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04_2020 HEINZ Magazin Bochum, Herne, Witten

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Jugendkultur<br />

im Alter<br />

Kassierer im Theater „Für immer Punk“ trotzten dieGoldenen Zitronen schon1987 daher. Wenn derlei<br />

zeitloseGültigkeitbesäße, dann wohl in Hinsicht auf diemächtigen Kassiereraus Wattenscheid.Die<br />

„Band“darfderzeit zumzweiten Maldie Bühne der Hochkultur im TheaterDortmund nutzen, um dem<br />

subkulturellen Kosmos „Punk“ zu vermessen. „Die Drei vonder Punkstelle“ nennt sich selbst Operette, ist<br />

aber eine gemischteTütefür hartgesottene Ironiker.Wer sucht,findet Spuren vonMelancholie und Subversion.<br />

DerRest:Spaß, Albernheit undWertevernichtung.<br />

©Birgit Hupfeld<br />

Wer gehofft hatte, dass sich Wolfgang Wendlands immenses Wissen<br />

um den deutschen Film niederschlüge, dass also die Folie der Tonfiloperette<br />

„Die Drei von der Tankstelle“ prominent und witzig genützt<br />

würde, sah sich schnell eines anderen belehrt. Der Ex-Kurzzeit-Kinobetreiber,<br />

Dauerfrontmann, Ex-Kanzlerkandidat und SPD-<br />

Lokalpolitiker liest ein anderes Programm vom Teleprompter ab. Es<br />

gibt halt heuer Konzert mit durchgeknallter „Handlung“. Die handelt<br />

von Bier, Arbeitsverweigerung, Musik, einer Außerirdischen,<br />

„Sex“ und Liebe und davon, dass esimmer noch Hoffnung<br />

gibt,selbstwenndas Schlimmste eintritt.Garniert<br />

ist das alles mit ein wenig höherem Blödsinn und reichlich<br />

derbem Flachsinn. Also alles wie gehabt, erwartet<br />

und von den Fans gewollt und bei der Premiere lautstark<br />

gefeiert. Als die attraktive Außerirdische Laika (Caroline<br />

Hanke) ankündigt, die Kassierer auseinanderbringen zu wollen,<br />

reagieren die Fans mit lautem Buh-Rufen. Kindertheater lässt<br />

schöngrüßen.<br />

Dennoch ist das Treiben höchst kurzweilig,<br />

bunt, stimmungsvoll und<br />

amüsant, Hit reiht sich anHit, eswird<br />

mitgesungen, oder besser mitgegrölt,<br />

die Genres Punk und Operette<br />

feiern eine gelungene Vermählung<br />

im Geiste des Absurden unter Mithilfe<br />

des Alkohols. Uwe Schmieder als<br />

„Schmuwe“ darf inmitten des Remmidemmi<br />

einmal eine Hymne auf<br />

das würdevolle Altern des Punks anstimmen,<br />

die der legendären Frage<br />

Johnnie Rottens beim letzten Sex-<br />

©Birgit Hupfeld<br />

„Der Punk<br />

lebt sein<br />

untotesLeben<br />

weiter.“<br />

Pistols-Konzert 1978 in etwa diametral entgegenstehen dürfte. Der<br />

hatte angesichts der Mainstreamwerdung der Bewegung das Publikum<br />

gefragt: „Habt ihr schon mal das Gefühl gehabt, betrogen zu<br />

werden?“.<br />

Hier in Dortmund empfindet derlei wohl kaum jemand, der Sexismus<br />

der Texte, in denen etwa Damen aufgefordert werden, ihre<br />

Oberbekleidung zuentfernen, das lyrische Ich wolle masturbieren<br />

oder die Beschwerde vorgetragen wird, das männliche<br />

Geschlechtsorgan sei für die Ausübung des Aktes zu<br />

überdimensioniert (übrigens anschaulich in Szene gesetzt),<br />

ist ungefähr so ernsthaft zu verstehen wie der<br />

permanente Hitlergruß von Jonathan Meese indessen<br />

parallellaufender Lolita-Interpretation hier im Hause.<br />

Schlussendlich überschwemmt noch ein knallgrüner Virus die Bühne,<br />

Corona kommt an. Das dürfte leider, leider sehr visionär gewesen<br />

sein, denn der unmittelbar folgende Virus im realen Leben<br />

könnte dem Theaterspuk ein viel zu<br />

frühes Ende bereiten. Dem Punk<br />

dürfte der jedoch nichts anhaben.<br />

Der Punk lebt sein untotes Leben<br />

weiter. Als Zitat, Parodie und sogar<br />

als tatsächlich widerständiger und<br />

subversiver Lebensentwurf.<br />

TomThelen<br />

❚ DIE KASSIERER UND DIEDREI VONDER PUNKSTELLE<br />

TheaterDortmund, Theaterkarree1-3; Termine: 30.4.,<br />

20.+30.5.,6.6., je 19.30 Uhr.<br />

<strong>04</strong>.<strong>2020</strong>| <strong>HEINZ</strong> |45

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