diesem Hintergrund dem Otto

und Langen Quartier inklusive Verwaltungsriegel

zuweisen?

Das kann ein Nukleus der ganzen Entwicklung

werden. Wir haben eine klassisch konventionelle

Entwicklung im Cologneo I und II und den Deutz

Quartieren. Im Otto Langen Quartier, das ist politischer

Konsens, könnte ein anderer Impuls gesetzt

werden. Das Thema Durchmischung von Wohnen,

Einkaufen, Gastronomie und kultureller Nutzung

der historischen Stätte der Erfindung des Otto-Motors,

könnte in einer Art Stadtentwicklungslabor,

wie es von den Protagonisten des raum13 vorgeschlagen

wird, neu gedacht werden. Vielleicht auch,

um negative Entwicklungen, wie etwa Verdrängung

im kulturellen Sektor, abzumildern. Die Frage

der Realisierbar- und Finanzierbarkeit muss mit

dem Land als ein Eigentümer und verschiedenen

Privateigentümern geklärt werden. Das ist sicherlich

nicht ganz einfach, aber machbar – auch weil

hier die Rendite nicht im Vordergrund stehen sollte,

sondern vielmehr andere Funktionen, die ein solches

Quartier leisten kann.»

www.muelheimia.koeln/niklaskienitz

Sabine Pakulat, Bündnis 90/Die Grünen

„Upgrading Mülheim“

Sabine Pakulat, Bündnis 90/Die Grünen, ist Mitglied

im Rat der Stadt Köln und vertritt „grüne

Politik“ im Stadtentwicklungs-, im Liegenschaftsund

im Wirtschaftsauschuss. Die diplomierte

Produktdesignerin hat ein Direktmandat aus

Klettenberg, Sülz I. Ich treffe die ehrenamtliche

Politikerin in den Fraktionsräumen der Grünen im

Spanischen Bau.


9 #1 Januar 2020 Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales

Mülheim liefert mit seinen Konversionsflächen

Raum für Wachstum. Welche Weichen möchte

Bündnis 90/Die Grünen für Mülheim stellen?

Es ist in jedem Fall wichtig, im Rechtsrheinischen,

gerade auch in Mülheim neue Arbeitsplätze zu

schaffen. Hier sind durch den Weggang und Niedergang

der Industrie viele weggefallen. Ich bin

keine Verfechterin des Ansatzes nur Wohnungsbau,

Wohnungen über alles, sondern vielmehr von gemischten

Quartieren. Es sollen Arbeiten und Wohnen

wieder näher zusammen gebracht werden und

es gibt keinen anderen Ort in Köln, der so geeignet

ist, dies zu realisieren, wie hier in Mülheim.

Im Mülheimer Süden entstehen gemischte

Viertel mit Wohnen, Gewerbe, Nahversorgung,

Schulen, Kitas und vereinzelten kulturellen Angeboten.

Den Großteil der Flächen haben Investoren

unter sich aufgeteilt. Wie beurteilen Sie die

Möglichkeiten dieses Quartiers?

Auch hier ist die Mischung von Wohnen und Arbeiten

wichtig. Zu schauen ist, wie der Einzelhandel

ausgebaut wird und selbstverständlich darf das

Grün nicht zu kurz kommen. Beim Bau kommt das

meist erst am Ende. Aber Grün und die Kultur gehören

für uns unbedingt zusammen, wenn man an

ein Stadtviertel von solchen Dimensionen, wie

denen des Mülheimer Südens denkt. Zur Durchwegung

und einer guten Anbindung an den ÖPNV

ist einiges geplant, insbesondere die neue Straßenbahnlinie

auf der Deutz-Mülheimer Straße. Nur so

kommen wir weg vom Auto. Toll ist natürlich die

Lage des Mülheimer Südens, seine Nähe zum Rhein.

Der Rhein ist eine wichtige Frischluftschneise für

ganz Köln.

Im Mülheimer Norden wird der ehemalige

Güterbahnhof als Gewerbefläche bebaut. Dieses

neu entstehende moderne Dienstleistungsquartier

wird von historisch gewachsenen Vierteln

an der Berliner Straße und Keupstraße umgeben.

Wie schätzen Sie die Auswirkungen auf

die umliegenden Stadt- und Wohnvierteln ein?

Für die Berliner Straße ist dies eine Chance, eine

super Chance. Ein Upgrading tut Mülheim, gerade

auch Alt-Mülheim, sicherlich gut. Damit ist nicht

Gentrifizierung gemeint, sondern ein Upgrading

bis zu einem bestimmten Grad, an dem dann mit

einer Erhaltungssatzung der negativen Entwicklung

Einhalt geboten wird, ähnlich wie dies beim

Severinsviertel war. Aber auch diesem Viertel hat

in den letzten 20 Jahre das sogenannte Upgrading

gut getan. Von daher sehen wir große Chancen auch

durch den Charakter der sich ansiedelnden Firmen,

alles moderne Firmen und jetzt auch die IHK. Sehr

vielversprechend und erfreulich. Die weitere Entwicklung

muss natürlich genau beobachtet werden,

dass diese nicht fehlgesteuert verläuft.

Der Wiener Platz ist in den Fokus gekommen.

Bündnis 90/Die Grünen, die CDU, die FDP und die

Guten haben eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht.

Eine halbe Million ist in den Haushalt

eingestellt worden. Der Wiener Platz ist wichtig

für das Selbstverständnis der Mülheimer*innen

und bestimmt die Wahrnehmung des Stadtteils

und Bezirks von außen. Was ist vorgesehen?

Eine halbe Million ist ein beschränkter Betrag. Es

sollte zunächst aufgeräumt, sauber gemacht und

ungepflegte schattige Ecken beleuchtet oder umgebaut

werden. Mehr Begrünung für mehr Freundlichkeit

sollte dabei sein. „Mehr“ ist bei einem solchen

Betrag wahrscheinlich nicht möglich. Wichtig

ist, dass die Entwicklung von den Menschen vor

Ort getragen wird. Daher wollen wir dieser nicht

vorweg greifen. Bei der Umsetzung der Veränderungen

handelt es sich um Beträge die ausschreibungspflichtig

sind, daher muss dies durch den

Stadtrat mitentschieden werden. Eine sorgfältige

Planung ist erforderlich, wofür das Stadtplanungsamt

zuständig ist.»

www.muelheimia.koeln/sabinepakulat

Ralph Sterck, FDP

… im Gespräch mit Tom Laroche

„Weniger Bürokratie!“

Ralph Sterck ist Vorsitzender der FDP-Ratsfraktion,

Mitglied im Stadtentwicklungs-, Verkehrs-,

Haupt- und Liegenschaftsausschuss. Seine Unterstüzung

der Kandidatur Henriette Rekers hat

er für die 2020 anstehenden Kommunalwahlen

aufgekündigt.

Es wird aktuell eine Milieuschutzsatzung für das

Severinsviertel diskutiert. Wie sieht das künftig

für Mülheim aus und wie stehst du und wie steht

die FDP zum Thema Gentrifizierung?

Wir machen das mit der Milieuschutzsatzung

nicht mit. Man kann das an der Entwicklung in den

ehemaligen Arbeiterstadtteilen wie Ehrenfeld und

Nippes sehen und jetzt ist Mülheim dran. Das Severinsviertel

beispielsweise war auch ursprünglich

ein solches Arbeiterviertel mit Stollwerck, Hausbesetzerszene

u. s. w. und heute ist es „in“, dort zu

wohnen. Es ist eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Es

haben sich einige gut eingerichtet und jetzt die Käseglocke

drüber zu stülpen und zu sagen: jetzt darf

sich nichts mehr verändern, halte ich für falsch.

Gentrifizierung ist hier der Kampfbegriff, aber

Gentrifizierung ist auch ein Motor der Stadtentwicklung.

Für manche Stadtteile würde man sich

sogar mehr Gentrifizierung wünschen. Ich würde

den Menschen lieber genug Wohngeld geben, damit

sie sich auf dem freien Markt Wohnungen leisten

können, statt die Objekte, also die Wohnungen zu

subventionieren. Ich bin mehr für die Subjektförderung,

wo der Mensch gefördert wird, und nicht

zeitweilig die Wohnungen bezuschusst werden.

Die Entwicklung auf dem ehemaligen Güterbahnhof

und der Schanzenstraße als neues Dienstleistungs-

und Gewerbequartier schreitet voran.

Nun wird auch die IHK nach Mülheim kommen.

Das ist im Grunde eine Sensation. Man könnte sagen:

Mülheim hat es geschafft. Vor 20 Jahren wäre

es nicht denkbar gewesen, dass eine letztlich so

konservative Einrichtung, aber auch andere große

Institutionen wie das Schauspielhaus, sich trauen,

hier hinzukommen. Und es hat ja auch funktioniert:

Die Leute kommen ins Schauspielhaus, Palladium

und E-Werk. Und jetzt, wo unter anderem

die IHK hier angesiedelt wird und es hier insgesamt

rund 8.000 neue Arbeitsplätze geben wird, steigt

natürlich auch die Nachfrage am Wohnungsmarkt

und das verteuert natürlich die Mieten.

Welche Konzepte bietet die FDP in Sachen

Stadtentwicklung und Wohnungsbau an?

Es wird zu wenig gebaut: Die Stadt müsste 6.000

Wohnungen im Jahr schaffen. Wir werden neue

Gebiete erschließen müssen. Wir bräuchten

zweieinhalb Tausend Hektar, um den Bedarf für

die nächsten 25 Jahre abdecken zu können, aber

die Verwaltung hat nur ein Drittel davon vorgeschlagen.

Das wird also rein physikalisch gar nicht

klappen, wenn man keine zusätzlichen Flächen

ausweisen kann.

