22.12.2012 Aufrufe

3–09 Thomas Dominik Meier, neuer ZHdK-Rektor - Zürcher ...

3–09 Thomas Dominik Meier, neuer ZHdK-Rektor - Zürcher ...

3–09 Thomas Dominik Meier, neuer ZHdK-Rektor - Zürcher ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

22<br />

zett <strong>3–09</strong> / kunst & medien<br />

gemeinschaft –<br />

vielleicht<br />

Die Auseinandersetzung mit Fragen der<br />

Gemeinschaft sowie die Reflexion des Begriffs<br />

haben erneut an Aktualität gewonnen:<br />

Einerseits werden sie in den Feuilletons zum<br />

Symptom der „Krise“ stilisiert und von einigen<br />

denn auch schon als modisches Thema<br />

bekrittelt. Andererseits markieren sie wichtige<br />

Fragen einer politischen Philosophie und<br />

Praxis, die sich auf langjährige brisante<br />

Debatten beziehen. Jörg Huber und Elke Bippus*<br />

(Blanchot: Die uneingestehbare Gemeinschaft, 1983, dt. 2007 / Nancy:<br />

Die undarstellbare Gemeinschaft, 1986, dt. 1988 / Esposito: Communitas,<br />

1998, dt. 2004 / Bauman: Gemeinschaften, 2001, dt. 2009) / Nancy:<br />

Die herausgeforderte Gemeinschaft, 2001, dt. 2007 / Agamben: Die<br />

kommende Gemeinschaft, 2001, dt. 2003). Die in jüngster Zeit gezeigten<br />

Ausstellungen („If we can’t get it together. Artists rethinking the<br />

(mal)function of communities“, Toronto 2008 / „Gemeinsam in die<br />

Zukunft“, Frankfurt 2009)<br />

Das Institut für Theorie (ith) arbeitet seit nunmehr über<br />

einem Jahr am Thema „Gemeinschaft“ mit der Absicht, durch<br />

begriffliche Präzisierungen und Problematisierungen „Gemeinschaft“<br />

in ihrer herausfordernden Komplexität in den<br />

Diskurs über Alltagskultur und Gegenwart zu transferieren.<br />

Im Bemühen, auch diese Ausrichtung auf die Philosophie des<br />

Politischen zu vermitteln mit der Theorie des Ästhetischen.<br />

Die Arbeit an „Gemeinschaft“ erweist sich dabei keineswegs<br />

als ein harmonisches Miteinander, sondern ist – und dies<br />

korrespondiert mit der Problematik des Begriffs – von Unstimmigkeiten,<br />

Brüchen und Differenzen durchzogen. Das<br />

Denken und Produzieren von Gemeinschaft ist auf- und herausgefordert,<br />

die faschistische Inanspruchnahme des Begriffs<br />

in einer wie auch immer gearteten Volksgemeinschaft<br />

zu reflektieren. Das Gemeinschafts-Konzept von Allmacht,<br />

Allgegenwart, Souveränität und Selbstgegenwart ohne Bruch,<br />

vom Geist eines Volkes, von Getreuen und Gläubigen scheitert<br />

an einer globalisierten Welt – auch wenn sich Rechte in<br />

ihrer Propagierung von Gemeinschaft diesbezüglich blind<br />

stellen. Wie aber ist in einer globalisierten und gleichzeitig<br />

partikularisierten Welt Gemeinschaft zu denken? Jean-Luc<br />

Nancy schreibt dazu:<br />

„Zu beiden Seiten der Kluft der Welt, die sich unter dem Namen<br />

‚Globalisierung‘ aufgetan hat, ist es eben die Gemeinschaft, die getrennt<br />

und sich selbst gegenübergestellt [affrontée] ist. Einst konnten die<br />

Gemeinschaften sich als distinkt und autonom denken, ohne ihr<br />

Aufgehen in einer generischen Menschheit zu suchen. Doch […], wenn<br />

‚die‘ Gemeinschaft beginnt, eine seltsame Einzigkeit zu stammeln […],<br />

dann begreift ‚die‘ Gemeinschaft, dass sie es ist, die aufklafft – klaffend<br />

