3–09 Thomas Dominik Meier, neuer ZHdK-Rektor - Zürcher ...
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zett <strong>3–09</strong> / kunst & medien<br />
gemeinschaft –<br />
vielleicht<br />
Die Auseinandersetzung mit Fragen der<br />
Gemeinschaft sowie die Reflexion des Begriffs<br />
haben erneut an Aktualität gewonnen:<br />
Einerseits werden sie in den Feuilletons zum<br />
Symptom der „Krise“ stilisiert und von einigen<br />
denn auch schon als modisches Thema<br />
bekrittelt. Andererseits markieren sie wichtige<br />
Fragen einer politischen Philosophie und<br />
Praxis, die sich auf langjährige brisante<br />
Debatten beziehen. Jörg Huber und Elke Bippus*<br />
(Blanchot: Die uneingestehbare Gemeinschaft, 1983, dt. 2007 / Nancy:<br />
Die undarstellbare Gemeinschaft, 1986, dt. 1988 / Esposito: Communitas,<br />
1998, dt. 2004 / Bauman: Gemeinschaften, 2001, dt. 2009) / Nancy:<br />
Die herausgeforderte Gemeinschaft, 2001, dt. 2007 / Agamben: Die<br />
kommende Gemeinschaft, 2001, dt. 2003). Die in jüngster Zeit gezeigten<br />
Ausstellungen („If we can’t get it together. Artists rethinking the<br />
(mal)function of communities“, Toronto 2008 / „Gemeinsam in die<br />
Zukunft“, Frankfurt 2009)<br />
Das Institut für Theorie (ith) arbeitet seit nunmehr über<br />
einem Jahr am Thema „Gemeinschaft“ mit der Absicht, durch<br />
begriffliche Präzisierungen und Problematisierungen „Gemeinschaft“<br />
in ihrer herausfordernden Komplexität in den<br />
Diskurs über Alltagskultur und Gegenwart zu transferieren.<br />
Im Bemühen, auch diese Ausrichtung auf die Philosophie des<br />
Politischen zu vermitteln mit der Theorie des Ästhetischen.<br />
Die Arbeit an „Gemeinschaft“ erweist sich dabei keineswegs<br />
als ein harmonisches Miteinander, sondern ist – und dies<br />
korrespondiert mit der Problematik des Begriffs – von Unstimmigkeiten,<br />
Brüchen und Differenzen durchzogen. Das<br />
Denken und Produzieren von Gemeinschaft ist auf- und herausgefordert,<br />
die faschistische Inanspruchnahme des Begriffs<br />
in einer wie auch immer gearteten Volksgemeinschaft<br />
zu reflektieren. Das Gemeinschafts-Konzept von Allmacht,<br />
Allgegenwart, Souveränität und Selbstgegenwart ohne Bruch,<br />
vom Geist eines Volkes, von Getreuen und Gläubigen scheitert<br />
an einer globalisierten Welt – auch wenn sich Rechte in<br />
ihrer Propagierung von Gemeinschaft diesbezüglich blind<br />
stellen. Wie aber ist in einer globalisierten und gleichzeitig<br />
partikularisierten Welt Gemeinschaft zu denken? Jean-Luc<br />
Nancy schreibt dazu:<br />
„Zu beiden Seiten der Kluft der Welt, die sich unter dem Namen<br />
‚Globalisierung‘ aufgetan hat, ist es eben die Gemeinschaft, die getrennt<br />
und sich selbst gegenübergestellt [affrontée] ist. Einst konnten die<br />
Gemeinschaften sich als distinkt und autonom denken, ohne ihr<br />
Aufgehen in einer generischen Menschheit zu suchen. Doch […], wenn<br />
‚die‘ Gemeinschaft beginnt, eine seltsame Einzigkeit zu stammeln […],<br />
dann begreift ‚die‘ Gemeinschaft, dass sie es ist, die aufklafft – klaffend<br />
geöffnet auf ihre abwesende Einheit und Essenz. Diesem Bruch, begreift<br />
sie, ist sie in sich gegenübergestellt. […] Dass dieses Sich-selbst-<br />
Gegen überstehen [affrontement avec soi] ein Gesetz des Gemeinsam-<br />
Seins sein könnte und sein Sinn selbst, das steht zu denken an […]<br />
