Leseprobe_Rauchschatten
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Teil I<br />
1<br />
Vater steht auf dem Platz vor dem Hotel »Wolga«. Vor der<br />
großen Einfahrt zum Hafen, umringt von einer Zitadelle und<br />
dem Denkmal eines Mannes mit einem Gewehr in der Hand,<br />
vergräbt er seine Hände in den Taschen und sieht sich um.<br />
Der ausgestreckte Arm des aufgebrachten Helden über seinen<br />
Schultern deutet hinweg über den Gastgarten des Hotels,<br />
der auf der anderen Straßenseite liegt, auf das Meer und die<br />
verschwommenen Konturen der Schiffe, die darauf warten,<br />
in den Hafen einzulaufen. Der Garten mit seinen leichten<br />
Klapptischen und Stühlen aus blauem und rotem Kunststoff<br />
und Metallgestellen verschwindet unter einer dichten Laubdecke.<br />
In ähnlicher Weise wie die Musiker, die jeden Abend<br />
dort spielen und sich lässig den Verboten des Regimes entziehen,<br />
um sich mit ihren glatten Rhythmen und Melodien an<br />
die Schlager jenseits der Adria und Standards des fernen Jazz<br />
anzulehnen, trotzt der Garten der sengenden Hitze, die jetzt<br />
die Straßen der Stadt in ihren Fängen hält.<br />
Vater wirft einen schnellen Blick über die Steine entlang<br />
der bemoosten Hafenmauer bis hin zu der Bronzemasse, die<br />
vor der Hafeneinfahrt emporragt und Enver Hoxha darstellt.<br />
Die riesige Statue überwacht mit erhabenem Blick den<br />
Platz. Keine Bewegung und kein Detail entgehen ihr, so dass<br />
auch Vater sich ertappt fühlt. Es ist bereits zwei Uhr. Später<br />
August. Flirrende Luft. Die Sonne sticht ein Loch in den<br />
fahlen blauen Tag und trifft Vater mit voller Wucht im Nacken.<br />
Kinder eilen in Richtung Meer. Von ihrem Gekreische<br />
verfolgt, tritt Vater durch die Drehtür in die Rezeption und<br />
nimmt deren Schwung mit.<br />
Bitte?, fragt eine Frau, die aus dem dunklen Hintergrund<br />
herbeistürmt.<br />
9