Magazin-2020-4
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AKTUELL<br />
Das Nothilfesystem sei als «kurzzeitige<br />
Massnahme» angelegt und bedeute für<br />
«Tausende von Menschen ein Verharren<br />
unter menschenunwürdigen Bedingungen,<br />
über Jahre hinweg», so Jana Häberlein.<br />
Es gibt in der Schweiz keinen<br />
einheitlichen Standard für die Unterbringung<br />
von Nothilfebeziehenden.<br />
Sie leben in Kollektivunterkünften und<br />
Wohnungen, bei Gastfamilien oder in<br />
der Notschlafstelle. «Es braucht bessere<br />
Unterbringungsbedingungen, wo es<br />
keine nationalen Minimalstandards<br />
gibt», sagt die Studienautorin. So sollte<br />
es in Basel-Stadt keine Unterbringung<br />
in Notschlafstellen geben und in Baselland<br />
sollte die Unterbringung in Asylwohnungen,<br />
besonders für Kinder und<br />
ihre Familien, ausgebaut werden, lautet<br />
ihre Empfehlung.<br />
Die Veranstaltung von terre des hommes schweiz kann online angeschaut werden. Im<br />
Bild Podiumsgast und Politikerin Samira Marti. Foto Samuel Rink<br />
Asyl und Nothilfe – wie weiter?<br />
Menschen mit negativem Asylentscheid,<br />
die Nothilfe beziehen, leben oft<br />
in einer prekären Situation. Ein Bericht<br />
von terre des hommes schweiz analysiert<br />
das Nothilferegime und gibt Empfehlungen<br />
für ein menschenwürdiges<br />
Dasein der Betroffenen.<br />
Menschen fliehen vor Krieg, Gewalt und<br />
Armut. Wird ihr Asylgesuch abgelehnt<br />
und erhalten sie einen Wegweisungsentscheid,<br />
müssen sie laut Gesetz die<br />
Schweiz verlassen. Doch viele tun es<br />
nicht und manche können es nicht.<br />
Seit 2008 erhalten abgewiesene Asylsuchende<br />
nur noch Nothilfe. Sie haben<br />
gemäss Bundesverfassung Anrecht auf<br />
minimale Mittel, die für ein «menschenwürdiges<br />
Dasein unerlässlich<br />
sind», dies zu einem deutlich tieferen<br />
Ansatz als die frühere Asylsozialhilfe.<br />
Gemeint sind damit zum Beispiel Lebensmittel,<br />
Kleidung oder Obdach.<br />
2019 erhielten gemäss Staatsekretariat<br />
für Migration 6784 Personen mit einem<br />
negativen Asylentscheid in der Schweiz<br />
Nothilfe. 2272 Personen gehörten im<br />
vierten Quartal 2019 zu den Langzeitnothilfebeziehenden,<br />
was man nach einem<br />
Bezugsjahr wird. «Das Schweizer<br />
Nothilferegime funktioniert nicht», sagt<br />
Sylvia Valentin, Verantwortliche für Migrationsfragen<br />
bei terre des hommes<br />
schweiz. Nicht nur verharrten immer<br />
mehr Menschen immer länger in diesem<br />
System «unter zum Teil prekären<br />
Bedingungen», erklärt sie. Die Regelung<br />
verunmögliche auch die Integration,<br />
sagt sie: «Asylsuchende, die Nothilfe<br />
beziehen, werden über Jahre hinweg<br />
parkiert.»<br />
Sinnvolle und machbare Lösungen<br />
terre des hommes schweiz hat deshalb<br />
die Sozialwissenschaftlerin Jana Häberlein<br />
beauftragt, die Situation von Menschen<br />
mit negativem Asylentscheid in<br />
der Nothilfe zu untersuchen. Der 36-seitige<br />
Bericht nimmt das Nothilfesystem<br />
in Basel-Stadt und Basel-Landschaft unter<br />
die Lupe unter Einbezug der gesamtschweizerischen<br />
Lage. Auf Einladung<br />
von terre des hommes schweiz diskutierten<br />
Vertretende aus Politik, Behörden<br />
und Zivilgesellschaft im November<br />
in Basel über sinvolle und machbare<br />
Lösungen für die betroffenen<br />
Menschen.<br />
Arbeiten verboten<br />
Einer Erwerbsarbeit nachzugehen, ist<br />
nach dem Schweizer Ausländergesetz<br />
grundsätzlich verboten. «Langzeitnothilfebeziehenden<br />
muss der Zugang<br />
zum legalen Arbeitsmarkt gewährt werden»,<br />
sagt Jana Häberlein: «Diese Verschwendung<br />
von Humankapital und<br />
individuellen Lebensplänen muss aus<br />
einer gesundheitlichen, menschenrechtlichen,<br />
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />
Perspektive deutlich kritisiert<br />
werden.» aw<br />
Unsere Forderungen:<br />
• Es braucht Lösungen, die den<br />
Betroffenen ein menschenwürdiges<br />
Leben ermöglichen, die<br />
aber auch sozialpolitisch und<br />
volkswirtschaftlich mehr Sinn<br />
machen als das jetzige System.<br />
• Es müssen schnell pragmatische<br />
Lösungen innerhalb der<br />
bestehenden gesetzlichen<br />
Möglichkeiten gefunden werden.<br />
Längerfristig ist jedoch<br />
eine Änderung der gesetzlichen<br />
Vorgaben erforderlich.<br />
• Das System der Nothilfe muss<br />
der Realität der sie beziehenden<br />
Menschen gerecht werden.<br />
• Die Grundhaltung gegenüber<br />
abgewiesenen Asylsuchenden<br />
in der Nothilfe muss ändern.<br />
> Mehr zu Asyl und Nothilfe:<br />
www.terredeshommesschweiz.ch/podium-asyl-<strong>2020</strong><br />
magazin terre des hommes schweiz Nr. 4 <strong>2020</strong> 3