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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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Russlandbericht

Bericht vom

Kriegsende und der

Internierung einer

16 jährigen nach

Russland

1945

Gisela Mikuteit geb. Richter, Zimmer 127, Remseder Straße 3 , 49196 Bad Laer

© Copyright G.Mikuteit

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Meine Heimat liegt heute im polnischen Teil der Mark Brandenburg in einem kleinen

Dorf Dobberphul im Kreis Königsberg in der Neumark. Mein Vater verwaltete das

Gut der Familie von Sydow. Das Dorf hatte 200 Einwohner. Es bestand aus 7

Bauernhöfen und den Gutsarbeitern. Der Ort liegt abseits von den Hauptstraßen.

Oben Original Postkarte von 1945

Unten Gutshaus, Kirche und der See nochmal in deutlicher

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Im Januar 1945 war im Dorf ein Durcheinander noch und noch. Täglich trafen

Flüchtlingsgruppen zu Fuß oder mit voll beladenen Wagen ein, notdürftig wurden die

Menschen teils auf Stroh in jedem nur möglichen freien Raum für eine oder mehrere

Nächte einquartiert.

Ich war damals 16 Jahre alt. In Pyritz in Pommern besuchte ich das

Mädchengymnasium. Der tägliche Schulweg war weit. Vier Kilometer fuhren wir mit

dem Fahrrad zum Bahnhof in Rufen, dann 24 km mit der Bahn nach Pyritz und noch

15 Minuten Fußweg bis zur Schule.

Da es im Januar schon Luftangriffe auf Pyritz gegeben hatte mit Zerstörungen von

sehr großem Ausmaß, fiel aller Unterricht aus. Unsere Schule war schon 2 Jahre

Lazarett, sodass wir in mehreren anderen Schulen untergebracht waren und in den

Pausen wandern mussten, auch der Lehrermangel wurde größer, da es nicht möglich

war, alle eingezogenen Lehrer durch Lehrerinnen zu ersetzen.

Zu meiner Familie gehören noch drei Geschwister. Mein ältester Bruder Fritz war 17

Jahre alt und schon Soldat. Dann kam ich mit 16 Jahren. Meine Schwester Eva wurde

im März 1945 14 Jahre alt und mein Bruder Hans-Hubertus war 10 Jahre alt.

Wir halfen auf dem Gut mit, die Flüchtlinge zu versorgen. Bei der Essensausgabe,

Abwaschen, der Unterbringung der Familien und der Betreuung von Kindern hatten

wir viel zu tun.

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Es war ein sehr kalter Winter, sodass unser See so zugefroren war, dass viele Trecks

die Abkürzung zu uns über den See genommen haben. Durch die Aufgaben dachten

wir nicht an die Gefahren durch das Näher kommen der russischen Truppen. Warum

die Russen gerade bei uns durchgebrochen waren, kann man an der Landkarte (die

rote Linie) erkennen. (Schwarze Linie, meine Fahrroute)

Stalin hatte seinen Soldaten als Ansporn gesagt: "Wer zuerst in Berlin ist, darf dort 3

Tage machen, was er will.“ Wir wohnten genau an der Luftlinie Moskau-Berlin. Zu

der Zeit war noch kein russischer Soldat in Königsberg Ostpreußen noch in Breslau.

So war klar, was auf uns zu kommen würde.

Oft fragten uns durchziehende Flüchtlinge, warum wir selbst noch nicht an Flucht

dachten. Mein Vater war Ortsgruppenleiter in der NSDAP. Er beruhigte alle, es wäre

noch keine Gefahr. Er hatte mit höheren Stellen Kontakte. Doch der Kriegslärm

durch Kanonendonner kam beängstigend näher und fliehende deutsche Soldaten

warnten uns. Nun versuchte mein Vater, Verbindung zu Vorgesetzten, zu bekommen.

Auch nachts bemühte er sich telefonisch zu erfahren, was los ist und Befehle zu

erhalten. Er bekam keine Verbindungen, die Leitungen waren blockiert.

Dann kamen viele fliehende verwundete Soldaten, die berichteten, dass die Russen

nahe sind. In unserer Schulstadt Pyritz waren schwere Kämpfe. Mein Vater beriet mit

den Leuten aus unserem Dorf und in Bad Schönfließ, dem kleinen Moorbad, für

welches er auch verantwortlich war, was zu tun sei.

Eigentlich sollte der Volkssturm die Heimat verteidigen. Dazu gehörten alle Männer,

die nicht Soldat waren, weil sie schon alt oder krank waren. Es waren aber keine

Waffen da. So wurde beschlossen, dass jeder selbst entscheiden sollte, ob er bei

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seiner Familie bleibt, oder sich mit meinem Vater in der Kreisstadt Königsberg bei

der dort stationierten Wehrmacht zum Einsatz als Verstärkung melden will.

Fehler meines Vaters war damals, dass er nicht mit den Leuten dort hin gelaufen ist,

sondern mit dem Auto mit noch 3 anderen hin fuhr. Das wurde ihm später

vorgeworfen.Dann hat er in seiner Rede vor den Dorfbewohnern und den

Schönfließern geraten, alle Parteibücher, Hitler-Fahnen und Bilder zu verbrennen und

die Parteiabzeichen zu vergraben. Auch das wurde später gegen ihn als Verrat an der

Partei verwendet.

In dem Gutshaus, großes Herrenhaus, hatten wir 16 Zimmer. So wohnten bei uns

viele Verwandte aus Berlin und Hamburg, aus den Großstädten mit vielen

Luftangriff

en, als

Evakuierte. Es waren junge kinderreiche Familien und alte Menschen. Wir waren

dadurch über 30 Menschen im Haus. Wie bekommen wir alle in Sicherheit? Zum

Glück gelang es meinem Vater schon Mitte Januar, die Mutter mit 4 kleinen Kindern,

die Mutter mit 2 Kindern und deren Großmutter heraus zu bekommen. Bei dem sehr

kalten Schneereichen Winter waren wir froh, dass alle gesund durchgekommen sind,

wie wir später erfuhren.

Nun sollten die alten Menschen raus. Leider kamen sie mit dem Auto zurück, weil sie

beschossen worden sind. So hatten wir nun für 2 Großmütter, 1 Großvater, 2

Großonkel, alle über 80 Jahre und 2 Schwestern meiner Mutter zu sorgen.

Dann sollten alle jungen Mädchen und größeren Jungen aus dem Dorf mit einem mit

Planen bespannten Leiterwagen vom Kutscher herausgebracht werden. Freiwillig

waren wir 12 Jugendliche. Schon in Bad Schönfließ wurden wir von meinem Vater

angehalten, denn die russischen Panzer hatten bei der Durchfahrt Trecks überrollt.

Wir wurden beim Freund meines Vaters zunächst einquartiert. Mein Vater vertraute

mir eine Aktentasche mit unseren Wertpapieren an. Diese Tasche verlor ich schon

nach wenigen Tagen, weil die Russen uns alles weg nahmen.

Ich habe meinen Vater noch zweimal telefonisch gesprochen bei seinem Freund.

Beim ersten Anruf erzählte er mir, dass er und alle anderen mit ihm beim Militär

eingekleidet worden seien. Sie würden uns wieder frei kämpfen. Beim zweiten

Gespräch, zwei Tage später, bat er mich, für Mutti und die Geschwister zu sorgen. Es

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klang wie Abschied. Ich merkte, dass sein Freund sehr bedrückt war. Später erfuhr

ich, dass man meinen Vater schon verhaften ließ wegen Verrat an der Partei.

Nach dem Gespräch ließ uns der Freund zu einem Bauern am Ende der Stadt bringen,

wo wir vielleicht etwas sicherer sein könnten. Am nächsten Tag brachte jemand

unsere Mutter zu uns. Da wir nicht mehr raus gekommen waren, wollte sie bei ihren

Kindern sein. Was unsere Lage noch verschlimmerte, war die Angst. Dazu hatte die

Propaganda besonders beigetragen. Manche Situationen mussten zum Chaos werden.

Am 30. Januar zogen die Russen ein. Ein Glück, das Mutti zu uns gekommen war. In

Dobberphul hatten wir zwei polnische Hausmädchen. Marie war lieb, freundlich und

warmherzig. Wir hatten sie gern, und es tat uns Leid, dass sie viel Heimweh hatte.

Vera war das Gegenstück. Sie hasste uns und zeigte das offen. Beide wurden bei uns

gut behandelt. Aber Vera war eben Feind. Heimlich gab sie Lichtzeichen und verband

sich mit russischen Soldaten. Sie führte diese dann durch unser Dorf und suchte uns.

Sie sagte allen, dass sie meine Mutter erschießen lassen wolle. Kapitalisten und Hitler

treue!

Dann rollten Truppen in mein Heimatdorf ein und plünderten und randalierten

überall. „Uri, Uri“ riefen sie, das hieß Uhren, Schmuck und Wertsachen. Dann wurde

im Dorf die Zivilbevölkerung gequält und ausgenommen. In unserem Gutshaus war

noch kurz ein Lazarett eingerichtet worden für verwundete Soldaten, dass aber

schnell von geh fähigen Verletzten verlassen wurde.Alle zurückgebliebenen

Schwerverletzen wurden von den Russen erschossen. Das weiß ich nur durch den

Bericht meiner Großmutter, denn wir waren nicht zu der Zeit im Dorf. Bericht im

Anhang.

Die Vera hat unsere Alten auch noch schikaniert und ihnen Sachen weggenommen.

Außer unseren alten Verwandten wohnte im anderen Teil des Hauses, die Familie

Dreschau. Zu ihnen gehörten Frau und Herr Dreschau und ihre beiden Kinder im

Alter von drei und fünf Jahren und das Hausmädchen Anneliese. Dort spielte sich ein

Drama ab. Vergewaltigung der Mutter in Gegenwart der Kinder. Dann nahmen die

Russen den Mann mit raus und brachten ihn mit Genickschuss um. Erst am nächsten

Morgen konnten meine Verwandten das feststellen, weil man nachts nicht hinaus

durfte. Beerdigen konnten sie den Mann erst viel später, weil die Russen niemand an

den Verstorbenen ließen.

Dann klopft es an die Tür der Alten. Das 17jährige Hausmädchen von der Familie

Dreschau trat ein. Sie bat um Hilfe, weil ein Unglück geschehen sei. Tante Friedel,

Muttis Schwester, ging mit. Da liegen Frau Dreschau und die beiden Kinder im Bett

und überall Blut. Frau D. hatte aus Verzweiflung allen die Pulsadern aufgeschnitten

und versucht, ihre Kinder zu ersticken. Auch das Mädchen blutete. Es konnten alle

gerettet werden. Es war eine Verzweiflungstat.

So zogen die Familie und einer unser Knechte zu unseren Alten in die Unterkunft.

Der Knecht war eine große Hilfe für alle mit seinen Polnischkenntnissen. Im Zimmer

am Eingang zu der Wohnung schlief eine Flüchtlingsfrau mit ihren Kindern, die

russisch konnte. Im Ort zogen russische Soldaten ab und neue wieder ein. Manchmal

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waren es auch nur kleine Gruppen. Sie wüteten noch viel härter als die regulären

Truppen und sie verschwanden plötzlich, wenn neue Truppen kamen. Uns schien,

dass es Deserteure waren.

Endlich hatten die Menschen in der engen Wohnung ein wenig Ruhe und konnten

etwas essen. Doch plötzlich sind die nächsten Soldaten da. Ein Russe kommt mit

lautem Geschrei herein: "Uri, Uri!“ Er sprach etwas deutsch und rief, dass seine

Schwester von Deutschen erschossen worden sei und seine Eltern verschwunden

seien. Der Russe war betrunken und wurde immer erregter, weil er nichts mehr an

Wertsachen fand. Unser Knecht und Tante Liesel versuchen, ihn zu beruhigen. Alle

im Zimmer zitterten vor Angst. Dann drängte er den Knecht und Tante Liesel in das

Nebenzimmer. Dann krachte ein Schuss. Ein Aufschrei von Tante Liesel: "Mein

Bauch, mein Bauch!“Dann fiel sie um. Emil, der Knecht, musste aus dem Zimmer.

Der Russe lie0 niemand zu der Verletzten. Sie lag wimmern und blutend auf dem

Boden. Dann ging der Russe noch mal in das Zimmer und schoss noch einmal. Sie

verstummte für immer. Als er die Wohnung verließ, sagte er: "Bedankt euch bei

Hitler!“Die kleine dreijährige Gudrun sagt darauf: "Heil Hitler!“Da setzte der Russe

dem Kind die Pistole auf die Brust, aber er schoss nicht und verließ dann endlich die

Wohnung.

Nach dem Tod von Tante Liesel wollte niemand mehr in der Wohnung bleiben. Sie

zogen in die leere Knechtswohnung. Die Flüchtlingsfrau mit den Kindern ging mit

und übernahm wieder das vordere Zimmer und die Alten die beiden kleineren

hinteren Zimmer. Frau D. ging mit den Kindern und dem Mädchen zu Verwandten im

Dorf.

Die Flüchtlingsfrau konnte etwas Schutz sein, weil sie russisch konnte, aber leider

half das nur wenig. Das einzige Fenster in dieser Wohnung ging nach hinten und war

mit Eisenstäben vergittert. Das war verhängnisvoll, denn jeder Versuch von Flucht

war ausgeschlossen, wenn Russen uns Gewalt antun wollten.

Die beiden Opfer, Herr Dreschau und Tante Liesel, konnten erst nach Tagen im Park

verscharrt werden. Erst ließen die Russen niemand raus, dann war durch den starken

Frost kein Begraben möglich. Immer wieder kamen neue Russen, manche sahen sich

nur um, andere brüllten und stießen die Alten herum und demolierten. Tante Friedel

versorgte alle mit Essen, so gut sie konnte.

Wie erging es uns inzwischen bei dem Bauern in Schönfließ? Bauer Schumacher

hatte uns und viele andere Familien aufgenommen. Unser Kutscher und ein Junge aus

unserem Dorf, er war 16 Jahre alt, schliefen oben im Haus. Wir und viele andere

Frauen und Mädchen wurden in einer hinteren Kammer etwas versteckt

untergebracht. Mein Bruder, meine Schwester und ich waren froh, dass wir unsere

Mutter bei uns hatten. Noch merkten wir nichts von den Russen, obwohl sie im Ort

schon waren. So half jeder im Hause bei der Versorgung aller mit.

Immer wieder versuchten wir von draußen Nachrichten zu erhalten, was los ist.

Telefon und Radio gingen nicht mehr. Plötzlich stürzt jemand ins Zimmer: "Die

Russen kommen!“ Zitternd rücken alle noch enger zusammen. Wieder rief jemand:

"Wenn die Russen rein kommen, Arme zum Ergeben hoch nehmen!“Dann hören wir

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Schüsse und Schreie.

Was war geschehen? Wir erfuhren es erst nach langem Warten. Aus Angst traute sich

niemand von der Stelle. Im Hinterhaus wohnte eine junge Frau mit ihrem Kleinkind.

Ihr Mann war vor wenigen Tagen in voller Uniform von der Front in Urlaub

gekommen. Da die Russen schon in der Nähe waren, baten alle, er solle die Uniform

ausziehen und die Waffen verstecken. Er hörte nicht, denn er wollte wieder zurück

zur Truppe. An dem Tag, als die Russen in unsere Straße kamen, war der

leichtsinnige Soldat gerade draußen und wurde von den russischen Soldaten gesehen.

Er rannte ins Haus und zu seiner Frau und dem Kind. Die Russen rannten hinterher

und glaubten, dass in dem Haus noch Soldaten sind. Ahnungslos kam unser Kutscher

mit dem Jungen aus dem Zimmer im oberen Stock, als die Russen ins Haus stürmen.

Sie erschossen, den Kutscher, der unbewaffnet war. Der Junge konnte sich noch

retten, weil er ins Zimmer zurück flüchtete. Die Russen suchten den Hof ab. Sie

stürmten in die Wohnung des Soldaten. Er wurde regelrecht hingerichtet. Seine Frau

wurde vergewaltigt und gequält.

Dann durchsuchten sie das ganze Haus. Sie betraten die Zimmer mit Gewehr im

Anschlag. Alle Menschen mussten mit erhobenen Händen aufstehen und wurden

abgetastet. Die Räume wurden durchwühlt. Man kann nicht beschreiben, wie uns

zumute war. Die Angst nahm uns gefangen. Es wurde uns befohlen, in den Räumen

zu bleiben. Jetzt kamen immer wieder Russen und schnüffelten herum. Sie zerstörten

Möbel und anderes.

Wir hatten auch Leute dabei, die russisch verstanden. Zwei Russen verlangten, dass

meine Schwester und ich aufstehen sollten. Sie begutachteten uns und sprachen über

uns. Als sie gegangen waren, sagte man uns, dass sie uns abends holen wollten.

Sofort sprach Mutti mit dem Bauern: "Wo können wir uns verstecken?“Er brachte

uns in seine Scheune. Jetzt erst wurden meine Schwester und ich aufgeklärt, was die

Russen von uns wollten. Wir hatten über Sexualität und Vergewaltigung noch kaum

etwas gehört. In einer Ecke in der Scheune unter Heu versteckten wir uns. Nachts

wollte uns der Bauer zu einem abgelegenen Hof führen.

Stunden lagen wir in der Ecke. Unruhe hörten wir auf dem Hof. Dann lautes und

erregtes Sprechen drang näher. Die Scheunentür wurde geöffnet. Man suchte nach

uns. Mit Lampen wurde geleuchtet. Sie fanden uns nicht und verließen die Scheune

wieder. Wir hatten nicht unter hohen Haufen gelegen, sondern in einer flachen Ecke.

Da vermuteten sie uns nicht.Man kann sich unsere Angst kaum vorstellen. Noch

lange warteten wir auf den Bauern. Die Russen hätten ihn beinahe gefangen

genommen, weil sie uns nicht fanden. Wir sind dem Bauern sehr dankbar, dass er so

mutig war, uns zu beschützen.

Endlich kam der Bauer und führte uns hinten aus der Scheune. Es war eine kalte

Nacht mit leichtem Schneefall und sehr dunkel. Wir hatten nur wenige Sachen zu

tragen. Niemand durfte sprechen, denn es wurde immer wieder geschossen, und

Scheinwerfer leuchteten die Gegend in Kreisen ab. Mehrmals mussten wir uns

hinlegen, wenn die Scheinwerfer in unsere Richtung leuchteten.

Der Weg führte am Schönfliießer See entlang durch Schilf. Das Eis war hier nicht

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ganz fest und brach. So wateten wir durch eisiges Wasser. Alles Nass, aber zum

Glück waren dort nur flache Stellen. Der Boden war auch gefroren, sodass wir nicht

ein sacken konnten. Daran dachten wir auch gar nicht, wichtig war uns nur, weg hier,

weiter, weiter!

Endlich kamen wir zu einem hinter dem Hügel versteckten Bauernhof, der vom Wald

umgeben war. Der Hof hatte einen Windmotor zur Stromerzeugung für den Betrieb.

Wieder mussten wir warten, denn der Bauer wollte erst erkunden, was auf dem Hof

vor sich ging.

Der Hofbesitzer, Herr Day, kam zu uns. Die wir frierend und erschöpft dicht

zusammen gekauert saßen. Er brachte uns in einem Hühnerstall unter, der über dem

Kuhstall lag. Uns war das egal. Dieser schützte uns etwas vor Kälte und Nässe.

Hier hasten wir ein paar Tage und wurden auch vom Hof mit Essen versorgt. Erst als

im Haus etwas mehr Platz war, durften wir ins Warme. Die Russen hatten den Hof

noch nicht entdeckt, sodass es noch genug zu essen gab und die Räume noch in

Ordnung waren.

Viele Menschen waren hier her geflüchtet, und so mussten alle in den Zimmern auf

Stroh auf dem Fußboden schlafen. Alle halfen im Hause mit. Zur Versorgung wurde

geschlachtet. Wir stellten Wachen auf, um vor Russenbesuch warnen zu können. Wir

jungen Mädchen hatten uns gleich nach Verstecken umgesehen, denn es war allen

klar, dass die Russen auch diesen Hof finden würden.

Schlimm war, dass der Bauer Polen als Arbeiter hatte, die geblieben waren. Eine

Mutter mit ihrem Sohn. Die Frau war sehr nett, konnte gut deutsch, lebte dort frei und

fühlte sich zur Familie gehörend. Aber der Sohn, 15 Jahre alt, war voller Hass gegen

uns alle. Seine Mutter passte auf, dass er nicht weg läuft, um uns zu verraten.

Leider gelang es ihm dann doch, fortzulaufen. Nun wussten wir, dass die Russen bald

kommen würden. Meine Mutter war verzweifelt. Sie wusste, der Bauer besitzt eine

Pistole und bat ihn, uns zu erschießen. Er verweigerte das energisch. Ich habe Mutti

das ausgeredet. weil ich an unseren Vater und Bruder Fritz, den Ältesten von uns, der

Soldat war, dachte. Ich habe sie daran erinnert.

Dann geschah etwas Ungewöhnliches. Über das Schneefeld sahen wir eine Person im

weißen Tarnanzug mit Gewehr im Anschlag kommen. Es war ein deutscher Soldat,

nämlich der Sohn des Bauern. Er blieb einige Tage, weil er Urlaub hatte, um nach

seinen Angehörigen zu sehen. Meine Schwester und mich hätte er gern

mitgenommen. Aber es war zu gefährlich, denn niemand wusste, wo die Front war

Kanonendonner hörten wir ständig aus der Ferne, Tag und Nacht. Auch waren in der

Nähe Bomben abgeworfen worden. Ich beobachtete das mit jemand zusammen bei

unserem Wacheinsatz hinter den Hügeln. Wir konnten sie in Richtung Schönfließ

fallen sehen.

Als der Soldat wieder zurück zum Militär ging, nahm er eine Postkarte für unsere

Verwandten in Berlin mit. Die Karte ist wirklich angekommen, wie man sehen kann,

also muss er durchgekommen sein. Das erfuhren wir erst später.

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Da es recht ruhig um uns war, konnten wir Jugendlichen auch Spiele machen. Da

kam Alarm vom Wacheinsatz her. Vier Russen betraten mit dem Polen den Hof.

Verstecken konnten wir uns nicht mehr. Erst waren die Russen sehr freundlich und

sahen sich nur um. Doch dann schauten sie uns Mädchen genauer an und ein

18jähriges Mädchen und ich mussten mitgehen. Der Bauer musste die Kutsche

anspannen und 2 Russen fuhren mit uns zum Wald, der Pole musste kutschieren.

Dort versuchte einer mich zu vergewaltigen und der andere nahm das Mädchen vor.

Ich wehrte mich verbissen. Er hielt mir die Pistole vor die Brust, aber ich ließ ihn

nicht ran. Dann wechselten sie, aber sie hatten keinen Erfolg. Sie waren aber nicht so

brutal, wie wir es noch später erleben sollten. Sie brachten uns aber wieder zum Hof

zurück.

Nun kamen jeden Tag Russen. Es wurde immer unerträglicher. So beschloss meine

Mutter, mit uns zurück in unser Heimatdorf zu gehen.

Es war am 15.Februar, als wir uns mit unseren paar Habseligkeiten auf den Weg

machten. Quer über die gefrorenen Felder liefen wir. Dann mussten wir über eine

Hauptstraße. Wir schlichen uns vorsichtig heran, aber ständig fuhren Panzer und

Lkws mit Soldaten. Wir haben etwa 4 Stunden versteckt gewartet und waren steif

gefroren. Dann war es uns egal, was passieren könnte. Wir liefen so schnell wir

konnten über die Straße. Die Soldaten lachten nur und ließen uns laufen.

Wir hatten immer Angst vor Verfolgung und waren total erschöpft. So schlichen wir

uns von hinten in Dobberphul zum Bürohaus an. Wir wussten nicht mal, wer dort

war. Wo sind unsere Verwandten? Natürlich entdeckten uns Russen. Aber die beiden

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verstanden, dass wir Quartier suchten. Sie begleiteten uns zu den Verwandten.

Da erfuhren wir von den schrecklichen Ereignissen mit den 2 Toten. Wir wurden aber

auch mit Entsetzen empfangen, denn alle wussten, was auf uns zu kommen würde.

Da nicht so viele Betten da waren, wurde auf Stroh auf dem Fußboden

zusammengerückt, dass Eva und Hans-Hubertus neben Mutti links und rechts Platz

bekamen und ich als Lager das Etagenbett über einem Großonkel.

Gleich die erste Nacht wurde zur Katastrophe. Pausenlos kamen Russen rein, um uns

zu vergewaltigen. Bis zu 12 waren im Raum. Sie waren zum Teil Stock betrunken

und nahmen, wer ihnen in die Hände kam. So wurden auch die Alten nicht verschont.

Ich wehrte mich verbissen und lag zwischen Wand und Bett, es krachte nur so. Vier

Russen versuchten, mich zum richtigen Liegen zu bekommen. Sie waren so brutal,

dass ich glaubte, die Knochen brechen mir. Dann hatten sie den Unterleib richtig

gedreht, aber ich lag mit dem Oberkörper halb nach unten, da warf sich einer auf

mich, und es krachte in mir. Schmerzen habe ich wenig gespürt. Ich verlor das

Bewusstsein und so hatten sie mich in der Hand.

Als ich wieder zu mir kam, lag nur ein Russe neben mir, der mich nicht mehr quälte,

wenn ich ganz still lag. Mutti rief ängstlich nach mir, aber ich traute mich nicht zu

antworten, weil der Kerl sich dann wieder an mir vergehen könnte.

Meine 14jährige Schwester hat auch Schlimmes mitgemacht. Sie wurde auch

vergewaltigt und dazu von Erbrochenem der besoffenen Kerle überschüttet. Das

grausame Tun ging die halbe Nacht durch bis Oma Lieschen plötzlich laut um Hilfe

schrie und alle einstimmten. Da ging die Tür auf und zwei Wachposten kamen herein.

Sie riefen etwas in Russisch und schossen in die Decke. Da ließen alle Kerle von uns

ab und verschwanden. Die Wachposten versprachen, den Vorfall zu melden. Dann

wollte der eine zu mir auf das Bett, doch ich wehrte das ab. Ich sei so kaputt und

krank von den Quälereien der Soldaten. Dann hatten wir bis zum Morgen Ruhe.

Tatsächlich kam der Wachposten am nächsten Morgen mit einem russischen Arzt zu

uns. Er entschuldigte sich bei uns und zeigte sich besorgt. Draußen mussten Soldaten

antreten, die vermutlich bei uns waren. Nun sollten Eva und ich sie ansehen und

sagen, wer es war. Ich ging von einem zum anderen und schaute sie genauer an. Ich

wollte wissen, was das für Menschen sind. Eva machte das auch. Wir sahen die Angst

in den Augen der sehr jungen Menschen. Wir wussten, dass alle schon Jahre im Krieg

waren. Wir waren für sie Freiwild. Beide haben wir keinen beschuldigt. Es war in der

Nacht dunkel. Hätten wir jemand beschuldigt, würden sie schwer bestraft worden. !!

Der Arzt wollte dann mit mir schlafen, doch über die Russland deutsche erklärten wir

ihm, dass wir das nicht wollten.

Dann bat er, ob er mich küssen darf. Er habe so lange keine Frau mehr gehabt, und

ich habe mit seiner Frau Ähnlichkeit. Das konnten wir nicht ablehnen. So kam er

täglich, um mich zu küssen. Er war sehr sauber und gepflegt, aber ich fühlte mich als

Opfer. Dafür hatten wir jetzt Ruhe, und man brachte uns auch Essbares. Der Arzt

schlief im Zimmer vor uns und wehrte Eindringlinge ab.