Zur Diskussion um den Mietendeckel: Wir müssen

bauen, bauen, bauen. Aber dem steht zuviel

Bürokratie entgegen, zu viele Auflagen. Wenn

man mal vergleicht: Bauen in Deutschland und

Bauen in Holland, da gibt es andere Standards. Die

Instrumente sind einfach zu bürokratisch. Wir

sind für mehr Wohnungsbau und weniger Bürokratie.

Warum sollte man nicht unkomplizierter

bauen dürfen? Da kann dann auch mal eine Leitung

auf Putz liegen, oder ein Haus ohne Keller gebaut

werden, oder auch mal mit einer steileren Treppe.

Die Holländer leben ja auch gut. Es kann auch wie

in München nachverdichtet werden. Ich habe noch

nie jemanden gehört, der gesagt hätte, München

hätte eine schlechte Lebensqualität. Es muss doch

möglich sein, in Köln sowohl hochpreisige als auch

einfachere, niedrigpreisige Wohnungen zu bauen. »

www.muelheimia.koeln/ralphsterck


Mülheimia Quarterly

Stadt. Kultur. Soziales

SSM Halle am Rhein

(6 Wohnräume, Second Hand Möbel, 2019)

#1 Januar 2020 10

Düsseldorfer Straße

Ausgewählte alte und neue Wohn- und Gewerbequartiere

Mülheim im Überflug

Opal

Böcking Siedlung

(GAG. 1981)

Mülheimia

Böcking

Wallstraße

(ca. 30 WE)

Wallstraße

Mülheimer Brücke

Mülheimer Freiheit

Buchheimer Stra

ALT-MÜ

Katzenbuckelbrücke

Danzier Straße

Rheinboulevard

Lindgens Areal

COLOGNEO III

Deutz Quar

WERFT

JUGENDPARK

Mülheimer Hafen

COLOGNEO II

raum13

Deutzer

Zentralwerk

der Schönen

Künste

Kita

Otto und Langen Quartier

Deutz-Mülheimer Straße

Auenweg

MÜLHEIM-SÜD

Bahntrasse

Bahntrasse

Stegerwaldsiedlung

COLOGNEO I

Adam-Stegerwald-Straße

STEGERWALD

Zoobrücke

RHEINPARK

Gebäude 9

KOELNMESSE

Kunstwerk

Quartier, Siedlung

Träger*in, Investor*in

Baujahr

Anzahl der Wohnungen

Gewerbefläche in qm

Kaltmiete pro qm

Art und

Besonderheiten

COLOGNEO I, II und III

CG Gruppe AG

2019, in Bau, bzw. in Planung

ca. 1.450 gesamt (à 30 bis 170 qm)

ca. 91.000 qm gesamt

k. A.

COLOGNEO I: Mietwohnungen, Gewerbe,

soziale und kulturelle Nutzungen (Kita,

Gebäude 9, Kunstwerk, Kunstetage)

Otto und Langen Quartier

NRW Urban, Eggebauer, Gerchgroup AG

in Planung

400

k. A.

k. A.

Miet-, Sozial- und Studentenwohnungen

raum13: soziale und kulturelle Nutzung als

Stadtraumlabor „Wohnen und Arbeiten“

Lindgens Areal

Lindgens-Areal Projekt GmbH & Co.KG

erste Abrissarbeiten

ca. 360

24.000 qm

k. A.

Miet- und Eigentumswohnungen,

Einzelhandel, Gastronomie, Hotel, Kita

Deutz Quartiere

Gerchgroup AG

2023

2.500 bis 3.000

39.000 qm

k. A.

Miet- und Eigentumswohnungen, 30 Prozent

sozialer Wohnungsbau, Kita, Schule,

Büros, Einzelhandel, großer Grünzug

Stegerwaldsiedlung

Dewog, Aachener Siedlungsbau

1951 bis 1956, 2019

1.501 saniert, 93 aufgestockt

k. A.

9 € (Bestand), 12,50 € (Neubau)

Modernisierung im Projekt

„GrowSmarter“


11 #1 Januar 2020 Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales

Park

Hacketäuer Siedlung

(GAG. 1966 bis 1971, Sanierung 1984)

MÜLHEIM-NORD

Lutherturm

Berliner Straße

Kulturbunker

Markgrafenstraße

Schanzenstraße

I/D Cologne

Keupstraße

Schauspiel Köln

Carlswerk

ße

Regentenstraße

LHEIM

Clevischer Ring

WIENER PLATZ

Holweider Straße

Bergisch Gladbacher Straße

Frankfurter Straße

Bahnhof Mülheim

BUCHHEIM

Carlswerkquartier

Herler Straße

Herler Straße

Bezirksrathaus

Bullhochhaus

STADTGARTEN

Graf-Adolf-Straße

Holsteinstraße

Alte

Wipperfürther Straße

Bergischer Ring

Grünstraße

Rendsburger Platz

Bertoldi Gärten

tiere

„Blauer Hof“

„Weiße Stadt“

Kalk-Mülheimer Straße

Waldecker Straße

Heidelberger Straße

Pfälzischer Ring

BUCHFORST

Kopernikusstraße

Kulturkirche Ost

Kalkberg

Mietwohnungen

Wohnungsbaugesellschaften

Eigentumswohnungen

Alternative Wohn- und Arbeitsformen

Ältere Siedlung, nur auf Warteliste

in Bau bzw. in Planung

Gewerbe: Büros, Hotel, Gastronomie, Handel

Blauer Hof und Weiße Stadt

GAG

1926 bis 1932, Sanierung 2006–10

427 | 580

k. A.

8,80 €

Mietwohnungen

Weiße Stadt: Mieter*innen wurden

zu Eigentümer*innen

Bertoldi Gärten

Ten Brinke Group

2020

153

keine

12,60 bis 17,50 €

76 Eigentumswohnungen,

77 Mietwohnungen

Holsteinstraße

GAG

2018

120

keine

6,05 bis 10 €

Mietwohnungen,

84 Sozialwohnungen

Carlswerkquartier

GAG

2010 bis 2013

223

keine

6,25 bis 11 €

davon 104 Sozialwohnungen

Herler Straße

Bauwens GmbH & Co.KG und WvM

in Bau

237

keine

k. A.

80 Eigentumswohnungen,

109 Mietwohnungen, 48 Sozialwohnungen

Lutherturm

Ev. Kirchengemeinde

2020

17

4 Büros

ca. 12,50 €

Mietwohnungen. Umund

Erweiterungsbau

einer Kirche

I/D Cologne

OSMAB und Art Invest

in Bau

keine

160.000 qm

n. k. A.

Büros, Gastronomie, Hotel,

Sport

Carlswerk

BEOS AG

1896 bis 1986, Modernisierung lfd.

keine

126.000 qm

k. A.

Miete bzw. Pacht

Schauspiel Köln


Mülheimia Quarterly

Stadt. Kultur. Soziales

#1 Januar 2020 12

Sozialer Wohnungsbau mit Paul Lücke

Konkrete Utopien braucht das Land

Links: Paul Lücke.

Rechts: Paul Lücke

und Konrad Adenauer

bei der Übergabe der

sechmillionensten

Nachkriegswohnung

in Bensberg-Kippekausen.

Beide Fotos aus:

der Broschüre „Ein

Viertel Jahrhundert

- Ein Mann in dieser

Zeit“, CDU Bergisch

Gladbach, 1960

von Tim Lücke

Abgesehen vom Klimawandel gibt es

wohl kaum ein Thema, was momentan

die Gemüter in Deutschland so

sehr erhitzt wie das Problem steigender

Mieten und fehlenden Wohnraums.

Die Nachfrage nach bezahlbaren

Wohnungen in den Städten steigt

konstant und ein Ende dieses Trends

ist nicht abzusehen. Vor allem für

Menschen mit einem niedrigen Einkommen

verschärft sich die Situation

zunehmend. Die Zahl der Sozialwohnung

hat sich seit 1990 um mehr

als die Hälfte verringert and fällt

kontinuierlich. 1 Zur gleichen Zeit

scheinen die Politiker hilflos vor dem

Problem zu stehen. Mietpreisbremse

oder Wohnraumverdichtung, dies

sind nur zwei Beispiele für kleinteilige

Instrumente, die die Misere nicht

wirklich lösen und im schlimmsten

Fall nach hinten losgehen. Was fehlt,

ist die große Vision.

Die Generation, die nach dem Zweiten

Weltkrieg die Trümmer beiseite

geräumt hat und mit dem Wiederaufbau

begann hatte so eine Vision. Oder,

um genauer zu sein, sie hatte viele

Visionen und Visionäre, die die Rolle

des Wohnungsbaus und des Wohnens

generell in gesellschaftspolitische

Lücke mit neun Geschwistern in einem

kleinen Haus im Bergischen Land auf.

Tief verwurzelt in der katholischen

Jugendbewegung war er ein entschiedener

Gegner der Nationalsozialisten.

Während der 30er Jahre machte er eine

Ausbildung in Berlin-Wedding, wo ihn

die Zustände der überfüllten Arbeiterviertel

zutiefst schockierten. Nach dem

Krieg kümmerte er sich zunächst um

die Unterbringung von Flüchtlingen im

Oberbergischen Kreis und war dann als

Amtsleiter für den Wiederaufbau von

Engelskirchen verantwortlich, einer

der meist zerstörtesten Städte in NRW.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges

war ein Fünftel aller Wohnungen

in Deutschland unbewohnbar. An

die 13 Millionen Vertriebene und

Flüchtlinge suchten ein neues Zuhause.

