Magazin-2020-4
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PORTRAIT<br />
und mich interessiert, was wir mit unserem<br />
Leben machen können», sagt Irene<br />
Bush über sich. Ungerechtigkeit und<br />
Ausgrenzung ertrage sie nur schlecht.<br />
«Alle sollen dieselben Chancen haben.»<br />
Prägend sei für sie die Zeit in Jerusalem<br />
gewesen, erzählt sie. Mitte der 1960er-<br />
Jahre zog sie mit ihrer Familie nach<br />
Israel: «Mein Vater wurde Küchenchef<br />
im King David Hotel in Jerusalem.» Irene<br />
lernte KZ-Überlebende kennen: «Ich<br />
wusste damals nicht, was der Holocaust<br />
war, aber was sie mir berichteten, hat<br />
mich geprägt.» Während dem Sechstagekrieg<br />
1967 verharrte sie mit anderen<br />
in einem engen Luftschutzkeller ohne<br />
WC. «In unserem Haus gab es Einschüsse.<br />
Das hinterlässt Spuren.»<br />
Künftig unsere Konsulentin: Irene Bush an ihrem Wohnort in Rheinfelden AG. Foto Samuel Rink<br />
Menschenfreundin und Impulsgeberin<br />
Die Psychosoziale Unterstützung PSS<br />
ist eine Kernkompetenz von terre des<br />
hommes schweiz in der Arbeit mit Jugendlichen<br />
in prekären Situationen.<br />
Irene Bush hat sie mit aufgebaut. Eine<br />
Begegnung.<br />
«Mein Weg ist kein geradliniger, vieles<br />
hat sich einfach ergeben.» Wenn Irene<br />
Bush etwas sagt, ist es klar und sie meint<br />
es auch so. Während mehr als 20 Jahren<br />
hat sie sich bei terre des hommes<br />
schweiz engagiert. Vor 15 Jahren baute<br />
sie die Fachstelle Psychosoziale Unterstützung,<br />
kurz PSS, auf. Ins gleiche Kapitel<br />
gehören die Fachbegriffe Lösungsorientierter<br />
Ansatz SFA und Jugendpartizipation<br />
– Wörter, die sich Aussenstehenden<br />
nicht sogleich erschliessen, in<br />
der konkreten Arbeit mit besonders verletzlichen<br />
Jugendlichen im südlichen<br />
Afrika, Lateinamerika und der Schweiz<br />
jedoch grosse Wunder im Kleinen bewirken<br />
können. Nun hat Irene Bush das<br />
Rentenalter erreicht und wird die Entwicklungsorganisation<br />
künftig als Konsulentin<br />
unterstützen.<br />
Den Spielraum nutzen<br />
Was bringen die PSS-Workshops den Jugendlichen,<br />
eine Besonderheit von terre<br />
des hommes schweiz? «Nicht sich<br />
selbst überlassen sein, Hoffnung schöp-<br />
fen und den Mut haben, mögliche Veränderungen<br />
selbst in die Hand zu nehmen<br />
und Schritt für Schritt umzusetzen»,<br />
antwortet Irene Bush. Junge Menschen<br />
seien besonders abhängig und<br />
verletzlich und darauf «angewiesen,<br />
dass etwas von aussen kommt, damit<br />
es von innen heraus wirken kann», erklärt<br />
sie. Insbesondere dann, wenn sie<br />
von Armut, Gewalt, Krankheit und Jugendarbeitslosigkeit<br />
betroffen sind.<br />
«Die Jugendlichen kommen und gehen<br />
und terre des hommes schweiz ist eine<br />
Station in ihrem Leben», sagt sie. Begegne<br />
sie ehemaligen Jugendlichen eines<br />
PSS-Workshops wieder, sehe sie, wie<br />
sie auf ihrem Weg weitergekommen<br />
seien. So zum Beispiel jene junge Frau<br />
aus Peru, die mit 13 als Hausmädchen<br />
schuftete und Ausgrenzung und Übergriffe<br />
erlebte. Am Ende habe sie den<br />
Schulabschluss nachgeholt und heute<br />
sei sie «die beste Lehrerin der Welt»,<br />
weiss Irene Bush. Selbst in einer schwierigen<br />
und scheinbar ausweglosen Situation<br />
gelte: «Es gibt ganz viele kleine<br />
Dinge, die wir ändern können. Wir müssen<br />
sie einfach sehen und den Spielraum<br />
nutzen.»<br />
Von Jerusalem nach London<br />
«Ich interessiere mich für Menschen<br />
Irene Bush ist herumgekommen in der<br />
Welt und hat verschiedene Berufe ausgeübt.<br />
Sie war an der Kunstgewerbeschule<br />
in London, gründete dort eine<br />
Familie und machte mehrere Aus- und<br />
Weiterbildungen, unter anderem im<br />
therapeutischen Bereich. Wieder zurück<br />
in der Schweiz, führte sie während<br />
einigen Jahren ein Atelier für<br />
Kunsttherapie in Rheinfelden AG, wo<br />
sie bis heute lebt. Sie arbeitete mit dementen<br />
Menschen in einem Altersheim<br />
und in der Ausbildung beim Schweizerischen<br />
Roten Kreuz, war Seminarleiterin<br />
und Supervisorin am Alfred Adler<br />
Institut in Zürich. «Ich bin immer<br />
wieder in etwas hineingerutscht», sagt<br />
sie. «Ich wurde gebraucht und machte<br />
mich nützlich.»<br />
Die Aids-Pandemie in Afrika<br />
Irene Bush hat viel Expertise und Erfahrung<br />
in der Begleitung von Menschen<br />
mit HIV/Aids – in der Schweiz und in<br />
Subsahara-Afrika, mit Erwachsenen, Jugendlichen<br />
und Kindern. Zusammengefasst<br />
lässt sich sagen: Aus ihrer Arbeit<br />
mit den Aidswaisen in Tansania hat sie<br />
ab 2005 den psychsozialen Schwerpunkt<br />
im Nord-Süd-Kontext entwickelt.<br />
Blicke sie auf die ersten 15 Jahre der<br />
Fachstelle PSS zurück, mache sie das<br />
stolz, sagt Irene Bush: «terre des hommes<br />
schweiz hat den Mut, in Nischen<br />
zu arbeiten und Dinge auszuprobieren.<br />
Das macht uns menschlicher und<br />
gibt uns Innovationskraft.» Anna Wegelin<br />
> Das grosse Portrait:<br />
www.terredeshommesschweiz.ch/abschied-irene-bush<br />
magazin terre des hommes schweiz Nr. 4 <strong>2020</strong><br />
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