geöffnet auf ihre abwesende Einheit und Essenz. Diesem Bruch, begreift<br />

sie, ist sie in sich gegenübergestellt. […] Dass dieses Sich-selbst-<br />

Gegen überstehen [affrontement avec soi] ein Gesetz des Gemeinsam-<br />

Seins sein könnte und sein Sinn selbst, das steht zu denken an […]<br />

[und mithin], dass die wechselseitige Zerstörung selbst noch die<br />

Möglichkeit der Auseinandersetzung zerstört und mit ihr die Möglich-<br />

keit des Gemeinsam-Seins oder des Mit-Seins.“ (Jean-Luc Nancy,<br />

Die herausgeforderte Gemeinschaft, Berlin 2007, S. 13f ).<br />

Mit dem Begriff der Gemeinschaft ist jedoch nicht nur das<br />

Phänomen eines Zusammen gemeint (als Faktum oder Vorstellung),<br />

sondern ein Vorgang: ein Gemeinschaften, das<br />

jeden Prozess der Kollektivität und der Vergesellschaftung<br />

prägt. Dies rückt die einzelnen Elemente und Faktoren kritisch<br />

ins Blickfeld, die solche Vorgänge ausmachen. Gefragt<br />

wird: Wer handelt und wie und unter welchen Bedingungen?<br />

Diskutiert wird die Bedeutung der Revolte (versus Revolution),<br />

der Singularität (versus Individualität), der Souveränität<br />

und der Subjektivierung – nicht zuletzt vor dem Hintergrund<br />

der Institutionalisierungen als Prozesse der Ent- und Ermächtigung.<br />

Gemeinschaft ist nicht ein Begriff, den es inhaltlich<br />

zu füllen gilt, sondern eine Figur der Kritik, die operational,<br />

dekonstruktiv, interventionistisch, situativ, aktionistisch ihre<br />

Performanz und ihre Wirkung entwickeln kann und soll. Evident<br />

ist, dass wir damit explizit auch die Positionierung einer<br />

Kunsthochschule im Gesellschaftlichen, ihre Konzeption sowie<br />

das Selbstverständnis der an ihr Beteiligten als eine Ausgangslage<br />

des Projekts mit thematisieren.<br />

Das ith hat sich zum Ziel gesetzt, „Gemeinschaft“ auf vier<br />

Schauplätzen (zwei Veranstaltungsprojekte, ein Symposium<br />

und eine Publikation) in der theoretischen Reflexion wie<br />

auch in der praktischen Erprobung ins Spiel zu bringen und<br />

zu befragen.<br />

Das Projekt „Un/Mögliche Gemeinschaft“ thematisiert<br />

Aspekte wie Politik-Ästhetik, Identität-Ethnizität, Geschichte-<br />

Erzählung. Die Themen werden in Vorträgen und in daran<br />

anschliessenden Workshops aufgefächert und verhandelt. Sie<br />

stehen in Korrespondenz zu einer Ausstellung in der Shedhalle<br />

Zürich. Das Projekt „Transfer Zone – vorläufiges Leben<br />

– vorläufige Gemeinschaften“ beleuchtet Fragen der Bildpolitik,<br />

der Alltagskultur und der Urbanität im Versuch, die Aktivitäten<br />

in Filmprogrammen, Vorträgen, Workshops und einem<br />

Archive of Shared Interests mit den städtischen Lebenswelten<br />

zu verbinden. Das Symposium „GEMEINSCHAFT –<br />

VIELLEICHT. Un/Mögliche Gemeinschaft – vorläufige Gemeinschaften“<br />

(12.–14. März 2010) greift Erkenntnisse der<br />

Projekte auf und intensiviert diese in der Auseinandersetzung<br />

mit VertreterInnen aktueller Debatten zu Gemeinschaft. Zentrales<br />

Anliegen ist dabei, den Begriff im Spannungsfeld von<br />

Ästhetik und dem Politischen zu durchdenken und ihn auf<br />

eine Kultur der Kritik hinzuführen und auszudifferenzieren.<br />

Band 8 der Reihe T:G wird die Debatten exponieren.<br />

Das Projekt wird durchgeführt von Jörg Huber, Elke Bippus<br />

und Dorothee Richter.<br />

* Prof. Dr. Jörg Huber ist Leiter des Instituts für Theorie (joerg.huber<br />

@zhdk.ch), Prof. Dr. Elke Bippus ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am<br />

Institut für Theorie und Leiterin Bachelor of Arts in Medien & Kunst<br />

(elke.bippus@zhdk.ch).<br />

Weitere Informationen und Termine: http://www.ith-z.ch/programm/<br />

gemeinschaft-vielleicht/

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!