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Rauf Ceylan (auth.) - Cultural Time Lag_ Moscheekatechese und islamischer Religionsunterricht im Kontext von Säkularisierung-VS Verlag für Sozialwissenschaften (2014)

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Einleitung 27

Erfahrungen zurückgreifen, die die Schülerinnen und Schüler in Familie, Gemeinde oder

Jugendgruppe gemacht haben. Er steht deshalb vor der Herausforderung, den Schülerinnen

und Schülern einen Zugang zu den Formen gelebten Glaubens zu eröffnen. Denn ohne die

Begegnung mit gelebtem Glauben kann die Lebensbedeutung des gelehrten Glaubens nicht

erschlossen werden.“ 33

Zeitlich verlagert haben sich analoge Erfahrungen nach der Wiedervereinigung wiederholt,

und derzeit sehen sich Länder wie das katholische Polen mit ähnlichen Fragen konfrontiert.

Egon Spiegel nennt diesen Prozess cultural time lag und akzentuiert damit, dass sich – eben

zeitlich versetzt – ähnliche kulturelle Entwicklungen in verschiedenen Ländern unter den

gleichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wiederholen. Im Kontext dieser These ist

daher zu fragen, ob sich die gesellschaftlichen Ausdifferenzierungs- und Transformationsprozesse

zunehmend in den muslimischen Gemeinden widerspiegeln und damit auch einen

Einfluss auf den Bedeutungswandel der drei Säulen des religiösen Lernens – entsprechend

der klassischen Aufteilung Familie, Gemeinde sowie Schule – haben werden. Auf der Basis

der christlichen Erfahrungen ist also anzunehmen, dass sich die Moscheegemeinden mit

der Pluralisierung der muslimischen Gemeinschaft im Zuge der Säkularisierungs- und

Individualisierungsprozesse mittelfristig mit den gleichen Herausforderungen auseinandersetzen

müssen. Sowohl offensive Reaktionen (in Form von Reformen der Bildungskonzepte

in den Moscheen und einer Akzeptanz der Aufgabenteilung zwischen einer

Moscheekatechese und schulischem Religionsunterricht) als auch defensive Maßnahmen

(Erhalt des Status quo und Vereinnahmungsversuche des islamischen Religionsunterricht

mit katechetischer und missionarischer Orientierung) sind möglich. Allerdings tritt zu

diesen Erfahrungen der christlichen Kirchen als benachteiligender Einflussflussfaktor bei

den Muslimen, die eben ethnisch und konfessionell nicht im Herkunftskontext verankert

sind und daher nicht über die historisch-strukturell gewachsene Tradition als Mehrheitenreligion

verfügen, ihre Minderheitenrolle hinzu. Wie noch in der empirischen Studie

aufgezeigt wird, sind die spezifischen Ausgangsbedingungen hinsichtlich finanzieller und

personeller Ressourcen der muslimischen Gemeinden in der Auseinandersetzung mit den

genannten gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozessen ebenfalls zu berücksichtigen.

Aufgrund des Vereinscharakters der Gemeinden existiert oft ein großes materielles,

soziales und intellektuelles Gefälle zu den Kirchen.

Muslimische Multiplikatoren als Wegweiser für zukünftige

Gestaltungsmöglichkeiten der Moscheekatechese und

das Forschungsziel der vorliegenden Abhandlung

Insbesondere die Verbandsaktionäre, die Moscheevorstände und das religiöse Betreuungspersonal

sind zentrale Akteure in der Frage der Ausrichtung religionspädagogischer

Angebote in den Gemeinden sowie in der Definition der Rolle des zukünftigen Religionsunterrichts.

Diese Multiplikatoren erfahren unmittelbar vor Ort die Herausforderungen

durch die Säkularisierungs- und Individualisierungsprozesse auf das Binnenleben der

33 A. a. O., S. 14

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