Etwas Schreckliches geschah in diesen Tagen noch mit unserem Dorfschullehrer.

Herr Fröhling war Klavierspieler. Als die Russen unser Dorf besetzten, zogen sie von

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Haus zu Haus. Er setzte sich ans Klavier, hatte Zigarren bereitgestellt und spielte

russische Lieder und anderes. Viele Frauen und Mädchen aus dem Dorf waren bei

ihm versteckt. Er wusste, dass Russen Musik lieben. Die eindringenden Soldaten

vergaßen das Suchen. Sie um standen das Klavier und sangen und tanzten sogar. In

diesem Haus wurde nicht geplündert und den Frauen geschah nichts. Die Offiziere

bezogen dort Quartier.

Das ging sehr lange gut. Dann kam wieder ein Wechsel der Truppen. Bei solch einem

Wechsel geschah ein Unglück. Die Zimmer für die Offiziere mussten gereinigt

werden. Die Frauen fanden eine Handgranate. Sie holten den Lehrer, der sie aus dem

Fenster werfen wollte. Dabei explodierte sie. Herr F. wurde am Oberkörper und

Armen so zerrissen, dass keine Hoffnung bestand, dass er überleben könnte. Er war

bewusstlos. Der Arzt konnte ihm nur noch den Gnadenschuss geben. Die Frau des

Lehrers war dabei, als das Unglück geschah. Der einzige Sohn war Soldat in

Russland vermisst und ist nicht wieder gekommen.

Der Offizier, der uns einige Zeit beschützt und versorgt hat, kam bedrückt zu uns, um

sich zu verabschieden. Er war sehr traurig und ließ durch die Flüchtlingsfrau

übersetzen:“ Wir Mädchen sollten uns verstecken. Es würden andere Soldaten

kommen, die uns schlecht behandeln könnten. Außerdem wäre möglich, dass man

uns nach Russland verschleppen würde.“ Wir waren sehr traurig, dass dieser Offizier

uns verlassen musste. Wir ahnten, was geschehen könnte.

Kaum waren die Soldaten weg, machten wir uns mit Mutti und meinen Geschwistern

bereit. Unser Knecht Emil wollte uns auf den Heuboden über dem Kuhstall bringen.

Als wir die Tür öffneten, kamen gerade ein paar Russen auf den Hof. Sie hatten uns

sofort gesehen. Jetzt begann ein neues Drama. Einige kamen rein, in die Decke

geschossen, dann Tisch umgeworfen, Doppelbett umgekippt, Lebensmittel, die vom

Tisch gefallen waren, zertrampelt. Die Großonkel mussten aufstehen und wurden

umgestoßen. Die Russen brüllten und tobten. Dann mussten alle Alten in das andere

Zimmer, wo unser 84 jähriger Großvater geschwächt und nicht ansprechbar lag. Auch

die beiden Tanten und die Großmütter mussten mit. Die Russen gingen hinterher. Wir

dachten, dass sie alle umgebracht werden. Sie hatten doch nichts getan! Als nichts

geschah und alle wieder raus kamen, atmeten wir auf.

Nun wollten sie meine Schwester und mich mitnehmen. Mein kleiner Bruder stellte

sich schützend vor uns. Da nahm ein Russe ihn und warf ihn an die Wand. Der

Zehnjährige wusste nicht mal, was sie von uns wollten. Wieder wurden wir beide in

anderen leeren Räumen vergewaltigt. Das Wehren half nichts, da hatte der Kerl ein

großes Messer in der Hand, um meine Kleider auf zuschneiden. Um meine Kleider zu

retten, gab ich nach. Im Nebenraum, hatten sie sich über meine Schwester

hergemacht.

Plötzlich rief jemand etwas und alle verließen uns fluchtartig. Jetzt baten wir den

Sohn der Flüchtlingsfrau, zu sehen, ob niemand auf dem Hof ist, und sind dann

schnell zum Versteck gelaufen. Diesmal kamen wir unentdeckt zum Kuhstall und

kletterten auf den Heuboden über den Ställen. Wir krochen in eine äußere Ecke. Der

Knecht wollte uns einmal am Tag Essen und Trinken bringen. Er wurde von den

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Russen durchgelassen, weil er polnisch konnte und sich so gut mit ihnen verständigen

konnte. Manchmal bekamen wir nichts zu essen, weil er heimlich nicht durchkam.

Inzwischen merkten wir, dass immer mehr Truppen kamen. Es wurde lauter und

unruhiger. Durst quälte uns am meisten, denn der Heustaub war unerträglich.

Plötzlich kamen Russen auf den Boden. Wir krochen noch tiefer an die Außenwand.

Mit Gewehrspitzen stachen sie ins Heu, aber nicht weit. Dann verschwanden sie

wieder. Wir hatten auch bemerkt, dass noch andere sich da oben versteckten. Sie

lagen aber an der anderen Seite.

Am 21.Februar kam eine Veränderung für das Dorf. Unsere Alten wurden aus der

Wohnung gewiesen und in die Dorfschule gebracht. Kaum drinnen mussten sie

wieder umziehen in die Wohnung über der Dorf schmiede. Das kleine Zimmer war

voll gepackt mit Sachen und so war es für 10 Personen zu eng. Es waren noch andere

Leute im Zimmer. Mein Großvater war so schwach, dass er nur mühsam

mitgeschleift werden konnte. Auf das einzige Bett im Raum legten sie ihn und alle

anderen konnten nur eng aneinander sitzen. Bewegung war kaum möglich, und die

Beine ausstrecken schon gar nicht. Das wurde uns später erzählt.

Wir auf dem Heuboden merkten nur den lauten Betrieb der Soldaten und dass der

Knecht nicht mehr kam. Was sollten wir tun? Sehen konnten wir nichts und runter

trauten wir uns nicht. Das Dorf wurde geräumt. Bis 10,30 Uhr sollte die Bevölkerung

raus sein. Wohin, das war den Russen egal. Mit schussbereiten Gewehren trieben sie

die Zivilbevölkerung zusammen. Was sollten unsere Verwandten mit dem kranken

und altersschwachen Großvater machen? Sie bekamen kein Fahrzeug. Er war geistig

nicht ansprechbar. So haben meine Großmutter und meine Tante, seine Tochter, ihm

Schlaftabletten gegeben zum leichteren und schnelleren Sterben. Er blieb in dem Bett

liegen.

Nicht nur ihn mussten sie zurücklassen, sondern auch den 87jährigen Großonkel aus

Hamburg, der nicht mehr laufen konnte. Onkel Rudi bat, dass sein Bruder Theo, der

andere Großonkel von uns, 82 Jahre, ruhig mitgehen und nicht bei ihm bleiben

müsse. Er gab seinen Stock an seinen Bruder und winkte allen noch nach. Er war

geistig noch voll da. Später erfuhren wir, dass er versucht hat, hinterher zu laufen.

Man fand ihn 1 Km außerhalb des Dorfes erschossen an der Stra0e nach Stolzenfelde.

Die Räumung des Dorfes haben wir nicht bemerkt. Erst im letzten Augenblick konnte

Emil uns holen. Die anderen waren schon weg. Wir hüllten uns in Decken und liefen

hinter den Treck her, der auf dem Feldweg über Görlsdorf nach Schönfließ unterwegs

war. Wir holten sie schnell ein und schlossen unseren Alten wieder an. Nun waren es

nur noch 2 Großmütter, 1 Großonkel und eine Tante. Mutti fragte sofort nach Opa

Karl, ihren Vater und nach Onkel Rudi. Wir waren entsetzt, als wir hörten, was

geschehen war. Man musste Mutti zurückhalten, die umkehren wollte.

Der Knecht Emil und die Flüchtlingsfrau mit ihren Kindern entdeckten im Treck

Freunde, denen sie sich anschlossen. Onkel Theo machte unterwegs mehrmals

schlapp. Eva und ich blieben immer bei ihm, bis er wieder aufstehen konnte. Er hatte

Verkrampfungen in den Beinen und Kreislaufbeschwerden.

In Bad Schönfließ entdeckten wir gleich gute Bekannte, die bereit waren, uns

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aufzunehmen. In ihrem Haus waren schon viele Familien, doch trotzdem nahmen sie

uns noch auf. Man rückte zusammen und schlief auf dem Fußboden.

Im Hause von Kannengießers gab es einen Hund, der uns durch sein Bellen warnte,

wenn Russen kamen. Er bellte nur, wenn Russen kamen. So konnten wir Mädchen

uns rechtzeitig hinter dem Stall oder dem Plumpsklo verstecken. Dadurch hatten wir

einige Tage Ruhe vor Vergewaltigungen. Wir ließen uns auf der Straße nicht sehen.

Mit dem Essen ging es dort auch ganz gut. Alle halfen mit. Auf dem Fußboden

schliefen wir auf Matratzen. Es war in diesem Haus nicht so viel zerstört oder

weggenommen worden.

Dann kam Befehl zur Arbeit für meine Mutter, meine Schwester und mich. Natürlich

auch andere im Haus. Gewundert haben wir uns, dass sie uns alle in einer Liste

hatten. Ich kann nur von meiner Arbeit berichten, denn wir wurden wieder getrennt.

Mutti durfte bald zurückbleiben und auch meine Schwester. Ich musste aber arbeiten.

Unsere sehr große Gruppe von Frauen wurde über Görlsdorf Richtung Rufen geführt

unter Bewachung von mehreren Soldaten. Fast 12 Km an der Chaussee ging es lang,

links und rechts der Straße viele Tote, Tierkadaver und zerstörte Möbel und anderes.

Wir sollten nun alle Toten begraben. Der Boden war stark gefroren. Schaufeln und

Spaten wurden verteilt. Löcher graben war Schwerarbeit.

Ich kam aber gar nicht zum Einsatz, denn es kamen zwei Soldaten. Eine Frau, die ich

kannte, und ich sollten mit kommen. Wir merkten bald, dass sie uns missbrauchen

wollten. Die Frau H. stellte sich krank und ich stützte sie. Wenn sie beim Laufen

wieder Richtung Schönfließ, uns versuchten zu umschmeicheln, stöhnten und

wehrten wir sie ab. Da holten sie noch zwei Frauen, schickten uns aber nicht zurück.

Da sie mit den anderen Frauen hinter uns gingen, merkten wir erst, als es so still war,

dass sie mit den beiden kurz vor der Stadt in eine Scheune verschwanden.

Sofort rannten wir beide los. Ich lief zur Kommandantur, um mich zu beschweren.

Als Entschädigung oder Trost bekam ich ein halbes Brot und durfte zurück ins

Quartier gehen. Komischer Weise ging mir das fast täglich so. Immer wurde ich bei

der Arbeit weggeholt, aber ich entkam jedes Mal und lief zur Kommandantur, bekam

ein halbes Brot und konnte ins Quartier gehen.

Manche Frauen glaubten mir nicht so ganz, dass ich weglaufen konnte, bis es in ihrer

Gegenwart geschah. Ein Russe auf einem Pferd suchte unsere Gruppe ab, die diesmal

in Bad Schönfließ arbeiten musste. Wir arbeiteten an der Hauptstraße.

Der Soldat ritt auf mich zu und zog mich an den Zöpfen zu sich.

Ich wehrte mich und biss ihn in die Hand. Da ließ er los und ich

lief weg. Er wollte hinterher, aber die Frauen versperrten ihm den

Weg. Es war uns schon oft aufgefallen, dass ein Russe allein sich

nicht alles traute. Da ich längst durch Nebenstraßen weg war, soll

er sich verzogen haben. Natürlich rannte ich wieder zur

Kommandantur und bekam wieder Brot. Das war für meine

Familie ein wichtiger Beitrag für alle im Quartier. Wir hatten

wenig Essbares für alle.

Warum ich oft von Russen heraus gesucht wurde, war uns später

15


klar. Ich war 16 Jahre alt und hatte lange Zöpfe. Für die Russen war ich im

heiratsfähigen Alter.

Der Aufenthalt in Bad Schönfließ wurde für Mutti, Eva, Hans-Hubertus und mich jäh

abgebrochen, als Befehl zur Arbeit nach Pätzig kam. Von unseren Verwandten

mussten wir uns wieder trennen. Mit Lkws fuhren wir etwa 15 Km nach Pätzig. Über

Wochen hörten wir nichts mehr von den Verwandten. Wir wurden in der Schule

untergebracht. Mutti und Eva mussten im Kuhstall arbeiten. Ich wurde mit 6 Frauen

im Schweinestall eingesetzt. Hans-Hubertus blieb meistens bei Mutti, da er nicht

arbeiten musste. Er vermittelte Nachrichten hin und her für mich und anderen.

Die Arbeit im Schweinestall bestand aus Ausmisten, Füttern und Wasser holen. 98

Schweine mussten wir versorgen. Wir waren erstaunt, dass es das noch gab. Sicher

waren wir vor Russen dort nicht. Aber wenn sie näher kamen, ging ich ausmisten in

den Buchten. So ließ man mich in Ruhe.

Das Wasser holen war ein Problem. Wir hatten dazu einen Kufenschlitten und einen

Ochsen. Es lag kaum noch Schnee. So war es mühselig, denn es standen auf dem

Schlitten große Tonnen, die der Ochse gefüllt ziehen musste. Ich sollte das Wasser

holen übernehmen. Dabei geschah es, dass berittene Russen bewusst so ins Fuhrwerk

trabten, dass der Ochse in Panik geriet, sich los riss und davon rannte. Ich hatte

Glück, dass ich mich fest halten konnte. Ich war aber von oben bis unten nass von

dem über schwappenden Wasser aus den vollen Tonnen. Mir war kalt, aber die

gemeinen Kerle hielten mich fest und begrapschten mich fürchterlich. Ich wehrte

mich, schlug und biss, aber erst ein vorbeikommender Offizier bot dem Einhalt.Den

Ochsen haben wir gefunden, aber ich weigerte mich, noch mal Wasser zu holen.

Dann wurde ich zum Sauber machen der Unterkunft eines Soldaten geholt. Man

musste folgen. Doch merkte ich, das war nur ein Vorwand. Ich sollte ein Glas voll

Wodka trinken. Ich konnte zum Glück fliehen. Sie wussten jetzt, wo ich arbeitete und

kamen immer wieder. Beim nächsten Holen schloss der Kerl die Tür hinter mir ab

und ich war ihm ausgeliefert. Daraufhin weigerte ich mich, zu arbeiten. Zwei Tage

durfte ich im Quartier bleiben. Mein kleiner Bruder blieb bei mir, denn dort suchten

Russen auch nach Frauen. Ich stellte mich dann krank.

Wir hatten in Pätzig inzwischen ein einfaches Quartier, aber zu essen hatten wir

nichts. Darum kümmerte sich auch niemand. So waren wir gezwungen, betteln zu

gehen. Ich bin oft nach der Arbeit von Haus zu Haus gegangen. Meine Geschwister

taten es auch. Da viele Leute noch in ihrer Wohnung waren, hatten sie noch etwas

Vieh und Vorräte. Dort hatten die Russen beim Einzug auch nicht so gewütet wie bei

uns. Man war auch bereit, abzugeben, obwohl wir nichts bezahlen oder tauschen

konnten.

Dabei zeigte mir eine Mutter ihre 10 jährige Tochter. Sie lag apathisch auf dem Sofa.

Das Gesicht war schrecklich entstellt durch Biss wunden. Ein Vergewaltiger hat sie

blutig gebissen. Der Anblick hat mich sehr getroffen.

Wir hatten Anfang März ein paar wärmere Tage. So konnten wir einige Teile der

wenigen Wäsche waschen, die wir noch hatten. Das Trocknen auf dem Boden dauerte

sehr lange. Zum Glück war die Wäsche fast trocken, als für mich das Ende in Pätzig

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und die Trennung von der Familie kam.

Am 20. März war es, als ich im Schweinestall beim Ausmisten war. Fast damit fertig

wurde ich gerufen. Nanu! Ein Wachposten mit auf gepflanzten Gewehr steht in der

Futterküche. Die Frauen waren gerade bei der Vorbereitung der Abendmahlzeit für

die Schweine, die durch Geschrei ihren Hunger zeigten. Ich sollte mitkommen, lud er

mich mit einer schwachen Handbewegung ein. Mir wurde bange, da man den Russen

nicht trauen konnte. Durch Klopfen auf meine Schulter mit tröstenden Worten: "Du

gut, Du gut!“ versuchte er mich auf zu muntern, was ihm schlecht gelang. Er führte

mich über den Gutshof zur Kommandantur.

Aha, ich musste zum Kapitän kommen. In einer kleinen wenig schönen dunklen

Stube saß er mit einer Dolmetscherin, die sehr schlecht deutsch sprach. Ihre

dunkelblonden Zöpfe trug sie als doppelt geschlungenen Kranz um den Kopf. Sie war

schlank und man glaubte, eine Deutsche vor sich zu haben. Der Kapitän hatte

durchdringende tief liegende blaue Augen und war sehr klein und zierlich. Er lud

mich ein, niederzusitzen und stellte einige Fragen. Es waren meine Personalien. Dann

fragte er mich aus, was ich bei Hitler gemacht hätte. Ich war

Jungmädelgruppenführerin und habe das auch offen gesagt. Ich versicherte ihm aber,

dass wir nicht politisch tätig waren. Dazu waren wir noch zu jung. Er glaubte das

nicht ganz, aber danach durfte ich wieder in den Stall zur Arbeit gehen.

Ich lief aber erst zu Mutti in den Kuhstall und erzählte ihr weinend, dass ich zum

Verhör musste. Am Tag danach, als ich in unsere Unterkunft kam, jetzt in der

Brennerei trat gleich wieder ein Soldat mit einer Dolmetscherin ein. Sie wollten mich

zu einer anderen Arbeit abholen. „Du sollst,“ so erklärte die Dolmetscherin,“vier Km

entfernt auf einem Flugplatz schippen. Eine Decke kannst du mitnehmen und zieh dir

Holzschuhe an. Verpflegung bekommt ihr dort. In einer halben Stunde musst du an

der Kommandantur sein!“Wir trauten der Sache gar nicht. Wie viele Frauen waren

schon abgeholt worden und noch nicht wieder zurückgekommen. Wo sind sie alle

geblieben? Es wurde viel geflüstert, Russland, immer wieder Russland. Meinen

Bruder schickte ich zu Mutti und meiner Schwester, die noch nicht aus dem Kuhstall

zum Mittagessen gekommen waren. Ich zog mich inzwischen um. Alles, was ich an

Kleidung besaß und fast trocken war, zog ich übereinander an. Eine Decke legte ich

mir zurecht und aß schnell etwas vom schönen Kohlrübeneintopf.

Dann traf Mutti mit beiden Geschwistern ein. Zwei Tage vorher, am 19. März, war

Eva gerade 14 Jahre alt geworden, was wir fast vergessen hatten durch die Not. Alle,

auch die Mitbewohner waren sehr besorgt um mich. Eine Frau schenkte mir ein Brot.

Jemand wickelte mir noch etwas selbst gemachte Butter ein. Meine Mutter brachte

mich zur Kommandantur.

Noch andere Frauen mit ihren Angehörigen warteten, bis ein Wachposten alle in

einen Raum führte. Auch die nicht bestellten Angehörigen mussten mit hinein.

Stunden saßen wir dort. Mutti hatte noch nichts gegessen und trug an dem warmen

Märztag nur ein leichtes Kleid. Was nun, wenn sie so mit muss. In banger Sorge

saßen wir dort eingesperrt, während sich draußen immer mehr Russen versammelten,

Kanonen aufgefahren wurden und Musik spielte. Plötzlich entdeckte ich durch das

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weit geöffnete Fenster meine Schwester mit angstvoll verweintem Gesicht.

Erleichtert atmete sie auf, als ich ihr zu rief, dass Mutti bei mir ist, denn Eva suchte

sie. Wir schickten sie sofort zurück in die Unterkunft, denn wir fürchteten, dass sie

sonst auch noch mit eingesperrt wird.

Endlich kam der Kapitän, und wir bestellten Frauen wurden von unseren

Angehörigen getrennt. Wir wurden in einen anderen Raum gebracht. Jetzt kam das

Zittern zur Angst noch dazu, denn der Offizier brüllte im anderen Zimmer und schlug

auf den Tisch. Frauen weinten laut. Dann musste ich rein. Er war jetzt ruhiger. Immer

die gleichen Fragen wurden gestellt. Ich hatte sie doch schon alle beim ersten Verhör

ehrlich beantwortet. Es ging aber sehr schnell durch plötzlichen Abbruch zu Ende.

Wir mussten raus und zu zweit antreten. Vier Wachposten mit auf gepflanzten

Gewehr führten uns durch das Dorf. Auch meine Mutter und andere waren verhört

worden und wurden mit uns geführt. Diesmal sah ich nicht die vielen ausgebrannten

oder ausgeräumten Häuser und die übel zugerichteten Gegenstände an der Straße. Ich

hatte Angst um meine Mutter, die so wenig an hatte. Ich bangte auch um die jüngeren

Geschwister ohne Mutti. Immer fester klammerte ich mich an Mutti. Dann mussten

wir anhalten.

Nun wurden wir einzeln aufgerufen und endgültig von den Angehörigen getrennt.

Bevor ich auf den Hof ging, blickte ich zurück auf Mutti und die anderen, die aus

dem Dorf geführt wurden. Später erzählte Mutti, was mit ihnen geschah. Sie wurden

in den Nachbarort Stolzenfelde gebracht. Dort wieder verhört. Da meine Mutter sehr

elend aussah und dem vernehmenden Offizier sagte, dass es ihr schlecht gehe und sie

Durchfall hat, wurde sie zurück nach Pätzig zu meinen Geschwistern geschickt. Ich

weiß nicht, ob sie abends oder am nächsten Tag zurück kam, ob sie laufen musste und

noch andere zurück konnten.

Nun weiter zu mir. Auf dem Hof herrschte furchtbare Unordnung. Viele Russen liefen

hin und her. Wir durften uns auf die Deichsel eines Kutschwagens neben dem

Dunghaufen setzen und wurden von zwei Wachposten beobachtet. Ab und zu

versuchten, herumlungernde Russen, mit uns ein Gespräch in gebrochenem Deutsch

anzufangen. Keiner von uns ging darauf ein. Abends brachte man uns in eine mit

Stroh ausgelegte und einem zertrümmerten Fenster versehene Waschküche. Das sollte

das Nachtquartier für uns zwölf Frauen sein. Spät bekamen wir eine dünne

Kartoffelsuppe mit viel Fleisch, etwas trockenes Brot und Kaffee. Bei Kerzenlicht in

unserem engen und kalten Raum nahmen wir nur wenig zu uns aus Angst vor dem

Kommenden. Wir wussten doch nicht, was man mit uns vorhatte. Dann wurden wir

wieder einzeln in der Nacht zum Verhör gerufen. Auch ich musste wieder hin. Durch

einen mit dicken Rauchwolken eingenebelten Raum, in dem auf Bettgestellen viele

Russen saßen oder lagen, wohl mit der Absicht zu schlafen, wurde ich in eine kleine

Kammer geführt. Dort saß wieder der Kapitän und fragte mich erneut aus. Die

Dolmetscherin war natürlich dabei, denn er konnte überhaupt kein deutsch sprechen.

Ich war froh, als ich wieder in der zwar unschönen Waschküche war. Ich wickelte

mich in meine Decke ein und versuchte im Sitzen etwas zu schlafen. Draußen

lärmten Russen. Ab und zu kamen welche rein und leuchteten uns mit Taschenlampen

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an. Langsam verging die Nacht.

Wir hatten schon wieder ein wenig Hoffnung, vielleicht nicht weg zu müssen. Doch

als wir früh eine schöne Fleischbrühe und etwas Brot schnell verzehren mussten,

verging uns der Appetit und jede Hoffnung. Wir mussten auf dem Hof wieder warten.

Da traf ich ein Mädchen aus dem Nachbardorf, die auch in das gleiche Gymnasium

ging, aber sie war in einer höheren Klasse. Margot, ein hübsches blondes Mädchen

unterhielt sich mit mir. Da kommt ein Offizier und spricht mit ihr in Russisch. Sie

erklärt mir dann, dass er wissen wollte, wer ich bin. Man vermutete, dass mein Vater

ein hoher Beamter bei Hitler gewesen sein könnte. Sie hat das verneint, weil sie uns

kannte. Dann machte er mir das Angebot, dass ich nicht mit weg müsste, wenn ich

bei ihm bleiben würde. Ich habe abgelehnt. Sie sagte mir ehrlich, dass sie beim

Kapitän sei und es ihr nicht schlecht ginge. Meine Meinung dazu habe ich ihr gesagt.

Ich habe sie auch gewarnt, denn wenn der Russe von ihr genug hat, würde er auch sie

bestimmt mit wegschicken.

Dann wurden wir wieder aufgerufen und mussten zu zweit antreten. Jetzt wurden

auch Männer dazu geführt. Mit vier Bewachern, einer vorn, einer hinten, einer links

und einer rechts, mussten wir das Dorf verlassen bei herrlichem Frühlingswetter. In

großer Hitze ermüdeten wir schnell. Das Ziel kannten wir nicht und wunderten uns,

dass wir über sandige Feldwege geführt wurden.

Im zweiten Dorf, das war Görlsdorf, durften wir mal Pause machen. Die Soldaten

tranken an der Pumpe Wasser. Wir durften nicht trinken. Es war ein ungewöhnlich

warmer Märztag. Wir hatten sehr Durst. Außerdem waren wir durch die Strapazen der

letzten Wochen erschöpft und trotzdem wagte niemand, Schwäche zu zeigen. Die

Wachen sprachen nicht mit uns und trieben uns ständig an.

Wir dachten besorgt an unsere Angehörigen und fragten uns in Gedanken, wohin

gehen sie mit uns? Wir kannten uns gegenseitig nicht. Wir durften auch nicht

miteinander reden. Der Anblick von Tierleichen. toten Menschen, zerstörten

Treckwagen, zertrümmerten Möbeln und anderen Sachen konnte die Stimmung nur

noch verschlechtern. Da ein zerbrochener Pferdeschlitten, daneben tote Pferde, ein

Wagen ohne Räder, auf dem Feld Betten, von denen die Federn weit zerstreut lagen,

denn alles war auseinander gerissen worden. Mir lief beim Anblick dieses Elends eine

Gänsehaut über den Rücken, und ich war wieder den Tränen nahe.

Auf dem weiteren Weg machten wir hinter Rufen nochmals im Wald Mittagsrast. Wir

tranken aus einer Pfütze Wasser und aßen etwas Brot. Nach einer Weile Ruhe

mussten wir weiter über Schildberg nach Soldin laufen. Wir schleppten uns völlig

matt auf den Marktplatz. Dort kauerten wir, von den Posten bewacht, am Bürgersteig.

Endlich wurden wir in das ehemalige Rathaus geführt, vor dem Gräber von

gefallenen russischen Soldaten eingezäunt waren. Durch den Haupteingang des

Rathauses führte man uns auf einen dunklen und für uns wohltuenden kühlen Flur bis

zu einer breiten Holztreppe.

An einer schmalen Seitentreppe hinter einem Pfeiler entdeckte ich einen Regulator,

der die Zeit 17 Uhr anzeigte. Ein langer Gang führte zu einem großen Fenster. An den

Seitenwänden gab es viele Türen zu Räumen, die mit Nummern versehen waren. Man

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merkte, dass viele Menschen in den Räumen sein mussten. Das beklemmende Gefühl

und die große Unsicherheit spürte man überall. An der Treppe mussten wir warten

und wurden wieder einzeln mit Gepäck zum Verhör gerufen.