Zwischen den Jahren 1949 und

1964 wurden dann jedoch mehr als

8 Millionen neue Wohnung errichtet.

Von 1953 bis 1963 wurden jedes

Jahr mehr als 500.000 Wohnungen in

Westdeutschland gebaut, 1964 waren

es sogar über 600.000 2 . Der Anteil

der neugebauten Sozialwohnungen

betrug in diesem Zeitraum über 50

Prozent. Im Vergleich dazu wurden in

den Jahren 2014 – 2018 im Durchschnitt

nur 250.000 Wohnungen pro

Jahr fertiggestellt, und das in Ost-

günstiger. Aber trotzdem ist der

Unterschied immens. Hinzu kommt,

dass es Politikern wie Paul Lücke

selbst damals, in Zeiten von zerstörten

Städten, die überfüllt waren

von Vertriebenen und Flüchtlingen,

nicht darauf ankam einfach schnell

und billig Wohnungen zu bauen. Die

Vision von Paul Lücke war es, den Bau

von guten Wohnungen und Häusern

zu fördern, die erschwinglich waren

für alle Menschen, ob arm oder reich.

Mit „guten“ Wohnungen meinte er

Wohnungen, die genügend Platz für

Familien boten. Diese Wohnungen

sollten bezahlbar sein selbst für

Menschen mit geringem Einkommen.

Warum? Weil eine vernünftige

Wohnung, oder idealerweise ein

Eigenheim, den Menschen mit Grund

und Boden verwurzelt und somit auch

in der Gesellschaft fest verankert. Das

dies ein fundamentales Ziel von Wohnungspolitik

sein müsse, ging aus der

Erfahrung dieser Generation und aus

den persönlichen Erlebnissen meines

Großvaters in der Weimarer Republik

und der Nazizeit hervor. Wie der Historiker

Günther Schulz betont: „Er [Paul

Lücke] faßte den Wohnungsbau auch

stets als Prophylaxe gegen den Nationalsozialismus

auf. Der Bau besserer

Wohnungen sollte verhindern, daß

noch einmal solche gesellschaftliche

1 Janson, Matthias

(2018): Immer weniger

Sozialwohnungen

in Deutschland,

Statista, https://

de.statista.com/

infografik/12473/

immer-weniger-sozialwohnungen-in-deutschland/

2 Mehr Als Vier Wände,

Verlag Seidl, S. 2.

Siehe auch Schulz,

Günther (1994):

Wiederaufbau in

Deutschland, Droste,

S. 351, Tabelle 4.

3 Breitkopf, A. (2019):

Baufertigstellungen –

Anzahl der Wohnungen

in Deutschland

bis 2018, Statista,

https://de.statista.

com/statistik/daten/

studie/39008/umfrage/baufertigstellungen-von-wohnungen-in-deutschland/

4 Zeit Online

(2019): „Bau von

Sozialwohnungen

stagniert trotz

Milliardenausgaben“,

https://www.zeit.

de/politik/deutschland/2019-06/

wohnungsbau-sozialwohnungen-neubauten-bund-foerderung

5 Schulz, Günther

(1994): Wiederaufbau

in Deutschland,

Droste, S. 262.

Konzepte eingebettet haben.

und Westdeutschland zusammen 3 . Im

Unzufriedenheit wie in den überfüllten,

Jahr 2018 wurden 27.000 Sozialwoh-

engen Quartieren der Mietskasernen

Einer dieser Visionäre war mein

nungen gebaut 4 , dass entspricht nicht

entstand, die von den Demagogen zur

Großvater Paul Lücke (1914 – 1976),

einmal zehn Prozent des gesamten

politischen Radikalisierung umge-

der als Vorsitzender des Ausschusses

Wohnungsbaus im Jahr 2018.

münzt werden konnte.“ 5 Diesen Satz

für Wiederaufbau und Wohnungswe-

sollte man sich in unserer Zeit, geprägt

sen (1950 – 1957) und danach als Bun-

Nun waren die Umstände damals

von Rechtsruck und wachsender Po-

desminister für Wohnungsbau (1957

sicherlich in vielerlei Hinsicht anders

litikverdrossenheit, mal so richtig auf

– 1965) den erfolgreichen Wiederauf-

als heute. Die Zerstörung des Krieges

der Zunge zergehen lassen.

bau Westdeutschlands maßgeblich

machte Wohnungsbau zu einer

geprägt und gestaltet hat. Als Sohn

absoluten Priorität und der Bau von

Es gab sicherlich auch viele Dinge,

eines Steinbruchmeisters wuchs Paul

Wohnungen war damals wesentlich

die man damals an der Politik von


13 #1 Januar 2020 Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales

Paul Lücke und seiner Generation

bemängeln konnte. Und es ist

sicherlich nicht meine Absicht,

Und diese Vision hat seine Wohnungsbaupolitik

grundlegend

geprägt. Dass diese Vorstellungen

Was wir heute brauchen sind

neue konkrete Utopien. Und

wenn sich die CDU ihrer christ-

Über den Autor: Dr. Tim Lücke hat

in den USA Politik studiert und

dort im Fach Internationale

6 Schulz, Günther

(1994): Wiederaufbau

in Deutschland,

Droste, S. 262.

meinen Großvater und die da-

nicht hundertprozentig in die

lich-sozialen Wurzeln mal

Beziehungen promoviert. Er

malige Zeit zu glorifizieren. Aber

Tat umgesetzt wurden, ist klar.

wieder etwas mehr bewusst

arbeitet als freier Autor und Poli-

in einem Punkt war Paul Lücke

Günther Schulz bringt es auf den

werden würde, dann gäbe es

tikberater. Sein Artikel basiert auf

den heutigen Politikern wirklich

Punkt: „Lückes Konzept war eine

eventuell auch wieder mehr

Recherchen für sein Buchprojekt

voraus: Wohnen und somit auch

konkrete Utopie. Konkret – weil

Leute, die dieser Partei ihre

„Enkeltreffen: Drei Generationen in

Wohnungsbaupolitik waren Teil

es von vielen Bauherren realisiert

Stimme geben würden. Zumin-

Deutschland.“

einer gesamtgesellschaftlichen

wurde; Utopie – weil es als allei-

dest würden man ihr dann

Vision, wie man Deutschland

nige Maxime zur Überwindung

beim nächsten Parteitag

>www.muelheimia.koeln/

zu einem wohlhabenden und

des Wohnungselend nicht taugte.

vielleicht nicht wieder das

paulluecke

friedlichen Land machen könne.

Lücke wußte das.“ 6

„C“ entwenden.»

Das Drama auf dem Wohnungsmarkt mit Blick auf Mülheim

Friede den Hütten

von Francesco Aneto

Angstgebet in Wohnungsnot

von Joachim Ringelnatz, 1923

Ach, lieber Gott, gib, daß sie nicht

Uns aus der Wohnung jagen.

Was soll ich ihr denn noch sagen –

Meiner Frau – in ihr verheultes Gesicht! ?

Ich ringe meine Hände.

Weil ich keinen Ausweg fände,

Wenn’s eines Tags so wirklich wär:

Bett, Kleider, Bücher, mein Sekretär, -

Daß das auf der Straße stände.

Sollt ich’s versetzen, verkaufen?

Ist all doch nötigstes Gerät.

Wir würden, einmal, die Not versaufen,

Und dann: Wer weiß, was ich tat.

Ich hänge so an dem Bilde,

Das noch von meiner Großmama

stammt.

Gott, gieße doch etwas Milde

Über das steinerne Wohnungsamt.

eine Wohnung zu finden, die passt

und in der man sich wohl fühlen

kann. Es ist in heutigen Zeiten für

eine/n Durchschnittsverdiener*in

nahezu unmöglich, besonders in

dicht besiedelten Großstädten wie

Köln, eine noch einigermaßen bezahlbare

angemessene Wohnstätte zu

ergattern. Dies gilt auch mittlerweile

für Mülheim, das ebenso in den Fokus

der Heerschaaren der verzweifelt

Suchenden gerät. Dies belegt bereits

ein kurzer Blick in die einschlägigen

Internetportale etwa von Immobilienscout.

Auch in Mülheim ziehen die

Mietpreise in letzter Zeit kräftig an.

So wird etwa eine 64 qm große

Wohnung in der Deutz-Mülheimer

Straße für 790 € angeboten. Für eine

neuwertigere 2-Zimmer-Wohnung

mit 62 qm in der Düsseldorfer Straße

werden sogar 1.000 € kalt monatlich

verlangt. Für eine etwas großzügi-

Es ist allerdings nur ein sog. einfacher

Mietspiegel. Im Unterschied zum einfachen

Mietspiegel sind die gesetzlichen

Anforderungen an einen qualifizierten

Mietspiegel insoweit höher, als dass

der qualifizierte Mietspiegel nach

wissenschaftlichen Grundsätzen zu

erstellen ist. So sollen die angewandten

Ermittlungsmethoden sowohl

dokumentiert als auch nachvollziehbar

und überprüfbar sein. Auch im Hinblick

auf die Aktualität der Angaben stellt

der Gesetzgeber an den qualifizierten

Mietspiegel gesteigerte Bedingungen.

Durch diese erhöhten Anforderungen

soll der qualifizierte Mietspiegel eine

besondere Gewähr für die Richtigkeit

der dortigen Angaben bieten. Im

Übrigen kommt dem qualifizierten

Mietspiegel im Falle eines mietrechtlichen

Prozesses erhebliche Beweiskraft

zu und ist als Grundlage einer Urteilsbegründung

zulässig.

Im Stadtteil Mülheim beträgt die

durchschnittliche Miete nach dem in

Köln gültigen Mietspiegel derzeit pro

ist, bezeugen nicht nur hunderte

von Bewerber*innen auf lukrative

und halbwegs attraktive Miet- oder

Kaufangebote. Regelmäßig drängeln

sich bei Besichtigungstermin

bangend auf Wunder hoffende Menschenmassen.

Auch hier muss man

nur die Zahlen sprechen lassen: Am

31.12.2018 lebten nach dem genannten

Wohnungsreport 1.089.984 Menschen

in Köln. Nach den Prognosen

wir die Stadt bis 2040 um weitere

63.200 Menschen wachsen. Dann

wird Köln etwa 605.200 Haushalte

zählen, davon konstant allein um

die 50 % Ein-Personen-Haushalte.

