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Rauf Ceylan (auth.) - Cultural Time Lag_ Moscheekatechese und islamischer Religionsunterricht im Kontext von Säkularisierung-VS Verlag für Sozialwissenschaften (2014)

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50 A Theoretischer Teil

Verschwinden bis hin zur puren Transformation in die „Sozialgestalt“ von Religion. Eine

weitere Schwierigkeit in der Erfassung des Phänomens liege darin, dass „nur zum Teil

zuverlässige Daten“ vorlägen, wie etwa die soliden Statistiken zu Kirchenbesuchern in

Europa, die seit über 100 Jahren erstellt würden. 84 Übertragen auf die empirische Überprüfung

des Phänomens für die Muslime in Deutschland wird die Schwierigkeit bezüglich

der Statistiken zu Gemeindebesuchern deutlich, weil bisher keine Daten vorliegen. Es

existieren lediglich Studien, die Auskunft darüber geben, wie viele Prozent der Muslime

sich von den muslimischen Verbänden vertreten fühlen. 85

Die Vielfalt der von Hock dargestellten, zum Teil sehr konträren und diametralen Bedeutungen

kann für die vorliegende Studie insofern pragmatisch gelöst werden, als eine

auf das Forschungsinteresse hin zugeschnittene Arbeitsdefinition Verwendung findet. Da

die Moscheegemeinden und ihre Wahrnehmungen der gesellschaftlichen Entwicklungen

sowie deren Auswirkungen auf das Binnenleben der Moscheen im Fokus der Untersuchung

stehen, geht es vor allem um solche Fragen, die einen substanziellen Religionsbegriff voraussetzen:

Wie sieht die Entwicklungen der Mitgliederzahlen aus? Wie sieht es mit der

Reichweite der angenommenen religiösen Dienstleistungen aus? Wie sieht die Praxis der

vertretenen Glaubensgrundlagen der muslimischen Gemeinden durch ihre Mitglieder aus?

Wie hoch sind die Besucherzahlen an den Freitagen und Feiertagen? Daher interessiert

primär die Säkularisierung in ihrem Verständnis als „Entkirchlichung“ und „Entchristlichung“,

weswegen unter Säkularisierung im Kontext der Studie zwei der von Hartmut

Lehmann zusammengefassten vier einflussreichsten Varianten verstanden werden sollen,

und zwar „die Vorstellung von Säkularisierung als dem Nachlassen […] der Ausübung

von Religion in modernen Gesellschaften“ sowie „als Beschreibung der Tatsache, daß die

etablierten Kirchen seit der Aufklärung das Monopol bei der Bewältigung schwieriger

Lebenssituationen verloren haben (Stichwort: Entkirchlichung).“ 86

Wie Lehmann in seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Erklärungsmodell der

Säkularisierung darlegt, bringt es für die wissenschaftliche Forschung Vor- und Nachteile

mit sich. Zu den Vorzügen zählt er die Interdisziplinarität des Modells, weil Erkenntnisse

aus der Religionssoziologie, der Politikwissenschaft, oder der Philosophie sowie der

Sozial- und Kirchengeschichte berücksichtigt werden können. 87 Ein weiteren Vorteil ist

nach Lehmann darin zu sehen, dass man den zahlreichen Interpretationsmöglichkeiten

„[…] einen sehr weiten chronologischen Horizont zugrunde legen muß: die Erforschung von

Prozessen der Säkularisierung heißt immer auch die Erschließung von Argumenten zum

Verständnis von Prozessen der ‚longue durée‘. […] Drittens schließlich ermöglicht es das

Konzept der Säkularisierung, daß man der neueren europäischen Geschichte ein unverwechselbares

eigenes Profil gibt. Denn kein anderer Kontinent, keine andere der großen Kulturen

84 Vgl. ebd.

85 Die Studie Muslimisches Leben in Deutschland geht der Frage des Bekanntheitsgrades der

muslimischen Verbände sowie der Vertretung der Muslime nach; der tatsächlichen Reichweite

der Moscheegemeinden in Deutschland wird man allerdings nicht gerecht.

86 Hartmut Lehmann, Säkularisierung: der europäische Sonderweg in Sachen Religion, Göttingen

2004, S. 57

87 A. a. O., S. 57 f.

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