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Leseprobe_Glüxam_Aus der Seele muß man spielen

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Einführung<br />

intenzione del Compositore“. 21 Mit geradezu poetischen Worten wurde diese vermittelnde<br />

Aufgabe vom deutschen Flötisten, Komponisten und Flötenbauer Johann Georg Tromlitz<br />

(1725–1805) beschrieben: „ … Man rede durch seine Töne; <strong>man</strong> bringe durch sie sein<br />

eigen Gefühl in das Gefühl des Zuhörers; <strong>man</strong> mache ihn traurig, <strong>man</strong> mache ihn fröhlich;<br />

<strong>man</strong> rede aus dem Herzen und aus <strong>der</strong> <strong>Seele</strong> mit ihm, und lege ihm alles an das Herz, was<br />

<strong>man</strong> fühlet, mit dem stärksten Nachdrucke.“ 22 Und wie schließlich in Sulzers Allgemeiner<br />

Theorie <strong>der</strong> Schönen Künste zusammengefasst wird, beziehe sich <strong>der</strong> Anspruch <strong>der</strong> komponistengetreuen<br />

Interpretation sowohl auf die einzelnen Teile als auch auf die ganze<br />

Komposition: „Sowol das Ganze als je<strong>der</strong> Theil desselben, <strong>muß</strong> gerade in dem Ton, in dem<br />

Geist, dem Affect und in demselben Schatten und Licht, worin <strong>der</strong> Tonsetzer [!] es gedacht<br />

und gesetzt hat, vorgetragen werden.“ 23<br />

Zugleich machten die Musikgelehrten darauf aufmerksam, dass <strong>der</strong> Vortrag bei ein<br />

und <strong>der</strong>selben Komposition zu völlig konträren Klangergebnissen führen könne:<br />

C. Ph. E. Bach warnt davor, dass <strong>man</strong> „einerley Gedancken“ durch unterschiedlichen<br />

Vortrag „dem Ohre so verän<strong>der</strong>lich“ machen könne, dass <strong>man</strong> „kaum mehr empfindet,<br />

daß es einerley Gedancken“ gewesen seien; 24 <strong>der</strong> deutsche Klavierpädagoge Daniel Gottlob<br />

Türk (1750–1813) vergleicht die musikalische Interpretation mit dem gesprochenen<br />

Wort und erläutert, wie ein bestimmter Satz o<strong>der</strong> musikalischer Gedanke durch verschiedenen<br />

Vortrag einen völlig an<strong>der</strong>en Sinn bekommen könnten: „Die Worte: Wird er<br />

bald kommen? können blos durch den Ton des Sprechenden einen ganz verschiedenen Sinn<br />

erhalten. Es kann dadurch ein sehnliches Verlangen, eine heftige Ungeduld, eine zärtliche<br />

Bitte, ein trotziger Befehl, eine Ironie u. s. w. ausgedruckt werden. Das einzige Wort: Gott!<br />

kann den <strong>Aus</strong>ruf <strong>der</strong> Freude, des Schmerzes, <strong>der</strong> Verzweiflung, <strong>der</strong> größten Angst, des Mitleids,<br />

<strong>der</strong> Bewun<strong>der</strong>ung etc. in verschiedenen Graden bezeichnen. Eben so können auch<br />

Töne, durch verän<strong>der</strong>ten Vortrag, eine sehr verschiedene Wirkung hervor bringen.“ 25<br />

Daraus folgt, dass <strong>der</strong> Interpret, will er die einzelnen musikalischen Gedanken wie<br />

die ganze Komposition adäquat – im Sinne des Komponisten – vortragen, die affektive<br />

Botschaft des Werkes bis ins letzte Detail verstehen muss. Deshalb sei es, wie auch Türk<br />

betont, „äußerst nötig“, den <strong>Aus</strong>druck „je<strong>der</strong> Empfindung und Leidenschaft auf das sorgfältigste<br />

zu studieren, sich denselben eigen zu machen, und richtig [!] anwenden zu lernen.“ 26<br />

Der Notentext und seine symbolische (Affekt-)botschaft<br />

Die zentrale Frage lautet nun: Wie lassen sich die im Notentext enthaltenen Affekte erkennen?<br />

Scheint es dort, wo Musik mit Text verbunden ist, gewissermaßen einfacher zu<br />

sein, zumindest den Grundaffekt <strong>der</strong> Komposition zu entschlüsseln, 27 stellt reine Instrumentalmusik<br />

die Interpreten vor eine ungleich schwierigere Aufgabe, die Wissen – o<strong>der</strong>,<br />

21 A. Lorenzoni, Saggio Per Ben Sonare Il Flautotraverso (1779), S. 70.<br />

22 J. G. Tromlitz, <strong>Aus</strong>führlicher und gründlicher Unterricht die Flöte zu <strong>spielen</strong> (1791), S. 373. Mehr dazu ebd.<br />

23 J. G. Sulzer, Allgemeine Theorie <strong>der</strong> Schönen Künste (1774), Zweyter Theil, Art. „Vortrag“, S. 1252. Vgl. auch<br />

die <strong>Aus</strong>gabe Allgemeine Theorie <strong>der</strong> Schönen Künste (1794), Art. „Vortrag“, Bd. IV, S. 706.<br />

24 C. Ph. E. Bach, Versuch, I. Teil (1753), S. 117.<br />

25 D. G. Türk, Klavierschule (1789), S. 348.<br />

26 Ebd.<br />

27 Die grundlegende Rolle des Textes in Bezug auf die Affekterkennung zeigt sich darin, dass die Informationen<br />

dazu, wie Affekte erkannt werden können, erst später, und zwar gerade in den Instrumentalschulen,<br />

behandelt wurden, wie etwa in J. J. Quantz’ Versuch (1752), A. Lorenzonis Saggio Per Ben Sonare Il Flautotraverso<br />

(1779) o<strong>der</strong> in J. Fröhlichs Vollständiger Theoretisch-pracktischer Musikschule [1810/11] (s. u.).<br />

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