Die Haushalte mit Kinder von rund

100.000 steigen um ca. 5.800 bis 2030.

Allein an diesen nackten Fakten kann

man den immens steigenden Bedarf

an Wohnungen ablesen. Ein weiterer

wichtiger Indikator ist die sog. Leerstandsquote.

Gefühlt tendiert diese in

Wie meine Frau die Nacht durchweint,

Das barmt durch all meine Träume.

Gott, laß uns die lieben zwei Räume

Mit der Sonne, die vormittags hinein

scheint.

gere sanierte Altbauwohnung in der

Holweider Straße beträgt die Kaltmiete

1.056,00 € (alle Zugriffe am 10.12.2019).

Diese neu auf dem Markt angebotenen

Wohnungen dürften schon über dem

Quadratmeter 10,40 €. Sie liegt damit

schon auf der Höhe von Stadtteilen

wie Bickendorf (10,40 €), Niehl

(10,60 €) oder der Altstadt-Nord

(10,70 €). Noch ist man allerdings weit

heutigen Zeiten gegen Null. Offiziell

messbar ist sie allein im geförderten

Wohnungsbau (siehe nachfolgend).

Dort betrug sie 2018 nur 0,32 %. Um

den gewöhnlichen Bedarf abzude-

Kölner Mietspiegel liegen.

entfernt von Stadtteilen wie Ehren-

cken, müsste die Quote aber ständig

Jeder Mensch braucht ein Zuhause

– nicht nur ein Dach über den Kopf.

Einen warmen, geschützten Ort, an

dem er für sich sein, mit Freunden

feiern und mit seiner Familie gemeinsam

leben kann. Eine gewohnte

abgeschlossene Umgebung, in der er

den Staub des Alltags abschüttelnd

endlich ruhen und Kraft tanken kann.

Räume, die er nach seinen Vorstellungen

gestaltet und welche die Dinge

enthalten, die im wichtig sind.

Wer den Menschen seine Wohnung

oder Haus wegnimmt, entreißt im

also seine ihm lieb gewordene ganz

persönliche Umgebung. Vorher steht

natürlich der erste wichtigere Schritt,

Der sogenannte Mietspiegel ist eine

gesetzlich anerkannte Messlatte zur

Feststellung der sogenannten ortsüblichen

Vergleichsmiete für Bestandsmieten.

Nach § 558 BGB kann der

Vermieter die Miete unter bestimmten

gesetzlichen Vorgaben nur bis zur

ortsüblichen Vergleichsmiete erhöhen.

Die ortsübliche Vergleichsmiete wird

gebildet aus den üblichen Entgelten,

die in der Gemeinde für freifinanzierten

Wohnraum vergleichbarer Art, Größe,

Ausstattung, Beschaffenheit und Lage

aus den letzten vier Jahren vereinbart

(Neuvertragsmieten) oder geändert

(Bestandsmieten) worden sind. In Köln

wird er sogar alle zwei Jahre vom

Wohnungsamt der Stadt Köln zusammen

mit der Wohnungswirtschaft

fortgeschrieben (zuletzt Januar 2019).

feld (12,10 €) oder Lindenthal (12,30

€) (vgl. https://www.koeln.de/immobilien/mietspiegel.html).

Im Vergleich

zu 2018 ist die Durchschnittsmiete pro

Quadratmeter in Mülheim 2019 um

3,2 Prozent gestiegen. In Köln insgesamt

sind von 2010 bis 2019 die Mieten

für Neubauwohnungen von 9,60 € auf

13,25 € und für Bestandswohnungen

von 8,24 € auf 11,12 € angestiegen.

Hinter diesen unscheinbaren Zahlen

steckt jedoch eine Entwicklung zu

immer mehr sozialer Segregation und

der Entstehung homogener Milieus.

Dass die Lage auf dem Wohnungsmarkt

in Köln insgesamt dramatisch

2 – besser 3 % betragen. Dies hat gravierende

Folgen: Nach Auskunft des

Mietervereins sind schätzungsweise

8.000 Kölner*innen ohne Wohnung,

davon sind 3.000 obdachlos.

Nach dem städtischen Bericht

„Wohnen in Köln, Fakten, Zahlen und

Ergebnisse 2018, Ausblick 2019“ verfügte

die Stadt Ende 2018 über 561.514

Wohnungen. Der Anteil an preisgünstigen

geförderten Wohnungen beträgt

dabei (nur muss man sagen) 8,7 %. Im

Stadtbezirk Mülheim ist der Anteil

von 74.453 Wohnungen mit 12,36 %

schon deutlich höher. 2018 wurden

im Stadtbezirk Mülheim jedoch nur

82 Wohnungen gefördert (von 950


Mülheimia Quarterly

Stadt. Kultur. Soziales

#1 Januar 2020 14

insgesamt stadtweit). Nimmt man

Deutschland in den Blick, wird es

noch dramatischer: In 2018 gab es auf

dem Markt 1.180.000 Sozialwohnungen

– damit 50 % weniger als noch

vor 15 Jahren!

Sozial geförderter Wohnungsbau

Gegenstand der sozialen Wohnraumförderung

ist sowohl die Bereitstellung

preiswerter Mietwohnungen als auch

die Unterstützung bei der Bildung

selbst genutzten Wohneigentums. Unterstützt

werden sollen am Wohnungsmarkt

Benachteiligte, insbesondere

Familien mit Kindern, Senioren und

Menschen mit Behinderungen. Das

Land Nordrhein-Westfalen fördert mit

zinsgünstigen Darlehen den Bau von

Mietwohnungen, die Neuschaffung von

Mietwohnungen durch Nutzungsänderung,

die Erweiterung von Gebäuden

und die Anpassung von bestehenden

Mietwohnungen an geänderte

Wohnbedürfnisse für Haushalte mit

geringem Einkommen. Weitere Förderangebote

bestehen für den Neubau

barrierefreier Gruppenwohnungen

sowie von Pflegewohnplätzen.

Der Rat der Stadt Köln hat 2013 das

sogeannte kooperative Baulandmodell

beschlossen, um mehr preisgünstigen

Wohnraum zu schaffen.

Vorhabenträger, d. h. Investoren, sind

danach verpflichtet, innerhalb eines

Verfahren der Bauleitplanung einen

30 %-Anteil an öffentlich geförderten

Wohnungen zu errichten. Zudem

müssen sie sich an den planbedingten

Folgekosten für etwa Kindergärten

und Spielplätze beteiligen

(Einzelheiten siehe: https://www.

stadt-koeln.de/artikel/62175/index.

html).

Auch die großen Neubaugebiete im

Mülheimer Süden sehen das kooperative

Baulandmodell vor. Immer

wieder werden politische Forderungen

laut, die Quote geförderter

Wohnungen auf 50 % zu erhöhen.

Die Gegner der Erhöhung, vor allem

Investoren, befürchten, dass die

anderen nicht geförderten Wohnungen

dann noch teurer werden. Andere

fordern alternative Möglichkeiten

aktiver Baulandpolitik mehr in den

Blick zu nehmen: Innenstadtverdichtung

(z. B. Dachausbau), Wegfall der

Stellplatzpflicht, Lockerung baurechtlicher

Vorgaben und in der der

Bauleitplanung (z. B. beim Lärm).

Es ist jedenfalls noch ein langer Weg

zum „Vorzeigemodell Wien“, wo ca.

60 % der vermieteten Wohnungen

(420.000) dem sozialen Wohnungsbau

mit dauerhafter sozialer Mietbindung

zuzurechnen sind (von diesem Anteil

besitzt die Stadt Wien 60 %; zum

Vergleich: In Köln stehen 44.346

Wohnungen im Besitz der stadteigenen

GAG). Nach Expertenmeinung

könnte bundesweit durch ein

Investitionsprogramm von jährlich

10 Milliarden Euro über zehn

Jahre ein Neustart im sozialen und

gemeinnützigen Wohnungsbau mit

250.000 Wohnungen pro Jahr geschafft

werden. Hier würden dauerhaft

günstige Mieten garantiert.

Ein Hoffnungsschimmer ist, dass

die Stadt Köln künftig mit der Stadt

Wien zum „Neuen sozialen Wohnen“

zusammenarbeiten wird.

Um vor allem die aktuell explodierenden

Mieten insbesondere für

Neuvermietungen in den Griff zu

bekommen, existieren weitere staatliche

Instrumente zur Regulierung

oder werden diskutiert bzw. bereits

auf den Weg gebracht. Das BGB

enthält hierzu bereits Regelungen. Im

Oktober 2018 hat die Große Koalition

die sog. Mietpreisbremse verschärft:

Mietpreisbremse Danach darf bei der

Wiedervermietung von Bestandswohnungen

in Gebieten mit angespanntem

Wohnungsmarkt die Miete höchstens

zehn Prozent über der ortsüblichen

Vergleichsmiete liegen. Ob der Wohnungsmarkt

als angespannt gilt, entscheiden

die einzelnen Bundesländer

(NRW hat so entschieden). Wie hoch

die Vergleichsmiete ist, kann dem

einfachen oder qualifizierten Mietspiegel

vor Ort entnommen werden. Die

Mietpreisbremse gilt bei der Wiedervermietung

von Bestandswohnungen,

nicht jedoch bei Neubauten. Die Miete

für eine neu errichtete Wohnung kann

der Eigentümer ohne Beschränkung

festlegen. Hintergrund der Ausnahme:

Investoren sollen durch die Mietpreisbremse

nicht gehemmt werden, neuen

Wohnraum zu schaffen. Ähnliches gilt

bei Modernisierungsmaßnahmen. Die

Mietpreisbremse soll Vermieter nicht

davon abhalten, bestehende Wohnungen

zu modernisieren. Damit sich die

Kosten rechnen, ist die erste Vermietung

nach einer umfassenden Modernisierung

von der Mietpreisbremse

ausgenommen.

