PARNASS 03/2020 Leseprobe
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APPROPRIATION
IM SPANNUNGSFELD ZWISCHEN
URHEBERRECHT UND KUNSTFREIHEIT
BENITA BÖHM
Seit jeher berufen sich Künstler auf die Leistungen und Werke von
Kollegen. Ganze Kunstströmungen sind durch das gegenseitige Zitieren
oder die Übernahme von Techniken und künstlerischen Strategien
entstanden. Insbesondere Künstler der in den 1970er-Jahren
aufgekommenen Appropriation Art, aber auch des Dadaismus,
Surrealismus oder der Pop-Art, griffen auf fremde Werke zurück
und erschufen auf deren Grundlage völlig neue Schöpfungen.
So anerkannt diese künstlerische Praxis in der Kunstgeschichte
und auf dem Kunstmarkt auch sein mag, juristisch agieren Künstler,
die sich auf Bildübernahme und -verfremdung, Zitate, Collagen
sowie andere Formen der Aneignung spezialisiert haben, in einer
Grauzone. Denn nicht jede Bearbeitung von Fremdmaterial ist
von der Kunstfreiheit gedeckt.
Frei aneignen darf man sich ein Kunstwerk zwar dann, wenn
der Künstler bereits seit mehr als 70 Jahren verstorben ist. Danach
erlischt das Urheberrecht an den Originalwerken nach europäischer
sowie US-amerikanischer Rechtslage und auch die Erben
können sich nicht mehr auf dessen Verletzung berufen. Ansonsten
gilt jedoch, dass vor der Verwendung einer fremden Arbeit grundsätzlich
die Zustimmung des Urhebers, seiner Erben oder der ihn
gegebenenfalls vertretenden Verwertungsgesellschaft einzuholen
ist, es sei denn, eine der folgenden Ausnahmen greift.
AMERIKANISCHE RECHTSLAGE
Nach US-amerikanischem Recht können sich Künstler der Appropriation
Art auf das Recht des sogenannten „fair use“ berufen. Danach
darf ein fremdes Werk unter bestimmten Voraussetzungen
wiedergegeben werden, ohne dass dadurch eine Urheberrechtsverletzung
entsteht. Die Aneignung muss unter anderem zum Zwecke
der Kritik oder Kommentierung erfolgen. Zudem muss die
Verwendung angemessen sein. Zur Beurteilung dieser Angemessenheit
müssen im Einzelfall folgende vier Aspekte berücksichtigt
und gegeneinander abgewogen werden:
1. Zweck und Art der Verwendung des Originalwerkes
2. Art des urheberrechtlich geschützten Originalwerkes
3. Umfang und Bedeutung des verwendeten Auszugs im
Verhältnis zum ganzen Originalwerk
4. Auswirkung der Verwendung auf den Wert und die Verwertung
des Originalwerkes
ANDY WARHOL | $ (4) blau und $ (4) schwarz, 1982, Siebdrucke auf Lenox
Museumskarton, je 101.6 × 81.3 cm, AP 3/10 (Ed. 35 ), signiert, nummeriert
beide | Courtesy und © Galerie Gerlad Hartinger