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Demokratische Räume / dérive - Zeitschrift für Stadtforschung, Heft 81 (4/2020)

In der dérive-Ausgabe mit dem Schwerpunkt »Demokratische Räume« lesen Sie über Geschichte, Gegenwart und Zukunft offener, nicht-kommerzieller hybrider Räume: von Kulturhäusern in Polen, über Community-Museen und SESCs in Brasilien, Clubes de Barrio in Buenos Aires bis zu Gemeinschaftszentren und Common Spaces in Zürich. Im Magazinteil: Beirut nach der Explosion sowie Pandemien und Städtebau: Krankheit, Armut, Dichte .

In der dérive-Ausgabe mit dem Schwerpunkt »Demokratische Räume« lesen Sie über Geschichte, Gegenwart und Zukunft offener, nicht-kommerzieller hybrider Räume: von Kulturhäusern in Polen, über Community-Museen und SESCs in Brasilien, Clubes de Barrio in Buenos Aires bis zu Gemeinschaftszentren und Common Spaces in Zürich. Im Magazinteil: Beirut nach der Explosion sowie Pandemien und Städtebau: Krankheit, Armut, Dichte .

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Besprechungen

Die unbekannte Karriere

der Moderne-Architektin

Elizabeth Scheu Close

Judith Eiblmayr

One of the largest oeuvres by an Austrian

Modern architect happens to be almost

unknown in Austria – how is that possible?

Eines der umfassendsten Gesamtwerke,

das ein österreichischer Architekt der

Moderne im Zeitraum von 1938–1991 aufweisen

kann, ist in Österreich unbekannt –

wie ist das möglich? Nun, es ist möglich,

weil man diese architekturschaffende

Person im Deutschen gendern sollte, denn

diese ist eine Frau. Man kennt Rudolf

Schindler, Richard Neutra und Victor

Gruen, aber eine Architektin? Elizabeth

Scheu Close, nie gehört! Es ist eine spannende

Geschichte, wie man im 20. Jahrhundert

als Wienerin in der Architektur

der Moderne in den USA reüssieren konnte,

in der früheren Heimat jedoch nicht

wahrgenommen wurde. Noch dazu, wenn

man in einem von Adolf Loos geplanten

Haus aufgewachsen ist!

Die renommierte amerikanische Architekturhistorikerin

Jane King Hession hat in

ihrem jüngst erschienenen Buch, Elizabeth

Scheu Close – A Life in Modern Architecture

die einmalige Geschichte einer mutigen

jungen Frau aus Österreich erzählt,

die 1932 zum Studium in die USA auswanderte

und die erste und bedeutendste

Architektin in Minnesota wurde. In dem

Bildband werden erstmals das reichhaltige

Œuvre und nachhaltige Wirken der

Architektin, die über 50 Jahre lang aktiv

war, umfassend dargestellt, ein repräsentativer

Querschnitt durch ein Werk von

456 aufgelisteten Projekten. Ebenso hat

Jane Hession ein sensibles biografisches

Portrait verfasst, hatte sie doch noch

Gelegenheit gehabt, mit Lisl, wie sie zeitlebens

genannt wurde, persönliche Gespräche

zu führen.

Elisabeth (später Elizabeth) Scheu,

geboren 1912, ist in der Larochegasse 3 in

Wien Hietzing aufgewachsen und war –

im doppelten Sinne – stark durch ihr

Elternhaus geprägt. Es waren ihre aufgeschlossenen

Eltern gewesen, die Schriftstellerin

und Verlegerin Helene Scheu-Riesz

(1880–1970) und der Anwalt Gustav Scheu

(1875–1935), die Adolf Loos mit der Planung

ihres Hauses beauftragt hatten, das

1913 von Familie Scheu bezogen wurde.

Elisabeth lebte bis zu ihrem zwanzigsten

Lebensjahr in dieser Architektur-Ikone,

womit ihr das Leben in der Moderne quasi

in die Wiege gelegt worden war. Je älter

sie wurde, desto mehr begriff sie die

Wirkungsmacht von Architektur, wie diese

nicht nur zum Quell von Inspiration, sondern

auch von Provokation werden kann,

so wie sie das beim Haus Scheu erlebte.

Gegen Ende ihrer Schulzeit wusste Elisabeth

Scheu, dass sie Architektin werden

wollte, bereits damals fokussiert auf die

aufkeimende Moderne. Die Prägung in

einem Loos-Haus aufgewachsen zu sein

hatte entschieden dazu beigetragen,

nebst der Ermunterung durch die Eltern

einen ihren Talenten entsprechenden Beruf

anzustreben. Beides waren außergewöhnliche

Faktoren einer weiblichen Biographie

im bürgerlichen Wien der Zwischenkriegszeit.

Elisabeth Scheu begann ihr Architekturstudium

an der Technischen Hochschule in

Wien 1930 – zehn Jahre, nachdem Frauen

zum Studium zugelassen worden waren,

immer noch eine Herausforderung. Die

männerdominierte Fakultät legte den Kolleginnen

konsequent Steine in den Weg.

»Die wollten dort einfach keine Frauen«,

erinnerte sich Elizabeth Scheu Close. Dies

war einer der Gründe, dass sie für sich in

Österreich keine Zukunft sah, der andere

war der verstärkte Antisemitismus; Helene

Scheu-Riesz war zwar als Quäkerin aktiv,

aber sie entstammte einer jüdischen Familie.

Im Jahr 1932 bestieg Elisabeth Scheu

ein Schiff nach New York, um am MIT –

Massachusetts Institute of Technology in

Boston ihr Architekturstudium fortzusetzen

und niemand konnte damals ahnen, dass

sie in den USA bleiben und ihr Lebensmittelpunkt

Minnesota werden würde.

Nach ihrem Studienabschluss 1935

arbeitete sie drei Jahre lang in Architekturbüros

in Philadelphia und Minneapolis,

bevor sie 1938 gemeinsam mit Winston

Close (1906–1997), ihrem Studienkollegen

am MIT und späteren Mann in Minneapolis

ein Büro explizit für moderne Architektur

eröffnete. Die beiden setzten diesen Plan

auch um und hinterließen ein breit gefächertes,

nachhaltiges Werk.

Der erste Planungsauftrag sollte ein

erschwingliches Haus für drei junge Universitätsprofessoren

sein, das diese als

Wohngemeinschaft bewohnen wollten,

eine Bauaufgabe, bei welcher Close &

Scheu Architects, wie sie ihr Büro bis zu

ihrer Hochzeit nannten, ihren Innovationsgeist

beweisen konnten: Ein Haus mit

Flachdach, um überflüssige Kubatur zu

sparen. Der boxy style war für Minnesota

nicht nur wegen seiner schneereichen

Winter eine Besonderheit, sondern wegen

der reduzierten Form eine Provokation,

wurde es doch in der Wiederverkäuflichkeit

in Frage gestellt. So erging es Elizabeth

Scheu Close ähnlich wie Loos – visionäre

Architektur war ein Grund zur Anfeindung.

Das Holzhaus, das immer noch steht,

besticht in seinem Selbstverständnis einer

unaufgeregten Moderne, die ihre Wiener

Spuren nicht leugnen kann.

Während des Zweiten Weltkriegs ließen

Elizabeth and Winston Close, Architects

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