Eigentümer und Investoren, die

bereits gegen die alte Regelung zur

Mietpreisbremse geklagt hatten,

sind im Juli 2019 beim Bundesverfassungsgericht

kläglich gescheitert.

Nach Auffassung des höchsten

deutschen Gerichts ist die Mietpreisbremse

sowohl mit der Eigentumsgarantie

nach Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz

(GG) als auch mit der Vertragsfreiheit

nach Art. 2 Abs. 1 GG und mit dem

allgemeinen Gleichheitssatz nach

Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

Der Zweck der Mietpreisbremse, die

Verdrängung wirtschaftlich weniger

leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen

aus stark nachgefragten

Wohnquartieren entgegenzuwirken,

liege im öffentlichen Interesse. Das

Eigentum sei nicht schrankenlos

gewährleistet. Es können umso

weiter in das Eigentum eingegriffen

werden, je stärker der soziale Bezug

des Eigentumsobjekt sei. Dies sei bei

Mietwohnungen besonders der Fall.

Das Interesse, die höchstmöglichen

Mieteinkünfte zu erzielen, sei von

der grundgesetzlichen Eigentums-

garantie nicht gedeckt.

Da die Mietpreisbremse aber die

Mietenwachstumsspirale – wenn

überhaupt – nur wenig spürbar

gedrosselt hat, verwundert es

nicht, dass stärkere Eingriffe in das

Eigentum ins Spiel kommen. Das

umstrittenste neu diskutierte Instrument,

um den Anstieg der Mieten zu

verhindern, ist der sog. Mietendeckel.

Besonders forsch prescht der rot-rotgrüne

Berliner Senat vor. Ein neues

Gesetz soll Anfang 2020 beschlossen

werden.

Das Gesetz zum Berliner Mietendeckel

enthält im Kern drei wichtige

Regelungen: Erstens gilt der Mietenstopp

für fünf Jahre. Ab jetzt dürfen

also keine Mieterhöhungen mehr

stattfinden. Das gilt für alle bestehenden

Verträge und in allen Häusern, die

vor 2014 gebaut wurden – und zwar

rückwirkend zum 18. Juni 2019. Es

betrifft insgesamt rund 1,5 Millionen

Mietwohnungen in Berlin. Ab 2022

dürfen Vermieter aber einen kleinen

Inflationsausgleich von 1,3 Prozent

jährlich verlangen und auf die Miete

aufschlagen. Zweitens legt das Gesetz

auch verbindliche Miet-Obergrenzen

fest, die nicht überschritten werden

dürfen. Sie variieren je nach Baujahr

des Hauses und je nach Ausstattung.

Dazu kommt je nach Wohnlage noch

ein kleiner Aufschlag oder Abzug. Insgesamt

darf nun nur noch höchstens

ein Quadratmeterpreis von 9,80 Euro

verlangt werden, sagt das Gesetz. Die

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung

und Wohnen hat als Grundlage

die Werte aus dem Mietspiegel von

2013 genommen und sie bis heute

fortgeschrieben. Dabei hat sie leichte

Erhöhungen draufgerechnet, wie sie

der Steigerung der Reallöhne seit 2013

entsprechen. Drittens kann der Mieter

im laufenden Mietverhältnis eine Miete,

welche die festgelegten Obergrenzen

im mehr als 20 % übersteigt, von der

Verwaltung kappen lassen.

Das kommende Berliner Gesetz ist

nicht nur politisch, sondern auch

juristisch sehr umstritten. Es tobt

ein regelrechter Kampf zwischen

den juristischen Expert*innen. Die

Gegner*innen zweifeln insbesondere

die Befugnis des Landes an, ein

solches Gesetz zu beschließen. Nur

der Bund könne, wie er es bei der

Mietpreisbremse bewusst getan hat,

das Mietrecht bundesweit einheitlich

regeln. Die Befürworter sehen die

sog. Gesetzgebungskompetenz mit

der Förderalismusreform 2006 auf

die Länder übergegangen. Am Ende

wird sicher wieder das Bundesverfassungsgericht

das letzte Wort sprechen

– zuvor werden aber hunderte

von Anwält*innen und Mietvereine

sicher erbitterte juristische Schlachten

ausfechten.

Bundesweit findet stärkere rechtliche

Maßnahmen jedoch nur wenig

Nachahmer*innen und Freund*innen.

Forderungen etwa von Mieterinitiativen,

Wohnungen von profitorientierten

Wohnungsunternehmen zu

enteignen und unter demokratischer

Kontrolle in die öffentliche Hand zu

überführen, sind noch nicht sehr

populär. Sie sind angesichts der

gewaltigen ungerechten Verwerfungen

auf dem Wohnungsmarkt – zwar

verständlich, aber als nach Art 14

Abs. 3 GG mögliche Enteignung noch

heftiger juristisch umstritten und

ohne angemessene Entschädigung

ohnehin nicht möglich.

So werden die steigenden Wohnkosten

in 2020 noch mehr zum Armutsrisiko

werden. Sie verstärken die

Ungleichheit im Land und die Kluft

zwischen denen, die Wohneigentum

haben oder erben und denjenigen,

die lebenslang zur Miete wohnen.

Bezahlbarer Wohnraum ist jedoch

nicht irgendeine Ware. Es geht um ein

Menschenrecht. Und ob das für Millionen

nur noch auf dem Papier steht,

kann man nicht allein dem Markt

überlassen.

Es braucht neue Konzepte und Ideen

und Utopien, das konkrete Bedürfnis

nach bezahlbarem Wohnraum

zu befriedigen, neue Formen des

Zusammenlebens zu erfinden und die

Transformation hin zu einer Demokratisierung

des Wohnens einzuleiten.

Zunächst muss der Niedergang

des sozialen Wohnungsbaus gestoppt

werden. Ein geeigneter, bisher auch

in Köln nicht richtig genutzter Hebel

ist es, sich der Bodenspekulation

entgegenzustellen, die auch in Mülheim

die Preise ansteigen ließ und

den Baubeginn für die neuen Projekte

verzögerte. Erträge aus Bodenspekulationen

müssen daher genauso

besteuert werden wie solche aus

Kapitalanlagen. Auch dafür braucht

es allerdings neue Gesetze auf Bundes-

und Landesebene.

Köln braucht schließlich ein öffentliches

Wohnungsbauprogramm nach

Wiener Vorbild. Mit einem großen

Investitionsprogramm des Bundes

und der Länder für Kommunen und

Genossenschaften könnten zusätzlich

weit über hunderttausend

Wohnungen im preiswerten Segment

geschaffen werden. Was kommen

muss, ist also nichts anderes als eine

Revolution auf dem Wohnungsmarkt,

damit der Graben der Ungerechtigkeit

zwischen den Habenden und den

Habenichtsen nicht noch größer wird.

Friede den Hütten also ... »

>www.muelheimia.koeln/

friededenhuetten


15 #1 Januar 2020

Mülheimia Quarterly

Stadt. Kultur. Soziales

Schreibwerkstatt mit Maviblau

Über die Vielfalt der inneren Haymat

Text: Carina Plinke

Foto: Anne Barth

Der Kölner Stadtbrunnen Mülheim ist noch nicht angeschaltet,

als Tuğba und ich an einem goldenem

Herbstmorgen auf dem Weg zum Kulturbunker sind. Die

Rheinpromenade befindet sich noch in einem samstagmorgendlichen

Halbschlaf, die Herbstsonne nimmt das

werktägliche Tempo raus. Unsere Schritte rascheln in

den Herbstblättern und wir gehen den Schreibworkshop

nochmal durch. Ein bisschen Aufregung bleibt immer,

wenn man weiß, dass man einander fremde Menschen

nicht nur zum Schreiben anleiten soll, sondern auch dazu

auffordert, sich zu öffnen und vor Unbekannten Einblicke

in die eigene Biografie zu geben.

Die Fortsetzung unseres Schreibworkshops „Haymat(en)

in mir“ am 26.10.2019 in Köln wurde durch die Unterstützung

des Mülheimer Heimatministeriums, dem Zentrum

für Heimat, Gemeinschaft und Kulturen ermöglicht.

Vierzehn Menschen verschiedener Herkunft und verschiedenen

Geschlechts kamen im Kulturbunker zusammen,

um die Haymat(en) in sich zu erkunden und sich

reflexiv mit Begriffen wie Identität, Zugehörigkeit und

Gesellschaft auseinanderzusetzen.

Die Schreibworkshops unserer Kulturplattform Maviblau

e. V. basieren auf einem sehr grundsätzlichen Ansatz

– Schreiben macht Spaß – und einem sehr konkreten –

schreibend kann man neue Zugänge zu sich selbst und

dem eigenen Haymatbegriff finden.

Das Ziel der Veranstaltung war es, Menschen, die sich in

mehreren Kulturen beheimatet fühlen, für ihre eigene

Biografie zu sensibilisieren und ihre hybride Identität als

Stärke herauszustellen.

Doch was heißt Haymat im Kontext unserer Workshops

überhaupt? In unserem ersten Workshop „Haymat(en)

in mir“ in Berlin kristallisierte sich schnell heraus, dass

Haymat für die Teilnehmer*innen mehr ist als ein Geburtsort

oder nationale Zugehörigkeit. Haymat ist viel

mehr ein Gefühl der Zugehörigkeit, das in uns selbst

entsteht und vor allem durch Familie, Freundschaften,

Auslandserfahrungen und bedeutende biografische

Ereignisse geprägt wird. Selbstverständlich spielen auch

kulturelle und nationale Prägungen eine bedeutende Rolle

für den eigenen Haymatbegriff, dennoch werden diese

Einflüsse als aufbrechbare Strukturen erkannt. Identitäten,

die sich nicht mehr einzig durch eine nationale oder

kulturelle Herkunft definieren, werden immer mehr. Ihre

Stimmen brauchen mehr Gehör im öffentlichen Raum.