In der Mitte eines kleinen, hellen und kahlen Raumes saß an einem Schreibtisch ein

Offizier, der mich ausfragte. Personalien, Tätigkeiten und Angehörige wollte er genau

wissen. Inzwischen griffen zwei Soldaten in meine Strohtasche und räumten sie ohne

zu fragen hinter meinem Rücken aus. Sachen, mit denen ich mir hätte, das Leben

nehmen können wie Messer, Gabel, Schere, Nadeln, Stopfgarn, Bänder,

Schnürsenkel, Gürtel und Spiegel, aber auch wertvolle Kleidung nahmen sie weg.

Einen Pullover und sogar meinen Kamm ließen sie mitgehen. Ich ärgerte mich

darüber sehr. Vor allem fehlte mir der Kamm sehr, denn ich hatte lange Zöpfe und die

Körperpflege war uns auch in dieser Umgebung wichtig, oder gerade besonders

wichtig, wegen der vielen Gefahren von Ungeziefern und Erkrankungen. Auch unser

seelisches Leiden konnte uns nicht davon abhalten.

Dann wurde ich mit den übrig gebliebenen in die Tasche geworfenen Sachen nach

oben in ein leeres großes Zimmer mit breiten, hohen geöffneten Fenstern geführt, wo

schon ein Mädchen auf mich wartete. Wir kannten uns nicht, aber allein war sie

voller Angst, und so fühlte sie sich etwas besser. Allmählich trudelten all die anderen

weiblichen Personen ein.Der einen fehlte dies und der anderen jenes. Wir

versprachen, uns gegenseitig zu helfen.

Aus dem Fenster blickten wir genau in die gegenüberliegenden Häuser, deren Fenster

auch durch das warme Wetter geöffnet waren. Aus diesen sahen russische Soldaten

neugierig zu uns herüber und lachten. Zwischen den Fenstern in unserem Raum stand

ein großer Spiegel. Sonst war das Zimmer leer. Wir saßen auf dem Fußboden. Es war

schon abends und ich öffnete meine langen Zöpfe und frisierte mich mit einem

geborgten Kamm.

Plötzlich trat ein Soldat ein und musterte uns alle. Dann sollte ich mitkommen.

Immer fürchtete man sich wieder sehr. Was will er von mir? Er führte mich den Gang

lang und eine Treppe hinauf, auf welcher Gardinen, Kleider, Decken und Handtücher

schmutzig herum lagen. Er suchte etwas, fand aber nichts und stieg mit mir bis zum

Boden. Dort hob er Reste von einem Bettbezug auf und gab sie mir. Dann ging es ins

Zimmer zurück und ich musste einen Ölfleck auf dem Boden entfernen. Danach

musste ich in seiner Begleitung den Lappen zurückbringen und einen Teppich mit

ihm ins Zimmer tragen. Er hatte die ganze Zeit seine Freude an meiner Angst vor

ihm. Gesprochen hat er nicht mit mir.

Auf dem alten, stumpfen Teppich richteten wir unser Nachtlager ein, als wieder

Russen eintraten und uns durch Winken zu verstehen gaben, dass wir alle mitkommen

sollten. Schnell nahmen wir unsere paar Sachen und folgten ihnen in die untere

Etage. Auf dem langen Gang mit den vielen Türen warteten wir, bis einer die Tür

neben einem großen Fenster öffnete. Schnell hinein! Ein kahler düsterer Raum

machte uns noch bedrückter. Viele Bänke lagen nebeneinander auf denen quer Bretter

lagen. Links stand ein kleiner blauer Tisch und ein Stuhl. Rechts war der blaue

Türrahmen zu einem offenen zweiten Raum, der ebenfalls mit Bänken und Brettern

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darauf ausgestattet war. Ein Posten zeigte auf die Bretter, dass wir an nahmen, hier

werden wir die Nacht verbringen müssen. Wir machten es uns, so gut es ging,

bequemer.

Zwischen den Fenstern fand ich meinen Platz. Immer mehr Frauen und Mädchen

wurden in die beiden Zimmer geführt, sodass es bald sehr eng wurde. Viele hatten

noch mitgebrachte Verpflegung und wagten es, an die Vorräte zu gehen und den

Hunger zu stillen. Andere unterhielten sich, wieder andere kämmten sich, und einige

versuchten zu schlafen. Niemand wusste, was werden sollte. Nur wenige kannten sich

schon vorher. Ich hatte noch keine Bekannten dabei. Allerdings erfuhr ich später, dass

einige mich kannten und wussten, wer meine Eltern sind. Sie sprachen mich nicht an,

aber es sprach sich schnell herum.

Die Stimmung unter den Menschen kann man nicht beschreiben. Weinen,

Vorsichhinbrüten, leises Erzählen, Misstrauen gegen andere, es war unheimlich. Spät

abends gab es noch einen Schluck Kaffee - Muckefuck. Dann wurden wir in

Grüppchen, von zwei Posten bewacht, zur Toilette auf dem Marktplatz geführt.

Das war etwas Besonderes für uns, deshalb muss ich es erwähnen. Dreimal am Tag

wurden wir dort hingeführt. Das war für die vielen Ernährungsstörungen sehr

wenig.Die Männer wurden sogar nur zweimal am Tag zur Toilette geführt. Auch

wenn man es sehr eilig hatte, lief man langsam, da unten aus den Fenstern Frauen und

oben Männer und Burschen sahen. Man freute sich über jedes bekannte Gesicht, das

man entdecken konnte. Man fühlte sich nicht so ganz verlassen. Man rief sich etwas

zu, fragte nach anderen. Manche konnte man kaum wieder erkennen, weil sie

abgemagert waren und die Männer Bärte hatten. Wir warfen uns aufmunternde Worte

zu und fragten nach Verwandten.

Dass wir Frauen im unteren Teil des Hauses untergebracht waren, hatte den Grund

der Sicherheit. Frauen fliehen nicht so schnell. Am nächsten Morgen bekamen wir

eine dünne Kartoffelsuppe und zwei Scheiben Brot. Einige Frauen wurden wieder

zum Verhör geholt, und wir anderen schliefen weiter, erzählten oder sahen zum

Fenster hinaus.Mittags gab es etwas Kaffee, natürlich keinen Bohnenkaffee, den gab

es im Krieg kaum. Abends bekamen wir wieder Kartoffelsuppe und zwei Scheiben

Brot. Dieses Essen war unsere regelmäßige tägliche Mahlzeit, ohne Abwechslung.

Egal, wenigstens etwas im Magen.

Die Männer bekamen nur einmal am Tage die Suppe. Immer mehr Menschen wurden

eingeliefert, in der Mehrzahl Frauen. Ich fühlte mich zunächst sehr einsam, da ich

niemand aus unserem Bekanntenkreis fand. Doch endlich wurde das anders. Aus der

Nachbargemeinde Schildberg wurde die Frau vom Förster Damm mit drei jungen

Mädchen Helga Weiß, Ursel und Ilse Brauer eingeliefert. Frau Damm im Alter von

32 Jahren kannte meine Eltern gut. Ihr Mann war immer zur Jagd in Dobberphul

eingeladen. Sie hatte mich nie gesehen, erfuhr aber von anderen, dass ich eine Richter

bin. Da sie mich allein sitzen sah, sprach sie mich an und nahm mich in ihren Kreis

mit hinein.

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Links :

Frau

Martha

Damm,

genannt:

Putty

Rechts:

Gisela

(Diese Freundschaft hat ein Leben lang gehalten! Aufnahme von 1991)

Ich bin ihr noch immer dankbar dafür und habe auch später bis zu ihrem Tode den

Kontakt zu ihr behalten. Sie hat uns Mädel wie eine Mutter betreut, obwohl sie selber

keine Kinder hatte.

Hier möchte ich ihre Geschichte bis zu unserem gemeinsamen Leidensweg ein

flechten. Am 31.01.1945 hatten Damms in Schildberg den ersten Panzerbeschuss,

also der Feind war da, die Panik begann. Bis zum 16.März konnten sie sich im Wald

verbergen.

Der Förster, ihr Mann, hatte rechtzeitig einen Bunker gebaut. Dort versteckten sie

sich unter schwierigen Bedingungen. Das Kochen ohne Rauch war nicht möglich,

Feuer durften sie nicht machen. Sie hätten sich dadurch nur verraten.

Die Russen fanden sie natürlich und schossen in den Bunker. Sie vermuteten dort

deutsche Soldaten. Mit Rohöl getränkte Lappen warfen sie in den Bunkereingang. So

ergaben sich alle und wurden gefangen genommen.

Man sagte ihnen, dass sie nach Russland gebracht werden. Sie sollten aufbauen, was

die deutschen Soldaten zerstört haben. Im Ort trafen sie viele Bekannte, die auch

eingesperrt waren. Auf alle wartete das gleiche Schicksal. Bis zum 20.März mussten

sie auch Verhöre und brutale Behandlungen über sich ergehen lassen, besonders die

Vergewaltigungen der Frauen und Mädchen. Dann wurden sie auch nach Soldin, ihrer

Kreisstadt gebracht.

Da die Gefängnisse überfüllt waren, kamen sie auch zu uns in das Rathaus. Hier

begegneten wir uns nun. Der Förster selbst wurde, wie alle Männer, von seiner Frau

getrennt. Wir haben ihn noch in den ersten Tagen beim Toilettengang gesehen. Aber

dann war er nicht mehr dabei.

Später erfuhr ich, was geschehen war. Herr Damm hatte sich einem 15 jährigen

Jungen angeschlossen, der mit ihm zusammen in einem Raum war. Dieser war schon

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einige Male geflohen, aber immer wieder auf dem Weg zu seinem Heimatdorf

aufgegriffen worden. Bei seinem neuen Fluchtplan bot er Herrn D. an, ihn

mitzunehmen. Sie haben es wirklich geschafft.

Beim Toilettengang hat sich der Junge hingeworfen. In dem Moment konnte Herr D.,

der an der Außenseite ging, abhauen. In dem verabredeten Haus gegenüber vom

Rathaus versteckte er sich auf dem Boden, bis es dunkel wurde. Dann floh er über

einen Seitenweg zu seinen Eltern in Pommern bei Kolberg. Er schaffte es und kam so

nicht nach Russland. Der Junge wollte das später auch wieder versuchen. Es war eine

gute Tat, dass er dem Förster zur Flucht geholfen hat. Putty, seine Frau, erfuhr davon

erst nach Rückkehr aus Russland.

Am 26. März fuhren Lastwagen vor und wir Frauen und Männer wurden alle zu 20

Personen abgezählt, aufgeladen. Die Geschlechter wie üblich getrennt. Eigentlich

waren wir froh, dass wir aus den überfüllten Räumen herauskamen. Aber wohin

sollten wir? Niemand sagte uns etwas.

Es waren offene Wagen. Wir konnten nur stehen oder eng nebeneinander auf dem

Boden sitzen.Es war wieder viel kälter geworden. In einer kleinen Nebenstraße

wartete unser Lkw auf die anderen Wagen. Da brachten uns deutsche Frauen und

Kinder warme Getränke, Brot und anderes. Ich entdeckte unter ihnen eine

Klassenkameradin und rief ihr zu, dass sie Nachricht weiter an meine Mutter geben

möchte, dass sie mich gesehen hat.

Dann fuhren 13 Lkws voll beladen ab.Wieder suchten wir auf den Wagen nach

Bekannten und freuten uns, wenn wir jemand entdeckten. Man fühlte sich nicht so

verlassen. Gemeinsam lässt sich manches leichter tragen. Diese Erfahrung haben wir

alle reichlich gemacht.

Auf dem Wagen hatte nur der Posten einen Stuhl.Vorn beim Fahrer saß noch ein

Bewacher. So war es auf allen Wagen. Aus der Ferne hörten wir Kanonendonner. Wir

hatten wieder Hoffnung, denn weit konnte die Front nicht weg sein. Vielleicht werden

wir befreit? So fuhren wir auf der Landstraße Richtung Südosten. Ab und zu trafen

wir Gruppen gefangener deutscher Soldaten, die schweigend unter Bewachung sehr

erschöpft und zerlumpt an der Straße liefen. Immer winkten wir uns zu und

versuchten mit Zurufen uns Mut zu machen. Viele Dörfer rauschten an uns vorbei.

Viele abgebrannte Häuser dazwischen. Überall lagen Möbel, Haushaltsgegenstände,

Wagenreste und Tote zerstreut. So hatten Flüchtlinge versucht, sich und ihre

bescheidene Habe zu retten. Hier wurde auch das Letzte zerstört. Wir fuhren durch

ein völlig verwüstetes Stück Deutschland.

Vor einer Stadt hielten alle Wagen an. Wir Frauen durften nur einzeln absteigen und

verschwinden. Dabei fanden wir noch gebrauchsfähige Kleidung und Wäschestücke

in oder hinter den Häusern, die viel Not lindern halfen. Für die Frauen, die kaum

warme Sachen hatten. Wir erinnern uns, dass es bei der Festnahme sehr warm war.

Die Männer durften nicht absteigen und wir durften nicht zu ihnen an die Wagen. Sie

waren bisher sehr schlecht verpflegt worden. viel schlechter als wir Frauen und baten

uns durch Zurufe um Brot.

So schmierten wir Brote. Wer bringt sie den Männern?. Wir überlegte, dass nur ich

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als Jüngste versuchen könnte, sie den Männern zu bringen. Ich erklärte unserem

Posten, was ich vorhatte. Er war nicht unfreundlich und erlaubte es mir. Die anderen

Wachen zielten aber sofort mit dem Gewehr auf mich. Ich schüttelte mit dem Kopf

und zeigte auf den Wagen mit dem Brot in der Hand. Sie schimpften und wollten

mich zurückschicken, aber ich ging ruhig an den Wagen und ließ mich nicht

einschüchtern. Dann konnte ich mehrmals hin und her laufen und Brote verteilen. Die

Männer haben sich mit Tränen in den Augen für eine Scheibe Brot mit Schinken

bedankt.

In dieser Notzeit hatte diese kleine Gabe einen hohen Wert, sodass Herr Mahrenholz,

als er später aus Russland zurück war, an meine Mutter eine Karte schickte. Er hatte

zufällig ihre Adresse erfahren und bedankte sich, dass ich ihm auf dem Weg nach

Schwiebus unter Lebensgefahr Brot gebracht hätte.

Im nächsten Ort, das war Schwiebus, kamen von allen Seiten Kolonnen mit Frauen

und Männern gelaufen in Begleitung von Bewachung. Wir fuhren auf einen hohen

Bretterzaun zu und hielten davor. Nach längerer Wartezeit kam Befehl zum Absteigen

und dann mussten wir, fünf Personen in der Reihe, antreten. Wir wurden gezählt und

durch ein Tor in den Hof geführt. Noch einmal zählen. Wieder stehen und warten.

Morgens hatten wir noch die alltägliche Suppe und sonst nur Brot essen können. Wir

waren hungrig, müde und sehr bedrückt. Immer mehr Menschen wurden in den Hof

gebracht, es war unheimlich. Viele Polen in Zivil mit roten Armbinden und einem

Knüppel in der Hand liefen umher und sahen uns schadenfroh an.

Ein russischer Kommandant, ein Dolmetscher und mehrere Wachposten musterten

uns. Nach einer Liste wurden wir aufgerufen. Mit Sack und Pack musste man

vorspringen, sein Geburtsjahr und den Namen des Vaters sagen und dann in die

Scheune rennen. Wir liefen den Posten nicht schnell genug und schon schlugen sie

mit den Knüppeln auf uns ein. Sie machten keinen Unterschied zwischen Frauen und

Männern. Als ich weinend in die Scheune kam, stand ich in einem Menschengewirr

und wusste nicht, was geschah. Wachen und Menschen durcheinander.

Die Posten wühlten in Gepäckstücken, und ehe ich mich besann, sagte einer zu

mir :"Frau, komm!“„Nein!“ rief ich entsetzt, doch schon riss er mir die Strohtasche

aus der Hand. Die Decke flog raus, die Geldtasche mit 5 Mark, der Porzellanteller

und die Tasse, alles musste raus. Einiges wurde weggenommen, das andere durfte ich

wieder zusammen suchen. Dann musste ich meine Personalien wieder angeben. Was

war ich froh, dass ich meine Decke noch hatte.

Als ich die Scheune verlassen durfte, wusste ich nicht, wohin in der Dunkelheit.

Doch sofort riefen mich die Frauen zu sich, denn schon war wieder ein Posten mit

Stock hinter mir her. Schnell stellte ich mich mit in die Fünferreihe. Vor unseren

Augen wurden die Männer dann noch schlimmer behandelt. Sie kamen fast nackt

heraus, weil sie sich ganz ausziehen mussten. Sie wurden herum gejagt. So trugen sie

ihre Sachen über dem Arm, und in der Dunkelheit wussten sie nicht, wohin sie

sollten. Die Posten schlugen sofort mit den Knüppeln zu. Sie wurden auch mit den

Köpfen gegeneinander gestoßen und angebrüllt. Ich konnte das nicht mit ansehen und

weinte bitterlich. Frauen neben mir stießen mich an, ich solle aufhören, denn sonst

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werden sie noch gröber, aber ich war so fertig, ich konnte nicht aufhören. Es war ein

so schrecklicher Anblick, wenn die Männer mit schmerzverzerrtem Gesicht sich bis

zum Zusammenbruch schlagen und treten lassen mussten. Wir waren Zeugen und

konnten nichts dagegen tun.

Als ich ziemlich heftig schluchzte, trat ein tschechischer Soldat mit heiserer Stimme

auf mich zu und fragte:"Wie alt bist du?“ Als ich ihm mein Alter sagte, meinte er:“

Armes Mädel, ihr habt das nicht verdient, aber die Männer. Eure Männer können

nicht genug bestraft werden. Diesen Hitlermännern verdankt ihr das alles. Die

deutschen Frauen sind unschuldig!“So, danach wurden wir auch behandelt!“

Als alle Männer und Frauen angetreten waren, wurden wir Gruppenweise in

Baracken geführt. In unserer Baracke waren wir etwa 150 Frauen. Eng lagen wir

nebeneinander auf Holzpritschen. Bald schliefen wir sehr abgespannt ein. Am

nächsten Morgen stellte ich fest, dass die Baracke noch ziemlich neu war. Es waren

oben und unten Bretter aneinandergereiht, auf denen wir ohne Unterlage geschlafen

haben. Einige Frauen waren schon auf und aßen von mitgebrachten Lebensmitteln.

Allmählich wurden alle wach.

Wir saßen den ganzen unendlich langen Tag in der Baracke, durften nicht raus und

dachten sehnsüchtig an unsere Lieben in der Ferne. Wir machten uns Sorgen um

unsere Zukunft. Früh gab es eine Graupenkartoffelsuppe und etwas Brot. Abends

bekamen wir Kartoffelsuppe. Mein Appetit war so schlecht, dass ich nicht mit zum

Essen ging. Das Warten kostete Nerven. So war die Stimmung sehr wechselhaft. Die

Eintönigkeit und die Ungewissheit waren unerträglich.

Nicht nur Deutsche gab es im Lager. Das merkten wir erst, als wir zum Essen gehen

mussten, außerhalb der Baracke. Franzosen, Polen und Tschechen wurden auch

gefangen gehalten. Bei den Mahlzeiten kamen wir mit ihnen ins Gespräch.

Hier traf ich Franzosen, die in Rufen als Kriegsgefangene beim Bauern gearbeitet

haben. Jeden Morgen, wenn wir auf dem Schulweg mit dem Fahrrad zum Bahnhof

fuhren, grüßten wir uns. Sie liefen frei zur Arbeit. Nun trafen wir sie in diesem Lager

wieder und waren sehr erstaunt. Gemeinsam verstanden wir nicht, dass auch sie

gefangen gehalten wurden. Auch junge sehr gut deutsch sprechende Polen gehörten

zu den Verhafteten.Wir haben uns wie Freunde unterhalten. Warum haben die

Bewacher sie wie Feinde behandelt?

Auch hier war der Toilettengang 3 x am Tage unter strenger Bewachung nur möglich.

Das WC war eine Grube, über die Bretter lagen. Das Ganze war von einem

Bretterzaun umgeben, es gab keine Einzelzellen. Nur stehend konnte man die

Notdurft verrichten.

Jeden Morgen hieß es zur Zählung draußen in Fünfer reihen antreten. Zwei, drei und

auch viermal wurden wir gezählt. Man fürchtete immer noch, wir könnten ausrücken.

Das Lager war von einem hohen Stacheldrahtzaun umgeben. Es lag dicht an einer

Bahnlinie, die Richtung Posen führte, also Polen und Russland. Neben dem Lager

wurde oft geschossen, wahrscheinlich standen dort Flakgeschütze, Flugzeuge waren

über dem Lager täglich zu hören. Im Stillen hofften wir, dass wir befreit werden

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könnten. Bomben fielen dort nicht.

Verzweiflung löste sich in der Stimmung mit Hoffnungsträumen ab, und so

entstanden Gerüchte über Befreiung, weit ab von der Wirklichkeit. Wer nüchtern

nachdachte, war sich sicher, dass alle Vorbereitungen für eine Bahnfahrt getroffen

wurden.

Am 04. April wurden wir nun schon zum zweiten Mal an diesem Morgen zum Zählen

aus der Unterkunft geholt. Dann trat eine Dolmetscherin vor und sagte, dass wir zur

Arbeit fort kämen. Wer krank ist, solle vortreten. Sofort meldeten sich einige Frauen

und ich. 12 Frauen waren wir dann. Während die anderen wieder in die Baracke

durften, mussten wir von zwei Wachposten geführt, mitgehen.

Der Weg aus dem Lager heraus war weit. An einem abgelegenen Lager machten wir

halt. Die Dolmetscherin hatte uns noch gesagt, dass wir untersucht werden, und wer

gelogen hat, wird erschossen. In einem großen Raum mussten wir wieder warten.

Dann begann wirklich eine Untersuchung. Als ich aufgerufen wurde, kam ich zu

einer Ärztin. Die Dolmetscherin fragte mich nach meinen Beschwerden. Ich erklärte

ihr, dass ich durch die Vergewaltigungen Bauchschmerzen hätte. Die Ärztin

untersuchte mich tatsächlich genau. Alle wurden untersucht. Ergebnis: Einige

schwanger, einige geschlechtskrank, manche waren auch beides. Es gab viel Tränen.

Nur drei waren wir, die nicht krank waren.

Wir drei mussten mit zur Wache kommen. Viele Soldaten mit auf gepflanztem

Gewehr standen um uns. Es war unheimlich. Die beiden anderen Mädchen weinten.

Ich überlegte mir, was ich sagen würde, wenn man uns überhaupt fragt.

Nach mehrere Stunden kam ein Dolmetscher, der gebrochen deutsch fragte:"Warum

habt ihr gelogen?“Ich antwortete empört:"Gelogen?“Wir sind alle von den Soldaten

vergewaltigt worden und haben Schmerzen. Wir sind froh, dass wir nun wissen, dass

wir nicht krank sind!“ Lange verhandelte er mit den Soldaten und dann mussten wir

mitgehen. Wohin? Wieder zurück in das Lager zu den anderen. Ich hatte so gehofft,

dass ich vielleicht nicht mit nach Russland durch die Krankmeldung musste.

Inzwischen waren die anderen schon in Gruppen eingeteilt in Waggons verladen

worden.

Wir erfuhren später, dass jeden zweiten Tag ein Zug mit 1500 bis 2000 Menschen

Richtung Osten abgefahren war. Ich musste mit den beiden Mädchen in den letzten

Wagen einsteigen. Meine Bekannten saßen im vorletzten Wagen, was ich durch

Zurufen erfuhr. Die neun kranken oder schwangeren Frauen mussten nicht mit. Es

schmerzte zwar, dass ich nicht mit meinen Bekannten zusammen sein konnte, doch

ihre Nähe im Zug tröstete mich etwas.

Unser Wagen hatte die Nummer 12. In jedem Viehwagen saßen 42 bis 45 Personen

eingesperrt. In den ersten Wagen hinter der Lok waren die Männer untergebracht. Da

konnten sie diese besser beobachten. Im Inneren der Wagen gab es zwei Etagen.

Oben lagen Bretter. Unten hatte man etwas Stroh an den Seiten verteilt. Ich kletterte

sofort auf die obere Etage und an die Luke. Das hatte einen großen Vorteil, man hatte

frische Luft und man konnte hin aussehen.

Drei Wochen mussten wir nun ohne Tageslicht verbringen in diesem Raum Das

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wussten wir aber damals nicht. In der Mitte des Raumes stand ein kleiner Ofen, der

aber nicht benutzt werden konnte. Die Toilette bestand aus einem viereckigen Loch in

der Außenwand des Wagens. In das Loch waren zwei Bretter schräg zueinander

geschoben, die mit Gefälle nach außen zeigten. Die Frauen, die dort in der Nähe

lagen, waren immer unangenehmen Gerüchen ausgesetzt.

Ich fand ganz schnell Anschluss an Ira, einer Dolmetscherin. Sie kannte niemand im

Wagen. Sie stammte aus Polen und konnte sich deshalb mit den Posten verständigen.

Heute begreife ich nicht mehr, dass wir damals gesungen haben, als die Tür fest

verriegelt worden war. Was sangen wir? Alle Lieder, die uns einfielen auch das

Nationallied. Wir glaubten, dass wir vor Posen schon befreit werden könnten. Die

Posten polterten gegen die Tür, wir sollten ruhig sein. Auch aus allen anderen Wagen

hörten wir Gesang.

Dann setzte sich der Zug in Bewegung. Jemand meinte, dass wir 1600 Menschen,

davon 1000 Frauen und 600 Männer seien. Die Frauen im Alter von 14 bis 59 Jahren

und die Männer im Alter von 13 bis 82 Jahren, allerdings fehlten die mittleren

Jahrgänge, die Soldaten waren. Nur einige Kriegsbeschädigte waren dabei. Einen mit

steifen rechten Arm lernte ich später kennen, der mir das noch bestätigte.

Das Erwachen am nächsten Morgen war bitter. Wir an der Luke stellten fest, dass wir

schon hinter Posen waren. Keine Befreiung. Viele weinten vor Verzweiflung. Hunger

und das erbärmliche Lager im Waggon taten das Ihrige dazu.

Einmal am Tag bekamen wir Graupenbrei im Kübel hinein gereicht. Niemand

kümmerte sich darum, wie wir das essen, ein Glück, dass wir Frauen fast alle ein

Gefäß, wie Tasse, Teller oder Becher und einen Löffel hatten. Ältere Frauen teilten

das Essen aus, damit alle ihren Anteil bekamen. Der Brei war sehr stark gesalzen.

Außerdem war er sehr dick und nicht ab geschmeckt. Jeden Tag bekamen wir das

Gleiche. In den ersten Tagen gab es auch etwas Kaffee, leider nur wenig.Täglich

wurden uns zwei Scheiben hartes geröstetes Brot und zwei Würfelzucker zugeteilt.

Der Gedanke an die Männer ließ uns nicht los. Wie sollten sie die Graupen essen?

Ohne Besteck, ohne Gefäße? Wer kann das einteilen? Werden sie bei dem Essen die

Fahrt überstehen? Es waren nicht unsere Angehörigen und doch sorgten wir uns um

sie.

Später erfuhren wir, dass sie mit den Händen Essen schöpften, weil sie so aus

gehungert waren. Es hat aber mancher weniger bekommen, weil andere stärker

waren.

Jeden Morgen wurden wir gezählt. Dabei mussten alle auf die eine Seite des Wagens

und dann auf die andere Seite des Wagens laufen. Wir nannten das unter uns

"Viehzählung“.Immer, wenn die Tür geöffnet wurde, standen mehrere Posten mit

Gewehr im Anschlag bereit. Man fürchtete, dass jemand zu fliehen versucht.

