Wie die Zeit vergeht... Wiener Zappler,Kuriositäten zuhauf und die Sammlung der Marie vonEbner-Eschenbach: Im Wiener Uhrenmuseum spielen Zeitmesser seit hundert Jahren die Hauptrolle. Text: Daniel Kalt HIMMLISCH. Eine der Kostbarkeiten aus dem Besitz der Marie vonEbner- Eschenbach. MOBIL. Fürdie Weltausstellung 1889 bauteJosef Nicolaus diese Tischuhr in Form eines Fahrrads. ERLEUCHTET. Eine Klappsonnenuhr aus Elfenbein, gefertigt 1568 in Nürnberg. MELODISCH. LeonardBordier bauteum1800 diese Anhängeruhr in Form einer Geige. BEHAUSUNG. Seit jeher sitzt das Museum im Palais Obizzi (hier ein Bild aus dem Jahr 1907). AQUAM. verum incta doluptasaut magnien dipsunt quibusam doluptati bl Fotos: Wien Museum, August Stauda, Birgit uPeter Kalnz, Michael Goldrei. 20 Schaufenster
Der Genauigkeitsschub kam mit der Eisenbahn: Erst ihr Siegeszug machte präzise, überregional gültige Fahrpläne erforderlich und damit aufeinander abgestimmte Zeitzonen sowie einheitlich nachvollziehbare Angaben. Entsprechend wichtig wurden mechanische Uhren, auf deren Gang und Anzeige man sich verlassen konnte. Und natürlich die Einführung von größeren Gebieten, die die nach dem jeweiligen Sonnenstand errechnete Lokalzeit ablösten: In Wien, ist im Uhrenmuseum zu erfahren, beträgt der Unterschied zwischen der mittleren Ortszeit, die sich nach dem Stand der Sonne richtet, und der Mitteleuropäischen Zeit übrigens fünf Minuten 21 Sekunden. Bis man sich darauf einigte, auch hierzulande die MEZ einzuführen, vergingen Ende des 19. Jahrhunderts aber etwa zwanzig Jahre. Nicht ganz untypisch für den gemächlichen Genius Loci, könnte man jetzt sagen. Es sind derlei Geschichten um die Zeit und ihre Messung, die einen Besuch im Palais Obizzi am Schulhof in der Innenstadt solohnenswert machen. In dem nach seinem Grundriss als „Harfenhaus“ bekannten Bau mit seinen 800 Jahre alten Grundmauern ist seit 1921 das Uhrenmuseum der Stadt untergebracht –ein Besuch gilt als Pflichttermin für alle Volksschulkinder in der zweiten Klasse, die, wenn sie „die Uhr gelernt“ haben, zwischen Jänner und April vorbeischauen. Wo es sonst eher ruhig zugeht und man auf drei Stockwerken hauptsächlich das Ticken von mehr oder weniger in die Jahre gekommenen Uhrwerken hört (bzw. natürlich hin und wieder einen selbstbewussten Kuckuck oder die Melodien eine Flötenuhr zur vollen Stunde), wuseln dann die Schulklassen durch die Säle und erfahren etwa, dass bei der ortstypischen Form des „Wiener Zapplers“ ein Pendel vor dem Zifferblatt angebracht ist –was zwar nicht unbedingt Ruhe beim Zeitablesen spendet, aber dem Modell seinen Namen recht passend verlieh. Interessant ist auch die Funktion der ältesten mechanischen Uhr in der Sammlung, einer sogenannten Türmeruhr aus dem frühen 15. Jahrhundert: Sie zeigte dem für das Glockenläuten zuständigen Türmer an, wann er sich an seine Arbeit machen musste –eine Symbiose aus Mensch und Maschine also in Türmen, die über keine Uhr verfügten. Literatur und Uhren. Die Idee, ein städtisches Uhrenmuseum einzurichten, wurde bereits 1917 gefasst, und die Stadt machte sich an den Erwerb von möglichen Ausstellungsstücken. Eine wichtige Rolle spielte der passionierte Sammler Rudolf Kaftan. Sein umfangreicher Besitz wurde angekauft, weil aber das verfügbare Budget nicht ausreichte, wurde Kaftan auch zum ersten Museumsdirektor mit entsprechendem