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deralpensteinbock

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• Zur Lebensweise

Selbstverständlich hätte man den Namen «Felsenziege» (rupicapra)

als wissenschaftliche (lateinische) Bezeichnung dem Steinbock geben

müssen und nicht der Gämse. Steinböcke verbringen mehr Zeit ihres

Lebens im Fels. Zudem sind Gämsen keine echten Ziegen wie die Steinböcke.

Die Kletterfähigkeiten des Steinbockes sind legendär und sollen

die Möglichkeiten der Gämse weit übertreffen. Das hingegen zeigt

sich im Lebensalltag der Tiere nicht. Im Herbst 1985 «verkletterten»

sich in den Churfirsten nebst einer Gämse auch eine Steingeiss und

ein junger Steinbock auf einem Felsband, das als «Mäusefalle» für

Wild bekannt war. Bei der Rettungsaktion im Dezember befreite sich

die ängstliche Gämse mit einem Riesensprung ohne menschliche Hilfe,

während das Steinwild sich erst mehrere Tage nach der Installation

eines Holzstegs weggetraute (BATTAGLIA). Verschiedentlich bemüht

wurde GIRTANNERs phantasievolle Beschreibung des «Doublepas»

von 1878. Steinböcke sollen in einem Felskamin vierfüssig von einer

Seite auf die andere abfedernd das Hindernis dank Pingpongeffekt aufwärts

überwinden können. Nur hat man den Doublepas bisher lediglich

abwärts, mit zwei bis drei Zickzacksprüngen, beobachtet – oder im

Spiel als Dreieckssprung (vgl. SCHRÖDER 1979). Auf Bäume kletternde

Alpensteinböcke scheint einzig BURCKHARDT (wiederholt) nachgewiesen

zu haben, jedoch klettern verschiedene Wildziegen zur Nutzung von

Laub auf Bäume.

Sozialkontakte mit Körperberührung beschränken sich beim Steinwild

weitgehend auf wenige Situationen wie die Mutter-Kind-Beziehung,

Kitze im Spiel, Rangverhalten, gegenseitiges Tränensekret-Lecken,

teilweise beim Liegen oder bei der Paarung. Speziell in der Paarungszeit

fällt Alpensteinwild durch ausgesprochen starre, aus wenigen

Elementen bestehende Verhaltensabläufe auf. In einem Rudel passen

Tiere mit ähnlichen Bedürfnissen und ähnlichem Verhalten am besten

zusammen. NEUHAUS & RUCKSTUHL bzw. RUCKSTUHL & NEUHAUS

untersuchten Zeitbudgets für verschiedene Aktivitäten von unterschiedlichen

Alters- und Geschlechterklassen und trugen so zur Klärung der

Rudelbildungsmechanismen bei (Kapitel Rudel). Steinböcke sind ausgesprochene

Gruppentiere. Jedenfalls gibt es beim Steinwild längerfristig

kaum allein lebende Böcke. Ausserhalb der Paarungszeit gilt als

Gruppierungsprinzip die Aufteilung der Geschlechter. Aber bereits diese

Aussage beschreibt die tatsächlichen Verhältnisse nur ungenau. Die

enge Bindung zwischen Jungtieren und ihren Müttern dauert knapp ein

Jahr. Alljährlicher Nachwuchs ist die Regel. Es scheint aber Orte zu geben,

wo Geissen nur jedes zweite Jahr erfolgreich ein Kitz aufzuziehen

vermögen (COUTURIER 1962, TOÏGO 2002a). Andererseits treten ab und

zu Zwillingskitze auf. Kitze bekommen bis im Dezember teilweise sogar

bis im Februar Milch. Das Ende regelmässiger Fortpflanzung liegt bei ca.

13 Jahren (GIACOMETTI & RATTI 1994). Ab diesem Alter dürfte sich die

Sterblichkeit der Geissen zumindest gebietsweise erhöhen.

Mit Beginn stabiler Schönwetterperioden im Sommer bevorzugen Böcke

während der heissesten Tageszeit zum Ruhen kühlere und höhere

Regionen. Auf der Suche nach der «richtigen» Umgebungstemperatur

einerseits und geeigneten Ernährungsbedingen andererseits absolvieren

grössere Bockgruppen saisonale und tageszeitliche Wanderungen.

LÜPS (1983) und ABDERHALDEN (2005) heben hervor, dass dies für

Geissen weniger ausgeprägt gilt. Abderhalden diskutiert die Bedeutung,

sich in möglichst idealen Temperaturbereichen aufzuhalten, um Energie

zu sparen, und führt die Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf

die verhältnismässig geringere Wärmeabfluss-Oberfläche der grossen

Böcke zurück – auf eine physikalisch-biologische Gesetzmässigkeit.

NIEVERGELT (1966a) zitiert aus SCHAFFER, wonach Böcke und Geissen

keine (aktiven?) Schweissdrüsen besitzen. Indessen kostet Schwitzen

viel Energie, so dass selbst schwitzende Steinböcke gezwungen sein

könnten, die Hitze zu meiden (Abderhalden, brieflich). Für die Temperaturregulation

ebenfalls eine Rolle spielt der spezielle Fellwechsel ohne

Ausbildung eines Sommerfells (siehe Bildtexte).

Insbesondere die Böcke nehmen während der Vegetationszeit bei warmem

Wetter die Nahrungssuche erst gegen Abend auf. Dazu kehren sie

nach Hitzetagen oft in gut begrünte Hänge tiefer unten zurück. Die Nahrungsaufnahme

kann bis tief in die Nacht andauern, und am nächsten

Morgen tauchen die Tiere nicht lange nach den ersten Sonnenstrahlen

schon wieder an ihren hochgelegenen Siestaplätzen auf – diesmal zum

Wärme-Auftanken! Im Vorsommer ist Steinwild morgens aktiver und bei

bedecktem oder regnerischem Wetter ähnlich wie im Winter fast den

ganzen Tag auf den Beinen. Allerdings verzögern im Winter am Morgen

manchmal tiefe Temperaturen den Aufbruch (DAENZER). Grundsätzlich

liegen die Aktivitätsschwerpunkte morgens und abends. Jedoch ist der

Steinbock nicht ganz so eindeutig das Tagtier, als das er gerne dargestellt

wird (GEORGII). Längere Nachtaktivität tritt mit Sicherheit an Hitzetagen

auf (RAUCH), aber auch in der Paarungszeit, z. B. ein paar Stunden nach

Einbruch der Dunkelheit oder gelegentlich sogar um Mitternacht herum –

dies lässt sich beim Übernachten in der Nähe der Tiere an Steinfall,

Hornfechtgeräuschen und Pfiffen feststellen. COUTURIER (1962) nimmt

ohne Überprüfung an, dass Kitze in gleichen Zeitabständen wie tagsüber

auch nachts Milch bekommen. Im Übrigen hängt Nachtaktivität wohl weniger

vom Mondlicht als von hohen Temperaturen tagsüber ab.

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