Ein Grund, warum wir uns bei Maviblau entschieden

haben, das Thema in kreativen Schreibworkshops

anzugehen. Geschriebenes bleibt und überdauert den

Moment, in dem es geschrieben wurde. So findet es mehr

Einzug in die Öffentlichkeit. Darüber hinaus unterstützt

Schreiben einen reflexiven Prozess, in dem neue Gedanken

entstehen können. Ein Schreibprozess bereichert

durch die Möglichkeit, Zeit zu bekommen, sich mitzuteilen

und dadurch loszulassen. Ein Grund, warum es uns

Workshopleiter*innen so wichtig ist, dass jede und jeder

die Gelegenheit erhält, die eigenen Texte vorzustellen.

Sind die Teilnehmer*innen anfangs dahingehend noch

zurückhaltend, wird dies im Laufe eines Workshops auch

von den Teilnehmer*innen zunehmend als Bereicherung

wahrgenommen.

Es ist schön, festzustellen, dass trotz aller Differenzen in

den individuellen Biografien doch untereinander auch viele

Parallelen bestehen. Insbesondere bei der Schreibaufgabe,

die eigene Lebenslinie zu skizzieren, wurde dies transparent.

Durch welche Einflüsse bin ich überhaupt der Mensch

geworden, der ich bin und in wie weit helfen mir diese

Erkenntnisse in meiner Gegenwart? Biografien anderer zu

betrachten, zu sehen, welche Lebensfragen sie sich stellen,

durch welche Lebenskrisen sie gegangen sind und wie sie

sich selbst neue Wege in neues Glück geschaffen haben, ist

auch für die eigene Identität beflügelnd und wird als empowernd

empfunden.

Als wir gegen 16 Uhr aus dem Kulturbunker Richtung

Keupstraße aufbrechen, um den beflügelnden Tag mit

einem Essen beim Asmalı Konak ausklingen zu lassen,

werden noch einige Gespräche, die im Workshop aufgekommen

sind, weitergeführt. Wir alle in dieser Runde sind

ganz unterschiedlich, doch in einem sind wir uns gleich:

im Wunsch nach Anerkennung von Vielfalt.

Wir von Maviblau sind dankbar, dass der Workshop so

zahlreich besucht wurde und alle Teilnehmer*innen

die Bereitschaft mitgebracht haben, ihre Geschichten

zu teilen. Die Bereitschaft hat dazu beigetragen, eine

Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle auf Augenhöhe

begegneten, mit Informationen respektvoll und sensibel

umgegangen sind und das vorgetragene Geschriebene

wertgeschätzt haben.

Neben vielen anregenden neuen Gedanken, ist auch ein

Gedicht aus dem kollaborativen Schreiben aller Teilnehmer*innen

entstanden.»

> www.muelheimia.koeln/haymat

Kölner Haymat - unser Vergnügen

Der erste Blick Rhein am Morgen

Aufwachen in eine Umarmung

frisch aufgeschäumte Milch

Mein Kater

Familienfrühstück.

„Mama, Kakao“

„Schatz Kaffee, bitte.“

Postkarte am Kühlschrank

Kölsche Weisheiten

Aufstrich.

Die Ruhe im Innenhof genießen

Das Treiben der Eichhörnchen

Vor dem Trubel der Stadt

Parkschnack

Stirnküsse. Singen. Sommer

Bekannte Lieder von unbekannten

Menschen

Kölsch im Ohr und auf der Zunge

Neue Worte für alte Gefühle.

Pfützen vor dem Kiosk.

Ein Springseil. Zwei Kaugummis und

viel Eis

Die letzten Geschenke des Frühlings

Gespräche über Zuversicht

ein Kaffee Date

Alter Markt und Lieblingscafé

Blick auf das Rathaus

Jan von Wert Brunnen

Lachen verschiedener Sprachen

Musik. Tanz. Theater.

Pendeln. Radeln. Atmen.

Flanieren

Hunde die fröhlich sind

Straßenfeste lange Tage

Möglichkeiten. Kulturen

im Leben

Dankbarkeit

Texte zu Ende schreiben

wenn es dämmert.

Schafe weiden an der Aue

Fundstücke sammeln

Treibgut

Ein Leuchtturm ohne Meer

blaugraue Stunden für den Rhein

am Ende des Tages

Fledermäuse an der Promenade

neue Wege für Morgen

nur erahnen

Bekomme neue Ideen

für Freude.

Gemeinsam verfasst von: Mai Apasiri Klasmeier,

Salima Neibert, Ayşe Karakoç, Hayat Harrach,

Berivan Kaya, Serap Yilmaz, Maximilian Dreger,

Klara Ipek, Kristiane Uyandıran, Julia Offermans,

Eirian Şahinkaya, Jessica Rehrmann, Binnur

Cavuslu, Tuğba Yalçınkaya, Carina Plinke


Mülheimia Quarterly

Stadt. Kultur. Soziales

#1 Januar 2020 16

Dokumentationen zur Stadtgeschichte

Hermann Rheindorf

und sein bewegtes Köln

von Tom Laroche

Bild aus dem Archiv Hermann Rheindorf

Hermann Rheindorf, geboren 1965, wird von

vielen „Das Auge Kölns“ genannt. Und das völlig

zu recht. Als Dokumentarfilmer hat er eine der

größten Sammlungen an Filmdokumenten zur

Stadtgeschichte aufgebaut. Der Journalist hat

über 30 historische Filme zur Geschichte Kölns

und des Rheinlands produziert und hierfür in

detektivischer Kleinarbeit auch Originalaufnahmen

aus allen Veedeln und Jahrzehnten zusammengetragen.

Bereits als Schüler hatte er sich

den Medien verschrieben, ob nun Schülerzeitung,

Kölner Wochenblättchen, Hörfunk oder Fernsehen;

die Weitergabe von Informationen war

sein zentrales Anliegen. Heute sind es vor allem

seine historischen Arbeiten, die seit Mitte/Ende

der 90er im Mittelpunkt seines Interesses stehen

und sich großer Beliebtheit erfreuen. Wir haben

ihn in seiner Filmwerkstatt besucht.

Wie kam es dazu, dass du dich auf historische

Dokumentationen spezialisiert hast?

Das hat mit der Künstlerinitiative Arsch Huh, Zäng

ussenander zu tun, in der ich seit 1992 bin. Die

kölschen Musiker hatten vor dem Hintergrund

von bis dahin nicht gekannten Brandanschläge

auf Asybewerberheime zu einer Großkundgebung

auf dem Chlodwigplatz aufgerufen und 100.000

Menschen kamen. Ich war damals Mitglied in einer

studentischen Rap-Combo und wir sind eingeladen

worden. Das große Echo hat dann dazu geführt,

dass wir uns weiter engagieren wollten und Arsch

huh als Verein gegründet haben. Da ich damals

auch schon Radio gemacht habe, dachte man sich:

Ach, den Hermann schicken wir mal über die

Brücken, die wir vielleicht 1968 abgebrochen haben,

denn wenn wir zusammen stehen wollen, müssen

wir auch die Verbindung zum bürgerlichen Teil der

Stadtgesellschaft wieder aufnehmen. So bin ich zur

Stadtgeschichte gekommen: Ich habe dann 1997

zum fünften Jahrestag von Arsch Huh in der Kölner

Philharmonie eine Veranstaltung geplant, die

Musik-, Wort- und Filmbeiträge aus der Stadtgeschichte

miteinander verknüpfte und habe dann

entdeckt, dass sich um diese alten Filmaufnahmen

zur Stadtgeschichte kaum jemand kümmerte, dass

das also ein weißer Fleck auf der journalistischen

Landkarte ist. Ich habe dann mit Freunden zusammen

den ersten lokalen TV-Sender im Internet in

Deutschland, koeln1.tv gegründet, und da waren es

vor allem die historischen Beiträge, die am meisten

geklickt wurden. Damals waren die Bildschirme

noch so groß wie eine Briefmarke. Wir hatten

damals rund 500 Beiträge über Köln im Netz, die

Resonanz war enorm, aber nach dem 11. September

2001 war der erste Internetboom zu Ende, da wurde

schnell klar, dass man sich mit dieser Art der Arbeit

nur selbst ausbeutet. Daraus entstand die Idee, die

erste DVD mit lokaler Geschichte zu produzieren,

das war im Jahr 2005 mit meiner ersten Doku zum

Kriegsende in Köln. Und es war ein großer Erfolg:

Die Menschen haben sich darum gerissen und so

entstand der Plan, davon beruflich zu existieren.

Woher stammt das ganze Material?

Zuerst habe ich in den Archiven der Alliierten

recherchiert. Köln war im letzten Jahrhundert ja

zweimal besetzt. Die Länder des British Empire

sind ja nicht nur England, Schottland und Irland,

sondern auch Australien, Kanada, Neuseeland

u. s. w. Also habe ich in diesen Ländern recherchiert,

ob z. B. in den Kinowochenschauen nach

dem Ersten Weltkrieg auch Aufnahmen aus Köln

gezeigt wurden? Und in der Tat – das war der

Fall und zwar nicht nur marschierende Soldaten,

sondern auch Stadtansichten. So konnte ich Momentaufnahmen

aus dem alten Köln wie ein Puzzle

zusammensetzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg

wurde Köln dann ja von den Amerikanern erobert,

also habe ich mich in den Amerikanischen Nationalarchiven

und Universitätsarchiven umgesehen

und bin hierfür auch in die USA gereist. Daraus

wurde dann die systematische Recherche nach

alten Aufnahmen rund um den Globus. In Moskau

fand ich zum Beispiel Aufnahmen vom Kölner

Karneval aus dem Jahr 1913, das war fantastisch.

