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Online Programmheft Die Agonie und die ... - Theater Dortmund

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Es war nicht so, dass ich, mit Reporterhut auf dem Kopf, wild auf der Suche nach<br />

einer „Story“ war. <strong>Die</strong>ser blinde Fleck hat mich interessiert, <strong>die</strong>se Leerstelle, <strong>die</strong> es<br />

auch in mir selber gab. Ich bin in der Lage, mein Laptop in seine Bauteile zu<br />

zerlegen, aber ich hatte nie einen Schritt weitergedacht. Und: Gerade Hightech-<br />

Fans sind ja oft besessen von Fragen wie, wo genau eine bestimmte Platine<br />

herkommt, mit was für einem Chipset, es gibt Codes auf den Bauteilen... Und mir<br />

wurde klar, dass ich zwar viel darüber wusste, wo Bauteile herkommen, aber nicht,<br />

wie sie zusammengesetzt werden. Genau da gab es bei mir einen blinden Fleck,<br />

eine Leerstelle. Und interessanterweise lag <strong>die</strong>se Leerstelle genau an dem Punkt,<br />

wo sie bei uns offenbar immer liegt: Beim Punkt Arbeitkraft. Immer wenn es um<br />

Arbeit, Arbeitskraft geht, legen wir gerne eine Leerstelle drüber, weil wir nicht<br />

hinschauen wollen.<br />

Ich bin von Hause aus eigentlich kein Aktivist, habe zwar viele politische<br />

Ansichten, war aber nie im Umfeld von politischen Gruppen. <strong>Die</strong>ser Monolog ist<br />

mit Abstand der aktivistischste, den ich je gemacht habe – <strong>und</strong> der Gr<strong>und</strong> ist<br />

wohl, dass mir bei der Recherche bewusst wurde, dass man tatsächlich ziemlich<br />

einfach etwas tun könnte. Was aber nicht passiert.<br />

Es ist nicht <strong>die</strong> Sorte <strong>Theater</strong>, <strong>die</strong> zwar über <strong>die</strong> Arbeitsbedingungen in China<br />

erzählt, aber dann sagt: „Wirtschaft ist ein sehr komplexes Thema, China ist ein<br />

komplexes Land. Und wie können wir jemals wissen, was richtig <strong>und</strong> was falsch<br />

ist? <strong>Die</strong> Welt ist so groß. Und wir alle leben in ihr.“ Und dann eine lange Pause,<br />

bevor langsam <strong>die</strong> Scheinwerfer dunkler werden. Und alle würden rausgehen mit<br />

einem „Jaja...alles furchtbar komplex...“.<br />

Ich glaube, dass <strong>die</strong> logistischen Fragen zwar komplex sind, aber nicht so komplex<br />

<strong>und</strong> unüberwindbar, dass mein, dass unser Verhalten zu rechtfertigen wäre.<br />

SCHULZ Auch <strong>die</strong> Firmen würden wohl kaum in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Apple<br />

beispielsweise gilt seit Jahren als visionärstes <strong>und</strong> innovativstes Unternehmen der<br />

Branche <strong>und</strong> ist finanziell höchst erfolgreich. Anfang 2012 gab Apple bekannt,<br />

dass <strong>die</strong> Bruttogewinnspanne im vierten Quartal 2011 bei 44,7 Prozent lag – dass<br />

also durchschnittlich knapp <strong>die</strong> Hälfte des Verkaufspreises jedes Geräts direkt auf<br />

<strong>die</strong> Apple Konten fließen.<br />

<strong>Die</strong> Firma hat ein Barvermögen von 100 Milliarden Dollar.<br />

DAISEY <strong>Die</strong> Arbeitskosten in China sind lächerlich gering. Andere Elektronikfirmen haben<br />

vielleicht kleinere Gewinnmargen als Apple, aber alle könnten sich Reformen<br />

finanziell leisten, ohne Frage.<br />

Ich habe schon NEUROMANCER oder SNOW CRASH erwähnt – solche<br />

Bücher faszinieren mich, <strong>und</strong> mir ist irgendwann bewusst geworden, dass solche<br />

Szenarien nicht nur im Science-Fiction-Genre zu finden sind, sondern bereits in<br />

unserer realen Welt existieren. Und ich das lediglich nicht sehen wollte.<br />

Mit den Sonderwirtschaftszonen hat China Orte geschaffen, in denen <strong>die</strong><br />

Unternehmen das Sagen haben. Da kann man sehen, wie <strong>die</strong> Zukunft aussehen<br />

wird. Es ist kein menschlicher Stiefel mehr, der einem da ins Gesicht tritt, es ist<br />

der Fußtritt eines Unternehmens. Welches immer noch einen Teil von uns<br />

darstellt, klar. Aber es ist ein Fußtritt jenseits persönlicher Verantwortung. Man<br />

kann keine Individuen mehr verantwortlich machen.<br />

SCHULZ Könnte es sein, dass eine Geschichte, <strong>die</strong> hinter <strong>die</strong> ökonomischen Kulissen eines<br />

Smartphones blickt, auf <strong>die</strong> dunkle Seite, uns emotional eher betrifft, als wenn es<br />

um unseren Teppich ginge, wo <strong>und</strong> wie <strong>die</strong>ser hergestellt wird <strong>und</strong> von wem?<br />

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