Ira, eigentlich Irene, wurde oft zum Dolmetschen geholt. So erfuhr ich aus erster

Hand Neuigkeiten. Wir verstanden uns gut und teilten meine Decke. Ich denke noch

mit einem Gefühl der Freundschaft an sie, weiß aber leider nicht, was aus ihr

geworden ist.

Am schwersten trugen die Männer ihr Schicksal. So wurde Ira gerufen bei Verhören

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von Mitgefangenen über Selbstmord. Es hatte jemand sein Hemd in Streifen gerissen

und sich aufgehängt. Niemand hätte das gemerkt. In anderen Fällen wurden

Ausbruchsversuche befürchtet. Bei diesen Gängen zum Dolmetschen kam sie mehr

mit den Soldaten ins Gespräch. So brachte sie manchmal Bonbons mit, die sie von

gütigen Russen bekam. Sie teilte diese mit uns in ihrer Nähe. Auch Zuckerstückchen

und Brot brachte sie mit, immer teilte sie mit uns. Wenn der Zug hielt, sprach sie mit

den Posten, die sofort draußen vor allen Wagentüren standen, obwohl alle Türen

verriegelt waren. Nur einige ließen sich von Ira anreden.

So erfuhren wir auch, wo wir ungefähr waren und hielten. Ein Posten war immer

besonders nett. Er reichte uns einmal mit einer Stange etwas von seiner wunderbaren

Suppe herauf, die aus Brühe mit Gemüse, Reis und Fleisch bestand. Jede von uns

durfte einige Löffel nehmen. Es war für uns eine Delikatesse. Dieser Soldat reichte

uns auch mal Wasser rauf, als wir sehr durstig waren. Er sah sich immer erst um, ehe

er etwas rauf reichte. Wir wissen nicht, wer das nicht sehen durfte. Der Kommandant

war es sicher nicht, denn mit ihm hatten wir noch positive Begegnung.

Die Fahrt durch Polen verlief relativ ruhig. Nur ab und zu mussten wir uns ducken,

weil Polenfrauen Steine nach uns warfen durch die Luke. Doch mehr konnten sie uns

nicht antun. Da sehr viel Bahnverkehr lief in Richtung Osten durch Gefangenen- und

Möbeltransporte, aber auch Maschinen und nach Westen Waffen und

Soldatentransporte.Oft standen wir lange auf Strecken oder Bahnhöfen. Wir, an der

Luke, konnten den anderen im Wagen immer ganz gut weiter geben, was draußen zu

sehen war. Die anderen saßen nur im Dunklen, das tat mir manchmal Leid. Schlafen,

Weinen, Unterhalten, waren neben Kämmen die einzige Beschäftigung für alle.

Waschen gab es für uns alle nicht. Nur in der Mitte des Wagens konnten wir mal um

den Ofen laufen.

Wir hielten wieder länger in Brest-Litowsk in Bahnhofsnähe. Wir sahen Trümmer

und Verwüstungen, die Spuren des Krieges. Sehr schnell wurden wir umlagert von

Russenfrauen. Dick waren sie in Tücher eingehüllt, denn es war kalt. Eier, Brot und

Gemüseboten sie uns an. Ira sagte ihnen, dass wir nichts bezahlen können. Sie

wollten mein rotes Kopftuch für zwei Eier haben, aber schon wurden sie von

Soldaten weggejagt. Mit Gewehrkolben drohten sie, aber die Frauen wichen nur

langsam zurück. Man merkte.dass sie keine Angst hatten, denn bald kamen sie wieder

näher. Diesmal schlugen die Soldaten nach ihnen und sie verschwanden.

Es wurde dunkel und wir merkten, dass etwas geschah. Aber erst am nächsten

Morgen wurden wir mit unserem Gepäck ausgeladen. Es schien die Sonne. Wir

freuten uns, endlich Sonnenlicht zu erhaschen und frische Luft zu atmen. Aber beim

Hinaustreten wich die Freude, denn viele fielen in Ohnmacht und auch uns wurde

elend zumute. Schwäche war es vom langen Eingesperrt sein. Die Angst riss uns

hoch, bloß nicht allein zurück bleiben. Wir wurden umgeladen in einen anderen Zug,

denn in Russland hatten die Schienen eine andere Breite. Sofort wurden wir wieder

gezählt und dann die Wagen verriegelt.

Weiter ging die Fahrt nach Russland hinein. Die Verpflegung änderte sich, indem wir

jetzt klitschnasses Brot bekamen, das wir uns auf dem Ofen trockneten, wenn wir

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Holz zum Heizen hatten. Der Graupenbrei hat sich leider nicht verändert. Immer

noch so dick und salzig. Durst, Durst, das war eine Qual. Wir merkten, dass das viel

schlimmer ist als Hunger. Oft wussten wir uns nicht anders zu helfen, als dass wir

unsere Löffel und kleinen Becher durch Lukengitter hielten, wenn es regnete. In der

Not ist das eine Hilfe.

Als wir auf einer Station irgendwo hielten, regnete es in Strömen. Gegenüber stand

ein Zug mit russischen Soldaten, die grinsend herüber sahen. Aus Stolz haben wir

nicht einen Regentropfen aufgefangen, obwohl es uns schwer fiel.

Weiter nach Russland hinein, lag mehr Schnee. Ich muss hier hervorheben, dass die

zivile Bevölkerung in diesem Gebiet sich viel freundlicher uns gegenüber verhielt. Ira

bat sie, uns Schneebälle rein zuwerfen. Sie taten es sofort, ohne sich um die

schimpfenden Posten zu kümmern. Diese Menschen schienen ohne Hass, obwohl sie

den Krieg mit unseren Soldaten erlebt haben mussten. Sie warfen nicht mit Steinen,

beschimpften uns nicht, und hätten uns gern Eier und Gemüse verkauft.

Ira unterhielt sich öfter mit den Wachen von der Luke aus. Da sie bei jedem Halt

sofort vor den Wagentüren standen, nutzten wir die Gelegenheit, um zu erfahren, wo

wir waren. Es gab freundliche und sehr unfreundliche Posten.

Da geschah eines Tages etwas, was ich nicht vergessen kann. Die Wagentür wurde

geöffnet. Lauter Soldaten mit auf gepflanzten Gewehr standen an der Tür. Wir zählten

acht. Dann trat ein kleiner Offizier, mit einem Knüppel in der Hand, ein. Ira hatte von

ihm erzählt, dass er ein gemeiner Bursche sei, Sie fürchtete ihn sehr. Was nun

geschah, konnten wir nur sehen, denn was Ira und der Russe im heftigen

Wortwechsel sprachen, verstanden wir nicht. Ich ahnte nichts Gutes, denn der Kerl

sah wie ein Verbrecher aus und führte sich so auf. Schließlich kam Ira von ihrem

Lager runter in die Mitte des Wagens und zog ihren dicken Pelz aus. Immer noch

sprachen beide heftig aufeinander ein, bis der Kerl mit seinem Knüppel auf sie brutal

einschlug. Wir schrien auf, nicht aber Ira. Sie ließ die Prügel über sich ergehen und

stöhnte nur leise. Wir mussten das mit ansehen, und konnten nicht helfen jedem, der

sich näherte, drohte er sofort auch. Dann ging der Kerl.

Ich half Ira auf ihren Platz und bettete sie auf ihrem Pelzmantel. Jetzt wimmerte sie

leise. Sie war so geschlagen worden, dass sie kaum liegen und nicht sitzen konnte.

Erstaunlicherweise beruhigte sie sich doch bald und erzählte uns alles.

Ein Posten hätte ihm gemeldet, sie hätte gesagt, dass alle Russen Schweine sind. Nie

hat sie das gesagt. Es war sicher nur ein gesuchter Vorwand, weil sie bei den

Verhören nicht für ihn willig war.

Am Nachmittag des gleichen Tages rösteten wir gerade unser Brot. Ira stand neben

mir, nachdem sie etwas geschlafen hatte. Auf einmal sagte sie;“ Gisela, bitte halte

mich!“ Schon lag sie mit schweren Krämpfen in meinen Armen. Sie hatte Schmerzen

in der Herzgegend. Wir legten sie wieder auf ihr Lager, öffneten die Kleider, rieben

die Fußsohlen und die Arme, die ganz steif waren. Wie konnten wir ihr helfen? Wir

wagten kaum, sie zu berühren, denn der ganze Körper war geschwollen von den

Schlägen. Als sie zu sich kam und ruhiger war, bat sie um Wasser. Keinen Tropfen

hatten wir. Als wir mit unseren wenigen Brocken russisch den Posten um Wasser

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baten, wurden wir abgewiesen. Beim Schildern erscheint die Sache ganz kurz, aber

das Drama hat Stunden gedauert. Um Wasser haben wir richtig gebettelt. Und dann

unsere Stimmung! Es war zum Verzweifeln.

Nach diesem Zusammenbruch erholte sich Ira nur langsam. Sie schlief meistens nur,

eigenartigerweise wurde sie lange nicht zum Dolmetschen geholt. Erst nachdem wir

schon in Smolensk waren. Holte man sie wieder. Sie ging auch mit, obwohl wir ihr

abrieten. Sie hatte Angst vor neuen Schikanen.

Was war jetzt geschehen. Es waren 3 Männer aus einem Wagen geflohen. Wir waren

sprachlos, wie das möglich war. Sie hatten vor den Kontrollen heimlich aus einem

Taschenmesser eine winzige Säge heraus gebrochen. Bei den vielen Durchsuchungen

übersah man das. Schon das war für uns kaum fassbar. Wie konnten sie bei den

strengen Durchsuchungen der Männer, die sich nackt ausziehen mussten, die Säge

schmuggeln. Mit diesem Minigerät haben sie aus der Außenwand ihres Wagens in

mühevoller Kleinarbeit ein Brett heraus gesägt, das so groß war, dass sie

nacheinander heraus konnten. Alle anderen Männer im Wagen behaupteten, nichts

davon gemerkt zu haben. Bei den Verhören musste Ira dolmetschen. Die Russen

waren zwar misstrauisch und laut, aber geschlagen wurde niemand. Ob die

Ausbrecher wieder eingefangen wurden, ist uns nicht bekannt. Die Soldaten waren

sehr empört darüber und bewachten die Männer noch strenger.

Weiter rollten wir nach Russland hinein. Überall Trümmer an der Fahrstrecke.

Behausungen von Menschen sahen wir kaum noch. Auch die Bahnhöfe waren nur

Ruinen. So fuhren wir in die Nähe von Moskau. Es war wohl ein Vorort. Ira wusste

das immer, weil sie die Schilder lesen konnte. Wir hielten wohl auf einem

Güterbahnhof. Lange standen wir dort. Es wurde dunkel. Spät am Abend wurde uns

mitgeteilt, wir sollten uns mit dem Gepäck bereithalten. Schnell sammelten wir

unsere Habe und horchten, was hier vor sich ging. Immer hatten wir Angst. Es schien

so, als ob ausgeladen wurde. Als Letzter öffnete sich unser Wagen. Einzeln mussten

wir mit Gepäck raus und sofort zu dritt anstellen. Wir wurden wie immer sehr

angetrieben. Es ging über viele Schienen in stockdunkler Nacht irgendwo hin. Durch

das lange Liegen oder Sitzen waren wir schwach. Die Glieder konnten wir kaum

bewegen. So warfen einige Frauen ihr Gepäck weg, weil sie froh waren, wenn sie in

dem Tempo mithalten konnten. Niemand wollte allein zurückbleiben. Die Nähe des

anderen Mitleidenden allein gab einen kleinen Trost.

Endlich betraten wir ein Gebäude. Wir betraten einen großen Vorraum mit guter

Beleuchtung. Ira wusste schon, dass wir gewaschen und entlaust werden sollten. Wir,

das heißt Ira, einige andere Frauen und ich, eben die, die dicht nebeneinander im

Wagen lagen, hatten noch keine Kleider- und Kopfläuse. Wir wussten aber, dass wir

im Wagen ein total verlaustes Mädchen hatten. In ihrer Ecke waren schon andere

damit angesteckt worden. Schützen konnte man sich davor schwer. Täglich sahen wir

uns gegenseitig die Köpfe nach und die Kleidung. Hier sollten wir uns endlich mal

reinigen können, und unsere Kleidung vor Ungeziefer geschützt oder davon befreit

werden. Wir waren aber ziemlich teilnahmslos, denn wieder mussten wir lange

warten und fühlten uns sehr elend.

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Ira stand neben mir, als sie von einem Offizier angesprochen wurde. Sechs Frauen

wollte er zum Wasser tragen haben. Als Ira ihm einige freiwillige Frauen mitgab,

fragte er:"Warum gehst du nicht mit?“ Sie antwortete:"Ich bin krank!“"Nanu, was

hast du?“ fragte er auf russisch. „Ich bin geschlagen worden!“ Er war sehr

erschrocken. Ira zeigte ihm die völlig bunt gefärbten und geschwollenen Stellen am

Körper. Er wurde zornig. Ira sagte uns dann, dass der Täter seine Strafe bekommen

würde. Der Offizier, der zur Transportleitung gehörte, schien wirklich ernstlich böse.

Endlich durften wir in den Umkleideraum. Alles mussten wir ausziehen und mit

Bügeln auf einen rollenden Ständer hängen. Da alles angeschlossen werden konnte

und mit Nummern versehen war, würden wir unsere Sachen wieder bekommen. Auch

hier bewachten uns Soldaten. Dann führte man uns in eine große Halle, die sogar

etwas warm war. Durch offene Seitenwände voneinander getrennt, gab es unzählige

Duschen, die zentral angestellt waren. Schnell wuschen wir uns. Auch hier sahen uns

die Männer ungeniert zu. Glückliche, die Seife hatten, gaben allen diese weiter.

Eigene Handtücher hatten fast alle noch selbst. Hier wurde der ersten Frau der Kopf

kahl geschoren. Sie soll völlig verlaust gewesen sein.

Nach längerem Warten bekamen wir unsere Kleidung wieder. Zum Abtöten von

Ungeziefern waren sie in einem überhitzten Raum. Wir hatten Bedenken, dass das

wirkungsvoll sein soll, weil die Kleidung sehr dicht ohne Zwischenraum

zusammenhing. Nach dem Anziehen und Zählen der Menschen, ging es zurück in den

Zug. Die Wagen sollen inzwischen auch gereinigt worden sein. Davon haben wir

nichts gemerkt. Bald lagen wir wieder auf unseren alten Plätzen unter Verschluss.

Bei Tagesanbruch fuhren wir weiter nach Norden. Das erkannten wir an der Sonne.

Wohin werden wir gebracht? Die Stimmung war wieder niederschmetternd, viele

weinten. Es trat eine bedrückende Stille ein. Bei der nächsten Ungezieferkontrolle

stellte ich die ersten Läuse fest. Sechzehn Stück zählte ich. Sie saßen in meinem

Wollkleid. Ihnen war die Hitze wohl sehr gut bekommen. Vorher hatte ich keine und

nun gleich so viele. Meine Nachbarinnen und auch Ira stellten das Gleiche fest. Wir

waren verärgert, schafften es aber, nach einigen Tagen frei zu sein davon.

Durch Iras Dolmetscherei kamen wir bald dahinter, dass wir Richtung Archangelsk

fuhren. Jetzt war die Bahnlinie fast nur einspurig. An der Verpflegung änderte sich

nichts. Auch die Viehzählung wurde bei behalten.

Wir hatten Moskau kaum verlassen, als wir durch die Luke sahen, dass der kleine

Schläger von Ira auf unseren Wagen zu humpelte. Nicht nur das, auch eine

verbundene Hand hatte er. Ira fürchtete sich so, dass sie sich schlafend stellte. Er

schloss den Wagen auf und rief nach Ira. Erst rührte sie sich nicht. Er sprach auf sie

natürlich russisch ein, da schnellte sie hoch und antwortete ihm empört. Nachher

berichtete sie uns, dass der Kerl wohl sich entschuldigen sollte, aber wieder frech

gewesen sei. Nach einem weiteren heftigen Wortwechsel reagierte Ira einfach nicht

mehr und er ging. Jeder Leser wird sich vorstellen können, dass wir der

Auseinandersetzung sehr ängstlich zugesehen haben. Ira hatte sich einen Moment wie

schutzsuchend an mich geklammert. Ich hatte mir vorgenommen, den Kerl nicht

wieder an sie heran zulassen. Als er fort war, weinte Ira heftig.

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Durch die Luke konnten wir uns immer über das Landschaftsbild informieren. Noch

sah man ab und zu Trümmer des Krieges. Auf Bahnhöfen erwarteten uns Bäuerinnen

mit Lebensmitteln zum Tauschen oder Verkaufen, wenn der Zug hielt. Diese

Menschen waren ärmlich gekleidet. Alle waren aber rundlich und freundlich. Wir

hatten so gar den Eindruck, dass sie in uns Freunde sahen. Sie sprachen auch mit Ira

und man spürte nichts von Hass. Je weiter wir nach Norden fuhren, um so mehr

Wald, ja Urwald, tauchte auf. Kurz hielt der Zug in Wologda. Dann ließ das

Fahrtempo noch mehr nach. Oft standen wir auf der Strecke.

Wir entdeckten in der Wildnis Postenhäuschen. Man kann sie mit dem Hochsitz der

Jäger vergleichen. Unsere Jäger beobachten dort Wild. Die Russen beaufsichtigen

von dort Gefangene. Es müssen dort schon Gefangenenlager sein. Diese Türme sind

immer in den Lagern an allen Ecken angebracht. Jeder Eckposten bewacht eine Seite.

Nachts wird die Seite mit sehr hellen Scheinwerfern angestrahlt. Später schildere ich

noch solche Lager genauer. Uns war klar, dass wir auch bald in solchen Lagern

landen werden.

Etwa 500 Km von Moskau wurden wir entladen. Erst die Männer, dann die Frauen.

Ich lief sofort zu meinen Bekannten, von denen ich in Schwiebus getrennt worden

war. Die Reste unseres bescheidenen Gepäcks in der Hand, zu fünf angetreten, liefen

wir unter Bewachung in die Wildnis hinein. Zurück blieben in den Wagen drei

verstorbene Männer. Vor den Wagen saßen oder lagen vier schwer kranke Männer,

die nachgeholt werden sollten. Eine Frau konnte nicht mehr laufen. Sie wollte nicht

zurückbleiben und bat uns weinend, sie mitzunehmen. Abwechselnd trugen wir sie zu

zweit. Die Bewacher ließen das ohne Probleme zu. Zeitweise war der Weg so schmal,

dass wir nur einzeln hintereinander gehen konnten. Wir ließen die Kranke nicht

zurück.

Vor einem großen Lager wurde angehalten. Es war das Lager Schangalin in

Ostkarelien (genaue Schreibweise ist mir nicht bekannt. Die üblichen hohen

Wachtürme und ein sehr hoher Holzbretterzaun kennzeichneten das Gefangenenlager.

Auf den Zaunspitzen gab es noch Stacheldrahtabschluss. Das breite Tor wurde

geöffnet. In Fünfer reihen wurden wir eingeschleust und dabei wieder gezählt. Sofort

wurden wir in Baracken eingewiesen. Männer und Frauen getrennt. Umsehen wollten

wir uns nicht, denn wir froren und hatten Sehnsucht nach Ruhe und Schlaf.

Da wir im Norden waren und es April war, lag dort noch viel Schnee, und es war

bitterkalt. Über dieses Lager habe ich nur unklare Vorstellungen. Hier war die

Enttäuschung so groß, dass wir seelisch fertig waren. Man wollte nichts sehen, man

fühlte sich hoffnungslos verloren. Ich weiß, dass es dort sehr lange und viele

Baracken gab. Alle waren voller Menschen. In den hinteren Baracken wohnten die

Männer und in den vorderen die Frauen. Es waren Lehmbauten. Als Fenster gab es

kleine Lichtöffnungen. Diese waren mit einem Etwas bekleidet, das wie Zellophan

aussah. Das war so dreckig, dass man nicht hindurchsehen konnte. Das Mobiliar im

Innenraum bestand aus Holzgestellen- Pritschen. Sie waren übereinander wie

Etagenbetten angeordnet. Ein kleines befestigtes schräges Brett sollte als Keilkissen

für den Kopf dienen. Das war alles. Decken, Matratzen werden sie fragen, liebe

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Leser? Nein! Wer eine Decke hatte, schien reich zu sein. Was war ich froh, eine

Decke zu besitzen. Dass wir keine Matratzen oder Strohunterlagen hatten, erwarteten

wir gar nicht mehr. Auf der Fahrt war es auch nicht anders.

Ich richtete mir mein Lager auf einer oberen Pritsche ein. Ich war eine der jüngsten

im Lager. Nun blieben Putty,( Frau Damm) Ursel, Ilse, Helga und ich zusammen. Wir

lagen auch nebeneinander. Da wir zwei Decken hatten, kamen wir ganz gut damit

aus, obwohl es sehr kalt in der Baracke.

Am 4. April fuhren wir aus Schwiebus ab und am 16. April kamen wir dort an. Um

diese Zeit ist es in Deutschland Vorfrühling. Dort oben aber über dem 60.

Breitengrad, nahe dem Weißenmeer und nördlichen Eismeer bei Archangelsk, war

noch tiefer Winter. Ohne Thermometer konnten wir nicht feststellen, wie viel Grad

unter Null wir hatten. Es lag über einen Meter Schnee und überall Eis.

In den Baracken gab es Steinöfen, die wir mit Waldholz heizten. Um weniger zu

frieren, lagen wir mit all unseren Kleidungsstücken auf den Pritschen und zogen nicht

einmal die Mäntel aus. Nebenbei gesagt gab es einige Frauen, die hatten keinen

Mantel mit, weil sie an einem warmen Märztag von der Arbeit weg geholt wurden.

Man hatte ihnen keine Gelegenheit gelassen, sich mit Sachen aus der Unterkunft

einzudecken, noch sagte man ihnen, dass sie weit wegkommen würden. Ohne

Strümpfe waren auch einige. Jede von uns hat nach Möglichkeit geholfen. Als

Notbehelf wurden aus Lumpen und Lappen Strumpfersatz = Fußlappen gemacht.

Schon in der ersten Nacht machten wir Bekanntschaft mit den ständigen

Schlafgenossen, den Wanzen. Dies lästigen Ungeziefer kroch uns uns sogar in Ohren

und Nasenlöcher. Wir Deutschen haben uns etwas dagegen einfallen lassen. Als wir

länger in Russland waren, kamen wir dahinter, wie wir an kochendes Wasser kommen

konnten. Wir gossen durch die Ritzen der Pritschen und in alle Hohlräume der

Baracken heißes Wasser, um damit Wanzen zu vernichten. Das half etwas.

In den ersten Tagen war es verboten, die Baracke zu verlassen. Nur auf die Aborte

durften wir gehen. Auf diesem Wege sah man sich erst mal um. In tiefem Schnee

steckte alles und es schneite noch weiter. So mussten wir täglich die Wege frei

schaufeln.

Die Männer wurden wie überall strenger bewacht. Sie durften in den ersten Tagen

keinen Kontakt zu uns haben. Es wurden in den Baracken Ämter verteilt. Zwei

Frauen hatten immer Stuben dienst, d.h., sie fegten den Raum. Zwei weitere Frauen

hatten das Heizamt, das in dem langen Raum kaum Wärme brachte. Mehrere Frauen

mussten Holz schlagen und andere Wege frei schaufeln. Das Essen bestand im Lager

aus Maisbrei oder Fischsuppe. Dazu gab es 200g klitschiges Maisbrot, manchmal

auch anderes Brot. Auch einen Esslöffel Zucker oder 2 Würfelzucker bekamen wir

täglich. Kräutertee undefinierbar und eine warme Mahlzeit gab es am Tage.

Kartoffeln vermissten wir besonders auf dem Speisezettel.

Unsere körperliche Reinigung wurde im Lager auch nicht besser. Einmal in der

Woche wurden wir in Waschräume zum Duschen geführt. An den anderen Tagen

versuchten wir heimlich aus der Küche Wasser zu bekommen. Das konnten wir nur

morgens ganz früh, wenn der Wasserwagen kam. Wenn wir dabei erwischt worden

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wären, hätten wir harte Strafen bekommen.

Unsere Toiletten bestanden aus einer Grube, über die ein Brettgestell aufgebaut

worden war. Ähnlich wie in Schwiebus mussten wir auch hier die Notdurft im

Stehen verrichten, was für uns deutsche Frauen sehr schwierig war. Papier gab es

nicht, so konnte man hier 50 und 100 RM in Mengen sehen. Hier war die Grube aber

mit Brettern überdacht.

Allmählich wagten wir es immer mehr, weiter vor die Tür zu gehen. Dadurch

bekamen wir auch zu den Männern Kontakt. Jetzt ließ man es auch zu, nur die

Männerbaracken durften wir nicht betreten. Bei den Treffen gab es ergreifende

Wiedersehen. Viele traurige Ereignisse wurden von Augenzeugen weiter gegeben.

Es hatte sich auch herumgesprochen, dass mein Vater umgebracht worden ist.

Darüber habe ich im Anhang eine kurze Erklärung. Putty verbot allen, es mir zu

sagen. Sie haben wirklich dicht gehalten. Ich erfuhr es erst bei meiner Rückkehr aus

Russland von meiner Großmutter.

Putty konnte nichts über ihren Mann erfahren, der noch in Soldin mit ihr in Haft war.

Eine andere Frau erfuhr, dass ihr Mann auf dem Transport gestorben war. Wir

erlebten auch ein rührendes Wiedersehen zwischen Vater und Sohn mit. Beide waren

in unserem Transport, auch im gleichen Lager und fanden sich nun wieder.

Aus unserem Moorbad Schönfließ traf ich Bekannte meiner Eltern wieder. Wir

tauschten eifrig Erinnerungen aus und träumten von der Zukunft.Ja,wir schmiedeten

Pläne, was wir alles machen würden, wenn wir wieder nach Hause kommen.

Wir glaubten und hofften sogar, dass das bald sein würde. Es schwirrten Gerüchte im

Lager herum, an 20. Mai kämen wir nach Hause. Daran klammerten wir uns fest. Als

dann nichts geschah, wurde ein Junitermin in Umlauf gesetzt. Ohne diese

Hoffnungsträume wären wir in einem noch viel schlimmeren seelischen Zustand

gewesen.

Viele fragten mich nach den Aussichten. Sie klammerten sich an meine jugendlichen

Hoffnungen. Es war dort so deprimierend, weil wir nicht arbeiten mussten und keine

ablenkende Beschäftigungen hatten. Langeweile führte zum verstärkten Grübeln. In

diesem Lager wurden nur Gefangene gesammelt. Es fanden Verhöre statt, meistens

nachts und nicht alle. Gezählt wurden wir täglich, manchmal mehrmals am Tage.

Warum? Flucht? Das schien uns unmöglich. Wohin denn? Nicht nur, weil das Lager

mit 4 Wachtürmen und starken Strahlern von allen Seiten bewacht wurde und dazu

die Einzäunung. Die Entfernung nach Deutschland war unendlich weit. Auch auf der

Fahrt war uns aufgefallen, dass an den vielen Brücken immer an beiden Seiten

Wachen standen. Und wovon sollten sich die Flüchtenden ernähren in dieser Wildnis

im tiefen Schnee? Später merkten wir auch, dass es in diesem Gebiet sehr viel Sumpf

und dichte Urwälder ohne Menschenleben gab. So wäre ein Flucht ein großes Risiko.

Da ich eine der jüngsten war, hatte ich es manchmal leichter. Ich konnte ruhig an die

Männerbaracken gehen. Ich klopfte an, es wurde geöffnet und ich bat Bekannte

heraus. So habe ich auch anderen zu Gesprächen und Kontakten verholfen, die sich

nicht heran trauten. Draußen störte uns die Wache nicht.

