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Roth Journal_2021_05_01-28_red

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RATGEBER RECHT<br />

Der Pflichtteil und seine Konsequenzen<br />

Um die Bedeutung des Pflichtteilsrechtes<br />

zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Blick in<br />

die Rechtsgeschichte. Nach der Säkularisation<br />

war den Kirchen weltliche Macht und<br />

Vermögen entzogen worden. Die Kirchen<br />

mussten sich also einen Weg ausdenken,<br />

auf welchem Sie wieder an Vermögen<br />

kommen. Und da erfand man das Pflichtteilsrecht.<br />

In jeder christlichen Familie war<br />

Gott. Und dieser hatte einen Sohn. Und<br />

dieser Sohn Gottes sollte nun bei jedem<br />

Erbfall in der Familie als Sohn der Familie<br />

miterben und bekommt den Pflichtteil. Die<br />

Zahlung erfolgte selbstverständlich an die<br />

Vertreter auf Erden, die Kirchen. Bereits<br />

aus dieser äußerst verkürzten Darstellung<br />

kann man erkennen, dass selbst die weltlichen<br />

Herrscher, die gebildeten Fürsten<br />

und Könige, damals nicht erkannt haben,<br />

was der Pflichtteil an Wert und Vermögen<br />

bedeuten kann, vor allem wenn mehrere<br />

Erbfälle eintreten.<br />

Was ist nun der Pflichtteil? Zunächst hört<br />

sich dies einfach an. Es ist wertmäßig der<br />

halbe gesetzliche Erbanspruch, allerdings<br />

zahlbar in Geld. Und da beginnt schon die<br />

Crux an der Geschichte: wenn ein Ehepaar<br />

klassisch 2 Kinder hat, dann sind erbrechtlich<br />

zunächst einmal 2 Erbfälle zu<br />

betrachten: der des erstversterbenden<br />

Ehepartners und der des nachversterbenden<br />

Ehepartners. Es wird in dieser Familie<br />

also zweimal den Pflichtteil geben, nicht<br />

wie fälschlicherweise oft angenommen<br />

nur einen Pflichtteil. Das bemerkt man als<br />

Erbe dann bei der Zahllast in erheblicher<br />

Art und Weise.<br />

Wenn also im Beispiel die Eheleute keinen<br />

Ehevertrag hatten und Zugewinngemeinschaft<br />

besteht, beide gemeinsam ein Haus<br />

haben, dann erhält nach dem Tode des<br />

erstversterbenden Ehepartners, wenn die<br />

Kinder nicht als Erben berufen wurden, jedes<br />

Kind den Pflichtteil. Wie hoch ist der<br />

Pflichtteil? In unserem Beispiel erhalten<br />

beide Kinder vom Erbe des verstorbenen<br />

Ehepartners 1/8. Das klingt zunächst völlig<br />

unspektakulär und wenig.<br />

Beim Tod des zweitversterbenden Ehepartners<br />

allerdings zeigt sich das ganze<br />

Ausmaß des Pflichtteilsanspruches. Wenn<br />

der 2. Ehepartner nun ein Kind als Erben<br />

eingesetzt hat, das andere wiederum den<br />

Pflichtteil erhält, dann gilt wieder die gesetzliche<br />

Regelung. Das Kind bekommt<br />

vom gesetzlichen Erbe die Hälfte, also den<br />

Pflichtteil. Es hätte hier die Hälfte kraft Gesetzes<br />

geerbt, bekommt nun den Pflichtteil<br />

von ¼.<br />

Auch das hört sich noch überschaubar an,<br />

unterlegt mit Zahlen allerdings wird das<br />

ganze Ausmaß des Pflichtteils deutlich.<br />

Bei einem Hauswert von nur 600.000 €,<br />

und das ist mittlerweile auch im Landkreis<br />

<strong>Roth</strong> eher der Durchschnitt, beträgt der<br />

1. Pflichtteilsanspruch der Kinder beim 1.<br />

Erbfall 75.000.- €. Das ist dann der Grund,<br />

warum viele Elternteile nach dem Tod des<br />

Ehegatten plötzlich Ihre Immobilie verkaufen<br />

müssen. Woher bekommt man im<br />

Alter, wenn keine Bank mehr K<strong>red</strong>it gibt,<br />

75.000 € zum Ausbezahlen? Falls nicht<br />

ausbezahlt werden kann, wird die Immobilie<br />

verkauft oder versteigert. Und was<br />

wir in der Praxis sehen ist, dass die Zeiten<br />

wirtschaftlich schlechter werden, immer<br />

mehr Pflichtteile ohne Rücksicht auf die<br />

Folgen für den überlebenden Elternteil<br />

eingefordert werden. Dies gilt umso mehr<br />

in Patchworkfamilien, wo oftmals das Verständnis<br />

in der Familie füreinander sowieso<br />

überschaubar war und nach dem Tode<br />

des eigenen Elternteils für den Stiefelternteil<br />

völlig entfällt. Wer sich in dieser Situation<br />

wiedererkennt, der sollte dringend<br />

handeln, da ansonsten Gefahr läuft, den<br />

Plan vom Leben in der eigenen Immobilie<br />

mit dem Tod des 1. Ehepartners gleich mit<br />

beerdigen zu können.<br />

Und beim 2. Erbfall? Kann das den Eltern<br />

nicht völlig gleichgültig sein? Wenn ein<br />

Kind Erbe werden soll, dann herrscht zumeist<br />

die Vorstellung, dass der letzte Wille<br />

durch Weitergabe der Immobilie auch umgesetzt<br />

wird. Genau das kann an oben gezeigten<br />

Pflichtteilsansprüchen scheitern.<br />

Wenn das Haus weiterhin 600.000 € wert<br />

ist und es muss jetzt der Pflichtteil von ¼<br />

ausbezahlt werden, dann ist im schlimmsten<br />

Fall eine Zahlung von 125.000 € bar<br />

und sofort zu leisten. Und was ist, wenn<br />

man das Geld nicht hat? Wenn das Geld<br />

nicht vorhanden ist, man keinen K<strong>red</strong>it bekommt,<br />

dann geht das Haus eben entweder<br />

in den Verkauf oder die Versteigerung.<br />

Das hätte alles vermieden werden können,<br />

der Wille der Eltern hätte realisiert<br />

werden können. Unsere Kanzlei ist seit<br />

vielen Jahren im Erbrecht tätigt und berät<br />

Sie hierzu umfassend. Es gibt immer einen<br />

Lösungsweg, keine Lösung ist es, einfach<br />

nichts zu machen, die Augen zu verschließen<br />

und die Familie im Streit zerbrechen<br />

zu lassen.<br />

RA Stephan Baumann<br />

Fachanwalt für Familienrecht und Mediator<br />

Erbrecht<br />

PR-Text<br />

14 <strong>05</strong> | <strong>2021</strong>

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