[und mithin], dass die wechselseitige Zerstörung selbst noch die<br />
Möglichkeit der Auseinandersetzung zerstört und mit ihr die Möglich-<br />
keit des Gemeinsam-Seins oder des Mit-Seins.“ (Jean-Luc Nancy,<br />
Die herausgeforderte Gemeinschaft, Berlin 2007, S. 13f ).<br />
Mit dem Begriff der Gemeinschaft ist jedoch nicht nur das<br />
Phänomen eines Zusammen gemeint (als Faktum oder Vorstellung),<br />
sondern ein Vorgang: ein Gemeinschaften, das<br />
jeden Prozess der Kollektivität und der Vergesellschaftung<br />
prägt. Dies rückt die einzelnen Elemente und Faktoren kritisch<br />
ins Blickfeld, die solche Vorgänge ausmachen. Gefragt<br />
wird: Wer handelt und wie und unter welchen Bedingungen?<br />
Diskutiert wird die Bedeutung der Revolte (versus Revolution),<br />
der Singularität (versus Individualität), der Souveränität<br />
und der Subjektivierung – nicht zuletzt vor dem Hintergrund<br />
der Institutionalisierungen als Prozesse der Ent- und Ermächtigung.<br />
Gemeinschaft ist nicht ein Begriff, den es inhaltlich<br />
zu füllen gilt, sondern eine Figur der Kritik, die operational,<br />
dekonstruktiv, interventionistisch, situativ, aktionistisch ihre<br />
Performanz und ihre Wirkung entwickeln kann und soll. Evident<br />
ist, dass wir damit explizit auch die Positionierung einer<br />
Kunsthochschule im Gesellschaftlichen, ihre Konzeption sowie<br />
das Selbstverständnis der an ihr Beteiligten als eine Ausgangslage<br />
des Projekts mit thematisieren.<br />
Das ith hat sich zum Ziel gesetzt, „Gemeinschaft“ auf vier<br />
Schauplätzen (zwei Veranstaltungsprojekte, ein Symposium<br />
und eine Publikation) in der theoretischen Reflexion wie<br />
auch in der praktischen Erprobung ins Spiel zu bringen und<br />
zu befragen.<br />
Das Projekt „Un/Mögliche Gemeinschaft“ thematisiert<br />
Aspekte wie Politik-Ästhetik, Identität-Ethnizität, Geschichte-<br />
Erzählung. Die Themen werden in Vorträgen und in daran<br />
anschliessenden Workshops aufgefächert und verhandelt. Sie<br />
stehen in Korrespondenz zu einer Ausstellung in der Shedhalle<br />
Zürich. Das Projekt „Transfer Zone – vorläufiges Leben<br />
– vorläufige Gemeinschaften“ beleuchtet Fragen der Bildpolitik,<br />
der Alltagskultur und der Urbanität im Versuch, die Aktivitäten<br />
in Filmprogrammen, Vorträgen, Workshops und einem<br />
Archive of Shared Interests mit den städtischen Lebenswelten<br />
zu verbinden. Das Symposium „GEMEINSCHAFT –<br />
VIELLEICHT. Un/Mögliche Gemeinschaft – vorläufige Gemeinschaften“<br />
(12.–14. März 2010) greift Erkenntnisse der<br />
Projekte auf und intensiviert diese in der Auseinandersetzung<br />
mit VertreterInnen aktueller Debatten zu Gemeinschaft. Zentrales<br />
Anliegen ist dabei, den Begriff im Spannungsfeld von<br />
Ästhetik und dem Politischen zu durchdenken und ihn auf<br />
eine Kultur der Kritik hinzuführen und auszudifferenzieren.<br />
Band 8 der Reihe T:G wird die Debatten exponieren.<br />
Das Projekt wird durchgeführt von Jörg Huber, Elke Bippus<br />
und Dorothee Richter.<br />
* Prof. Dr. Jörg Huber ist Leiter des Instituts für Theorie (joerg.huber<br />
@zhdk.ch), Prof. Dr. Elke Bippus ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am<br />
Institut für Theorie und Leiterin Bachelor of Arts in Medien & Kunst<br />
(elke.bippus@zhdk.ch).<br />
Weitere Informationen und Termine: http://www.ith-z.ch/programm/<br />
gemeinschaft-vielleicht/