pdf, 5.02 MB - Stift Klosterneuburg
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UNBEKANNTE SCHÄTZE<br />
1. Fenster Die Ausgrabung der Kreuze durch den Leviten Judas. 2. Fenster Die Überreichung der Kreuze an Kaiserin Helena.<br />
DIE KREUZLEGENDE<br />
AUF GLASFENSTERN<br />
Die Farbigkeit der mittelalterlichen Glasmalereien übt eine ungebrochene Faszination aus.<br />
Im <strong>Stift</strong>smuseum werden nunmehr vier Scheiben ausgestellt, die bislang der Öffentlichkeit<br />
verborgen waren. Sie zeigen eine in der Kunst oft dargestellte, beim breiten Publikum jedoch<br />
eher unbekannte Legende: die Kreuzauffindung durch die römische Kaiserin Helena.<br />
Durch die Einrichtung<br />
UNBEKANNTE<br />
SCHÄTZE<br />
des neuen Mittelalter-<br />
DES STIFTS Schauraums und die<br />
damit verbundene<br />
Teil IX<br />
Umgruppierung einiger<br />
wichtiger Objekte des <strong>Stift</strong>smuseums<br />
ist es möglich geworden, eine Gruppe<br />
von Glasmalereien der Öffentlichkeit zu<br />
präsentieren, die früher nicht zugänglich<br />
war – somit sind jetzt alle mittelalterlichen<br />
Glasmalereien des <strong>Stift</strong>s ausgestellt.<br />
Die vier neu ausgestellten Scheiben<br />
stammen aus der Wehingerkapelle im<br />
Kreuzgangbereich des <strong>Stift</strong>s. Sie sind in die<br />
Bauzeit der Kapelle, also um 1400, zu<br />
datieren und wohl in einer großen Werkstätte<br />
entstanden, die im Umkreis der<br />
Wiener Residenz tätig war. Die hervorragend<br />
erhaltenen Gläser beeindrucken<br />
vor allem durch ihre Farbigkeit, die sich<br />
durch sechs Jahrhunderte ihre Frische und<br />
Leuchtkraft ungebrochen erhalten hat.<br />
Da auch hier, wie bei allen <strong>Klosterneuburg</strong>er<br />
Glasfenstern, nur wenige<br />
Teile eines einstmals recht umfangreichen<br />
Bilderzyklus erhalten geblieben sind, sind<br />
die einzelnen Szenen nur mehr schwer<br />
verständlich.<br />
Eine Kaiserin auf der Suche<br />
Die Glasmalereien stellen Szenen aus der<br />
Legende von der Auffindung des Kreuzes<br />
Christi durch die römische Kaiserin<br />
Helena um das Jahr 325 dar sowie seine<br />
Wiedergewinnung durch den byzantinischen<br />
Kaiser Heraklius im 7. Jahr-<br />
Willkommen im <strong>Stift</strong> HERBST/WINTER 2006<br />
3. Fenster Mit dem Kreuz erweckt Helena einen Toten zum Leben. 4. Fenster Heraklius stürzt Chosroes in den Tod.<br />
hundert. Die Legende erzählt, Helena,<br />
die Mutter Kaiser Konstantins, sei nach<br />
Jerusalem gezogen, um dort das Kreuz<br />
Christi zu suchen. In Jerusalem stößt sie<br />
zunächst auf eine Mauer des Schweigens,<br />
war den Juden doch einst geweissagt<br />
worden, ihr Reich würde ein Ende haben,<br />
sobald das Kreuz Christi von den Christen<br />
gefunden worden sei. Nur unter der<br />
Folter lässt sich der Levit Judas, der<br />
Partien von Meisterhand<br />
wechseln mit anderen, die<br />
nachlässig gearbeitet sind.<br />
Einzige, der den Ort kennt, dazu bringen,<br />
sein Wissen preiszugeben. Er führt die<br />
Kaiserin auf den Golgotha-Hügel und<br />
gräbt dort die im Erdboden verborgenen<br />
Kreuze Christi und der beiden Schächer<br />
selbst aus. Dies ist auf der ersten erhaltenen<br />
Scheibe dargestellt. Die Juden sind<br />
durch die typischen Judenhüte, die sie im<br />
Mittelalter tragen mussten, charakterisiert.<br />
Auf der zweiten Scheibe übernimmt<br />
Helena die Kreuze. Die Tracht einer<br />
hochgestellten Dame der Zeit ist hier<br />
vom Künstler ziemlich genau dargestellt.<br />
Um zu erkennen, welches der drei<br />
Kreuze nun das wahre Kreuz Christi ist,<br />
legt man diese auf einen Toten, der<br />
gerade aus der Stadt Jerusalem hinausgetragen<br />
wird. Das wahre Kreuz erweckt<br />
ihn zum Leben (dritte Scheibe).<br />
Eine eigene Version der<br />
Geschichte<br />
Die vierte Scheibe zeigt eine Szene aus<br />
der Legende um die Wiedergewinnung<br />
des Kreuzes durch den byzantinischen<br />
Kaiser Heraklius im Jahr 628. Der Perserkönig<br />
Chosroes hatte das Kreuz bei<br />
der Eroberung von Byzanz 614 erbeutet<br />
und in seiner Residenz Ktesiphon in<br />
einem „Turm aus Gold und Edelstein“<br />
aufgestellt, um sich selbst unter dem<br />
Kreuz und einem Hahn – als Symbol des<br />
Geistes – sitzend als neuen Gottvater<br />
verehren zu lassen. Entgegen der Erzählung<br />
der Legenda aurea, nach der<br />
UNBEKANNTE SCHÄTZE<br />
Heraklius dem Chosroes den Kopf abschlägt,<br />
wird er hier von seinem Turm<br />
in die Tiefe gestürzt.<br />
Die Glasmalereien weisen alle Merkmale<br />
der Produkte eines großen,<br />
routinierten Werkstattbetriebs auf. Im<br />
Großen und Ganzen von sehr hoher<br />
Qualität, stehen in den einzelnen Szenen<br />
immer wieder Partien, die die Hand<br />
eines großen Meisters verraten, neben<br />
anderen, die eher nachlässig, ja fast<br />
unbeholfen gearbeitet sind. Es finden<br />
sich unter den mit Schwarzlot auf die<br />
bunten Gläser gezeichneten Gesichtern<br />
einige schöne Charakterköpfe, unter<br />
denen der des wiedererweckten Toten<br />
auf der dritten Scheibe besonders<br />
hervorzuheben ist. In der Grabungsszene<br />
bleibt dagegen unklar, ob es sich<br />
bei dem Grabenden und dem im Vordergrund<br />
mit gefalteten Händen knienden<br />
Juden um dieselbe Person handelt<br />
(Judas, der sich angesichts der wunderbaren<br />
Auffindung der Kreuze zum<br />
Christentum bekehrt?) oder ob zwei<br />
verschiedene gemeint sind. ■<br />
HERBST/WINTER 2006 Willkommen im <strong>Stift</strong> | 21