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Mehrere Tage traf ich mich mit den alten Herren aus Schönfließ. Doch dann kam ich

morgens wieder, da war ein über 80jähriger an Herzschlag gestorben. Es war schon

der dritte Tote in den ersten Tagen im Lager. Die meisten Männer verhungerten, da

sie weniger Essen bekamen als wir Frauen. Aber Frauen überleben wohl besser.

Jedenfalls waren nun schon 10 Männer tot und nur eine Frau. Unter den 10 toten

Männern waren schon zwei Männer. Von einem habe ich schon berichtet, die

Selbstmörder waren. Wir Frauen wurden beim Einmarsch der Russen fast alle

vergewaltigt und gequält. Trotzdem schien mir, dass wir besser durchhalten konnten.

Wieder wagten wir, unsere Taschentücher zu waschen. Da die Sonne schien, wollten

wir sie draußen trocknen. Wir hängten sie auf den Stacheldraht vor dem Bretterzaun.

Da schießt ein Posten in die Luft. Warnschuss und schon kommen mehrere Wachen

angelaufen. Beinahe wären wir im Strafbunker gelandet.

Am 22. April wurden wir zur Arbeit eingeteilt. Wir, Putty, die drei Mädel und ich

kamen in das Lager 10 bei Welsk an der Waga. Andere mussten länger im ersten

Lager bleiben und kamen dann in andere Lager zur Arbeit.

Diese Lager befanden sich alle an der Bahnlinie Moskau – Archangelsk. Ich glaube,

wir waren etwa 200 Frauen indem neuen Lager. Die Bedingungen waren überall

gleich. Pritschen übereinander, keine Unterlagen, keine Decken, dafür aber viele

Wanzen. Schnell hatten wir uns verteilt. Hier durften wir uns im Lager freier

bewegen. Auch hier waren wir sofort dabei, die Wanzen plage zu bekämpfen. Gegen

Kopfläuse ließen wir uns Petroleum auf den Kopf verteilen und wickelten Lappen

herum. Das hatte vorübergehend Erfolg.

Dies war nun unser erstes Arbeitslager. Da wir uns hier kaum waschen konnten, weil

hier das Wasser nur für die Küche da war, holten wir uns wieder früh heimlich von

dem kostbaren Nass. Wenigstens den Mund ausspülen und die Hände reinigen.

Zweimal schafften wir es heimlich. Beim dritten Mal wurden wir auf dem Rückweg

von einem Posten überrascht. Er schimpfte auf russisch. Dann sollten wir mit

kommen. Oh Schreck, er ging mit uns drei zum Bunker. Das war schlimm. Einige

Frauen hatten schon Bekanntschaft mit ihm gemacht. Es war eine Erdhöhle mit einer

winzigen Lichtöffnung. Im Inneren soll es eine Pritsche geben und Ratten hausen.

Wir bekamen Angst. Ein Glück, das wir zu dritt waren. Er öffnete die schwere

Eisentür, und wir wollten brav hineingehen. Es kam eisige Luft und mörderischer

Gestank uns entgegen. Plötzlich schiebt er uns zurück und schließt die Tür wieder. Er

wollte uns nur warnen. Was waren wir erleichtert.

Hier muss ich mal einiges über die Bewachung, den Soldaten sagen. Sie trugen alle

Uniform und hatten Gewehre umgehängt. Wir wurden immer noch scharf bewacht

und manchmal für harmlose Vergehen hart bestraft. Es gab aber auch gutmütige

Soldaten, die manches nicht ahndeten und uns mal etwas zusteckten. Ich schrieb das

schon bei der Fahrt, wo wir Essen ab bekamen. Hier konnten wir nun, nachdem wir

die Bewacher besser kannten, heimlich Wasser holen.

Die Frauen, die in der Küche eingesetzt waren, hatten Vorteile bei der Verpflegung.

Aber es wurde schnell bekannt, dass es gewollte Liebesbeziehungen zwischen den

Russen und einigen unserer Frauen gab. Die Küchenhelferinnen schliefen nicht mehr

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in unserer Baracke.

Wir waren froh, dass wir endlich zur Arbeit geholt wurden. Wir mussten zu zweit

antreten. Alle Frauen aus unserer Baracke wurden durch vier Wachen begleitet,

hinaus geschickt. Es lag noch immer viel Schnee und war sehr kalt. Mitten im Wald

lagen Baumstämme. Es waren also Bäume gefällt worden. Wir mussten den Schnee

von den Stubben mit Schaufeln und Spaten wegräumen. Dann mussten wir das Moos

abhauen, denn es war vereist und nun begann schwere Arbeit: Stubben roden, d.h.

Baumwurzeln freilegen, dann mit Axt, Spaten und Kreuz hacke die Wurzeln

möglichst lösen, so weit es ging. Kleine Äste abhacken, große Wurzelzweige

durchsägen und drum herum die Erde lockern.

Wir hatten viel Mühe. Durch die schlechte Ernährung fehlte uns die Kraft, dann die

große Kälte. Der Boden war ein Eisblock. Meistens konnten wir die Stubben nicht

mal frei bekommen. So blieben sie einige Tage so liegen, bis die Sonne sie ab getaut

hatte. Dann erst kontrollierten wir den Boden. War die Erde locker, dann hieß es Erde

weg schaufeln, tiefere Wurzeln lösen und nun mit Brechstange und einem unter

gelegten Querbalken mit mehreren Frauen, den Stubben her auszuhebeln. Diese

Arbeit mussten auch russische Frauen machen. So war es früher immer, dass die

Frauen in Russland die Schwerarbeit machten. Bitter war es für uns bei dem Hunger

und ohne die richtige Kleidung. Wir froren immer sehr.

Wir hatten auch keine Arbeitskleidung und nur das, was wir an hatten. Auch nachts

lagen wir immer in der gleichen Kleidung, ob nass oder dreckig oder zerrissen. Jetzt

wurden die ersten Frauen krank. Zu ihrer Versorgung gab es ein Revier im Lager.

Immer mehr mussten dort behandelt werden.

Es dauerte nicht lange, da starb ein junges Mädchen. Eine Ärztin war im Lager, aber

Medikamente gab es selten. Wir wussten nicht, woran Elli starb. Alle im Lager

trauerten um sie. Wir besorgten Grün, das schon unterm Schnee zu finden war. So

bahrten wir sie auf, beteten und begleiteten sie aus dem Lager bis zum Tor. Wo sie

hingebracht wurde, erfuhren wir nicht. Später wurde bekannt, dass alle Leichen im

Moor versenkt werden. Es waren dann auch so viele Sterbefälle, dass man keine

Trauerfeier durchführen konnte und sich niemand Gedanken machte, wo die Toten

blieben. Die Leichenabholer haben die Personen noch genau nach Goldzähnen,

Ringen und anderen Wertstücken durchsucht.

Unser nächster Umzug kam. Er wurde auch gleichzeitig Arbeitswechsel.Der Winter

verabschiedete sich langsam. Es wurde wärmer. Zu kleinen Gruppen von 12 Frauen

mussten wir antreten und hatten einen Posten mit auf-gepflanzten Gewehr als

Begleitung. Was heißt auf gepflanzt? Auf der Spitze des Gewehres war eine Art

Schwert, mit der scharfen Schneide konnte man zu stechen. Dieser Posten war einer

der unfreundlichsten, der uns ständig zum Galopp antrieb, und wir nicht mal

miteinander sprechen durften. Der Weg führte zur Bahnlinie dicht an der Waga, ein

breiter Fluss. In der Nähe wurden wir in ein anderes Lager gebracht.

Hier hatten vorher Russinnen gehaust. Diese kamen nun in unser von Wanzen

befreites Lager. Nun konnten wir wieder von vorn anfangen und die verdreckten und

verwanzten Baracken reinigen. Es stank dort fürchterlich. In der ersten Nacht konnten

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wir nicht schlafen. Die Wanzen fielen in Scharen über uns her, in der Nase, Augen

und Ohren und am Mund hielten sich winzige Wanzen auf. Dass das die Russen

ausgehalten haben, konnten wir nicht fassen.

Aber nicht nur das war schlimmer geworden. Nun gab es andere Arbeit in drei

Schichten. Wir waren im Norden von Russland, nahe am Nordpol. Zeitlich begann

diese Arbeit im Mai. Es war jetzt länger hell. Ab Juni bis Ende August sind die

Nächte dort kaum dunkel. Es kommt im Juli zur Tag- und Nacht-gleiche. So wurden

wir in eine Früh-, eine Spät- und eine Nachtschicht eingeteilt. Außerdem mussten wir

eine vorgeschriebene Norm- ein Soll- erfüllen. Wer das nicht schaffte, dem wurde die

Brotration auf die Hälfte, also 100 g gekürzt. Da ein Satt essen sowieso nicht möglich

war, eine harte Strafe. Wir halfen uns immer gegenseitig, damit alle die Norm

erfüllen konnten.

Wir Frauen arbeiteten nun an einer neu zu errichtenden Bahnlinie. An einer Brücke,

die an dem Fluss gebaut werden sollte, mussten wir den Damm mit Sand auffüllen.

Also Sand in Karren schaufeln und auf die Aufschüttung schieben und leeren. Dann

den Damm befestigen und Schienen legen. Es war eine harte Arbeit. Beim

Hochkarren auf die Aufschüttung wurde es immer schwerer. Wir konnten nur zu

mehreren die Karre hoch schieben. Zum Befestigen des Dammes mussten wir mit

Kreuz hacke in der Nähe Steine abschlagen und die Steine heran transportieren.

Bohlen wurden von anderen gelegt, die wir nicht sahen, aber wir mussten dann

Schienen tragen. Eine Schiene war lang und so schwer, dass wir mit vielen

zusammen heben und tragen mussten. Befestigt haben andere die Schienen, die wir

nicht gesehen haben.

Am 8. Mai stellten wir uns wie immer zum Zählen auf. Dann verkündete uns eine

Dolmetscherin das Kriegsende. Wir reagierten mit Ungläubigkeit. Niemand von uns

hat das wahrhaben wollen. Erst später glaubten wir das. Wir hofften immer noch, von

unseren Soldaten befreit zu werden. So wurden immer wieder Gerüchte verbreitet,

wir würden Mitte Juni, dann im Juli frei werden. Die Hoffnung gab uns Kraft, das

Leben zu ertragen.

Mitte Mai kam es zu einer Periode mit Dauerregen. Das war für uns besonders

schlimm. Wir hatten keine Wäsche zum Wechseln. Keine Nachtwäsche, keine

Arbeitskleidung, keine Regenschutzkleidung. Schuhe hatten wir nur, was wir an

hatten. Viele Schuhe waren schon aufgetragen und mussten wir weiter tragen, denn

was anderes gab es nicht. Ich hatte beim Einmarsch der Russen ein Paar hohe

Schnürschuhe an. Diese trug ich noch, obwohl die Sohle nur noch an einer Stelle fest

war. Ich schlürfte mit den Schuhen. Überall drang Wasser und Schmutz ein.

Außerdem konnte ich leicht stolpern damit. Erst viel später bekamen wir andere

Schuhe. Das waren kaum geformte Holzsohlen und Stoff als Seiten zum Halten der

Sohlen. Sie waren sehr steif und unbequem. Man war froh. Dass man was Festes an

den Füßen hatte. Wasser drang weiter ein. Die Ratten fraßen den Stoff gern, wir

konnten sie kaum vertreiben.

Bei dem Dauerregen mussten wir arbeiten. Völlig durchnässt kamen wir zurück. Was

nun mit den nassen Sachen? Nur die Mäntel durften wir zum Trocknen geben in

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einen dafür vorgesehenen Raum. Und die Schuhe und die Unterwäsche? Es wurde

streng kontrolliert, ob auch nichts anderes im Trockenraum hing. Da viele von uns

keine Decke hatten und dann wohl kaum nackt liegen wollten, behielten sie nasse

Unterwäsche an. So froren wir natürlich alle ständig.

Wie ich schon erwähnte, war meine Decke ein Wertstück. So halfen wir uns

gegenseitig aus. Da wir in Schichten arbeiteten, schliefen andere, wenn wir draußen

waren. Dann konnten sie unsere Decken benutzen. Sie reichten leider nicht für alle.

So wurden viele krank und bekamen fiebrige Erkältungen. Auch ich erkältete mich

stark und lag fest, aber erst, als ich untersucht worden war und die Erlaubnis zum

Nichtarbeiten bekam. Man durfte nicht einfach liegen bleiben oder sich krank

melden. Zwei Tage durfte ich liegen bleiben. Medikamente bekam ich nicht. Tee

durfte man mir aber außer der Reihe holen. Da das Fieber bei mir nachließ, musste

ich am dritten Tag wieder arbeiten.

Ob ich fieberfrei war, wusste niemand, denn gemessen wurde nicht.

Fieberthermometer gab es nicht. Ich wurde aber im Lager eingesetzt. In den

Trockenräumen musste ich mit einer anderen arbeiten. Es waren zwei große Räume

mit Stangengestellen zum Aufhängen von Mänteln. Jeder Raum hatte einen großen

Ofen. Zwischen den Räumen gab es keine direkte Verbindung. Ein kalter langer Gang

war da zwischen. Wir mussten ständig die Öfen mit Holz von draußen nach heizen.

So liefen wir hin und her zwischen heiß und kalt. Drinnen schwitzen, draußen frieren.

Da wurde der Körper überfordert. Die Arbeit war leichter, auch waren wir vor Regen

geschützt. Darüber waren wir froh. Heimlich trockneten wir auch Schuhe und

Wäsche, alles, was möglich war. Wir mussten aber auf der Hut sein, dass es bei

Kontrolle entdeckt wurde. Sehr oft kamen sie. Wir wussten nicht, wer kontrolliert.

Jeden Posten, der sich unseren Räumen näherte, sahen wir als Kontrolleur an. Das

war zu anstrengend, sodass wir uns Verstecke suchten. Leider hatten wir dazu kaum

Möglichkeiten. Wenn wir nicht so viel Glück gehabt hätten, wären wir oft im

Strafbunker gelandet. Davor hatten wir Angst. Ich habe das Erdloch schon

beschrieben. Wie dankbar waren unsere Frauen, dass wir auch Wäsche und Schuhe

versuchten, zu trocknen. Keinen Tag kamen sie trocken von der Arbeit.

Ich war immer noch nicht von der Erkältung frei und fühlte mich sehr matt. Das

Schwitzen in den Räumen und dann in die Kälte zum Holz holen wirkte sich nicht gut

aus. So brach ich nach einigen Tagen völlig zusammen und konnte nicht mehr

aufstehen. Man brachte mich ins Krankenrevier. Das war im Juni 1945. Es waren dort

schon einige Kranke untergebracht. Ich weiß nicht, wie viele wir waren, denn ich war

zu schwach vom hohen Fieber. Meine Freundinnen besuchten mich täglich

abwechselnd nach der Arbeit und sorgten für mich. Obwohl sie schwer arbeiteten,

kam immer jemand. Vor allem Putty kam, machte mir kalte Umschläge und brachte

mir Tee. Da ich sehr benommen war und viel schlief, habe ich das nur halb

wahrgenommen. Ein Arzt, manchmal auch eine Ärztin, sahen nach uns, aber

Medikamente bekam ich nicht.

Hier muss ich Lilo besonders erwähnen. Sie hat der sehr dicken Ärztin heimlich

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Tabletten weggenommen. Das war so: Lilo war Hebamme. Trotz einer Schädigung

im Rücken, einem Buckel, musste sie mit nach Russland. Sie arbeitete im Revier als

Schwester. Es wurden ins Krankenrevier Vitamin- und Hefetabletten geliefert nach

ihrer Beobachtung. Wo blieben die Tabletten, die in großen Mengen kamen? Da sah

sie, dass die Ärztin diese wie Bonbons aß. Das war nicht vorgesehen, doch sagen

konnte Lilo als Gefangene das niemand. So passte sie auf, als die nächste Lieferung

kam. Sie nahm die Tablette an sich und verteilte jeden Morgen an alle im Lager Hefeund

Vitamintabletten, bis sie alle waren. Und die Ärztin? Sie vermisste ihre

„Bonbons“, aber sie wagte nicht, danach zu fragen. Sie hat aber gemerkt, wo sie

blieben.

Lilo hat auch uns Kranke versorgt. Sie tat dort und auch später viel Gutes. Davon

berichte ich noch. Wie lange ich im Revier war, weiß ich nicht genau, mindestens

drei Wochen. Das Fieber wollte nicht weichen. Starke Schmerzen beim Husten hatte

ich und manchmal beim Atmen. Auch bestimmte Bewegungen verursachten im

Brustbereich Schmerzen. Ich erfuhr es nicht vom Arzt, dass ich eine schwere

Rippenfellentzündung hatte.

Trotz der Schmerzen und der zeitweisen Benommenheit bekam ich mit, dass eine

Sonnenfinsternis erwartet wurde. Da inzwischen mehrere Kranke gestorben waren,

lagen wir nun mit 7 Schwerkranken im Revier. Ich hatte durch sie von dem Ereignis

erfahren. Einige Kranke gingen vor die Tür, um das zu sehen. Mit dunklen Scherben

konnten sie ungeblendet schauen. Die Scherben waren heimlich ins Lager gebracht

worden. Ich kroch auch von meinem Lager. Zum Gehen war ich nicht fähig. Es war

eine totale Sonnenfinsternis. Von meinem Ausflug hat niemand etwas gemerkt. Ich

habe es aber meinen Freundinnen erzählt.

Mein Zustand besserte sich nicht. Ich aß kaum, trank aber viel. Das Fieber war nicht

mehr so hoch, aber nicht weg. Meine Vizemutti Putty brachte mir eines Tages meine

paar Habseligkeiten, weil sie erfahren hatte, dass ich ins Lazarett sollte. Dann kam

der Aufbruch. Ich war so schwach, dass ich nicht laufen konnte. Putty und die drei

Mädels und andere Frauen kamen zum Abschied. Zwei Soldaten mit auf gepflanzten

Gewehren nahmen mich in die Mitte und stützten mich. Sie brachten mich zum

russischen Pferdewagen (Panniewagen?) genannt. Noch drei andere Frauen wurden

geholt. Auf dem Stroh legte man eine Frau und mich. Die beiden anderen Frauen

konnten noch sitzen. Vier Bewacher begleiteten uns, obwohl keine von uns fähig war,

davon zu laufen. Die Zurückbleibenden winkten uns nach, das habe ich kaum

wahrgenommen. Später erzählte mir Putty, dass alle geweint haben, weil sie glaubten,

dass wir nicht überleben würden.

Die Fahrt mit dem Wagen vergesse ich nicht. Es ging über Stock und Stein. Es gab

dort keine befestigten Straßen. Wir wurden hin und her geschüttelt. Einige Male

neigte sich der Wagen so zur Seite, dass wir glaubten, umzukippen. Mir wurde so

übel, dass ich mehrmals erbrach. Niemand kümmerte sich um mich. Ich konnte mich

seitlich festhalten und mit Stroh das Erbrochene weg schieben. Die Schmerzen in der

Brust waren durch das Schütteln unerträglich. Die Posten schauten sich nicht nach

uns um. Ich glaube sogar, dass sie Angst hatten, uns zu berühren. Wir könnten sie

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anstecken.

Wie lange wir fuhren, weiß ich nicht, jedenfalls war es spät abends nach der Sonne,

als wir an Bahngleise heranfuhren.Kein Haus nur mehrere Schienen und einige

Güterwagen waren zu sehen, dann entdeckten wir einen Güterzug mit mehreren

Personenwagen hinter der Lok. Die Wachposten brachten uns an den Zug. Dann

verschwanden sie.

Nach einer kurzen Wartezeit kamen andere Soldaten, die uns in einen leeren Wagen

brachten. Die beiden Frauen, die noch laufen konnten, legten uns auf Bänke in einem

Abteil. Zunächst sahen wir im Wagen keine Bewacher oder andere Personen.

Inzwischen war es dunkel. Uns war klar, dass draußen Posten stehen würden. Doch

niemand kümmerte sich um uns. Es dauerte noch lange, ehe der Zug abfuhr. Es waren

in andere Abteile noch einige Leute eingestiegen. Das hörten wir nur am

Türenschlagen und Sprechen. Zu uns durfte niemand rein.

Drei Tage waren wir unterwegs. Mal fuhren wir, mal standen wir irgendwo auf der

Strecke. Niemand betrat unser Abteil, niemand kümmerte sich um uns. So bekamen

wir weder zu essen noch zu trinken. Der Durst war noch schlimmer. So versuchten

die beiden Frauen über die Posten etwas für uns zu bekommen. Immer wieder baten

sie darum. Wir beiden anderen merkten wenig davon, denn wir schliefen nur. Die

schlechte Versorgung auf der Fahrt lag nicht am Nicht geben wollen. Es war niemand

dafür verantwortlich, und so gab es weder Essen noch Trinken. Ein gutmütiger Posten

trieb schließlich noch etwas für uns auf. Tee aus Kräutern und Brot mit Fisch. Ich

weiß nur, dass ich sehr schönen Rogen auf Brot bekam. Das habe ich auch gern

gegessen. Die beiden nicht so kranken Frauen fütterten uns.

Wir waren froh, als wir endlich ausgeladen wurden. Im Zug war es sehr kalt gewesen.

Nun mussten wir wieder sehr lange draußen warten, denn niemand war zum Abholen

da. Wahrscheinlich wurde das Lazarett jetzt erst benachrichtigt, dass neue Kranke

abzuholen sind. Später erfuhr ich, dass das Lazarett Changalin (etwa) hieß. Auf einer

Trage wurde ich ins Lazarett getragen.

Wir wurden von den Kranken sofort begrüßt. Man schaute, ob wir Bekannte waren.

So habe ich Ilse von unserem Kreis wieder getroffen. Ich wusste gar nicht, dass sie

dort hingekommen war. Nun brachte man uns gleich in einen großen Raum zum

Duschen und Entlausen. Da ich zu schwach war, hoben mich zwei Russen hoch,

zogen mich aus und duschten mich auch. Dann wurden die Schamhaare und die

Haare in den Achselhöhlen ab rasiert. Meine Zöpfe durfte ich zum Glück behalten.

Bei anderen Frauen, die stark verlaust waren, wurden die Köpfe kahl geschoren.

Dann wartete ich auf einer Bank auf meine entlausten Kleider. Ich kippte runter, da

ließ man mich einfach liegen.Von Anziehen der Kleider habe ich nichts gemerkt, weil

ich ohne Besinnung war.

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Erst als Ilse mich auf meinem Lager ansprach, kam ich zu mir. Sie kümmerte sich

sehr um mich. Sie war mit Gelenkrheuma eingeliefert worden. Das hat sie vermutet.

Ich war sehr froh, dass ich sie in der Nähe hatte. Da sie wieder laufen konnte, wurde

sie zurück ins Arbeitslager geschickt. Ich traf dort auch Tante Lena wieder, eine ältere

Berlinerin, die ich vom Arbeitslager kannte.

Neben ihr

wurde ich untergebracht.

Sie passte auf mich auf. Ich aß kaum, trank aber zu viel. Dadurch konnte der Körper

auf geschwemmt werden. Viele starben daran. Sie verweigerte mir ein Übermaß an

Trinken. Es war hart für mich aber richtig. Sie hat mir damit sehr geholfen. Sie trug

zu meiner Genesung bei. Sie ist auch später nach Berlin zurückgekommen. Ich

konnte mich bei ihr noch bedanken für die Hilfe.

Noch viele Bekannte waren im Lazarett, die ich in meinem Zustand nicht bemerkte.

Mein Lager war auch hier nur eine Pritsche ohne Matratze oder Unterlage. Meine

Decke hatte ich dabei. Neben mir und über mir lagen Kranke. Dort begegnete ich

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sogar einer 14 Jährigen, die bald starb. Ich kannte sie nicht namentlich.

In der ersten Zeit schlief ich nur. Ich konnte nicht aufstehen, nicht mal zum WC

gehen. Ein Kübel wurde ans Lager gebracht. Körperpflege gab es nicht, wenn man es

nicht selber konnte. Essen? Die üblichen Rationen gab es auch dort wie im

Arbeitslager. Ein Arzt oder eine Ärztin gingen manchmal von Lager zu Lager. Sie

sprachen kein Wort deutsch. Es kamen nie mehrere zusammen und nicht täglich

dieselben. Sie waren alle freundlich. Sie wollten auch helfen, hatten aber kaum

Möglichkeiten. Es gab kaum Medikamente und technische Geräte. Was wir bekamen,

nahmen wir, ohne zu wissen, was es war. Grob war niemand zu mir oder zu anderen.

Ob die Ärzte Verbannte waren, haben wir nicht erfahren.

Aufsichtspersonen waren leider nicht immer nett. Da gab es auch Schläger. Die

Krankenschwestern waren alle freundlich und hilfsbereit. Sie und die

Aufsichtspersonen waren Verbannte.Viele waren schon 10 Jahre und länger dort und

hofften, bald nach Hause zu kommen. Sie hatten zu ihren Familien keinen Kontakt.

Sie wussten zum Teil nicht mal, warum sie verbannt waren. Prozesse hatten nicht

stattgefunden. Sie standen auch unter Aufsicht und wurden für kleine Vergehen mit

Verlängerung der Verbannung bestraft. Als sie dort hingebracht wurden, gab es noch

keine Arbeitslager. Sie haben dort Wald roden müssen und Baracken gebaut. Ihre

Behandlung war viel schlechter als bei uns. Sie hungerten mehr. Viele waren

entsetzlich mager. Untergebracht waren sie außerhalb des Lagers und konnten sich

frei bewegen.

Der Hunger trieb einige dazu, sich heimlich unter unsere Pritschen zu legen und dann

unter unser schräges Kopfbrett nach Brot zu greifen. Sie wussten, dass wir nur dort

Brot lagern konnten und nicht alles gegessen hatten. Wir verstanden ihr Verhalten

nicht. So schrien einige Frauen fürchterlich, wenn sie jemand unter der Pritsche

entdeckten. Angst vor Vergewaltigungen. Sofort kamen Aufseher und nahmen die

Diebe mit. Wir wussten erst später, dass sie brutal bestraft werden.

Nach einigen Tagen kam ein Arzt an mein Lager, prüfte meinen Puls, schaute mir in

die Augen, rief eine Schwester und ordnete etwas in russisch an. Ich verstand nichts.

Ich merkte nur, dass Schwestern und Ärzte nicht mehr zu mir kamen. Ich bekam auch

keine Medikamente mehr. Eine Kranke neben mir konnte russisch. Sie sagte: "Bei dir

macht man nichts mehr, denn du krepierst wohl!“Ich habe das verstanden, aber nicht

ernst genommen. Ich glaubte nicht ans Sterben.

Da bekam ich einen stillen Helfer. Vielleicht hat mir die kleine Krankenschwester, die

nur wenige Brocken deutsch konnte, das Leben gerettet. Sie wusste, dass ich nichts

mehr aß. Sie nahm von meinem Brot mit, das sich auch andere von mir erbaten, weil

sie merkten, dass ich es kaum verbrauchte. Die Schwester kam wieder mit einem

Schälchen. Dann fütterte sie mich. Es schmeckte gut. Was war es? Ich weiß es nicht

genau. Mein Zucker war drinnen und Blaubeeren und etwas wie Quark. Wir wussten,

dass schon im Arbeitslager Russen uns Blaubeeren gegen Brot geboten hatten. So

nehme ich an, dass die Schwester das Brot gegen Blaubeeren eingetauscht hat. Und

den Quark? Gestohlen? Ich weiß es nicht. Niemand. Ich kannte nicht mal den Namen

der Schwester.

