04_2020 HEINZ Magazin Duisburg, Oberhausen, Mülheim
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Jugendkultur<br />
im Alter<br />
Kassierer im Theater „Für immer Punk“ trotzten dieGoldenen Zitronen schon1987 daher. Wenn derlei<br />
zeitloseGültigkeitbesäße, dann wohl in Hinsicht auf diemächtigen Kassiereraus Wattenscheid.Die<br />
„Band“darfderzeit zumzweiten Maldie Bühne der Hochkultur im TheaterDortmund nutzen, um dem<br />
subkulturellen Kosmos „Punk“ zu vermessen. „Die Drei vonder Punkstelle“ nennt sich selbst Operette, ist<br />
aber eine gemischteTütefür hartgesottene Ironiker.Wer sucht,findet Spuren vonMelancholie und Subversion.<br />
DerRest:Spaß, Albernheit undWertevernichtung.<br />
©Birgit Hupfeld<br />
Wer gehofft hatte, dass sich Wolfgang Wendlands immenses Wissen<br />
um den deutschen Film niederschlüge, dass also die Folie der Tonfiloperette<br />
„Die Drei von der Tankstelle“ prominent und witzig genützt<br />
würde, sah sich schnell eines anderen belehrt. Der Ex-Kurzzeit-Kinobetreiber,<br />
Dauerfrontmann, Ex-Kanzlerkandidat und SPD-<br />
Lokalpolitiker liest ein anderes Programm vom Teleprompter ab. Es<br />
gibt halt heuer Konzert mit durchgeknallter „Handlung“. Die handelt<br />
von Bier, Arbeitsverweigerung, Musik, einer Außerirdischen,<br />
„Sex“ und Liebe und davon, dass esimmer noch Hoffnung<br />
gibt,selbstwenndas Schlimmste eintritt.Garniert<br />
ist das alles mit ein wenig höherem Blödsinn und reichlich<br />
derbem Flachsinn. Also alles wie gehabt, erwartet<br />
und von den Fans gewollt und bei der Premiere lautstark<br />
gefeiert. Als die attraktive Außerirdische Laika (Caroline<br />
Hanke) ankündigt, die Kassierer auseinanderbringen zu wollen,<br />
reagieren die Fans mit lautem Buh-Rufen. Kindertheater lässt<br />
schöngrüßen.<br />
Dennoch ist das Treiben höchst kurzweilig,<br />
bunt, stimmungsvoll und<br />
amüsant, Hit reiht sich anHit, eswird<br />
mitgesungen, oder besser mitgegrölt,<br />
die Genres Punk und Operette<br />
feiern eine gelungene Vermählung<br />
im Geiste des Absurden unter Mithilfe<br />
des Alkohols. Uwe Schmieder als<br />
„Schmuwe“ darf inmitten des Remmidemmi<br />
einmal eine Hymne auf<br />
das würdevolle Altern des Punks anstimmen,<br />
die der legendären Frage<br />
Johnnie Rottens beim letzten Sex-<br />
©Birgit Hupfeld<br />
„Der Punk<br />
lebt sein<br />
untotesLeben<br />
weiter.“<br />
Pistols-Konzert 1978 in etwa diametral entgegenstehen dürfte. Der<br />
hatte angesichts der Mainstreamwerdung der Bewegung das Publikum<br />
gefragt: „Habt ihr schon mal das Gefühl gehabt, betrogen zu<br />
werden?“.<br />
Hier in Dortmund empfindet derlei wohl kaum jemand, der Sexismus<br />
der Texte, in denen etwa Damen aufgefordert werden, ihre<br />
Oberbekleidung zuentfernen, das lyrische Ich wolle masturbieren<br />
oder die Beschwerde vorgetragen wird, das männliche<br />
Geschlechtsorgan sei für die Ausübung des Aktes zu<br />
überdimensioniert (übrigens anschaulich in Szene gesetzt),<br />
ist ungefähr so ernsthaft zu verstehen wie der<br />
permanente Hitlergruß von Jonathan Meese indessen<br />
parallellaufender Lolita-Interpretation hier im Hause.<br />
Schlussendlich überschwemmt noch ein knallgrüner Virus die Bühne,<br />
Corona kommt an. Das dürfte leider, leider sehr visionär gewesen<br />
sein, denn der unmittelbar folgende Virus im realen Leben<br />
könnte dem Theaterspuk ein viel zu<br />
frühes Ende bereiten. Dem Punk<br />
dürfte der jedoch nichts anhaben.<br />
Der Punk lebt sein untotes Leben<br />
weiter. Als Zitat, Parodie und sogar<br />
als tatsächlich widerständiger und<br />
subversiver Lebensentwurf.<br />
TomThelen<br />
❚ DIE KASSIERER UND DIEDREI VONDER PUNKSTELLE<br />
TheaterDortmund, Theaterkarree1-3; Termine: 30.4.,<br />
20.+30.5.,6.6., je 19.30 Uhr.<br />
<strong>04</strong>.<strong>2020</strong>| <strong>HEINZ</strong> |45