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Online-Ausgabe 10, ET 13.06.2020

Bloß nicht lumpen lassen: Die Konjunktur will angekurbelt werden und deine Lieblingsgeschäfte brauchen jetzt deinen Einkauf. Aber nach acht Wochen der Einkehr weißt du gar nicht, was du wirklich brauchst. Na ja, vielleicht ein paar neue Laufschuhe? Von Michael Zäh

Bloß nicht lumpen lassen: Die Konjunktur will angekurbelt werden und deine Lieblingsgeschäfte brauchen jetzt deinen Einkauf. Aber nach acht Wochen der Einkehr weißt du gar nicht, was du wirklich brauchst. Na ja, vielleicht ein paar neue Laufschuhe? Von Michael Zäh

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28 Corona-Tagebuch | 4. April 2020

Rauchende Colts

Marshall Matt Dillon hat früher die Banditen gejagt, die ein Halstuch vor Nase

und Mund hatten. Wer damals im Röhren-TV zusah, ist heute in der Risikogruppe.

Wie auch die Ärzte, denen millionenfach Schutzausrüstung fehlt. Von Michael Zäh

Wenn es so käme, dass der deutsche Bürger nur

noch mit Mundschutz durch die Gegend laufen

darf, weckt dies bei manchem Zeitgenossen

ganz klar Erinnerungen: Rauchende Colts, ein gewisser

Marshall Matt Dillon, der all jene gejagt hat, die sich ein

Halstuch vor Nase und Mund gebunden hatten, sprich:

die Banditen. Damals im staubigen Wilden Westen, und

sehr lange vor dem World-Wide-Web. Auch vom Virus

keine Spur, damals.

Die Vorstellung, dass wir alle vom „Gunsmoker“ durch

die Prärie gejagt werden, weil wir schnell zu Pferde eine

Postkutsche ausgeraubt haben, ist durchaus tröstlich. Weil

das ist ja Kindheitserinnerung. Doch die Vorstellung, dass

wir bald alle unser Gesicht banditengleich hinter einer

Maske verstecken müssen, um außer Haus gehen zu dürfen,

hat dafür eher den Hauch des Bösen. Da wüsste der

Marshall Matt Dillon ja gar nicht mehr, welche Schurken

er zur Strecke bringen soll.

Man könnte auch sagen, dass es etwas irre wirkt, wenn

heuer über solche Mundschutzmasken für die gesamte

Bevölkerung gesprochen wird, während ja derzeit genau

solche Masken dort millionenhaft fehlen, wo sie wirklich

dringend gebraucht würden. Laut einer Liste der AOK

fehlen schon allein bei den niedergelassenen Ärzten (also

ohne die Kliniken, Krankenhäuser oder auch Pflegeheime

etc.) rund 115 Millionen Mund-Nasen-Schutzmasken,

außerdem 47 Millionen Masken der FFP2-Qualität sowie

zusätzlich noch mal 7,5 Millionen FFP3-Masken der

noch höheren Qualität. Was außerdem fehlt: 63 Millionen

Schutzkittel, 55 Millionen Packungen Einmalhandschuhe,

sowie 3,7 Millionen Schutzbrillen.

Diese Mängel sind nicht etwa durch das plötzliche

Auftreten des Coronavirus entstanden, sondern werden

dadurch nur sichtbar. Die bittere Wahrheit ist nämlich,

dass es bereits 2005, also vor 15 Jahren (ist ja natürlich

nix sind im Vergleich zu den Hochzeiten von „Rauchende

Colts“) einen Pandemieplan gab, den damals schon das

Robert-Koch-Institut (heute ja in aller Munde) im Auftrag

des Bundesgesundheitsministeriums erstellt hat. Dieser

Plan sieht vor, dass benötigte Materialien „rechtzeitig

vor Eintreten einer Pandemie“ von der Bundesregierung

bevorratet werden müssen. Sprich: All das, was jetzt fehlt,

hätte eigentlich nach dem Pandemieplan auf Vorrat sein

müssen. Das hat der Bund aber nicht so ernst genommen.

Man schlug solche ungeheuren Pläne in den Wind, weshalb

man heute umso entschiedener darüber nachdenkt,

wie eben dieses Ungeheuer mit dem Namen Coronavirus

durch private Initiativen noch gebändigt werden könnte.

Bayerns Ministerpräsident Söder hat doch prompt vorgeschlagen,

dass Bayerns Bürger zehn Millionen Masken

selbst nähen sollen. Wie im Krieg, sozusagen.

Da wir hier schon mal in Bayern sind, hört man den

Kaiser rufen: „Ja ist denn jetzt schon Weihnachten?“

Aber gut, das ist eine ganz andere tragische Geschichte.

Heuer würde es heißen: „Ja ist denn jetzt schon Ostern?“

Denn bis dahin regiert ja Marshall Söder als Gunsmoker

mit unbeirrter Hand. Diskussionen über eine „Exit-Strategie“

hat er sich verbeten. Erst muss der Bandit erlegt

sein. Ein Schuss, ein Treffer, mitten ins Virus, und dann

raucht der Colt.

Und danach also soll es all die selbstgenähten Mundschutzmasken

geben, quasi als Geste der Unterwerfung

des Volkes, wenn es denn wieder raus darf. Lieber als

Bandit auf der Arbeit als nur immer zu Hause im beengten

Homeoffice.

Der praktische Nutzen solcher Masken ist laut WHO

äußerst umstritten. Könnte medizinisch sogar mehr Schaden

anrichten als es Nutzen hätte. Aber darum geht es

offenbar längst nicht mehr. Eher scheint es um den Gleichklang

der Herde zu gehen (hier also: die deutschen Bürger

in Panik), weil die Autorität derer zementiert werden soll,

die zuvor fahrlässig versagt haben, als sie sich nicht an

bestehende Pandemie-Vorsorge hielten.

Na klar schauen jetzt diejenigen in die Röhre, die Matt

Dillon im Röhren-TV sahen. Sprich: Risikogruppe!

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