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Die Russen, die tauschten, wohnten außerhalb des Lazarettes. Alles Verbannte, die

hungerten. Sie lebten in einfachen Hütten und hatten auch Familie. Auch eine Kirche

sollen sie gehabt haben. Gesehen haben wir von allem nichts. Wir lebten eingezäunt.

Kein Kontakt zu diesen Leuten war erlaubt. Die Blaubeeren sind schon unter dem

vielen Schnee gereift. Es gab auch Preiselbeeren und Walderdbeeren, aber nicht so

viel.

Die Schwester kam mehrere Tage je einmal zu mir und fütterte mich. Sie blickte sich

immer vorsichtig um, als wenn sie Angst hatte. Das ist mir erst nachher bewusst

geworden. Beim Füttern sprach sie mit mir wie eine große Schwester. Ich verstand

nur:“Du gut und nix gut!“ Manchmal hatte sie Tränen in den Augen. Ich werde sie

nicht vergessen. Auf einmal kam sie nicht mehr. Sie war nicht mehr da. Mir ging es

besser. Ich konnte mich nicht bedanken. War sie bestraft worden, weil sie Quark

nahm?

Ich erfuhr es erst viel später, dass alle Verbannten für Diebstahl, auch wenn es nur

kleine Sachen waren, mit Verlängerung der Verbannung um 1 bis 2 Jahre bestraft

wurden. Sie mussten dann auch aus dem Lager in ein anderes Lager. Wie gern würde

ich diese warmherzige und opferbereite Schwester wiedersehen und ihr danken.

So sehen Sie, liebe Leser, dass es auch hier Menschen gab, die uns nicht als Feinde

sahen. Ich habe die Russen nicht gehasst. Es gab unter ihnen viele, die selbstlos

halfen und so Mut bewiesen.

Nach einigen Tagen, als der Arzt durch ging, blieb er bei mir stehen, kam näher,

fühlte meinen Puls, prüfte meine Augen und hörte sogar meine Lunge ab. Dann rief

er die Schwester und redete mit ihr. Die Kranke neben mir erklärte, dass ich wieder

behandelt werde. Der Arzt hätte sich gewundert, dass ich noch lebe. Die

Pritschennachbarin, die mir das sagte, war zwei Tage später unbemerkt gestorben.

Ihren Namen wusste ich nicht. Sie klagte nicht und rührte sich kaum. Sie wurde wie

alle im Moor versenkt.

Es starben um uns täglich so viele, dass wir das ohne große Reaktionen hin nahmen.

Wir konnten auch nicht helfen und selber krank, nichts machen. Das Sterben war

sehr unterschiedlich. Manche schrien vor Schmerzen und suchten laut Hilfe, andere

starben still. Woran sie starben, erfuhr man nicht. Wohl einseitige und geringe

Ernährung, Kälte und Nässe führten zu schweren Erkältungen. Die hygienischen

Verhältnisse führten auch zu Durchfallerkrankungen und Ansteckungen.

Geschlechtskrankheiten durch Vergewaltigungen hatten wir dabei.

Wie ging es nun mit mir weiter. Ich wurde behandelt. Neben der schmerzhaften

Rippenfellentzündung hatte ich viel Wasser im Brustkorb. So ordnete der Arzt das

Absaugen an.

Glastöpfchen wurden durch Kerzenlicht der Sauerstoff entzogen. Dann wurden mir

die Näpfchen auf den Rücken zum Wasserentzug gesetzt. Sie saugten sich fest in

meiner Haut. Das war für mein entzündetes Rippenfell unerträglich schmerzhaft und

ich schrie. Drei Tage versuchte man das, dann ließ man da von ab. Was nun? Ich

bekam Tabletten und Spritzen. Morgens und abends spritzte man in den Oberschenkel

oder Oberarm. Kein Desinfizieren vor dem Spritzen, kein Wechsel der Spritzen

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spitze. Wie viele mit der selben Spritze behandelt wurden, weiß ich nicht. Das störte

uns nicht. Was gespritzt wurde, wussten wir auch nicht. Es dauerte aber nicht lange,

da schwollen meine Oberarme und Oberschenkel an und entzündeten sich.

Nun behandelte man das mit Salbe und Verbinden. Spritzen bekam ich weiter. Ich

versuchte aufzustehen, ging vorsichtig ein Stück an der Pritsche lang. Immer etwas

weiter lief ich jeden Tag. Bald konnte ich allein raus zum WC gehen. Ich aß besser.

Ich schlief nicht mehr so viel, sondern zeigte wieder wieder Interesse für mein

Umfeld. Es ging tatsächlich aufwärts.

Ilse war inzwischen aus dem Lager entlassen und in ein anderes Lager gekommen.

Sie hatte sich bei mir verabschiedet, doch ich nahm es kaum wahr. Sie war nicht zu

ihrer Schwester Ursel und Putty zurück gekommen. Das erfuhr ich erst später. Tante

Lena kümmerte sich noch immer um mich. Trinken ließ sie mich nicht zu viel.

Viele Frauen hatten Wassersucht, d.h. der Körper blähte sich auf, und sie starben

unter furchtbaren Schmerzen schreiend.

Ein rührendes Erlebnis möchte ich erzählen. Ich weiß, dass es im Lazarett geschah,

aber ich weiß nicht mehr genau wann. Es lagen Männer und Frauen in einer großen

Baracke zusammen, an einer Seite Männer und an der anderen Seite Frauen. Unter

uns Frauen war eine hochschwangere junge Frau. Sie erwartete ihr erstes Kind von

ihrem Verlobten. Er war Soldat an der Front irgendwo und wusste nichts von ihrer

Verschleppung. Ob er von der Schwangerschaft wusste, konnte sie auch nicht sagen.

Wo ihr Mann damals war, ob er noch lebte, nichts wusste sie.

Lilo unsere Hebamme. die uns im Arbeitslager die Tabletten gegeben hatte, war jetzt

auch hier tätig. Sie kümmerte sich auch besonders um die junge Frau. Eine russische

Hebamme war auch da, die für Entbindungen zuständig war. Als die Wehen

einsetzten bei der Schwangeren, rief man nach der Hebamme. Sie kam und kam

nicht. So war Lilo die schnelle Hilfe für die Geburtseinleitung. Nur heißes Wasser

und eine Schere, sonst nichts, waren Hilfsmittel. Sehr schnell kam ein kräftiger Junge

zur Welt und schrie. Wir alle weinten. In solchen Nöten und dann ein neues Leben.

Ich glaube, alle beteten das "Vater unser" mit. Dann erst traf die Hebamme ein.

Mutter und Kind brachte man in einen anderen Raum.

Jeden Tag fragten wir Lilo, die zu der Mutter konnte, wie es beiden geht. Nach

einigen Tagen fieberte die Mutter. Sie starb an Kindsbettfieber. Ihren Verlobungsring

und die Anschrift ihrer Angehörigen hatte sie Lilo gegeben und sie angefleht, sich um

das Kind zu kümmern. Was sollten wir tun? Wir konnten den Jungen nicht mal

ernähren. So brachte man das Kind wohl in ein Heim. Uns sagte man nicht, wo er hin

kommt. Ob das Kind jemals erfahren hat, wer seine Eltern sind?

Von noch anderen traurigen Schicksalen möchte ich berichten. Ich denke an die

Familie Arndt. Sie kamen von einem großen Gut. Die Mutter mit ihren drei Töchtern

lagen in unserer Baracke. Die Mutter war freiwillig mit nach Russland gegangen,

weil sie ihre Töchter nicht allein lassen wollte. Die Mädchen waren 18, 20 und 22

Jahre alt. Diese Damen waren völlig unselbständig. Die Mutter kämmte jeder die

langen schwarzen Haare, sie bediente alle drei mit Tee, kümmerte sich um ihr Essen

und half sogar beim Anziehen jeder einzeln. Die älteren Frauen unter uns bemühten

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sich, die Mutter dazu zu bringen, dass sie die Mädchen zur Selbständigkeit anhält.

Ohne Erfolg. Ständig riefen die Mädchen nach ihr, und sie tat alles für ihre Kinder.

So verschlimmerte sich die Lage für die Damen, als die Mutter plötzlich starb. Alle

drei jammerten laut nach ihr. Hart waren die Frauen, denn sie reagierten nicht auf das

Jammern. Man hoffte, dass sie nun selber für sich sorgen würden. Die Mädchen

kämmten sich nicht, sie taten nichts. Sie blieben einfach nur liegen.

Es tat uns schon Leid, und so brachten wir ihnen Essen und Trinken ans Bett. Dann

wollten wir sie anleiten, selbst etwas für sich zu tun. Sie weigerten sich und

jammerten nur nach ihrer Mutter. So zogen wir uns zurück, damit sie gezwungen

waren. selbst etwas für sich zu tun. Sie ließen sich gehen. So starb bald eine von

ihnen und danach auch die beiden anderen. Ihr Sterben war laut mit Geschrei nach

der Mutter. Sie machten uns dann noch verantwortlich für den Tod ihrer Mutter.

Nun zurück zu mir. Es ging mir immer besser. Ich stand jeden Tag länger auf. Mit

verbundenen Oberarmen und Oberschenkeln humpelte ich herum. Bei recht schönem

Sommerwetter konnten wir draußen auf Baumstämmen sitzen. So wurden auch neue

Kontakte geknüpft. Wir kamen alle aus verschiedenen Arbeitslagern.

Wir waren, wie ich schon schrieb, mit den Männern zusammen in Baracken. So

erfuhren wir, dass sie in einem Sägewerk Holz verarbeiten mussten. Das überraschte

uns, aber in Russland ist es üblich gewesen, dass die Männer nicht so schwer arbeiten

müssen. Sie hatten etwas mehr Schutz vor Regen, aber sonst war die Arbeitsteilung

und das Soll genau wie bei uns.

Etwas war noch immer erstaunlich, wir hatten stets Hoffnung, wir kämen bald nach

Hause, Es gab uns Mut. Die Kapitulation am 08.Mai haben wir einfach hingenommen

ohne Reaktion. Wir glaubten es nicht. Wie schon erwähnt, hieß es immer wieder im

Juni, dann im Juli soll es zurück gehen. Viele fragten mich, ob wir bald heim

kommen."Natürlich!"war meine Antwort. Ich hatte viel Optimismus. Ich war

überzeugt, dass wir bald nach Hause geholt würden und als Helden gefeiert würden.

Wir suchten uns auch im Lazarett Beschäftigung. Die Männer bastelten. Sie hatten

vom Sägewerk Holzreste mitgenommen und daraus mit primitivem Werkzeug

praktische Sachen und Spielzeug gebastelt So ein Etwas wie Messer können Sie in

meiner Sammlung sehen. Als Spielzeug sah ich eine Ente auf Rädern, Pferde und

sogar eine Eisenbahn und ein Karussell. Auch Dame und Mühle, Mensch ärgere dich

nicht und Skatkarten aus Holz gab es und damit spielten wir dann.

Haushaltsgegenstände waren Brettchen, Suppenlöffel, Tabakdose ,Zigarettenspitze

und anderes. Auch davon habe ich Erinnerungsstücke.

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(geöffnete Schachtel, ist unten noch

vom Boden und geschlossen zu sehen)

Gern spielte ich mit einem sehr netten

Herren aus Masuren Mühle und

Dame. Er war Mitte Vierzig und hätte

mein Vater sein können Er suchte

meine Nähe. Ich bot ihm von meinem

Brot an, das ich noch immer nicht

aufessen konnte. Da sagte er:"Ehe ich eine Scheibe Brot von dir nehme, verhungere

ich lieber. Ich bin Arzt, niemand soll das wissen, denn hier kann ich sowieso niemand

helfen. Ich weiß aber, dass du in der Entwicklung bist mit deinen 16 Jahren. Was wird

aus dir mit 25 Jahren, wenn du so weiter hungerst? Ich will nicht,dass du zu Grunde

gehst. Ich habe drei Töchter, davon ist eine in deinem Alter und die anderen etwas

älter. Ich weiß nicht, wo sie sind, ob sie auch verschleppt wurden. Ich bitte den lieben

Gott jeden Tag, dass sie nicht dein schweres Schicksal teilen müssen!"Das alles hat er

mir anvertraut.So war unsere Freundschaft noch fester geworden Ich vertraute ihm.

Ich weiß nicht, wo er geblieben ist, plötzlich war er nicht mehr da.

Bisher habe ich kaum über Verhöre im Arbeitslager geschrieben. Natürlich wurden

immer einige in der Zeit, wo wir nicht arbeiteten, geholt, d.h. wenn wir eigentlich

Schlafenszeit hatten. Manche wurden dabei ziemlich hart behandelt. Man versuchte

Geständnisse zu erpressen.Ich bin nicht sicher, ob es unter uns, auch unter den

Frauen, jemand gab, der oder die bei Hitler Unrechtes getan hat. Genau wusste ich

nichts, aber geflüstert wurde viel.

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Ich war bei Hitler im JM= Jungmädel, als Gruppenführerin. Ich leitete die

Dorfgruppen mehrerer Orte rund um meinen Heimatort. Wir haben bei den Treffen

viel gesungen, gespielt und für die Frontsoldaten Strümpfe gestrickt. Einen

Elternabend mit Spielen und Vorträgen als Singspiele haben wir zu Gunsten des

Roten Kreuzes durchgeführt. An Zeltlagern und Pfingsttreffen haben wir uns

beteiligt. Wir mussten Hitlers Lebenslauf auswendig lernen und die

Nationalhymne.An den Sammlungen für das Winterhilfswerk WHK mussten wir uns

auch beteiligen. Sonst waren wir nicht politisch tätig. Die Uniform aus schwarzem

Rock, weißer Bluse, schwarzen Schlips und Lederknoten trugen wir. Als

Gruppenleiterin musste ich eine grüne Kordel tragen. Ich habe das alles schon beim

ersten Verhör vor der Internierung offen gesagt. Dadurch hatte ich später keinen

Ärger bei Verhören. Viele haben nicht alles Ehrlich gesagt.

Im Arbeitslager wurde ich einmal zum Verhör gerufen. Ich sehe den Raum noch vor

mir. Es war ein kleines gut aufgeräumtes Büro mit Schreibtisch und Stühlen. Ein sehr

hübscher junger blonder Offizier mit blauen Augen saß mir gegenüber. Er bot mir

einen Stuhl an und fragte mich einiges aus der Hitler zeit. Immer wieder wollte er

wissen:"Hitler gut?" Ich war überzeugt,dass Hitler Gutes tat. Ich wusste damals

nichts vom KZ und den Grausamkeiten. So antwortete ich:"Ja, Hitler gut!"Er

schüttelte den Kopf, aber er nahm mir meine Antwort nicht übel. Eine Zigarette und

ein Getränk bot er mir an, doch ich lehnte ab. Trotzdem wurde er allmählich

zutraulicher. Ich merkte, dass er mich als Frau wollte. Auch darauf ging ich nicht ein.

Nun sagte er es in ganz gutem Deutsch:"Er würde mich gern heiraten, dann brauchst

Du nicht arbeiten und nicht hungern,"meinte er, " Ich habe ein schönes Haus hier und

das gehört Dir. Nach Hause kommt ihr nicht mehr, denn ihr müsst arbeiten, alle

werden krank und sterben. Ich will Dir helfen, ich habe Dich gern!"Von mir kam ein

klares "Nein" Über drei Stunden dauerte das Ganze, aber nichts konnte mich

erschüttern. Ich blieb dabei, dass ich ein deutsches Mädel bin und später einen

deutschen Mann heiraten würde. Ich wurde nicht belästigt und durfte dann zurück in

die Baracke.

In Russland sind wir nicht mehr vergewaltigt worden. Es gab aber Frauen, die sich

freiwillig mit Russen eingelassen haben. Das waren im Arbeitslager einige

Küchenhilfen. Es wurden junge Frauen für diese Arbeit ausgewählt, die dann nur in

der Küche arbeiteten und in einer anderen Baracke schliefen. So holte man mich auch

zur Küchenarbeit. Wir hörten schon Gerüchte darüber, dass es da nicht alles mit

rechten Dingen zu ging. Russen leiteten die Küchenarbeit. Diese suchten wohl

sexuellen Kontakt zu den Frauen. Ich schlief nur eine Nacht dort. Ich wurde nicht

belästigt, merkte aber, dass einiges im Gange war. Putty half mir, dass ich da nicht

bleiben musste.

Wie war unsere religiöse Einstellung? Wir hatten eine Pastorentochter bei uns, Hanna

von Schwabe. Sie war 20 Jahre alt. Eine ganz kleine Bibel hatte sie trotz aller

Kontrollen durch geschmuggelt. Mit Hanna trafen wir uns heimlich nach der Arbeit

in eingeweihtem Kreise zu Bibellesungen. Hanna betete mit uns, las aus der Bibel vor

und sang mit uns ganz leise Kirchenlieder. Dabei wurde viel geweint. Als die Russen

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das merkten, wurden die Treffen verboten. Man hatte Angst, dass wir uns

zusammenschließen könnten, um zu rebellieren. Sie wussten nicht mal, was

Bibelarbeit ist. Wir fanden wieder andere Treffpunkte zu unterschiedlichen Zeiten

und stellten Wachen auf. Zuerst musste bei Entdeckung die Bibel versteckt werden.

Später hörte ich, dass die Bibel doch noch abgenommen wurde. Hanna ahnte das

wohl schon und hat vorher schon vorsichtshalber das Neue Testament heraus

getrennt. Das konnte sie retten. So konnte sie weiter lesen und tröstende

Glaubensworte weiter geben. Es gingen nicht alle zu den Treffen. Es gab auch

strickte Ablehnung. "Der liebe Gott hilft uns ja doch nicht, was soll ich da noch

beten!"sagten sie. Das war alles noch im Arbeitslager gewesen.

Im Lazarett ging es mir jetzt immer besser, ich machte nicht mehr so oft schlapp.

Zugenommen habe ich nicht bei der Ernährung. Schmerzen hatte ich weiter viel beim

Atmen und die geschwollenen Glieder. Ich war nicht mehr benommen und knüpfte

Kontakte. So erfuhr ich, dass aus unserer Nachbargemeinde eine Frau F. eingeliefert

worden war. Sie hatte 5 Kinder im Alter von 5 bis 15 Jahren bei der Oma

zurücklassen müssen. Ich kannte die älteste Tochter gut durch das JM. Der Ort

gehörte zu meinem Bereich der Hitlerjugend. Die Mutter war auch bei Hitler in der

Frauenarbeit tätig. Ich ging zu Ihr ans Lager und versuchte , sie auf zu muntern und

ihr zu helfen. Ich sprach mit ihr über ihre Familie und dass sie gesund werden müsse,

damit die Kinder ihre Mutti wieder bekommen. Sie gab mir keine Antwort. Sie drehte

sich nicht mal um zu mir. Ich wusste nicht, dass sie es war, die mich beim Verhör vor

der Verschleppung angegeben hatte, so dass man mich auch mitnahm nach Russland.

Das geschah in Pätzig, wo ich im Schweinestall arbeiten musste. Sie wusste das. Ich

habe ihr das nicht übel genommen, auch wenn ich das gewusst hätte. Ich hätte sie

auch dann angesprochen und versucht zu helfen. Man muss verstehen, dass sie als

Mutter von 5 Kindern hoffte, durch den Verrat nicht mit nach Russland zu müssen.

Die Bekannte, die beim Kommandanten als Geliebte war, hat das von Frau F. weiter

gegeben. Leider verschlechterte sich der Zustand von ihr weiter Die Frauen hatten

gehofft, dass sich Frau F. erholen würde, wenn ich zu ihr gehe und mit ihr rede. Sie

starb dann still. Danach erzählte man mir von dem Verrat. Ich war traurig, dass ich es

nicht wusste, ich hätte ihr verziehen.

Ein besonders trauriges Schicksal hatte unsere Helga Weiß. Als es mir besser ging im

Lazarett, habe ich auch aufgepasst, wer eingeliefert wurde So entdeckte ich Helgas

Einlieferung auf einer Trage. Sie war sehr krank. Da war Ilse schon zurück in ein

Arbeitslager, auch Tante Lena war wieder weg. Ursel war auch kurz im Lazarett, aber

schon wieder zurück ins Arbeitslager. Das hatte ich alles nur halb mitbekommen.

Putty, meine Vizemutti,Martha Damm, schrieb später, als sie aus Russland zurück

war, einen Brief an meine Mutter. Ich sei ins Lazarett gekommen und dort wohl

verstorben. Zum Glück war ich da schon zurück und stand neben meiner Mutter als

sie den Brief las.

Nun zu Helga. Sie hatte am Mund eine dicke Geschwulst, starke Augen ringe und

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schaute manchmal verwirrt um sich. Noch erkannte sie mich und war erleichtert, dass

ich bei ihr war. Ich kümmerte mich um sie. Ich fütterte sie, gab ihr zu trinken,

kämmte und entlauste sie. Ihr Zustand wurde immer schlechter. Man sagte mir, dass

sie Syphillis hat, also geschlechtskrank ist. Sie hat furchtbar gelitten. Nachts schrie

sie nach mir:" Gisela, hilf mir doch!" wenn ich zu ihr ging, erkannte sie mich mehr

und schrie wieder:" Geh weg, Du tust mir weh!"Sie weinte laut und redete irr. Dann

wurde sie ruhiger, nahm nichts mehr an Essen und Trinken und schlief nur bis sie

starb. Wir wussten nicht das genaue Datum ihres Todes, da zuletzt niemand mehr zu

ihr durfte.

Helga kann ich nicht vergessen. Sie war ein sehr hübsches und intelligentes

18jähriges Mädchen. Mit ihrer Mutter war sie aus Danzig nach Schildberg evakuiert

worden. Daher kannten sie Putty, die auch aus Schildberg kam. Da sie schon in

Schildberg viel zusammen waren, erlebte Putty mit, was geschehen war.

Putty wusste genau, welcher Russe Helga angesteckt hatte. Als er in den Raum kam,

wo sie mit anderen Frauen waren und er eine Frau suchte, sah man ihm an, dass er

krank war.

Wir waren, wie ich schon schrieb , mit Helga, Ilse , Ursel, Putty und ich im

Arbeitslager zusammen. Essen und Trinken haben wir immer geteilt. auch die Decke.

Manchmal aßen wir aus dem gleichen Gefäß. Wie leicht hätten wir uns anstecken

können. Ihre Krankheit trug sie schon auf der Fahrt in sich. Sie klagte über

Schmerzen im Hals. Sie hatte da schon eine Geschwulst, die nicht weg ging. Dann

bekam sie rund um den Mund Geschwüre. Das sah schlimm aus , aber niemand

konnte ihr helfen.

Im August gab es neue Gerüchte, wir kämen nach Hause. Tatsächlich tat sich etwas.

Wir mussten uns wieder mal extra aufstellen. Auch im Lazarett wurden wir gezählt.

Diesmal wurden Namen aufgerufen und dann in verschiedene Gruppen eingeteilt. In

meiner Gruppe waren lauter sehr gebrechliche Leute. Eine Dolmetscherin nahm uns

mit und übersetzte, dass wir in einem anderen Raum untergebracht werden. Warum?

Er stand auf dem selben Gelände. Der Raum hatte in der Mitte einen Ofen. Noch

erstaunlicher war, dass so etwas wie Matratzen auf den Pritschen lagen. Es gab keine

Pritschen übereinander.. Die Füllung der Matratzen konnten wir nur schätzen. Es

schien Naturmaterial zu sein, vielleicht Laub oder Heu? Es war aber eine

Verbesserung für uns. Mir wurde aber klar, dass das bedeutete, dass wir nicht nach

Hause kommen. Auch andere Gruppen kamen in winterfeste Baracken. Die winzigen

Fenster waren hier mit zellophanähnlichem Material dicht gemacht worden., was es

vorher nicht gab.

Ich wollte nach Hause. Wie kann ich hier raus kommen, war mein Gedanke. Die

Schwestern versorgten uns hier besser und waren zugänglicher als vorher. Eine

konnte etwas deutsch. Wir quetschten sie aus. " Was soll das, warum kommen wir

hier rein?"Sie meinte, dass wir erst gesund werden sollten, dann kämen wir auch nach

Hause. Hier hätten wir mehr Ruhe, damit wir schneller gesunden.

Wer war alles mit mir in dieser großen Baracke, überlegte ich. Alles Frauen, die

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husteten oder etwas mit der Brust hatten. Ich glaubte, dass mindestens ein Teil von

ihnen TBC hatte. Wenn ich hier bleiben muss, schaffe ich es nicht, gesünder zu

werden, sondern stecke mich noch an.

Ich hatte zwar immer noch starke Entzündungen an Armen und Beinen und

Schmerzen beim Atmen, fühlte mich aber nicht mehr so krank. So beschloss ich

aufzustehen und herumzulaufen. Ich ging von Pritsche zu Pritsche und kämmte alle

und vernichtete Läuse. Nur zu den ganz schwer kranken durfte ich nicht. Diese lagen

in einem Teil etwas abseits. Kamen die Schwestern rein, wurde ich sofort auf meine

Pritsche zurück geschickt. Ich stand immer wieder auf. Ich hoffte im Stillen und

betete darum, dass der Arzt reinkommen und das sehen möge.

Erst am zweiten Tage kam er wirklich und sah das. Er reagierte genau so, wie ich

gehofft hatte. Er rief eine Schwester und sprach mit ihr über mich. Ich konnte nichts

verstehen. Dann ging er. Nichts geschah. Es hatte aber wieder jemand russisch

verstanden von den Kranken und mir gesagt, dass ich hier raus soll, ich sei zu

unruhig.

Wir bekamen hier das gleiche Essen wie vorher, nur die warme Mahlzeit war besser

und kam zur Mittagszeit. Schwestern blieben dann so lange bei uns. Wir unterhielten

uns mit ihnen so weit das sprachlich ging. So bohrte ich jetzt. Ich fragte sie, ob die

anderen wirklich nach Hause kommen und stellte mich sehr unglücklich, dass wir

hier bleiben sollten. Da erst sagte die Schwester:"Du nicht weinen, Du kommst mit

nach Hause. Du darfst gleich rüber!"Ich war sehr froh, doch es bedrückte mich, dass

ich alle hier zurück lassen musste.

Das Abschied nehmen in diesem Raum war bitter für mich. Es lag hier auch eine

Bekannte, die ich schon vor der Verschleppung kannte. Anneliese Schönrock kam aus

Rufen. Von dort fuhren wir nach Pyritz zur Schule. Anneliese fuhr in dem Zug einen

Winter lang zu einem Nähkursus. Nun lag sie hier sehr krank. Sie bekam oft

Ohnmachtsanfälle, Hustenanfälle und aß kaum noch. Für mich war klar, dass sie

nicht überleben konnte.

Da sie oft besinnungslos lag, versuchte ich sie beim Abschied zu übergehen. Leider

merkte sie es doch. Sofort schrie sie nach mir. "Gisela, verlass mich nicht!" Es war

fürchterlich. Ich saß lange bei ihr und hielt ihre Hand und versuchte sie zu beruhigen.

Immer hoffte ich, sie würde einschlafen. Schließlich musste ich mich von ihr

gewaltsam lösen, weil ich gerufen wurde.

Als ich hinaus trat, hörte ich noch ihr Rufen nach mir. Man erzählte mir, dass sie

noch bis in die Nacht nach mir gerufen hat. Dann sei sie gestorben. Ich litt sehr

darunter. Die Frauen trösteten mich damit, dass sie dadurch schneller von ihrem

Leiden erlöst worden ist.