Anfang der 2000er Jahre hatte ich auch begonnen,

private Filmrollen zu sammeln und dabei festgestellt,

dass das private Filmerbe mindestens

genauso wichtig ist für die Stadtgeschichte, wie die

Arbeiten der Profis. Film war ja kein demokratisches

Medium, sondern zuerst nur auf gut betuchte

Bürger beschränkt. In den 30ern hat sich das

verändert: mit 8mm-Schmalfilm konnte man auch

privat filmen, was später zu Super-8 wurde. Es

wurde möglich, auch mit einem normalen Gehalt

das Filmen zum Hobby zu machen.

Gab es Themen oder Inhalte, die du gemieden

hast, oder für die du kritisiert wurdest? In einer

Doku zeigst du eine Aufnahme bei der ein Amerikaner

bei Kriegsende einem deutschen verwundeten

Soldaten die Ringe von den Fingern zog

und an sich nahm …

Ich habe ein aufgeklärtes Geschichtsverständnis,

das es mir erlaubt, auch die dunklen Seiten und

die Graustufen zu zeigen, ohne in ein Trauertal

zu verfallen. Während der NS-Zeit z. B. gab es in

allen Rosenmontagszügen zwischen 1934 und 1939

antijüdische Karnevalswagen. Dies ist nach dem

Krieg versteckt worden, von Karnevalisten und

sogar vom Kölnischen Stadtmuseum, obwohl es vor

allen Augen stattgefunden hat. Bis in die 90er Jahre

gab es Widerstände, solche Themen zu behandeln.

Ich bin mit der Legende aufgewachsen, der Kölner

Karneval hätte den Nazis widerstanden. Das war

eine große Enttäuschung, zu erfahren, dass dem

nicht so war. Besser wäre gewesen, man hätte es

so dargestellt, wie es war und hätte es erklärt. Und

man kann es ja auch erklären. Insofern bin ich doch

eher für einen offenen Umgang mit der Geschichte.

Du hast vor Kurzem einen Bickendorfer Filmabend

mit Aufnahmen aus dem Veedel gemacht.

Dürfen sich die Mülheimer Hoffnungen auf eine

eigene Mülheim-Doku machen?

Eine Filmreise ins alte Mülheim wäre natürlich

eine sehr reizvolle Sache. In den meisten meiner

Köln-Dokus gibt es auch Szenen aus Mülheim zu

sehen, allerdings reicht das noch nicht für eine

solche Mülheim-Doku. Sollte es aber irgendwo

noch Filmrollen geben, dann kümmere ich mich

sehr gerne darum.

Welchen Rat kannst Du den Mülheimer*innen

geben, um gutes Filmmaterial aus dem privaten

Bestand aufzuspüren?

Wenn jemand mir sagt: „Wir haben leider nur privat

gefilmt an Weihnachten“, dann sage ich: „Stellt

euch vor, die Kinder bekommen an Weihnachten

Rollschuhe oder ein Rädchen geschenkt. Szene 1 ist

natürlich die Bescherung. Aber in Szene 2 könnte es

sein, dass das Rädchen auf der Straße ausprobiert

wird und so hätten wir auf einmal eine Ansicht aus

einer Straße mit vielleicht alten Autos, Spaziergängern

usw., kurzum eine kleine Szene mit dem

Leben im Veedel. Ich freue mich über jeden Tipp,

wo ich solche Aufnahmen noch finden kann.»

Viele weitere Fotos aus dem Rheindorf Archiv auf

> www.muelheimia.koeln/rheindorf


17 #1 Januar 2020 Mülheimia Quarterly Stadt. Kultur. Soziales

DON BOSCO volunteers

Ein Jahr in Ruanda

Friederike Felthen ist

ein Jahr mit den Don

Bosco Volunteers in

Ruanda.

Von Friederike Feithen

Fotos: Friederike Feithen

Hallo zusammen! Mein Name ist Friederike Feithen, ich bin 18

Jahre alt und komme aus Mülheim. Dieses Jahr habe ich mein

Abitur in Deutz gemacht und bin Anfang September in einen

einjährigen Auslands-Freiwilligendienst gestartet. Durch die

Organisation „Don Bosco Volunteers“ wurde ich als Volontärin

nach Ruanda geschickt. Hier in Butare, der zweitgrößten Stadt in

Ruanda, werde ich nun für ein Jahr arbeiten und leben.

Aufgewachsen bin ich in der Gemeinde St. Clemens und Mauritius

(Mülheim, Buchheim, Buchforst). Dort war ich unter anderem als

Messdienerin, Messdienerleiterin und im Jugendausschuss tätig.

Über die Gemeinde bin ich auch durch eine Kindersommerfreizeit

auf Don Bosco und all das, was darauf gefolgt ist, gestoßen: Don

Bosco war Priester in Italien, Turin, und begann sich dort verstärkt

um Jugendliche und Kinder aus ärmlichen

Verhältnissen zu kümmern. Im Laufe dessen

entwickelte er das „Oratorium“: ein Ort, der die

Jugendlichen aufnimmt und ihnen ein Dach überm

Kopf schenkt. Hierbei geht es vor allem um Zeit

und Zuwendung, die den Kindern geschenkt werden

soll.

Der Name Don Boscos könnte einigen von euch

bekannt vorkommen, denn es gibt auch eine

Einrichtung der Salesianer in Mülheim: den Don

Bosco Club an der Antonius Kirche in der Nähe der

Berliner Straße! Über den Club bin ich unter anderem

auf die Idee gekommen, in ein Jahr Volunteers

zu starten.

Nach der Festigung des ersten Oratoriums gründete

Don Bosco den Orden der Salesianer und später auch den der

Don-Bosco-Schwestern. Beide Orden verschrieben sich der Erziehung

und Fürsorge armer und benachteiligter Kinder und Jugendlichen.

Die Salesianer verbreiteten sich und fingen an, in vielen

Ländern – heute nun schon in 132 Ländern auf fünf Kontinenten

– Einrichtungen zu erbauen und zu betreuen, die Jugendlichen zu

Gute kommen sollten.

Durch die Salesianer können mehr Kinder zur Schule gehen, erfahren

Zuneigung und Unterstützung, bekommen etwas zu essen und einen

strukturierten Tagesablauf. Dabei helfen die Volunteers von „Don

Bosco Volunteers“ in den einzelnen Einrichtungen der Salesianer

wie auch bei den Don-Bosco-Schwestern. „Don Bosco Volunteers“ ist

eine katholische Organisation der Salesianer und wird über die „Don

Bosco Mission“ ( www.donboscomission.de) organisiert. Jedes Jahr

werden 50 Freiwillige zwischen 18 und 28 Jahren aus Deutschland in

Projekte der Salesianer auf der ganzen Welt geschickt.

Nun bin ich schon über zwei Monate in diesem Land, das man etwas

länger auf der Karte suchen muss. Ruanda liegt in Ostafrika zwischen

dem Kongo, Uganda, Tansania und Burundi. Offizielle Sprachen

in Ruanda sind Englisch, Französisch, Swahili und Kinyarwanda.

Vor allem Kinyarwanda sprechen hier alle. Aus diesem Grund

sind Emma und ich schon fleißig am Kinyarwandalernen, damit wir

uns bald richtig mit den Kindern unterhalten können.

Das Projekt der Salesianer in Rango

Die Einrichtung der Salesianer, in die ich und meine Mitvolontärin

Emma geschickt wurden, liegt etwas außerhalb von Butare in

Rango, einem kleinen Ort. Die Brüder der Kommunität, in der wir

übrigens Französisch sprechen, haben uns ganz herzlich in Rango

aufgenommen. Hier leitet die Kommunität ein Ausbildungszentrum,

ein Oratorium und ein wöchentlich stattfindendes Straßenkinderprojekt.

Im Ausbildungszentrum haben Jugendliche die Möglichkeit

das Schreinern, Schweißen, Kochen, Nähen und Maurern zu lernen.

Aus diesem Grund befinden sich auf dem Gelände, auf dem auch

die Salesianer und wir leben, für jeden dieser Ausbildungsberufe

eine „Werkstatt“. Zu der praktischen Ausbildung kommt dann noch

normaler Unterricht in beispielsweise Mathematik, Englisch und

Religion. Nächstes Jahr werden wir jeweils auch einen Englischkurs

übernehmen.

Das Oratorium findet hier jeden Nachmittag statt und dient allen

Kindern und Jugendlichen, aber auch Erwachsenen aus der Umgebung

als Sportmöglichkeit, sozialer Treffpunkt und Entspannungsmöglichkeit.

Hier stehen allen Besuchern ein Fußballplatz, sowie

ein Volleyball- und ein Basketballfeld, ein offenes Ohr und weitere

Spielemöglichkeiten zu Verfügung.

Für das offene Ohr und die weiteren Spielemöglichkeiten sind Emma

und ich verantwortlich. Außerdem verarzten wir die Wunden, die so

bei den Kindern anfallen. Wir schenken den Kindern dort einfach

unsere Zeit, wenn sie mit uns quatschen oder spielen wollen, stellen

Springseile bereit und versuchen immer mal wieder neue Spiele einzuführen.

Mit ein paar Klatschspielen, Tanzangeboten, Malstunden,

Liedtexten und Hüpfekästchen haben wir uns schon recht beliebt

gemacht.

Bald möchte ich anfangen, einmal die Woche einen Tanzkurs

anzubieten und wir wollen bald mit kleinen Englischlessions starten,

da hier viele Kinder, aber auch Jugendliche, ihre Englischkenntnisse

aufbessern wollen. Jeden Samstag findet auf dem Don Bosco

Gelände ein Straßenkinderprojekt statt. Hier haben die Kinder

die Möglichkeit, sich selber und ihre Kleidung zu waschen,

Gemeinschaft und Unterstützung zu erfahren und eine warme

Mahlzeit zu bekommen. Wir versuchen viele gruppenstärkende und


Mülheimia Quarterly

Stadt. Kultur. Soziales

#1 Januar 2020 18

lehrreiche Aktionen zu organisieren, damit diese Nachmittage auch einen

Lerncharakter bekommen. So organisieren wir beispielsweise kleine Vorträge

über Bildung, Freundschaft etc. Während der ganzen Zeit sind wir für sie da,

stellen Seife, Wasser und Spiele zur Verfügung und kümmern uns um Wunden.

