Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Interview<br />
© Foto: Hamburger Senat<br />
Anjes Tjarks (Bündnis 90/Die Grünen) ist seit Juni 2020 Senator für Verkehr und Mobilitätswende.<br />
© Foto: <strong>sporting</strong> hamburg<br />
Strecke machen<br />
© Foto: Henning Angerer<br />
mit Anjes Tjarks!<br />
Wenn man ein Fahrrad-Special auflegt, ist es mal gar nicht (Achtung:)<br />
verkehrt, wenn man sich dazu mit dem Verkehrssenator<br />
auseinandersetzt. Und zwar mit Anjes Tjarks, dem Senator für<br />
Verkehr und Mobilitätswende, und warum setzt man sich dann<br />
nicht auch gleich noch gemeinsam aufs Rad?<br />
Wir treffen uns am Ortseingang Blankenese, <strong>sporting</strong> mit geliehenem<br />
Rad und Helm, er, durchaus im Radsportbereich unterwegs, will im Herbst<br />
noch mit Kumpels in Frankreich die Seealpen bis Nizza durchfahren, im<br />
Schnitt 1.000 Höhenmeter. OK, er fährt vor. Während der ersten Kilometer<br />
klärt er auf – und wir sind mitten im Thema, er gefühlt mitten auf der<br />
Fahrbahn. „Zu eng am Rand schummeln sich die Autos auf der gleichen<br />
Fahrbahn sehr an einem vorbei, das ist gefährlich. Bedenkt man die 1,5<br />
Meter Abstand, die eingehalten werden müssen, müssen Autos also<br />
schlichtweg warten, um an uns vorbeizufahren, und auf die andere Spur<br />
rüber“, macht Sinn, wieder was dazugelernt, und wir machen Strecke<br />
nach Wedel, kurze Abendrunde. In Wedel, in der Kehre an der Elbe,<br />
finden wir Platz, Zeit und Atem für die Kernfrage. Seine drei größten<br />
Herausforderungen in Sachen Radfahren in Hamburg, wollen wir wissen:<br />
„Infrastruktur, Abstellmöglichkeiten, Waseberg“, seine Antwort.<br />
Waseberg ist schnell abgehandelt, überraschend steile Auffahrt in<br />
Hamburg, bekannt von den Cyclassics oder wenn man mal am Elbstrand<br />
war – immer zu lang. Findet Ihr albern? Runterfahren ist easy, aber fahrt<br />
den mal rauf, schafft es wenigstens bis zur Holzbrücke, und dann könnt<br />
Ihr mitreden ;-). Infrastruktur ist nicht so schnell erledigt: „Strecke<br />
machen ist das Ding, wir haben im letzten Jahr 62 Kilometer Radwege<br />
gebaut, das ist sensationell viel“, erklärt Anjes Tjarks „Mit der Zahl 62<br />
sind wir in Deutschland spitze“, und das soll so weitergehen. Warum<br />
es dann in der HafenCity kaum Fahrradwege gibt, wollen wir wissen.<br />
Er so: „Kommt, ändern wir, zunächst mal mit Pop-up Lanes, Beispiel<br />
Sandtorkai.“ Er erklärt weiter: „Das Wie der Radwege, wenn man sich<br />
mehr Radverkehr wünscht, ist hierbei ein wichtiger Punkt: Früher waren<br />
Radwege teils 50 cm breit, jetzt am liebsten 2,25 m, optimal wären für<br />
mich 2,50 m plus 50 cm Protektion mittels Kantstein. Macht 3 Meter, das<br />
ist fast eine ganze Fahrbahn – natürlich nicht überall umzusetzen, aber<br />
´ne Messlatte brauchen wir.“ Dazu kommt die Frage des Belags, Asphalt ist<br />
wünschenswert. Und: „Bei der Einrichtung unseres Radschnellwegenetzes<br />
müssen ja überall da, wo sie langgeführt werden sollen, entsprechend<br />
Maßnahmenblätter für jeden Straßenzug erstellt werden, das sind über<br />
300 für das gesamte Projekt, ist so“, auf dem Weg zu einem Radwege-Netz.<br />