Als ich vor die Tür trat, stand eine bildhübsche junge Russin mit schwarzen Haaren

und blasser Gesichtshaut vor mir. Sie war schlank und etwas kleiner als ich. Mir

gefiel sie sofort. Sie sprach mich in überraschend gutem Deutsch an und gratulierte

mir, dass ich auch nach Hause darf. Ich war darauf so wenig vorbereitet, dass ich erst

nichts sagen konnte. Sie stellte sich dann vor:"Ich bin Nanni Braun!" Sie erzählte mir

dann, dass sie aus Moskau hier sei, um ihre Mutter zu besuchen. Sie hätte deutsch

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gelernt und würde sich gern, so lange ich noch hier bin, mit mir am Zaun zur

Unterhaltung treffen. Sie würde mich dann rufen lassen.

Ich nannte ihr dann meinen Namen, doch sie konnte Gisela schlecht sprechen und

schlecht merken. Sie erzählte mir, dass sie Heinrich Heine besonders liebte und die

Loreley. Nach ihren Vorstellungen sei ich dieser Jungfrau ähnlich. Dabei waren meine

Haare dunkelblond und nicht mehr so lang. Sie wollte mich "Loreley“ rufen.

Wir trafen uns täglich am Zaun. So erfuhr ich viel über sie und ihre Familie und

bekam auch Nachricht für uns, die nach Hause wollten.

Ihre Mutter lernte ich auch kennen. Sie arbeitete als Verbannte in der Küche. Warum

war sie verbannt? Das wusste sie nicht. Es hat nie einen Prozess gegeben. Ihr Mann,

Nannis Vater war abgeholt worden und ist verschollen. Sie hatten in der Ukraine ein

Gut, das dem Großvater gehörte. Dieser war deutscher Jude. So war Nannis Familie

wohl deshalb verfolgt worden. Auch der Großvater war weg. Nur Nanni hatte man

verschont. Sie besuchte in Moskau das Gymnasium. Sie war zwei Jahre älter als ich.

Nun durfte sie zum ersten mal ihre Mutter besuchen. Ihre Mutter lebte schon 10 Jahre

in der Verbannung. Sie war eine sehr gebildete Frau, sprach fließend deutsch und

wirkte sehr vornehm und bescheiden. Nanni besuchte mich täglich mit Loreley. So

wurde ich bald von allen Loreley genannt. Ich war jetzt in der Entlassungsbaracke.

Nanni und ich sprachen viel über deutsche Dichter und Musiker. Sie wusste mehr

darüber als ich. Heinrich Heine kannte ich nur von dem Lied, weil er Jude war. Bei

Hitler war er verboten. Auch über unsere Erlebnisse beim Einmarsch der Russen

unterhielten wir uns. Auch Nanni erzählte über unsere Soldaten und die SS. Sie selbst

hatte es nur über Verwandte gehört. Diese hatten sehr Schlimmes erlebt.

Einmal fragte sie mich nach einem besonderen Wunsch im Auftrag von ihrer Mutter.

Ich bat um zwei Pellkartoffeln, weil ich wusste, dass die Mutter in der Küche

arbeitete. Die Offiziere bekamen Kartoffeln nur wir nicht. Es klappte nicht. Lange

mochte Nanni mir das nicht sagen, warum? Wenn ihre Mutter zwei Kartoffeln

weggenommen hätte, wäre sie bei Entdeckung schwer bestraft worden bis zu zwei

Jahren Verlängerung der Verbannung. Das hat mich erschüttert. Um Gottes Willen,

das kann man doch nicht machen! Ich war entsetzt.

Nun wusste ich, wie schwer es die Verbannten dort hatten. Nur die Offiziere waren

nicht verbannt. Nannis Mutter wusste nicht, wie lange sie noch dort bleiben muss. Sie

hoffte sehr, dass sie bald nach Hause kann. Manche Verbannten bespitzelten andere,

um Vorteile zu erhalten. Das Klauen von Brot unter unseren Pritschen war nicht

gegen uns gerichtet, sondern der Hunger trieb sie dazu. Sie wussten, dass sie dann

bestraft werden. Leider wussten wir das nicht.

Da fiel mir die kleine Krankenschwester ein, die für mich wohl Quark genommen

hatte. Wurde sie erwischt? Warum war sie plötzlich weg? Opferte sie sich für mich?

Strafe? Ach, könnte ich ihr doch danken! Bei Verfehlungen durften Verbannte nicht

mehr in dem Lager bleiben. Sie verschwanden dann. Niemand wusste, wohin. Sie

war auch plötzlich weg. Was für ein Opfer!

Mit Nanni sprach ich darüber, und so erfuhr ich das alles erst. Nanni hatte dort

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Freiheit. Sie kannte die Offiziere gut. Sie wusste auch, dass wir wirklich nach Hause

sollten. Ich hatte noch immer Probleme. Jeden Tag mussten wir antreten und wurden

einzeln aufgerufen, immer wurde ich vergessen. Ich hatte Angst, dass man mich nicht

mit ließ. Nanni erzählte ich das. Sie sorgte dafür, dass ich wirklich auf die Liste kam.

Am 27. August endlich standen 3 Eisenbahnwagen bereit. Nanni benachrichtigte

mich davon am Zaun. Ich gab es sofort an alle weiter. Dann stand Nanni auf einmal

vor mir im Lager. Sie wollte sich von mir verabschieden. Wir umarmten uns. Sie

sagte:"Wir wollen nicht als Feinde scheiden!" Sie schenkte mir ein buntes Halstuch

und drei Briefumschläge. Sie entschuldigte sich, dass sie mir keinen Schreiber geben

konnte. Niemand konnte ihr einen geben. Sie hatte bei allen Offizieren gefragt. Ich

gab ihr von meinen Haaren, nachdem sie eine Schere erfragt hatte. Sie wünschte sich

das als Erinnerung. Da wir uns lieb gewonnen hatten, fiel uns der Abschied schwer.

Wir konnten nicht mal Adressen austauschen ohne Schreiber. Ich wusste auch nicht,

was zu Hause los war. Wo sind meine Angehörigen? Nichts!

Als wir zu den Wagen außerhalb des Lagers geführt wurden, kniete vor uns ein Pole.

Er wollte so gern mit nach Hause. Er betete, dass er auch bald zurück in seine Heimat

kann. Er flehte uns an, seine Heimat zu grüßen. Er weinte bitterlich. Nanni winkte

mir noch lange nach. Diesmal wurden die Wagen nicht verriegelt. Wie viel wir waren,

weiß ich nicht genau.

Die Wagen waren genau wie bei der Hinfahrt mit zwei Etagen eingerichtet. Ich

kletterte mit Hilfe nach oben, weil es da heller war. Täglich bekamen wir die übliche

Brotration und den Zucker und eine warme Mahlzeit. Tee kochten wir uns selber auf

dem Ofen im Wagen. Ein Topf war da, und Kräuter suchten wir uns draußen, wenn

der Zug länger hielt. Zunächst ging es ohne viel Halten vorwärts. Erst kurz vor

Moskau wurde das anders. Mehrmals mussten noch andere Wagen angehängt werden.

So war es jetzt ein langer Güterzug mit Menschen besetzt. Bei längerem Halten

durften wir aussteigen und Luft schnappen. Der Lockführer tutete immer mehrmals in

Abständen, damit wir schnell einsteigen konnten. Die begleitenden russischen

Soldaten waren sehr nett und sorgten nur für Ordnung. Bei längerem Halt kamen wir

mit den Menschen der anderen Wagen in Kontakt. Es waren Stalingradkämpfer in den

Wagen. Sehr junge kriegsbeschädigte deutsche Soldaten waren es. Viele waren

amputiert. Arm oder Bein, manchmal sogar beide Arme oder beide Beine.

Wir waren entsetzt. Sie waren aber genauso erschrocken, als sie erfuhren, dass wir

aus der Gefangenschaft aus dem Norden kamen. Sie erzählten uns,dass die russischen

Ärzte zu viele Verletzte behandeln mussten. Es gab zu wenige Hilfen und

Hilfsmittel. Darum wurde als einzige Rettung von Leben amputiert. Sie hätten keine

Unterschiede zwischen Russen und Deutschen gemacht. Einige konnten nicht laufen,

aber alle halfen ihnen.

Am 31. August hielten wir bei Moskau. man teilte uns mit, dass der Zug hier

übernacht und länger stehen wird, weil das Kriegsende gegen Japan gefeiert wird mit

großem Feuerwerk in der Hauptstadt.

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Zufall ist, dass ich am 1. September Geburtstag habe. Alle wussten das, aber niemand

zeigte mir das. Gegen Mitternacht kamen sie alle an im Gänsemarsch singend und

jeder brachte etwas mit. Ich hatte mich gewundert, dass die Frauen so viel Tee

kochten. Es war für mich eine gelungene Überraschung. Ich, die jüngst, wurde 17

Jahre alt. Was brachten sie mir? Blümchen vom Bahndammrand, Teeblätter, aber

auch Zucker, Kekse oder Affen fett. Das Affen fett war so etwas wie Griebenschmalz,

Für uns Zivil internierte eine Delikatesse. Die Soldaten bekamen das. Sie

unterstanden dem Roten Kreuz, wir aber nicht. So wurden wir auch schlechter

ernährt.

Wir saßen dann alle zusammen am Bahndamm aßen und tranken und sahen das

Feuerwerk über Moskau. Dann sangen wir Heimatlieder miteinander. Noch heute

berührt mich diese Erinnerung immer wieder. Es war ein unbeschreibliches

Gemeinschaftsgefühl. Alle hatten wir die gleichen Sorgen. Was erwartet uns zu

Hause? Wo sollen wir hin? Wo sind unsere Angehörigen?

Hier erfuhren wir erst glaubhaft, dass der Krieg zu ende war. Da wir mit den Signalen

Probleme hatten, verabredeten wir das noch besser. Die Lok sollte dreimal in

Abständen Signal geben, damit wir auch etwas weiter weg Kräuter suchen konnten.

Das klappte dann gut.

Dann ging die Fahrt weiter Richtung Westen. Überall Leere oder Trümmer. Wenn der

Zug an Bahnhöfen hielt, waren wieder sofort Russinnen mit Warenkörben zur Stelle,

Brot, Eier, Gemüse und Obst boten sie zum Tausch an. Wieder wollten sie mein rotes

Kopftuch für 2 Eier und einen Weißkohl haben. Ich gab es nicht her. Ich wusste doch

nicht, was uns zu Hause erwartete. Die begleitenden Soldaten schickten die Frauen

sofort weg.

Jetzt verlief die Fahrt viel langsamer. Fahren, dann wieder länger stehen, so ging es

weiter. Viel Zugverkehr in Gegenrichtung war zu sehen. Ganze Güterzüge mit

Möbeln und mit Maschinen, aber auch Züge mit russischen Soldaten. Auch

gefangene deutsche Soldaten in langen Zügen kamen entgegen. Wir konnten nicht

mehr aussteigen beim Halten, wenn russische Frauen kamen. Das wurde uns

verboten. Ich weiß nicht warum. Wir vermuteten, dass man die Verschleppung von

Krankheiten fürchtete. Wir waren auch nur deshalb auf dem Heimweg, weil wir nicht

mehr arbeitsfähig waren.

Meine Krankheit machte sich auf der Fahrt leider mehr bemerkbar. Auf den Brettern

wurde man beim Fahren manchmal durchgeschüttelt und so schmerzte mein

Rippenfell und ich bekam auch Hustenanfälle. Ich glaubte zu ersticken. So lag ich

einige Tage wieder flach. Ich wurde aber von allen gut bemuttert und bekam Tee.

Mein Rücken wurde mit heißem Affen fett eingerieben.

Als wir an die polnische Grenze nach Brest- Litowsk kamen, ging es mir schon

wieder besser. Hier wurden wir wieder wie bei der Hinfahrt umgeladen in andere

Züge. Beim Umladen standen wir lange auf dem Bahnsteig. Dort warteten noch

andere Heimkehrer, So traf ich Förster Schenker aus Stolzenfelde bei Dobberphul

wieder. Er half mir und kümmerte sich auch um mich.

Ich wurde aber vor ihm gewarnt. Man erzählte mir, dass er in Russland Kameraden

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denunziert hat um Vorteile zu erreichen. Er wurde als Spitzel gemieden.Ein verwirrter

deutscher Mann , der nur ein Bein hatte, schlug um sich. Als er Herrn Sch.. sah,

beschimpfte er ihn und schlug mit seinem Stock nach ihm. Herr Sch. soll diesem

Mann großes Unrecht zugefügt haben. Dann wurde der Irre so gefährlich gegen alle,

dass er von den Russen erschossen wurde.

Das war nicht der einzige Tote auf der Rückfahrt. In unserem Wagen starben

unbemerkt zwei Menschen. Wir meldeten das, mussten aber lange warten bis sie her

aus geholt werden.

Das war sehr unangenehm für uns. Die Soldaten untersuchten sie erst, registrierten

sie, dann brachte man sie weg. Bei einem Toten dauerte das zwei Tage.

Die Fahrt durch Polen war diesmal sehr unangenehm für uns. Wo uns Polen sahen,

spuckten sie nach uns oder warfen mit Steinen. So wagten wir nicht, aus zu steigen.

Hier waren wir froh, dass wir bewacht wurden. Die Wachen jagten die Polen weg.

Auf der Heimfahrt waren die Soldaten alle sehr nett zu uns.

Am 17. September erreichten wir Frankfurt an der Oder. Wir waren wirklich in

Deutschland. Niemand empfing uns. Wir mussten ziemlich lange im Zug warten.

Dann endlich aussteigen und antreten. Vor dem Bahnhof standen wir lange an einer

Straße, wo viele Leute vorbei gingen. Wir fühlten uns nicht wohl.

Dann wurden wir doch mal angesprochen, ob wir aus Russland kommen. Wie sahen

wir auch aus. Sack artige Kleidung und primitive Holzschuhe und mein rotes

Kopftuch trug ich. Alle waren wir ärmlich gekleidet, ungepflegt und halbverhungert.

Meine Tante sagte mir später mal, dass ich bei der Rückkehr ausgesehen hätte, wie

ein aus gehungert-es zehnjähriges Kind. Dann bleibt eine Oma stehen vor uns. Sie

schaut uns an. Dann geht sie auf mich zu und fragt:"Warst Du auch in Russland?"Sie

wollte dann wissen, wo wir waren und ob wir auch gehungert haben. Dann schenkte

sie mir 2 RM und ein Butterbrot. Sie sagte noch:" Sie würde mir gern noch mehr

geben, aber sie habe selber kaum etwas zu essen!"dann liefen ihr Tränen runter.

Endlich wurden wir weiter in ein großes Lager geführt, und in verschiedene Baracken

eingeteilt. Man sagte uns, dass wir hier entlaust und untersucht werden. Danach

würden wir entlassen. Nur mit Entlassungspapieren könnten wir weiter fahren.

Ich hatte wieder starke Schmerzen. Als ich endlich einschlief, habe ich mit einer

Kameradin die Entlausung verpasst. Niemand hat uns geweckt, aber es merkte auch

niemand, dass wir nicht mit waren. Am nächsten Tag wurden wir untersucht,d.h.

abgehört und ausgefragt. Sonst saßen wir nur herum. Wir durften nicht aus dem Lager

raus.

Wir versuchten etwas über Zugverbindungen zu erfahren. Gab es vielleicht auch

andere Möglichkeiten weiter zu kommen? Können wir nach Hause? Nach Hause

konnten wir nicht mehr, das fanden wir heraus.

Am dritten Tage konnten wir uns Entlassungspapiere in russischer Sprache abholen.

Jemand hat mir übersetzt, dass darauf stand, dass ich in Russland war und aus

Krankheitsgründen als arbeitsunfähig entlassen worden bin. Mir fiel danach bei

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Kontrollen durch russische Soldaten auf, dass man uns schnell in Ruhe ließ. Auch

sonst hatten wir durch das Papier Vergünstigungen.

Wir bekamen bei der Entlassung noch ein Verpflegungspaket für drei Tage. Es

waren Brote mit Margarine, nicht viel, aber wir waren zufrieden und froh, dass wir

frei waren.

Nun mussten wir selber sehen, was wir tun und wohin wir wollten. Jetzt war uns

doch mulmig zu mute. Wir merkten, dass wir Vogel frei waren. Ich hatte ein etwas

älteres Mädchen bei mir, die zu ihrer Tante nach Marzahn bei Berlin wollte. Sie hatte

die Adresse, aber war sehr ängstlich, weil sie nicht wusste, wie sie da hinkommen

kann.

Ich bot ihr an, sie hin zubringen. Ich wollte auch nach Berlin zu meinen Großeltern.

Die Adresse hatten wir mit unseren Eltern auswendig gelernt, falls wir uns verlieren.

So fragten wir uns zusammen zum Bahnhof durch. Unterwegs warf mir eine Frau von

ihrem Balkon zwei Tomaten zu, nachdem sie gefragt hatte, ob wir aus Russland

kommen. Durch die Entlassungspapiere brauchten wir keine Fahrkarten zu lösen."

Fährt ein Zug nach Berlin?"fragten wir einen Beamten." Ein Güterzug fährt bald ab,

geht nur hinein in einen Wagen."Wir stiegen in einen leeren überdachten Güterwagen.

Andere Leute folgten uns.

Es dauerte nicht lange, da pfiff die Lok und die Fahrt begann. Leider hielt der Zug

nach zwei Stationen schon wieder. Nun begann eine lange Wartezeit, Auf ein

Abstellgleis wurde der Zug gefahren. Wen wir auch fragten, niemand wusste, wann er

weiter fährt. Wir stiegen aus und hofften, dass ein anderer Zug kommt. Nichts! Wir

liefen zu einem Bauern in der Nähe und baten ihn um etwas zu essen. Kartoffeln

bekamen wir.

Das war etwas, endlich wieder Kartoffeln. Mit anderen zusammen, machten wir ein

Feuer und brieten darin die Kartoffeln. Mir bekam das nicht. Durchfall und Erbrechen

waren schlimm. Zum Schlafen stiegen wir wieder in den Zug auf dem Abstellgleis.

Am nächsten Morgen kam ein anderer kurzer Personenzug. Er war so voll, dass wir

nicht mitkamen. So fragten wir, wie weit es bis zur nächsten größeren Ortschaft ist.

Es war Fürstenwalde mit mindestens 8 Km. Zu mehreren machten wir uns auf den

Weg Richtung Westen auf den Bahngleisen. Da wir auf den Bohlen liefen, war das

schwer für uns Kranken. So konnten wir das Tempo mit den Fremden nicht mithalten

und blieben zurück. Sie kümmerten sich nicht um uns. So erreichten wir beiden erst

viel später den Bahnhof von Fürstenwalde.

Man schickte uns zu einer Suppenausgabestelle. Als wir eintraten, merkten wir, dass

man uns schon angekündigt hatte. Es stand zwar eine lange Schlange, aber wir

durften vor gehen und bekamen einen sehr schönen warmen Eintopf. Ich konnte ihn

nicht leer essen. So zwang ich mich, weil ich nicht den Frauen vom DRK undankbar

sein wollte, doch es bekam mir nicht.

Nun waren wir schon zwei Tage unterwegs. Wieder war es ein Bahnbeamter, der uns

verriet, dass gleich ein Zug nach Berlin kommen müsste. Erst kam eine Lok mit zwei

Wagen. Alles stürzte sich darauf. Viele hängten sich an die Lok. Wir blieben lieber

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zurück. Da zeigte uns ein Beamter den richtigen Zug, der gerade ein fuhr.

Diesmal schafften wir es auf einen offenen Plattenwagen zu kommen. Der Zug wurde

übervoll. Ein Glück, dass ich meine Decke hatte. Es war Ende September und darum

schon recht kühl, vor allem nachts. Auf dem offene Wagen ist man noch dem kalten

Fahrwind ausgesetzt. Der Zug fuhr wirklich Richtung Berlin in die Nacht hinein. Es

war eisig kalt. Immer wieder hielt der Zug längere Zeit. Kontrollen gingen durch. Wir

durften auf Grund der Bescheinigung auf dem Wagen bleiben. Andere mussten runter

und wurden mitgenommen.

Endlich erreichten wir Erkner. Alle mussten aussteigen. Hier halfen uns Berliner. Sie

wussten,dass von hier manchmal die S-Bahn fuhr. Tatsächlich konnten wir nun am

dritten Tage bis Lichtenberg fahren.

Wie nun weiter nach Marzahn? Es gibt keine Fahrmöglichkeit. Hier kann man die 4

Km nur laufen. Schweren Herzens ging ich nun mit Wally Krieming zu Fuß. Ich hatte

ihr versprochen, sie zu ihrer Tante zu bringen. es war ein schwerer Gang für uns

beide, wir waren sehr matt. Wir schafften es und fanden auch die Straße und das

Haus. Die Tante öffnete uns und freute sich sehr, dass ihre Nichte zurückkehrte. Ich

durfte mich waschen und kämmen. Man gab mir Brot mit Marmelade und Kaffee.

Leider wurde ich dann abgeschoben. Ich bat um eine Fahrmöglichkeit. Sie gingen gar

nicht darauf ein. Es interessierte sie überhaupt nicht, ob ich das noch schaffe. Sie

schoben mich einfach zur Tür raus und schlossen sie schnell hinter mir. Ich war sehr

enttäuscht. Auch kein Dankeschön oder ein netter Abschied war es. Ich habe nie

wieder von Wally gehört.

Ich war verzweifelt, dass ich die 4 Km wieder zurück laufen musste. Ich traf einen

jungen deutschen Soldaten und fragte ihn nach dem Weg zum Bahnhof. Er wollte

auch da hin. Er war gerade aus der Gefangenschaft entlassen worden. Wir liefen

zusammen weiter. Dabei erzählte er mir ununterbrochen von seinen Erlebnissen in

der Gefangenschaft, sodass ich gar nicht an meine Schwäche dachte. Er stöhnte viel

und beklagte sich, wusste aber nicht, dass ich gerade aus Russland kam. Ich konnte

einfach nicht sprechen, dazu war ich zu kaputt. Ich bekam kaum Luft. Endlich am

Bahnhof, mussten wir viele steile Holzstufen zum Bahnsteig hoch. Oben

angekommen, sprangen mehrere Frauen von der Bank auf und legten mich hin. Ich

hatte kein Gefühl mehr im Körper. Man fragte mich, wohin ich wollte. So hatte ich

nette Helferinnen, die mich mit in den richtigen Zug nahmen. Sie legten mich im Zug

auf die Bank und kümmerten sich sehr besorgt um mich. Ich hörte aber genau, wie im

Nachbarabteil eine Frau sagte:"Sie sind selber Schuld, wenn sie verschleppt werden.

Warum lassen sie sich mit den Russen ein!"Damals war ich zu schwach, mich zu

wehren.

Aber ich kann jetzt nur sagen, dass Sie, liebe Leser, das jetzt wissen, dass ich das

nicht getan habe und viele andere auch nicht.

Bald mussten alle aussteigen, weil der Zug durch Zerstörungen nicht weiter fahren

konnte. Zu einem Anschlusszug mussten alle wieder laufen. Meine Helferinnen

waren am Ziel. Ich sollte mal einfach mit den vielen Leuten mitgehen, die wollen

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auch noch weiter fahren.

Vorsichtshalber fragte ich eine Mutter mit ihrem Kind in der Sportkarre nach dem

Weg. Sie fragte mich:"Wohin willst du denn?"Ich erzählte ihr, dass ich zu meinen

Großeltern nach Marienfelde wollte. "Wohin denn dort?"fragte sie."In die Kirchstraße

13."sagte ich."Du kannst mit mir kommen,denn ich wohne ganz in der Nähe!"So

schloss ich mich ihr an. Sie schenkte mir belegte Brote.

Beschenkt worden bin ich auf dem Weg so viel, dass ich bis zu meinen Angehörigen

schon 36 RM hatte.

Ich war jetzt sehr aufgeregt, denn die Ungewissheit schnürte mir die Kehle zu. Werde

ich meine Familie finden? Leben sie alle noch? Wo sind sie? Ich konnte jetzt nichts

essen. Dann die Frage, steht das Haus meiner Großeltern noch? Sind sie da? Was

mache ich, wenn ich niemand finde? Mutti, Vati, Fritz, Eva und Hans-Hubertus, wo

sind sie?

Ich musste mit der Frau noch mal umsteigen in Mariendorf. Nach längerem Warten

ging es aber schnell weiter. Dann in Marienfelde. Hier kannte ich mich ganz gut aus,

weil wir öfter bei den Großeltern waren. In der Kirchstraße an einer Ecke zu einer

Nebenstraße trennten wir uns. Die nette Frau zeigte mir ihr Haus und sagte:"Ich habe

acht Kinder, aber wenn Du niemand antriffst, kommst Du zu uns! Für Dich haben wir

auch noch einen Platz!"Später hat sie mich noch mal besucht, als ich noch sehr krank

war. Ich bin ihr sehr dankbar für die Hilfe. Ich hatte nun das Gefühl, nicht ganz

verlassen zu sein.

Als ich vor dem Haus meiner Großeltern stand, zitterte ich. Das Dach war weg, vor

den Fenstern nur Bretter. Nur an einem Fenster war eine kleine Glasscherbe

eingesetzt. Die Haustür wurde durch Balken abgestützt. Dann klingelte ich an der

Gartenpforte, doch sie ging nicht. Ich war aufgeregt. Dann merkte ich, dass die Tür

nur angelehnt war. Ich ging in den Vorgarten, da sah ich den Kopf meiner Großmutter

an dem kleinen Fenster. An der Haustür kam mir meine Patentante Trude entgegen."

Ist das aber fein!" sagte sie und ich schluchzte laut und konnte mich nicht mehr

beherrschen.

Glücklich begrüßte ich meine Großmutter. Sie erzählte mir, dass mein Vater nicht

mehr lebt, und Mutti mit den Geschwistern in Neustrelitz in Mecklenburg bei Tante

Dorle sind. Bruder Fritz hatte sich auch aus der Gefangenschaft bei Bad Kreuznach

gemeldet.

Tante Trude brachte mir Tee und eine heiße Brühe.Ich wusch mich und wollte

schlafen. Im Bett mit Matratze und dickem Federbett konnte ich nicht schlafen. Alles

war so anders. Keine Bretter und schön warm. Ich stand wieder auf.

Dann schrieb ich eine Karte an meine Mutter.Telefon gab es damals nicht. Ich schrieb

ihr, dass ich nach einer Woche zu ihr nach Neustrelitz kommen würde. Nun kam

Großvater, der Pfarrer von Beruf war, aber schon lange pensioniert war. Da kein

Pfarrer da war, hatte er wieder gepredigt mit 82 Jahren. Er lud mich ein, mit ihm

einkaufen zu gehen. Dann wollte ich meine andere Oma und Tante Friedel besuchen.

Sie wohnten einige Straßen weiter. Wir trafen sie schon auf dem Wege.

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Sie erkannten mich erst nicht (siehe Bild). Ich war so schmal,

die Zöpfe weg und in Lumpen. Ich blieb bis abends bei ihnen.

Sie hatten nur eine ganz kleine Bleibe. Sie waren auch im Krieg

ausgebombt in Müggelheim. Danach hatten meine Eltern sie

nach Dobberphul geholt. Sie haben den Treck nach Berlin mit

gemacht, wie auch die andere Großmutter und ein Großonkel.

Darüber haben meine Großmutter und Tante Friedel

geschrieben, siehe im Anhang.

Finanziell ging es allen sehr schlecht. Inzwischen hatte Tante

Trude für mich auf dem Dachboden ein Bett in einer geschützten

Ecke aufgestellt. Nachts wurde ich wach. Ich musste zur

Toilette. ich konnte nicht aufstehen. Es fehlte die Kraft. Ich war wie gelähmt. Ich

versuchte es immer wieder, aber es ging nicht. Ich rief nach meiner Tante.

