sporting hamburg Dezember 2020 / Januar 2021
Stadtsportmagazin
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<strong>sporting</strong>-Katharina<br />
© Foto: Aktion Mensch, Dominik Buschardt<br />
Der Schweinehund<br />
ist (fast) unbezwingbar!<br />
zu entwickeln“, und findet das offensichtlich nicht richtig. „Bei so<br />
wenig Freiraum für eine eigene Entfaltung können unsere Klienten<br />
kein Ego entwickeln,“ erklärt Katharina. „Und in Bezug auf den<br />
Sport haben sie es eben nicht gelernt, sich von allein aufzuraffen,<br />
sich zu bewegen“, Katharina weiter. „Sie haben also ihre Yvonnes<br />
und Mariannes, die sie anleiten, aber zunächst im Wesentlichen<br />
auch motivieren, immer wieder, sehr substanziell.“ Fällt das alles<br />
wegen Corona aktuell und seit dem Frühjahr mehr oder weniger<br />
weg, fehlt auch der extrem wichtige Kontakt zu den Bezugspersonen,<br />
oftmals Vorbildern. Dadurch haben die Menschen deutlich<br />
weniger persönliche Kontakte oder Bindungen, und sie rauschen<br />
mental noch tiefer in den Keller.<br />
„Wenn jeder normale Mensch hier<br />
und da – es regnet draußen, ist<br />
arschkalt – einen Kampf mit dem<br />
persönlichen Schweinehund führt,<br />
ist der für unsere Sportler*innen<br />
inzwischen schier unbezwingbar.<br />
Sie resignieren total, Bewegung<br />
haben sie gar nicht mehr auf dem<br />
Zettel. Wir sind in großer Sorge“,<br />
sagt Yvonne sichtlich betroffen,<br />
„denn das Ganze fällt zurück in alte<br />
Systeme der Fürsorge und Bevormundung,<br />
zu noch mehr Struktur<br />
einerseits, zu noch weniger Freiraum<br />
und Selbstbestimmung<br />
andererseits.“<br />
Katharina führt aus: „Wir stellen extreme Gewichtszunahmen fest,<br />
und eben eine teilweise absolute Vereinsamung, wir haben einen<br />
Läufer mit Down-Syndrom, der durfte lange nicht mal das Haus<br />
verlassen, entsprechend seinen Trainer und seine Trainingsgruppe<br />
nicht sehen, zu Zeiten, in denen es im normalen Vereinssport<br />
durchaus erlaubt war. Eine echte Katastrophe.“ Er ist auf dem<br />
Papier Risiko-, darf keine Fremdperson treffen. Das sagen die<br />
Regeln der Wohneinrichtung.<br />
Katharina erklärt: „Unsere Klienten haben oftmals nicht die Möglichkeit,<br />
in Alternativen zu denken.“ Also, beklagen wir uns nicht<br />
über Joggen im Park. Und Corona: Mach Dich vom Acker!<br />
Keine Hemmungen!<br />
Eine Extra-Corona-Hotline für Menschen<br />
mit Behinderung bietet das Sengelmann Institut<br />
(SMI) im Evangelischen Krankenhaus<br />
Alsterdorf:<br />
Unterstützt von: Evangelische Stiftung Alsterdorf<br />
040-5077 7227 (Di + Do 10–14 Uhr)<br />
Infos, auch in Leichter Sprache, und<br />
Leidenschaftlich berichten wir, wie Ihr wisst, auch über<br />
Sportler*innen, die von Haus aus – sozusagen – keinen<br />
unmittelbaren Zugang zum Sport haben, aufgrund ihrer<br />
körperlichen Einschränkungen oder auch aufgrund anderer<br />
Barrieren wie einer geistigen Behinderung.<br />
Es kann einfach sein, dass der liebe Gott<br />
dem einen oder der anderen nicht so<br />
viel Motivation und Bock mit auf den<br />
Weg gibt. Wie es ihnen in der aktuellen<br />
Corona-Situation geht,<br />
wollen wir mal hinterfragen, auch<br />
um festzustellen, dass es kein<br />
wirkliches Problem ist, wenn man<br />
mal ein paar Wochen NUR laufen<br />
darf, oder die Sit-ups im Park machen<br />
muss. Um Einblicke zu erleben,<br />
fahren wir mit <strong>sporting</strong>-Katharina nach<br />
Wilhelmsburg und treffen Yvonne Stick (30),<br />
sie ist Heilerziehungspflegerin und arbeitet für die<br />
alsterdorf assistenz west (aaw), eine Tochtergesellschaft<br />
der Evangelischen Stiftung Alsterdorf,<br />
im Treffpunkt Wilhelmsburg. Yvonne ist die vermenschlichte<br />
Motivation und ihr Overall-Auftrag<br />
ist: Teilhabe. Was für ein an sich schönes Wort,<br />
meint, Menschen, die weniger ein Teil der Gesellschaft<br />
sein könnten, aktiv einzubeziehen. Ihr Hebel<br />
im Treffpunkt Wilhelmsburg ist unter anderem<br />
Sport. Und deswegen werden von dort diverse<br />
inklusive Sportgruppen initiiert und angeboten. Der<br />
Assistenzbedarf der Teilnehmer*innen ist so divers wie Wilhelmsburg<br />
divers ist, aktuell geht es uns gerade aber insbesondere um<br />
Menschen mit einer geistigen Behinderung, einer psychischen<br />
Erkrankung, oftmals auch in Doppeldiagnose, geht es uns darum,<br />
deren Situation zu verdeutlichen. „Die Angebote, die meine Kollegin<br />
Marianne und ich hier aufgebaut haben, sind natürlich deutlich<br />
niedrigschwellig“, sagt sie, „Sitzgymnastik“ ist so ein Ding. Die<br />
Teilnehmer*innen gehen ihrer Beschäftigung in Werkstätten nach,<br />
werden darüber hinaus in ihrem Wohnumfeld unterstützt. „Viele<br />
werden morgens abgeholt, kriegen pünktlich Mittag, werden nach<br />
Hause gebracht, haben einen extrem geregelten Tag“, beschreibt<br />
Yvonne. „Und ein Teil dieses strukturierten Tages sind wir hier.“ Sie<br />
stellt fest: „Es fehlen Rahmen und Möglichkeiten, Selbstständigkeit<br />
© Foto: Katharina Pohle<br />
Kontaktformular für Mails:<br />
www.evangelisches-krankenhausalsterdorf.de/<strong>2020</strong>/05/12/corona-virusinfo-telefon<br />
© Foto: <strong>sporting</strong> <strong>hamburg</strong><br />
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Das Sprach- und Bewegungszentrum in Wilhelmsburg ist seit Anfang November geschlossen.<br />
Rechtes Bild: Yvonne Stick(li.) und <strong>sporting</strong>-Katharina.