Online-Ausgabe 10, ET 13.06.2020
Bloß nicht lumpen lassen: Die Konjunktur will angekurbelt werden und deine Lieblingsgeschäfte brauchen jetzt deinen Einkauf. Aber nach acht Wochen der Einkehr weißt du gar nicht, was du wirklich brauchst. Na ja, vielleicht ein paar neue Laufschuhe? Von Michael Zäh
Bloß nicht lumpen lassen: Die Konjunktur will angekurbelt werden und deine Lieblingsgeschäfte brauchen jetzt deinen Einkauf. Aber nach acht Wochen der Einkehr weißt du gar nicht, was du wirklich brauchst. Na ja, vielleicht ein paar neue Laufschuhe? Von Michael Zäh
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12 Corona-Tagebuch | 30. Mai 2020
Ich verschwör
dir, Alter!
Damit keiner merken soll, dass der Verschwörungstheoretiker im Grunde selbst an die
Macht will, behauptet er, dass ihm ein Maulkorb verpasst würde. Das ver breitet er über
alle Kanäle, eben weil es keinen Maulkorb gibt. Aber er scheitert. Von Michael Zäh
Man muss schon ein bisschen dumm sein, um zu glauben,
dass alle anderen Menschen dümmer seien als man selbst.
Die Krux an Verschwörungstheorien besteht genau darin,
dass sich dabei immer der Verbreiter als gescheiter hinstellt als der
ganze Rest der Menschheit. Und weil der Verschwörungstheoretiker
ja soviel weiß, was anderen völlig verborgen blieb, deckt er eine
weltweite Verschwörung auf. Nein, kleiner geht es nicht, es muss
sich schon um die Welt (am besten noch das gesamte Universum)
handeln, die vom Oberschlaui Verschwörungstheoretiker lässig
leicht durchschaut wird. Hinter der großen Verschwörung vermutet,
wer immer etwas auf sich hält derzeit gerne Bill Gates, den Gründer
von Microsoft und daher auch Multimilliardär.
Denn die Größe des Gegners ist natürlich entscheidend für den
Ruhm derer, die ihn auffliegen lassen. Sprich: Der Bill Gates ist so
schlau, dass alle Menschen auf der Welt gar nicht merken, wie er sie
manipuliert. Denn die Leute sind ja alle „Schlafschafe.“ Nur derjenige,
der das blickt, ist noch schlauer als Bill Gates, dessen Verschwörung
er ja aufdeckt. Also treten Leute wie der ehe malige Radiomoderator
Ken Jebsen oder der Autor erfolgreicher veganer Kochbücher,
Attila Hildmann mit ihren Erzählungen an, die im Falle Gates im
Prinzip lauten, dass alle nationalen Regierungen, sowieso alle
Virologen und die WHO den Plan umsetzen müssten, den Gates
diktiert, um eine Weltherrschaft zu er ringen.
Nun ja, ab hier wird es ein bisschen kompliziert.
Bisher haben wir also Schlaui Gates
(wahlweise kann das auch Putin sein) und
den Oberschlaui Verschwörungstheoretiker
(VT). Der
Rest der Menschheit blökt
blöde vor sich hin.
Aber nun wendet
sich der Oberschlaui
an die schlafenden
Schafe, um ihnen die
Augen zu öffnen – oder
ist es, um ihnen die Wolle zu
scheren?
Warum das? Na ja, das können
sogar Schlafschafe kapieren: Weil halt
der Aufklärer über geheime Mächte und
deren Verschwörung auch ein bisschen
Lob braucht, quasi den Status des
Erlösers, der die ganze Menschheit
gerettet hat, sobald diese das einsieht. Außerdem bringen die
Klicks vieler Neugieriger in den sozialen Medien auch noch Geld ein.
Dann natürlich wird der Mensch, der die Menschheit gerettet hat,
zum gefeierten Anführer. Praktisch: die aufgeweckten Schlafschafe
machen ihn zum Wolf im Schafspelz. Und das ist ja interessant. Erst
fühlt sich der VT einzigartig, weil er eine Meinung hat, die nicht
alle haben, praktisch: voll der Durchblicker, früher auch gerne der
Oberchecker genannt (halt meistens während der Pubertät). Er fühlt
sich dadurch besonders. Er weiß, was eigentlich passiert. Er weiß ja
mehr als alle anderen. Aber dann plötzlich will er die Anerkennung
all dieser Blinden? Er will sie führen. Er will an die Macht. Er will
quasi Bill Gates ersetzen. Merkt ja keiner. Weil so raffiniert!
Zwar kennt die Fantasie bei den Verschwörungserzählungen
kaum Grenzen (Merkel wurde längst durch eine Doppelgängerin
ersetzt, Trump ist der Heiland, der dagegen kämpft, dass Kinder
unterirdisch zu Tode gequält werden, Satan ist der Gegner), aber sie
hat ein Ziel: Den Ruhm derer mehren, die das alles erzählen.
Das Problem besteht nun darin, dass sich dieser Ruhm partout
nicht einstellen will. Denn die „Schlafschafe“ kapieren es einfach
nicht, die Medien kungeln natürlich mit den Mächtigen (weshalb,
logo, auch dieser Text natürlich nur dazu dient, die Wahrheit zu
verschleiern). Ergo: Der geniale Aufdecker der Verschwörung
kommt einfach nicht ans Ziel. Er muss daher weiterhin
seinen Status als Außenseiter pflegen, obwohl er
eigentlich das Gegenteil will.
Also sagt er, dass ihm ein Maulkorb verpasst würde.
Wir können das alle zur Kenntnis nehmen, eben
weil er jeden Quatsch über alle Kanäle ungehindert
erzählen darf. Die Meinungsfreiheit gilt auch hier,
und das ist gut so.
Wir glauben
nicht, dass dies die
Demokratie gefährden
kann. Weil wir
auch nicht glauben,
dass alle Menschen
dümmer sind als der eine
„Aufklärer“. Da halten wir
es eher mit ein bisschen Jugendsprech-Humor:
„Ich verschwör
dir, Alter!“ Wir glauben
an den gesunden Menschenverstand.