Die ersten Samstage, an denen wir bei dem Projekt geholfen haben, waren echt

schwer für uns. Diese starke Armut und die dadurch folgenden Dreistigkeit

gegenüber Fremden, anscheinend reichen Menschen, war uns völlig fremd

und hat uns etwas geschockt. Mittlerweile kennen uns die Kinder jedoch

und wissen, was sie von uns bekommen und was nicht und auch wir gehen

nun lockerer mit der Situation um und können besser einschätzen, was die

Kindern nun wirklich brauchen.

Die ersten Wochen waren heftig. Ein anderes Wort fällt mir da leider nicht ein.

Es kamen so viele Eindrücke auf einmal auf einen zu: eine komplett andere

Kultur, durcheinandergeworfene Sprachen, eine komplett andere Umgebung

und ein neuer Alltag. Das ist schon recht viel, was man auf einmal verarbeiten

muss und diesbezüglich bin ich sehr froh, dass wir von unserer Organisation

zu zweit in ein Projekt geschickt wurden. Es ist wirklich praktisch, sich

mit Emma auszutauschen und so alles viel besser aufnehmen zu können.

Mittlerweile habe ich mich hier glaube ich sehr gut eingelebt: das Leben mit

den Salesianern ist zu einer schönen, beruhigenden und festigenden Routine

geworden, mein Zimmer ist jetzt wirklich „mein Zimmer“ und langsam kann

man auch die Kinder, die einem auf der Straße zuwinken, zuordnen und im

Oratorium wieder erkennen.

Ich kann es zwischendurch immer noch nicht fassen, dass ich mich gerade

auf einem komplett anderen Kontinent als meine Freunde und Familie

befinde. Mit kommt es so vor, als wäre es erst gestern gewesen, dass ich mit

der 18 über den Rhein gefahren bin und von der Mülheimer Brücke aus einen

perfekten Blick auf den Dom hatte. Das einzige, was ich hier sehe sind Hügel.

Aber das ist nicht im Negativen gemeint! Die Landschaft hier ist wunderschön

und irgendwie sehr beruhigend. „Ruanda – das Land der tausend Hügel“-

an diesem Spruch ist wirklich was dran: wohin man auch schaut, überall

reihen sich Hügel aneinander, die in der Ferne nur noch grau hintereinander

hervorragen. Morgens, wenn der Nebel noch durch die Täler wabert und

die Sonnen die Häuschen mit ihrem Wellblechdächern anstrahlt und diese

zurückfunkeln, ist der Ausblick bilderbuchmäßig.

Es ist so viel Spannendes, Neues und Interessantes passiert, sodass ich

schon nach zwei Monaten sagen kann, dass ich sehr dankbar für die

Möglichkeit dieses Freiwilligendienstes bin. Allein schon für die Erfahrungen,

Herausforderungen und Perfektivwechsel der letzten Wochen, hat sich der

Antritt dieser Reise gelohnt. Ich bin schon richtig gespannt auf das, was nun

noch folgt!

Für mehr Infos über meinen Alltag, unsere Arbeit, die Projekte der Salesianer

und Unterstützungsmöglichkeiten könnt ihr gerne bei meinem Blog vorbei

schauen. Den findet ihr auf der Seite www.blogs.donboscovolunteers.de bei

Blogs unter dem Namen „Rike und Ruanda“.»

>www.muelheimia.koeln/donboscovolunteers

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Der Mensch wandert

Was wäre, wenn

wir keine Häuser

bauen würden?

Mülheimia Miniatur #7

Eine Reihe von Marco Hasenkopf

Der Pegelstand erreichte einen

Höchststand wie schon seit Jahren

nicht mehr.

Die Promenade stand unter Wasser.

Dort, wo sonst Junkies am Frühstücksbier

nuckelten, Minderjährige

lernten leere Wodkaflaschen

zu zerschlagen und Anwohner ihre

Rottweiler ausscheiden ließen,

suppte eine braune Flut. Das Wasser

stand bis an den oberen Rand

der Promenadenmauer. Es fehlten

nur noch wenige Zentimeter, und

es würde überschwappen und das

Viertel fluten. Zwischen den Bänken

und Mülleimern sammelte sich

allerhand Treibgut. Äste, Flaschen,

Styropor und Plastiktüten trudelten

wie in Endlosschleife versetzt mal

unterhalb, bald wieder oberhalb der

Wasseroberfläche. Weiter draußen,

wo sich schwarze Nacht auf den

Wassern ausbreitete, schossen die

Schmelzwasserfluten lautlos stromabwärts.

Am gegenüberliegenden

Ufer krickelten die nackten Wipfel

einiger Kastanien und Platanen im

Wind ein Gewirr aus Kratzern in den

nächtlichen Himmel und erinnerten

an feinadrige Risse im Porzellan.

Die Umrisse einer Person zeichneten

sich im Schein der Promenadenbeleuchtung

ab. Während er dem Rauschen

des Flusses lauschte, suchten

seine Augen die überschwemmte

Promenade nach kuriosem Treibgut

ab. Er entdeckte eine pinkfarbene

Klobürste und einen weißen Büstenhalter.

Wann immer er Gegenstände

entdeckte, die sich nicht an dem Ort

befanden an dem man sie erwarten

würde, entfachte sein Gehirn muntere

Gedankenketten, warum diese

Dinge ihren Ursprungsort verlassen

haben mochten und zu neuen Ufern

aufgebrochen waren.

Doch in dieser Nacht stellte er sich

ganz andere Fragen. Ihn beschäftigte

vielmehr eine simple Erkenntnis:

Egal was passierte, das Wasser

strömte weiter. Seit wie vielen tausend

Jahren floss der Strom? Wie viele

unzählige Palisadenpfähle, Schiffsplanken,

Autoreifen und andere

leblose Körper der Fluss bis hinauf in

die See mit sich fortgetragen haben

musste! Und, so überlegte er weiter,

welche Qual die Größere wäre, jetzt

gleich ins Wasser zu springen, die

Lungen mit diesem trüben, eiskalten

Nass zu füllen, bis sein Körper

irgendwo hängen blieb, wie all das

Treibgut zwischen den Bänken oder

sich umzudrehen und das Leben

trotz allem weiter zu leben. Trotz

allem. Diese Worte waren nur Hohn

und Spott. Er spürte ein zwiebelndes

Ziehen in der Nasen. Kurze Zeit später

trübten Tränen seinen Blick. Er

konnte den Spruch nicht mehr hören,

das Leben sei hart und ungerecht!

Sinnigerweise kam diese einfältige

Lebensweisheit ausgerechnet von

den Leuten, denen das Glück gewöhnlich

ohne jegliches Dazutun in

den Schoß fiel. In die Suppe gespuckt,

Beinchen gestellt, auf den Teller

geschissen hatte diesen Leuten noch

niemand!

Eher ins Gehirn geschissen, dachte

er. Ein Lächeln wollte ihm nicht

gelingen.

Lange Zeit stand er einfach da,

blickte auf die ungeheure Schmelzwasserflut

und genoss das in ihm

aufsteigende Gefühl der Wut. Dann

zog er ein Buch und notierte eilig einige

Gedanken: Der Fluss fließt. Das

Nashorn rennt. Die Bombe explodiert.

Der Ball rollt. Der Penis ejakuliert.

Der Gott schläft. Das Volk kollabiert.

Der Politiker lügt. Die Sprache

verwirrt. Die Liebe stirbt und der

Mensch wandert. »

> www.muelheimia.koeln/

dermenschwandert


Quartiersentwicklung

im Mülheimer Süden

Als Deutschlands führender Projektentwickler für

Mietwohnungen realisieren wir bundesweit nachhaltige

und zukunftsgerichtete Bauvorhaben. Unser Ziel ist

es, auch in dicht besiedelten Städten notwendigen

Wohnraum zu schaffen.

So auch bei unserem Projekt COLOGNEO, wo wir Alt

und Neu in Einklang bringen und einen vielfältigen,

lebendigen Quartier-Mix entwickeln.

@kadawittfeldarchitektur gmbh (unverbindliche Darstellung)

Kontaktieren Sie uns bei Fragen zur Vermietung unserer Wohn- und Gewerbeimmobilien unter info@cgimmobilien.de

Impressum

Redaktion: Francesco Aneto, Tom Laroche,

Nachdruckrechte/Lizenzen für Texte, Fotos,

Besuchen Sie unsere Internetseite

Eva Rusch, Judith Tausendfreund,

Grafiken und Illustrationen nur mit schrift-

www.muelheimia.koeln! Dort finden Sie

Herausgeberin: icon Kommunikation für

Ricarda Wassner-Dillmann, Kenan Zöngör

licher Genehmigung der Herausgeberin.

alle Ausgaben und weitere Artikel online.

Kultur und Wirtschaft GmbH

Weitere Autoren dieser Ausgabe:

Auflage: 10.000, Verteilung im Stadtteil

Inhaberin: Eva Rusch

Friedrike Feithen, Marco Hasenkopf,

Köln-Mülheim in Geschäften, Gastronomie,

Berliner Straße 67

Tim Lücke, Marita Odia, Carina Plinke

Vereinen und Einrichtungen.

51063 Köln

Cover: Eva Rusch

Diese Zeitung ist ClimatePartner.

V. i. S. d. P.: Eva Rusch

Fotos: Anna Barth, Eva Rusch,

Schreiben Sie uns!

Raven Rusch

Redaktion: redaktion@muelheimia.koeln

Illustrationen: Eva Rusch

Anzeigen: anzeigen@muelheimia.koeln

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