kicker_10-05-2007.pdf
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<strong>kicker</strong>, <strong>10</strong>. Mai 2007 45<br />
Gerolsteiner-Teamchef Holczer reagiert auf Ivan Bassos Rückzieher<br />
„Wir brauchen die DNA von allen Fahrern“<br />
1Bei der Tour de France (7. bis<br />
29. Juli) wird keiner jener mehr als<br />
50 Fahrer antreten, die in Madrid<br />
im Zusammenhang mit der „Operacion<br />
Puerto“ aktenkundig sind.<br />
„Das ist Fakt“, kündigte Tour-Direktor<br />
Christian Prudhomme (46) gestern<br />
gegenüber dem <strong>kicker</strong> an, „und<br />
schon im April bei den Klassikern<br />
unter unserer Regie haben wir diese<br />
Fahrer nicht zugelassen.“<br />
Schützenhilfe erhält Prudhomme<br />
von Bill Stapleton (49), dem amerikanischen<br />
Teamchef des früheren<br />
Jan-Ullrich-Arbeitgebers T-Mobile.<br />
Er hat die Welt-Antidoping-Agentur<br />
WADA, den internationalen Radsportverband<br />
UCI und den Tour-<br />
Veranstalter A.S.O. aufgefordert,<br />
alle in die „Operacion Puerto“ verstrickten<br />
Fahrer zur DNA-Analyse<br />
zu verpfl ichten, um Sanktionen<br />
einzuleiten. Stapleton sagt: „Ich<br />
glaube, dass noch genügend Zeit<br />
ist, dies vor der Tour 2007 zu tun.<br />
Sonst droht uns eine Wiederholung<br />
der Ereignisse von 2006.“<br />
Ähnlich reagiert Fahrer-Sprecher<br />
Jens Voigt (35) aus Berlin: „Ich will<br />
jetzt endlich bei jedem schwarz auf<br />
weiß wissen: schuldig, zwei Jahre<br />
Sperre – oder nicht schuldig und<br />
zurück ins Peloton.“ Gerolsteiner-<br />
Teamchef Hans Holczer (53), der<br />
am Mittwoch lange Gespräche mit<br />
Prudhomme führte, sagte dem<br />
<strong>kicker</strong>: „Wir brauchen von allen<br />
ProTour-Fahrern, also den Profi s<br />
der besten Teams der Welt, eine<br />
DNA-Analyse. Zumal hinter dem<br />
letzten Tour-Ergebnis bis heute ein<br />
großes Fragezeichen steht.“<br />
1Einen Höhepunkt der Radsportsaison<br />
soll er darstellen, der<br />
Giro d’Italia, der am Samstag auf<br />
Sardinien startet und drei Wochen<br />
später nach 3442 Kilometern in<br />
Mailand endet. Die Realität: Gleich<br />
zwei große Schatten liegen über der<br />
Rundfahrt. Da ist zum einen die<br />
anhaltende und nun vom letztjährigen<br />
Giro-Sieger Ivan Basso (siehe<br />
oben) neu angeheizte Doping-Diskussion.<br />
Zum anderen traditionell<br />
die Tour de France. Die Anfang Juli<br />
beginnende Große Schleife durch<br />
Frankreich ist und bleibt das Rennen,<br />
auf das sich die Teams und<br />
die Öffentlichkeit außerhalb Italiens<br />
fokussieren – auch wenn der<br />
Foto: Getty Images/Cacace<br />
Daumen hoch? Noch im Dezember präsentierte sich Ehrengast Ivan<br />
Basso bei der Präsentation des Giro d’Italia 2007 als Strahlemann.<br />
Hat Ivan Bassos Eingeständnis<br />
vom Montag, zumindest Kunde<br />
des Madrider Doping-Netzwerkes<br />
um den Arzt Eufemiano Fuentes<br />
gewesen zu sein, gar nichts bewirkt?<br />
Holczer, einer der wichtigsten Vertreter<br />
der ProTour-Vereinigung<br />
IPCT: „Seine Erklärung, Doping nur<br />
beabsichtigt zu haben, hat mich<br />
enttäuscht. Der Damm ist also noch<br />
nicht gebrochen, aber er bröckelt.<br />
Und das wiederum ist positiv.“<br />
Wenig positiv und kaum unterstützend<br />
sieht die IPCT die<br />
Mitarbeit der spanischen Mannschaften<br />
Saunier Duval und Caisse<br />
d’Epargne. Saunier Duval setzt auf<br />
den in die „Operacion Puerto“ verwickelten<br />
Spanier Koldo Gil, Caisse<br />
d’Epargne auf Alejandro Valverde,<br />
den ProTour-Gesamtsieger 2006.<br />
Schwierigkeitsgrad des Giro dem<br />
der Tour in nichts nachsteht. „Die<br />
Anstiege beim Giro sind länger und<br />
härter“, meint zum Beispiel Radsport-Legende<br />
Eddy Merckx, der<br />
Tour und Giro fünfmal gewann.<br />
Über 40 schwere Pässe, vier Bergankünfte,<br />
sieben Bergetappen, zwei<br />
Einzel- und ein Mannschaftszeitfahren<br />
(zum Auftakt am Samstag)<br />
gilt es bei der 90. Aufl age des Giro zu<br />
bewältigen, der in punkto Sieg zur<br />