Wie Schnell- bzw. Einfallstraßen sollen die Radwege nämlich Hamburg<br />
sternförmig ansteuern, um auch ein Pendeln aus Rissen oder Bergedorf<br />
in die City per Rad zu ermöglichen.<br />
An Bahnstationen wird es<br />
sichere Abstellmöglichkeiten<br />
geben, damit man<br />
ggf. in die Öffis wechseln<br />
kann, bei gutem Wetter<br />
wie heute fährt man dann einfach weiter. Zumal das Schnellwegenetz<br />
innerstädtisch dann ins Veloroutennetz mündet, klingt auch nett, und in<br />
den Bezirken dann an die gleichermaßen auszubauenden Schulradwege<br />
angeschlossen werden soll. „Ein großer Teil der Fahrradfahrer, so rein<br />
statistisch, sind Schüler*innen, das unterschätzt man immer“, führt er<br />
weiter aus, als wir nach Fakten fragen. Mittlerweile beantwortet HaRa-<br />
ZäN, das Hamburger Radverkehrszählnetz, diese Fragen. Das sind über<br />
100 Wärmebildkameras an neuralgischen Punkten, die den Radverkehr<br />
messen. „Die Radnutzung hat sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt“,<br />
erklärt Anjes Tjarks, was ja einer Bestätigung bzw. einer Verpflichtung<br />
gleichkommt, Stichwort: Henne/Ei. Und dann wird es auch noch grüner,<br />
was bei ihm ja nicht überrascht, Beispiel Königstraße in Altona: Bei der<br />
Errichtung der Bikelane dort, da werden nämlich auch gerade drei Schulen<br />
gleichzeitig gebaut, pflanzt er für die dafür zu fällenden drei Bäume 50<br />
neue Bäume, macht netto 47 plus – Deal. BlueGreenStreet ist da die<br />
Idee, denn recht aufwendig wird sogar Regenwasser zur Bewässerung<br />
dieser Bäume gesammelt. „Straßenplanung ist eben mehr“, erklärt er.<br />
„Lärmbelastung ist ein Thema, auch Genderfragen, warum fahren Männer<br />
in Hamburg doppelt so viel Auto wie Frauen?“, er weiter: „Fragt man die<br />
Frauen, fühlen sie sich im öffentlichen Raum, im Verkehr der Großstadt oft<br />
nicht gleichermaßen sicher.“ Viele Aufgaben bei der Infrastrukturplanung,<br />
sicherlich auch hinsichtlich der Nutzung des Fahrrads, viele Themen …<br />
und dabei müssen wir noch zurück nach Hamburg ...<br />
Abschließend, beim Aufsteigen, noch 10 Sprint-Fragen: Mit einem<br />
Polorad kann Anjes Tjarks nicht so viel anfangen, OK, er ist auch erst 40,<br />
die Cyclassics ist er mit 16 schon gefahren, aktuell ist da nichts geplant,<br />
E-Bikes findet er cool, haben für ihn Suchtpotenzial, „deswegen hab ich<br />
noch keins.“ Aber: „Toll, gerade für ältere Herrschaften, erst recht, wenn<br />
sie dafür das Auto stehen lassen“, grinst er. Radtour oder Wanderung?<br />
„Definitiv Radtour, da haben sogar unsere Kids Spaß.“ Reifen flicken, macht<br />
er, sonst kann er da nicht so viel, gibt er ehrlich zu. Wann er sich das<br />
letzte Mal über einen Autofahrer aufgeregt hat, können wir uns selber<br />
beantworten, wir waren nämlich dabei, also vor 15 Minuten. Anjes Tjarks:<br />
„Abstand ist das häufigste Thema, deswegen Protected Bike Lanes.<br />
Aber so grundsätzlich bin ich zum Glück niemand, der sich gern aufregt.“<br />
Oben: Ausfahrt mit <strong>sporting</strong>-Herausgeber Martin Blüthmann. Unten: Anjes Tjarks kommt zu fast allen Terminen mit dem Fahrrad.<br />
15