Online-Ausgabe 10, ET 13.06.2020
Bloß nicht lumpen lassen: Die Konjunktur will angekurbelt werden und deine Lieblingsgeschäfte brauchen jetzt deinen Einkauf. Aber nach acht Wochen der Einkehr weißt du gar nicht, was du wirklich brauchst. Na ja, vielleicht ein paar neue Laufschuhe? Von Michael Zäh
Bloß nicht lumpen lassen: Die Konjunktur will angekurbelt werden und deine Lieblingsgeschäfte brauchen jetzt deinen Einkauf. Aber nach acht Wochen der Einkehr weißt du gar nicht, was du wirklich brauchst. Na ja, vielleicht ein paar neue Laufschuhe? Von Michael Zäh
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6 Corona-Tagebuch | 30. Mai 2020
Warten
auf Corona
Während die Zahlen der Covid 19-Infektionen regelrecht dahin schmelzen und
Bund und Länder prompt auch etliche Verbote aufgehoben haben, lauert die eine
Frage: Kann das gut gehen? Das Virus scheint versteckt zu lauern. Von Michael Zäh
Es kommt und geht. Es hat selbst keine Seele und keinen Sinn.
Man hat es „Covid 19“ und „Corona“ getauft, egal warum,
aber es erinnert an Godot.
„Komm, wir gehen.“
„Wir können nicht.“
„Warum nicht?“
„Wir warten auf Godot.“
„Ach ja.“
So ist das in dem berühmten Stück von Samuel Beckett von1949
und so ist es derzeit mit Corona. Denn während die Zahlen wie von
Zauberhand dahin schmelzen und nun auch überall das Leben wieder
erlaubt sein soll, lässt Corona die Botschaft überbringen, dass es bald
wieder da sein werde.
Ein Junge taucht in „Warten auf Godot“ mit einer Nachricht auf:
Herr Godot werde heute nicht mehr kommen, ganz bestimmt aber am
nächsten Tag. Und an diesem heißt die Botschaft dann genau gleich.
Man ahnt: es geht immer so weiter, also bei Beckett in seinem Stück,
der als Autor des absurden Theaters berühmt wurde.
Und wie verhält es sich bei Covid 19? Anfangs wurden Zahlen
vorgelegt, die besagten, dass sich 70 Prozent der Deutschen früher
oder später damit infizieren würden. Weil dies rund 58 Millionen
Menschen sind, wovon dann ein Sechstel, also neun Millionen Menschen
einen schweren Verlauf hätten bekommen können, wurde der
Lockdown ausgerufen. So weit, so klar.
Nach knapp zwei Monaten im runtergefahrenen Modus sind die
Zahlen erfreulicherweise andere. Es erweckt derzeit den Eindruck,
dass sich die Gefahr verflüchtige. Plötzlich liegen die Zahlen in einem
Bereich, der fast schon an einem abwesenden Herrn Godot erinnert.
Da werden dann etwa für Freiburg gerade noch 4,3 Neuinfektionen
pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen (Stand 24. Mai), oder für den
Landkreis Emmendingen 1,2 pro 100.000 oder Landkreis Lörrach
0,4 pro 100.000 Einwohner gemeldet. Rund 161.000 Menschen in
Deutschland galten am 26. Mai als geheilt und es galten nur noch
9.275 Personen an diesem Tag als aktuell infiziert – bei über 80
Millionen Einwohnern im Land.
Und hier könnte es heißen: „Komm, wir gehen.“ Zurück ins
wahre Leben, vor allem auch im Kampf um die wirtschaftlichen
Existenzen in allen Bereichen. Es wurden ja prompt auch von Bund
und Ländern etliche Verbote wieder aufgehoben, logisch, da Verbote
ja kein Selbstzweck sind.
Aber jetzt, was kommt? Die meisten Betriebe aus verschiedenen
Bereichen haben unter Auflagen wieder geöffnet. Und Thüringens
Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) will es bald jedem Bürger
selbst überlassen, ob er Mundschutz trägt oder Abstand hält. Er nennt
das eine „verantwortungsbewusste Solidarität“. Das hat viel Kritik
ausgelöst, weil: „Wir können nicht.“ „Warum nicht?“ „Wir warten
auf Godot.“
Und ja, es ist schon so, dass die Dinge des Lebens, die vor Corona
selbstverständlich waren, nun eher suspekt wirken. Bei Sonnenschein
sind nach den „Lockerungen“ an all den zuvor verwaisten
Stellen plötzlich wieder viele Menschen, in den Cafés, auf Kinderspielplätzen,
im Park, und überall schwingt die bange Frage mit:
Kann das gut gehen? Der Bote sagt: Herr Godot werde heute nicht
mehr kommen, ganz bestimmt aber am nächsten Tag. Dies glauben
bei Corona auch Kanzlerin Merkel, Bayerns Ministerpräsident Söder
und viele Virologen.
Dennoch hat Ramelow auch Recht, wenn er anhand der aktuell
bestehenden Zahlen davon weg will, seinen Bürgern weiterhin ihr
Verhalten vorzuschreiben. Zurück zu den Grundrechten zu kommen
ist nämlich nichts, was man extra begründen müsste. Man braucht
umgekehrt gute Gründe, um die Grundrechte zu beschneiden.
Und das geben die Zahlen nicht mehr her. Es ist sinnlos, auf Herrn
Godot zu warten. Und bei Herrn Corona ist es so, dass es noch viel zu
tun gibt, während er abwesend ist. Zum Beispiel die Pause zu nutzen,
um endlich Schutzausrüstung besorgen, Herr Spahn!
„Ach ja.“