Hochgefühle 01 2020
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HOCHGEFÜHLE – DAS MAGAZIN DES KLAGENFURTER ALPENVEREINS<br />
Wie ein Kletterkurs mir half, die Schwerkraft zu besiegen<br />
Vom Scheitern<br />
und Lernen<br />
Diese Geschichte basiert auf wahren Begebenheiten. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen oder konkreten<br />
Klettersteigen sind aber rein zufälliger Natur. Sie handelt auch nur vordergründig von Klettersteigen. In Wahrheit<br />
geht es um das Kennenlernen von Neuem und darum, wie man mit neuem Wissen alten Problemen begegnen<br />
kann, damit man weiterkommt. Und weiterkommen wollen wir bekanntlich alle.<br />
27. August<br />
Ich hänge unter dem Stahlseil. Meine Arme sind zu.<br />
Ich versuche, mit den Füßen auf einer kleinen Unebenheit<br />
des Felsens Halt zu finden. Nach einer Pause,<br />
die mir ewig vorkommt, versuche ich wieder nach<br />
oben zum Seil zu kommen, muss aber schnell einsehen,<br />
dass ich keine Chance habe. Selbst wenn ich<br />
das Seil in die Hände bekommen würde, ich könnte<br />
weder vor noch zurück. Es fehlt mir einfach die Kraft.<br />
Nach ungefähr einer Stunde ist die Tortur vorbei. Zwei<br />
Bergretter haben mich abgeseilt. Ich sitze wieder am<br />
Fuß des Klettersteigs. Es wechselt zwischen Scham<br />
und Wut. Ich habe schon mehrere schwere Klettersteige<br />
gemacht. Warum bin ich an diesem gescheitert?<br />
Der Bergretter versichert mir, dass ich nicht die<br />
Einzige war. Es fehlen die Trittmöglichkeiten. Man<br />
wird diese nachbohren müssen.<br />
29. August<br />
Ich sitze am Frühstückstisch. Meine Unterarme<br />
schmerzen noch immer. Ich habe einen gewaltigen<br />
Muskelkater. Meine Freunde sagen, ich habe nochmal<br />
Glück gehabt. Ich solle doch in Zukunft lieber<br />
leichtere Sachen machen. Wie zum Hohn liegt vor<br />
mir das Heft des Alpenvereins. Ich blättere es durch.<br />
Es ist voll von Heldentaten. Irgendwann bleibe ich<br />
hängen: Kletterkurse. Über die Homepage melde ich<br />
mich kurzentschlossen an.<br />
2. Oktober<br />
Ich betrete das Kletterzentrum des Alpenvereins. Ich<br />
war noch nie in einer Kletterhalle und bin überrascht:<br />
Im Café riecht es nach Holz. Nachdem ich mich angemeldet<br />
habe, setze ich mich an einen der massiven<br />
Tische und warte. Es sind viele Leute da und sie<br />
warten. Sind die auch in meinem Kurs? Sie sehen<br />
nicht besonders sportlich aus. Vielleicht warten sie<br />
auf jemanden.<br />
Pünktlich um 19 Uhr kommt die Kursleiterin. Ich bin<br />
froh, dass es eine Frau ist. Nachdem wir uns vorgestellt<br />
haben, fragt sie uns, was unsere Motivation war,<br />
diesen Kletterkurs zu buchen. Die Kursteilnehmer<br />
sind bunt gemischt: Fast ein kompletter Querschnitt<br />
durch alle Altersklassen. Ein Mann ist 78 Jahre alt!<br />
Man sieht ihm das aber nicht an. Die Gründe, die<br />
die TeilnehmerInnen angeben, sind vielfältig: Höhenangst,<br />
was Neues probieren, der Arzt hat es empfohlen,<br />
Sichern lernen, die Berge anders kennenlernen.<br />
Als ich an die Reihe komme, erzähle ich meine kleine<br />
Episode. Das bekommen wir in den Griff, versichert<br />
mir die Kursleiterin.<br />
Als erstes bekommen wir unsere Kletterschuhe. Sie<br />
sind eng und schmerzen. Die Kursleiterin erklärt uns,<br />
dass wir die Schuhe nur auf der Kletterwand benutzen<br />
sollen und dass sie so eng sein müssen, weil die<br />
große Zehe im Schuh gebeugt sein muss.<br />
Dann lässt sie uns auf der Boulderwand erste Gehversuche<br />
machen. Wir dürfen nur im Großzehenbereich<br />
antreten. Jetzt machen die Schuhe Sinn: Man<br />
steht relativ sicher auch auf kleinen Tritten. Hätte ich<br />
bloß diese Schuhe schon am Klettersteig gehabt!<br />
9. Oktober<br />
Ich bin schon eine halbe Stunde vorher da. Nach dem<br />
Aufwärmen widmen wir uns der richtigen Klettertechnik.<br />
Wenn man alles umsetzen kann, braucht das<br />
Klettern erstaunlich wenig Kraft! Mir war nicht klar,<br />
dass man auch ohne einen Klimmzug zu schaffen,<br />
gut klettern kann. Heute benutzen wir zum ersten<br />
Mal ein Seil. Das Handling ist etwas gewöhnungsbedürftig,<br />
aber schon nach kurzer Zeit sichern wir