rein italienischen Angelegenheit<br />
werden dürfte. Damiano Cunego<br />
(Lampre-Fondial), Gilberto Simoni<br />
(Saunier Duval) und Paolo Savoldelli<br />
(Astana) sind dabei neben<br />
dem als Außenseiter gehandelten<br />
Schon im letzten Herbst hatte<br />
die spanische Guardia Civil mit dem<br />
Dopingmittel EPO angereicherte<br />
Blutkonserven dem WM-Dritten<br />
von 2006 einwandfrei zugeordnet.<br />
Doch selbst daraufhin hielt sich der<br />
Druck auf Valverde in Spanien in<br />
engen Grenzen. Erschwerend und<br />
den Verdacht des Dopings erhärtend<br />
ist, dass der spanische Star sein<br />
Handwerk einst bei Vincente Belda<br />
gelernt hat. Der frühere Kelme-<br />
Teamchef gilt – neben dem einstigen<br />
Liberty-Seguros-Manager Manolo<br />
Saiz – als Dreh- und Angelpunkt<br />
der spanischen Affäre. Holczer:<br />
„Wir hätten es uns verdient,<br />
würde alles, also auch das, aufgeklärt<br />
werden.“ So aber begleitet<br />
den Giro von Beginn an wieder das<br />
Gespenst Doping. KLAUS BLUME<br />
Danilo di Luca (Liquigas) aussichtsreichste<br />
Kandidaten. Dass mit dem<br />
Russen Pavel Tonkov zuletzt 1996<br />
ein „Ausländer“ triumphierte, ist<br />
kein Zufall, schließlich lassen die<br />
meisten Teams ihre Rundfahrt-Asse<br />
im Hinblick auf die Tour bewusst im<br />
Ärmel. Siehe die deutschen Rennställe,<br />
die ohne Ambitionen aufs<br />
Gesamtklassement antreten.<br />
Gerolsteiner: Kapitän Davide Rebellin,<br />
Sieger des Flèche Wallonne, ist<br />
auf mittelschweren Etappen ein<br />
Siegkandidat, Robert Förster könnte<br />
wie im vergangenen Jahr, als er die<br />
21. Etappe gewann, bei einer der<br />
wenigen Sprint-Entscheidungen<br />
auf dem Treppchen landen. Mar-<br />
RAD<br />
KOMMENTAR<br />
Man mag sich daran gewöhnt<br />
haben, dass im Radsport der<br />
Griff zum chemischen Beschleuniger<br />
gang und gäbe ist. Mitunter<br />
verdrängt, vergisst man es<br />
in dem Wissen, dass die Leistungen<br />
dennoch in erster Linie<br />
auf außergewöhnlichem Fleiß,<br />
Willen und Talent basieren. Der<br />
Kamm aber schwillt einem, wenn<br />
ins Visier der Doping-Fahnder<br />
Dreiste Ausfl üchte und<br />
Pseudo-Geständnisse<br />
geratene Athleten einen mit<br />
dreisten Ausfl üchten, siehe Jan<br />
Ullrich, oder Pseudo-Geständnissen,<br />
siehe Ivan Basso, für dumm<br />
verkaufen wollen. Der Nachricht,<br />
dass der Italiener seine Beteiligung<br />
im Doping-Skandal um den<br />
spanischen Arzt Dr. Fuentes zugeben<br />
und auspacken wollte, folgte<br />
fl ugs die Ernüchterung.<br />
Treuherzig dreinblickend, versicherte<br />
Basso, dass er nur vorgehabt<br />
hätte, bei der letztjährigen<br />
Tour zu dopen – zum ersten Mal<br />
in seiner Karriere. Und da er das<br />
Rennen nicht fahren durfte, blieb<br />
es ergo beim Vorsatz. Komisch,<br />
dass Basso nachweislich bereits<br />
2004 Geld an Fuentes überwiesen<br />
hat. Mal sehen, was uns das laut<br />
Behörden doch in den Fuentes-<br />
Skandal verstrickte spanische<br />
Supertalent Valverde demnächst<br />
auftischt. Bitte keine dreisten Ausfl<br />
üchte und Pseudo-Geständnisse<br />
– davon haben wir die Nase voll.<br />
Gestrichen. CHRIS BIECHELE<br />
Viele Teams schonen traditionell ihre Asse – Deutsche Rennställe mit unterschiedlichen Zielen<br />
Der Giro rollt im Schatten von Doping und Tour de France<br />
kus Fothen und Stefan Schumacher<br />
werden für die Tour geschont.<br />
T-Mobile: Der als Kapitän eingeplante<br />
Sergej Gontschar muss<br />
erkältet passen. Die Bonner sind auf<br />
Tageserfolge aus, hoffen vor allem<br />
auf Marco Pinotti und Lorenzo<br />
Bernucci. Michael Rogers, Linus<br />
Gerdemann und Patrik Sinkewitz<br />
werden für die Tour geschont.<br />
Milram: Das deutsch-italienische<br />
Sprintteam setzt voll auf Alessandro<br />
Petacchi – für ihn sollen unter anderen<br />
Christian Knees und Martin<br />
Müller, die einzigen Deutschen im<br />
Aufgebot, die Sprints anfahren. Erik<br />
Zabel lässt den Giro zugunsten der<br />
Tour aus. CHRIS BIECHELE