Sold und Dienstwohnung im Dachgeschoß des Palais Obizzi gemacht. Ein weiterer prominenter Sockel der Sammlung sind Taschenuhren aus dem Besitz der Marie von Ebner-Eschenbach. Die Schriftstellerin zeigte sich zeitlebens fasziniert vom Uhrmacherhandwerk und seinen kostbaren Erzeugnissen: Dafür steht nicht nur BESCHLAGEN. Tabea Rude, Uhrmacherin und Restauratorin, istfür die Sammlung verantwortlich. ihre Sammlung und eine Aussage wie „Meine Uhren machen mir das Sterben schwer“ (sie sorgte sich um den Fortbestand ihres Besitzes nach ihrem Ableben), sondern auch die Erzählung „Lotti, die Uhrmacherin“, die 1879 erschien und zwar in erster Linie eine Liebesgeschichte ist, zugleich aber Zeugnis von der Leidenschaft der Autorin für ihr persönliches Steckenpferd ablegt. Ebner-Eschenbach verstand sich nämlich selbst auf das Handwerk, und darauf, ihre Uhren zu reparieren –auch wenn sie unter zeitgenössischen Vertretern der Zunft auf wenig positive Reaktionen stieß. Und zwar hauptsächlich, weil sie sich als Frau in eine von Männern geprägte Domäne vorzustoßen anschickte. Mysteriöses Handwerk. Verantwortlich für die Uhrensammlung des Wien Museums ist heute Tabea Rude, die nach einer Uhrmacherinnenlehre inPforzheim an der University ofSussex ein Masterstudium für die Restaurierung von Uhren und dynamischen Objekten absolvierte. Für diesen Werdegang habe sie sich entschieden, erzählt Rude, weil sie nach dem Gymnasium ein sofortiges Studium „zu abstrakt“ fand und ihr die Idee, selbst Uhren zu bauen, gefiel –auch wenn sie zuvor wenig Interesse an diesem Kosmos gezeigt hatte. „Ich fand es irgendwie mysteriös, dass man an Metall sägt und feilt und daraus dann eine Maschine entsteht, die die Zeit anzeigt.“ Als männlich dominiert habe auch sie das Handwerk erlebt, wenngleich das Lehrpersonal ihrer Schule darauf achtete, ein ausgeglichenes Verhältnis herzustellen. „Bei Armbandund Taschenuhren ist das auch so, aber sobald es um größere Uhren geht, trifft man weiterhin fast nur auf Männer“, sagt Rude. In die Uhrenindustrie zu gehen, interessierte die Spezialistin nach Abschluss ihrer ersten Ausbildung nicht („Das fühlte sich zu fließbandmäßig an.“), weshalb sie sich für ein Masterstudium in England entschied. Als Insel- und Seefahrernation waren die Briten besonders auf verlässliche und genaue Zeitmessung angewiesen, was auch die anhaltende Bedeutung des Bereichs erklärt. Nachdem sie zwei Jahre lang im Museum „The Clockworks“ inLondon gearbeitet hatte, bewarb sich Rude 2017 (also hundert Jahre nach der Entschlussfassung für die Gründung des Uhrenmuseums) für eine ausgeschriebene Stelle in Wien, wo sie seitdem über die Sammlung wacht. Die vergangenen Monate der Museumsschließung verbrachte sie alles andere als untätig: Einerseits wurde die Digitalisierung des Inventars vorangetrieben, auch nötige Restaurierungsarbeiten konnten abgeschlossen werden. „Für die Uhren ist esjaviel besser, wenn sie nicht laufen“, sagt Rude, „der Dauerbetrieb im Museum bewirkt eine Materialabnutzung.“ Dass die Zahnräder nun aber wieder in Gang gekommen sind und die Uhren von Neuem für Besucher des Harfenhauses ticken dürfen, ist aber wohl dennoch ganz im Sinne des Museums. s Tipp UHRENMUSEUM WIEN. Eine Sonderschau zum 100-jährigen Jubiläum istnicht geplant, die Dauerausstellung jedenfalls einen Besuch wert. Siehe wienmuseum.at Schaufenster 21