Am nächsten Morgen holte Tante Trude eine Ärztin aus der Nachbarschaft, Frau Dr.

Kallweit. Viele Wochen hat sie mich behandelt. Ich hatte hohes Fieber und war völlig

kraftlos. Es ist ein Wunder, dass ich es noch bis dort geschafft habe. Aber wie konnte

mir die Ärztin helfen? Es gab nichts. Ich hatte nicht mal eine

Aufenthaltsgenehmigung für Berlin. So bekam ich auch keine Lebensmittelmarken.

Ich war so schwach, dass ich auch nicht transportfähig war. Stillschweigend blieb ich

bei den Verwandten.

Meine Tante kümmerte sich rührend um mich. Sie hatten alle sehr wenig zu essen

und auch kaum Geld. Aus Dobberphul wurden alle vom Russen ausgewiesen. Sie

mussten unter schweren Bedingungen teilweise zu Fuß nach Berlin laufen. Den

Bericht darüber können Sie als Anhang lesen. Oma Lieschen mit 82 Jahren und Tante

Friedel, ihre Tochter, haben ihn geschrieben. Ich habe ihn unverbessert gedruckt, weil

viele junge Leute Sütterlin nicht lesen können.

Da die Großeltern und der Großonkel schon über 80 waren, litten sie sehr. Dann

gehörte noch Tante Grete, die Schwester von Tante Trude, zum Haushalt.

Ausgerechnet zu ihnen bin ich noch gekommen. Etwas Hilfe war durch den Garten

da. Obst und Gemüse hatten sie geerntet. So tauschte Tante Grete für mich etwas

Ziegenmilch gegen Obst ein.

Tante Grete war vor dem Kriegsende aktiv im Roten Kreuz. Da sie aber auch in der

Partei war, musste sie als Trümmerfrau arbeiten. Das tat sie ohne Klagen. Vorteil war

nur, dass sie dafür etwas Geld bekam. Es war Schwerstarbeit für die Frauen. Sie

bekamen aber auch Lebensmittelmarken für Schwerarbeiter.

Für den Gottesdienst und Kirchenarbeit bekam mein Großvater kein Geld, auch die

Pension kam nicht mehr. Er ist später, 1947, am Altar zusammengebrochen und

gestorben.

Das Haus war durch eine Luftmiene getroffen worden, die in den Garten

eingeschlagen war. Nicht nur alle Fenster waren entzwei, auch das Dach war runter.

Das Treppenhaus zur oberen Etage hatte ein Loch und die Haustür musste abgestützt

werden. Die Zimmer hatten alle Schäden, waren aber noch bewohnbar.

Die Ärztin kämpfte um mich. Ihr Arbeitsplatz war das Gesundheitsamt in Tempelhof.

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Sie war alleinstehend und schloss mich in ihr Herz wie eine Tochter. Ihre Praxis war

ständig überfüllt, trotzdem schaute sie täglich nach mir. Anfangs glaubte sie nicht

daran, dass ich gesund werden könnte. Wie sie für mich Lebensmittelmarken für

Schwerarbeiter und Medikamente beschaffte, darüber sprach sie nicht. Sie nahm kein

Geld für die Behandlung. Ich habe viele Jahre bis zu ihrem Tode zu ihr Kontakt

gehabt. Unendlich dankbar bin ich ihr für die aufopfernde Hilfe.

Tante Trude fütterte mich tröpfchenweise. Liebevoll zurecht gemachte Häppchen

brachte sie mir mehrmals am Tage. Ich schlief in der ersten Zeit meistens durch das

hohe Fieber. Völlige Erschöpfung. Das ging sechs Wochen so. Erst hatte ich noch

Durchfall und erbrach oft, doch allmählich hörte das auf. Langsam bekam ich auch

Appetit.

Nun wollte die Ärztin mich röntgen. Das war nur in Tempelhof im Gesundheitsamt

möglich. Wie komme ich da hin? Laufen konnte ich noch nicht. Taxis gab es nur

wenige und wir konnten das nicht bezahlen. S-Bahn, dazu war ich zu schwach. Nach

langem vergeblichen Hilfesuchen, setzten mich meine Tanten in den Handwagen in

Decken eingewickelt und zogen mich. Ich weiß nicht die Kilometer, aber 2 Stunden

waren wir unterwegs. Als ich aus dem Handwagen gehoben wurde, musste ich mich

wieder übergeben.

Dann trugen sie mich in den überfüllten Wartesaal. Es wurde für mich ein Platz frei

gemacht. Keine 5 Minuten saß ich, da kippte ich vom Stuhl durch Schwäche. Frau

Dr. Kallweit öffnete gerade die Tür und sah das. Sie holte mich sofort rein.

Beim Röntgen musste ich festgehalten werden. Das Bild war nur schwarz durch das

viele Wasser in der Lunge. Mein Herz wurde untersucht, sonst weiß ich nichts weiter.

Von Herzschwäche sprachen meine Tanten damals auch. Ich wog 38 Kg mit 17

Jahren. Meine Zähne waren locker. Erstaunlich ist, dass sie nicht ausgefallen sind.

Harte Nahrung konnte ich nicht essen. Meine langen Zöpfe waren weg. Ich hatte am

Hinterkopf viele kahle Stellen.

Später, in Neustrelitz, bin ich von einem zum anderen Frisör gelaufen. Ich bat um

Hilfe. Sie weigerten sich alle, mein Haar zu behandeln. Sie hatten Angst vor

Krankheiten. Erst im Sommer 1946 wurde ich von einem älteren Frisör, der nur

privat arbeitet, durch Vermittlung einer Bekannten, behandelt. Er bestellte mich

abends. Er war früher im Schloss in Neustrelitz Hoffrisör. Er blieb nur dort, weil ihm

zwei Häuser gehörten. Die Russen beschlagnahmten diese, und so ging er später auch

heimlich in den Westen.

Er schaute sich meinen Kopf an und wusste sofort, dass reiner Vitaminmangel die

Ursache für den Haarausfall war. Er besorgte aus Westberlin ein Einreibemittel. Nach

mehreren Behandlungen durch Einmassieren des Mittels wuchsen die Haare wieder

nach. Lockiges und sehr dichtes Haar bekam ich wieder. Nichts musste ich ihm für

alles bezahlen. Ich bin auch ihm sehr dankbar für die Hilfe.

Nun aber weiter zu meiner Genesung. Langsam versuchte ich wieder aufzustehen.

Jeden Tag ein bisschen. Tante Grete kümmerte sich inzwischen um eine Anmeldung

und einen Personalausweis für mich.

Anfang Dezember kam die Nachricht, dass ich mit einem Passbild den Ausweis

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abholen kann. Eine Aufenthaltsgenehmigung bis Ende Januar war auch dabei. Da ich

kräftiger war, konnte ich den Behördengang mitmachen.

Noch im November kam Mutti nach Berlin. Das hatte einen Grund. Ich hatte mich ja

schon angemeldet, dass ich nach einer Woche käme. Das war angekommen. Nach

meinem Zusammenbruch hatte Tante Friedel an Mutti geschrieben, aber die

Nachricht kam nicht an. So hatte sie keine Ruhe mehr und kam nun selber her. Mutti

hatte kaum Geld und die Bahnfahrt war ein Drama. Sie hatte sich so Sorgen gemacht.

Zwei Tage blieb sie bei mir und saß nur still an meinem Bett. Sie erzählte mir später,

dass ich so dürr und elend ausgesehen hätte, dass sie an meinem Gesund werden

zweifelte. Von Tag zu Tag ging es mir besser, und ich hatte wieder mehr Mut. Tante

Trude stellte mir immer Blumen aus dem Garten ans Bett.

Sie war es auch, die mich dazu brachte, in ein Tagebuch über meine Erlebnisse zu

schreiben. Dazu schenkte sie mir ein dickes Heft und einen Stift. Ich fing auch an

mit Schreiben, doch nur in kleinen Abschnitten. Ich brach dabei oft in Tränen aus

und musste abbrechen.

Heute bin ich froh,dass ich alles aufgeschrieben habe. Erstens konnte ich mir das von

der Seele schreiben, und zweitens hätte ich sonst Vieles nicht mehr gewusst. Dann

gab sie mir noch Zeichenpapier. Ich zeichnete die Blumen ab, besonders gern die

Rosen. Die Bilder habe ich alle verschenkt.

Da es langsam Winter wurde, musste ich vom offenen Boden in den Keller ziehen.

Einen kleinen Raum hatte Tante Trude mir recht gemütlich eingerichtet. Sie hat mich

wirklich mütterlich versorgt. Nun kamen Großvater und Onkel Theo öfter zu mir.

Großvater las mir aus der Bibel vor.

Onkel Theo erzählte mir viel aus seiner Jugendzeit und von der großen Familie. Er

zeigte mir Fotos, die er gerettet hatte vor den Bombenangriffen in Hamburg. Dort

haben sie früher gewohnt.

Weihnachten konnte ich schon länger aufstehen und oben mit am Tisch essen.

Kleidung zum Anziehen hatten mir Leute aus dem Dorf geschenkt. Schuhe bekam ich

von einer Cousine, der Tochter von Vatis Schwester. Peinlich war mir, dass wir nun

die letzten Äpfel hatten, weil Tante Trude mir viele gegeben hatte. Sogar etwas

Kleingebäck bekamen alle, obwohl kaum was da war. Tante Trude hat rührend an

alles gedacht.

Bis Ende Januar durfte ich noch in Berlin bleiben. Dann lief meine

Aufenthaltsgenehmigung ab. Mit einem Rucksack wurde ich zum Nordbahnhof

gebracht und fuhr nach Neustrelitz. Der Zug war sehr voll. Ich bekam keinen

Sitzplatz und setzte mich auf den Rucksack. In Neustrelitz sollte ich vom Bahnhof

abgeholt werden. Niemand war zu sehen.

Da ich den Ort kannte, lief ich zum Töpferberg 3a. Als Mutti öffnete, fiel ich wieder

um. Nun war ich wenigstens wieder bei meiner Familie. Die Geschwister Eva und

Hans-Hubertus sah ich endlich wieder.

Wir mussten alle in einem Zimmer schlafen. Die Wohnung gehörte Muttis Bruder,

der noch in Gefangenschaft war. Seine Frau Tante Dorle hatte uns aufgenommen. Sie

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lebte dort mit ihrer Tochter Heidi, die 6 Jahre alt war. Der 18 jährige Sohn Karl-

Heinz war als Soldat in Russland vermisst. Unser Zimmer war groß aber für uns vier

ein bescheidenes Quartier. Ich schlief auf einem schmalen Sofa. Die Möbel gehörten

dem Bruder. Wir hatten kein Geld, und waren dankbar, dass wir bei Tante Dorle ein

Unter kommen hatten.

Nun musste ich mich beim Einwohnermeldeamt anmelden. Sofort wurde ich zum

Gesundheitsamt bestellt. Bei großer Untersuchung von Lunge, Herz und Blut war das

Ergebnis, nicht arbeitsfähig.

Meine Geschwister gingen zur Schule, Mutti suchte Arbeit. Das war damals schwer.

Mutti war als Sekretärin für Büros ausgebildet und hatte jahrelang vor der Heirat auf

Gütern im Büro gearbeitet. Wo von sollten wir leben? Später bekam sie dann im

Krankentransportbüro Arbeit.

Da wir Tante Dorle nicht zu viel belasten wollten, gingen wir jede freie Zeit aufs

Land, um Essbares zu bekommen. Ährenlesen, Kartoffeln nachlesen. Wir suchten

Blaubeeren, Himbeeren und Brombeeren im Wald oder auch Pilze. Zuerst konnte ich

noch nicht mit, aber bald ging es doch.

Über die Kirche bekam ich Carepakete aus Amerika mit Lebensmittel. Auch aus

Hannover bekam ich zwei Pakete. Später auch mal Pakete von Verwandten aus

Westdeutschland.

Mein Bruder Fritz war inzwischen aus Gefangenschaft bei den Amerikanern

entlassen worden, weil er noch sehr jung war. Er blieb in Westdeutschland und

musste sich allein durchschlagen, denn wir konnten ihm nicht helfen. Er kam bei

Freunden von uns unter und hat dann gearbeitet und im Abendstudium seine

Ausbildung gemacht.

Vor dem Einmarsch der Russen hatte ich die Periode schon, aber unregelmäßig. In

Russland setzte sie bei allen Frauen aus. Ein Glück bei den hygienischen

Verhältnissen. Bis ich 20 Jahre alt war, hatte ich sie nicht mehr. Bei einer

Frauenärztin wurde das wieder geregelt. Man stellte aber starke Unterentwicklung

fest. was sollte jetzt aus mir werden?

Mutti ließ mir Zeit, ich half ihr viel im Haushalt. Am Schlossplatz gab es manchmal

Brot vom Bauern, 20 bis 25 Mark das Stück. Tante Dorle gab mir Geld, damit ich für

alle Brot kaufen kann. Ich ordnete mich ein zu den Wartenden. Als dann der Wagen

kam. rannten alle durcheinander hinter her. Das konnte ich nicht und wurde

umgerissen. Alle trampelten über mich. Ein älterer Herr half mir auf und dann rief er

zum Bauern:"Die Kleine haben sie bald tot getrampelt, gib mal ein Brot rüber!" Ich

hatte zwar einige Schrammen, aber ich war glücklich, dass ich ein Brot bekam für 20

Mark

Inzwischen hatte Mutti auch beim Krankentransport Arbeit gefunden. Das war eine

große Erleichterung für uns, obwohl der Verdienst sehr klein war.

Tante Dorle bekam im März Besuch von einer bekannten Bäuerin aus Nemerow.

Diese suchte für eine Woche eine Hilfe auf ihrem Hof. Das war eine kleine Siedlung

mit etwas Land und Vieh. Sie hatte drei Kinder. Ihr Mann war in Russland gefallen,

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und ein viertes Kind an Diphtherie gestorben. Sie wollte mit den Kindern nach

Berlin, um einige Tage aus zu spannen. Ich bot meine Hilfe an. Sie hatte auf dem Hof

einen Knecht und eine Haushaltshilfe, die die Arbeit machten. Ich sollte sie nur

beaufsichtigen. Dafür sollte ich einige Lebensmittel als Lohn bekommen. Sie war

zufrieden mit mir, als sie zurück kam, aber behalten wollte sie mich nicht. Ich war ihr

zu dünn und zu schwach.

Gegenüber unserer Wohnung gab es eine große Gärtnerei. Ich hatte immer den

Wunsch in die Landwirtschaft zu gehen, d.h. ich wollte die Landfrauenschule

besuchen und Lehrerin werden. Dazu brauchte ich auch die Lehre im

landwirtschaftlichen Haushalt. Da die Bäuerin, Frau Hielscher, mich nicht nahm,

versuchte ich in die Gärtnerei als Lehrling zu kommen. Man nahm mich erst drei

Tage versuchsweise. Ich habe mich so bemüht, schob die volle Karre, grub mit den

Boden um, es fiel mir schwer. Der Gärtner meinte, dass das zu schwer für mich ist.

Ich gab Nachhilfe für Grundschüler, ich ging im Russenhotel Zimmer putzen. alles

war nur kurzzeitig. Plakate habe ich beschriftet gegen etwas Geld, doch es gab kaum

Schreibfedern. So war auch das eine Mühe, die sich nicht lohnte.

Im Sommer holte die Bäuerin mich dann doch, weil sie die Haushaltshilfe bei Betrug

ertappt hatte. Sie schmiss das Mädchen raus. Nun endlich konnte ich beweisen, dass

ich arbeiten kann. Anfangs habe ich mich übernommen, weil ich bleiben wollte. Ich

bekam geschwollene Hand- und Fußgelenke. So musste ich viel ruhen, aber ich

durfte bleiben. Ich kümmerte mich um die drei Jungen im Alter von 6, 8 und 10

Jahren. Da die Mutter durch den Verlust der Mannes und der Tochter depressiv war,

kümmerte sie sich kaum um die Jungen. Sie ließen sich gern von mir helfen.

Allmählich erholt ich mich zusehends. Die Ernährung war gut und kräftigte mich. Ich

habe dann den ganzen Haushalt, die Kinder und das Vieh versorgt und auch die

Feldarbeit gemacht. Die Bäuerin schlief oft lange und verließ sich auf mich. Da sie

von der Landwirtschaft allein nicht leben konnte, unterrichtete sie einige Stunden in

der Dorfschule. Ich habe von morgens um 6 Uhr bis spät abends gearbeitet und hielt

das gut durch, weil ich alles selbst einteilen konnte und Spaß daran hatte. Jetzt merkte

ich auch, dass ich schaffen kann. Ich überlegte, was ich weiter machen könnte.

Eineinhalb Jahre war ich auf dem Hof, dann kündigte ich. Ich wollte in die

Landwirtschaftsschule in Neustrelitz gehen.

Man ließ mich nicht gern gehen.ich habe die Zeit auf dem Hof als Lehre anerkannt

bekommen und auch die Gehilfinnenprüfung bestanden. Zwei Semester

Landwirtschaftsschule mit viel Büffelei halfen mir zu guten Abschlüssen. Ich bin

morgens um 4 Uhr zum Lernen aufgestanden, weil ich viel Nachholbedarf hatte. Aber

es klappte auch gut und ich hielt durch. Man schickte mich weiter zur Ausbildung

nach Stralsund als Berufsschullehrerin.

Nun konnte ich wieder ein normales Leben führen und musste Mutti nicht mehr

belasten. Mit mir ging eine Kameradin der Landwirtschaftsschule nach Stralsund. Zur

Universität in Greifswald gehörte die Ausbildungsstätte für Berufsschullehrerinnen.

Ich wohnte mit Annemarie zusammen in einer kleinen Wohnung. Wir kochten für uns

selber und mussten 30 Mark Miete bezahlen. Ich bekam ein Stipendium von 125

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Mark im Monat. Glück hatte ich, dass der Vater von Annemarie Sattlermeister war,

aus dem Sudetengau waren sie vertrieben worden. Er arbeitete für die Bauern und

bekam dafür Naturalien. So gab er uns Kartoffeln und Kohlen für unseren Ofen. Ich

brauchte dafür nichts zu bezahlen.

Da es sowieso nichts zu kaufen gab, konnte ich Mutti am Monatsende manchmal

etwas abgeben. Ich hatte sehr wenig anzuziehen. Es fehlten mir vor allem Schuhe.

Als es mal für Studenten, die wenig hatten, Schuhe geben sollte, schlug man mich

vor. Dann kamen aber ganz leichte Stoffhalbschuhe, die kaum tragbar waren.

Es war aber trotz allem eine schöne Zeit mit viel guten Kontakten zu

Mitstudenten.Wir hatten alle wenig Geld und konnten uns auch nicht viel leisten. Ich

schaffte das Examen.

Ich wurde nach Neustrelitz geschickt als 22 jährige jüngste Lehrerin, und im

Schulbezirk Carpin eingesetzt. Ich unterrichtete dort ein Jahr allein als

Berufsschullehrerin für 6 Dörfer mit insgesamt 360 Schülerinnen und Schüler im

Alter von 14 bis 18 Jahren. Der Unterricht wurde nachmittags in den Grundschulen

ab 14 Uhr durchgeführt. Ich wohnte zur Miete in einem Zimmer. An drei Schulorten

hatten die Jungen und Mädchen je einmal in der Woche 6 Stunden zusammen

Unterricht. Auch Sonnabend war Nachmittagsunterricht.

Mit einem primitiven geliehenen Fahrrad ohne Licht fuhr ich auch im Winter zum

Unterricht in den jeweiligen Ort. Im Winter gab es oft schon um 17 Uhr

Stromsperren. Da es mit 60 Schülerinnen und Schülern, die eng zusammengepfercht

waren, nicht zumutbar war, durfte ich ab 19 Uhr bei Stromausfall Schluss machen.

Die Radfahrten im Dunklen zu meiner Wohnung waren auch eine Katastrophe. Ich

kürzte den Weg ab an der Bahnlinie entlang, das war ein schmaler Streifen neben den

Schienen, aber oben auf der Böschung. War es sehr dunkel, fuhr ich lieber auf den

Bohlen zwischen den Schienen. Da verlor ich die Luftpumpe. Ich kroch auf den

Schienen zum Suchen und fand sie auch. Ersatz gab es nicht in der DDR. Da hörte

ich den Zug kommen,schnell runter von der Böschung, das war gefährlich. Einmal

landete ich in einer Kurve im Dunklen im Straßengraben in einem Stacheldrahtzaun.

Mein Mantel kaputt, das war schlimmer als die Verletzungen.Dann kam einmal im

Dunklen von hinten ein russischer LKW. Ich hatte Angst,fuhr aber schnell weiter. Der

Wagen blieb hinter mir. Der wollte mir nur leuchten und ich hatte solche Angst.

Neben meiner Schultätigkeit musste ich die FDJ-Gruppe übernehmen. Dazu

verlangte der Bürgermeister Wieland von mir, dass ich in die SED eintreten soll. Ich

weigerte mich, trat dann aus Sicherheitsgründen aber in die Bauernpartei ein. Nun

wollte man mich aus dem Schuldienst entlassen, weil ich nicht fortschrittlich genug

sei. Die Eltern meiner Schüler setzten sich jedoch geschlossen für mich ein. So wurde

ich dann nach Neustrelitz versetzt. Hier konnte mich die SED besser kontrollieren.

Ich könnte noch viele Erlebnisse schildern.

Ich war in der Berufsschule im Kreis Neustrelitz die jüngste Lehrerin. Nach dem Jahr

in Carpin bekamen wir einen neuen Schulleiter. Er holte mich nach Neustrelitz und

war erstaunt, dass ich dort allein tätig gewesen bin. Er hatte meine Schwierigkeiten

auch mitbekommen.Hier verlangte die Partei sofort von mir Aktive Mitarbeit in der

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FDJ. So übergab man mir in der Schule die Kulturgruppe. Mit Chor, Volkstanzgruppe

und anderem hatte ich auch viel Spaß. Auch die Jugend nahm das gut an. Mitglieder

der Bauernpartei wählten mich zur Vorsitzenden, weil viele auch nichts von der SED

wollten, sie glaubten, dass sie mich dadurch schützen könnten. Wir hatten eine neue

Kollegin, die sehr überzeugtes SED-Mitglied war. Das merkten wir alle und gingen

ihr aus dem Wege.

Dann schickte man mich zur Vorbereitung der ersten Lehrerprüfung nach Ahlbeck an

der Ostsee. An der Humbolduniversität in Berlin bestand ich die erste Lehrerprüfung.

Inzwischen wurden in der Landwirtschaftsschule in Neustrelitz mehr

Berufsschullehrer eingestellt.

Ich war immer noch die jüngste aber dann die dienst älteste Lehrerin. So übergab

man mir eine neue Klasse, die aus Heimkehrern aus der Gefangenschaft bestand. Sie

sollten als Traktoristen ausgebildet werden. Es waren 30 Schüler, davon 3 Mädchen

und 27 Jungen im Alter von 19 bis 27 Jahren. Sie hatten einmal in der Woche 8

Stunden Unterricht. Ich musste die Klasse übernehmen. Ich war jetzt 23 Jahre alt.

Ich wurde vom Schulleiter vorgestellt und sollte Deutsch, Gemeinschaftskunde und

Biologie übernehmen. Sie grinsten,als ich vorgestellt wurde. Nachmittags musste ich

drei Stunden unterrichten. Am ersten Tag war ich aufgeregt, weil einige älter waren

als ich und schon Abitur hatten. Das Pult war vorn und die Schüler sitzen mit dem

Rücken zur Tür. Ich komme rein. Der Mittelgang nach vorn ist zugestellt mit Tischen,

keiner rührt sich. Ich gehe außen herum nach vorn, und will meine Tasche aufs Pult

legen. Alles voll Kreidestaub. Also Tasche auf die erste Bank gelegt. Alles still. Ich

sage nur:"Meine Herren, dass ist richtig, dass Sie nicht aufstehen. Schließlich sind

Sie keine Schulkinder." Dann fange ich mit Deutsch an und stelle Fragen. Niemand

reagiert und meldet sich. Ich schaue mir alle an und sehe, da ist jemand, der möchte

sich melden, aber er traut sich nicht. Ich frage ihn und er antwortet. Da war das Eis

gebrochen. jetzt machten alle toll mit. Wir hatten eine schöne Zeit miteinander. Ich

denke gern daran zurück.

Ich habe dann nach zwei Jahren mich zur zweiten Lehrerprüfung angemeldet. Dazu

musste ich zur Vorbereitung nach Heringsdorf an der Ostsee für 3 Wochen mit

anderen zusammen. Die Prüfung wurde dann etwas später in Güstrow in

Mecklenburg durchgeführt.

Es war eigentlich mehr eine politische Prüfung nach meiner Beobachtung. Denn die

erste Frage war für jeden von uns gleich. Sie lautete:" Sind Sie der Meinung, dass

man Westsender sehen muss, um den Argumenten der Schüler gewachsen zu sein?"

Die erwartete Antwort war:" Nein, wenn man den Marxismus gut kennt, braucht man

keinen Westsender." Ich hatte bei der Vorbereitung gut aufgepasst, und leierte das

auch runter. Bei mir kam dann noch die Frage:"Sie waren in Russland. Wie denken

Sie darüber?" Auch darauf hatte ich mich vorbereitet:" Es war Krieg, es ging den

Russen auch nicht besser. Sie hungerten genauso wie wir. Da konnten wir nichts

anderes erwarten." Damit hatte ich schon die Prüfung bestanden. Es kamen zwar

noch einige allgemeine Fragen,aber die waren belanglos. Tatsächlich fielen aber

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mehrere durch, weil sie nicht zufrieden stellend geantwortet haben.

Ich blieb noch ein halbes Jahr an der Schule in Neustrelitz. Die neue Lehrerin

meldete sich wieder einmal in einer Konferenz und behauptete:" Wir Lehrerinnen

wären alle bereit, am Schießunterricht teilzunehmen!" Ich meldete mich sofort mit

Ablehnung und sagte:" Erstens weiß ich nichts davon und zweitens bin ich nicht

bereit dazu!" So fiel ich schon wieder auf und war so wie so bei bestimmten Leuten

nicht gut angesehen. So hatte ich Kontakte nach Westdeutschland heimlich

aufgenommen.

Ich bin dann ohne Abschied im Januar 1953 nach Berlin-West mit der Bahn gefahren.

Von dort flog ich nach Regelung meiner Papiere nach Frankfurt am Main und weiter

nach Süddeutschland. Arbeit hatte ich mir schon über meine Verwandten besorgt, so

dass ein Reisebüro mir bei Papieren half und den Flug für mich buchte. Geld hatte ich

mir geborgt, sonst hätte ich das nicht bezahlen können. Ich konnte jetzt als Flüchtling

nicht durch die DDR mit der Bahn fahren.

Vorübergehend arbeitete ich in einer Bahnhofsgasstätte in Mühlheim/ Baden. Ich

bewarb mich wieder in meinem Beruf und konnte in Südwürtenberg als Lehrerin

ankommen in der Landwirtschaftsschule in Haigerloch bei Hechingen.

Nur weil ich beide Lehrerprüfungen hatte, nahm man mich. Ich musste dann noch ein

Jahr eine Ausbildung mit machen, aber unterrichten in einer Landwirtschaftsschule

als zweite Lehrerin. In dem Jahr musste ich jeden Monat 2 Lehrproben und einen

Vortrag , den ich vor Bäuerinnen halten musste, einreichen. In den Ferien musste ich

an Kursen teilnehmen. Wir waren mehrere Lehrerinnen aus der DDR, die daran

teilnahmen. Nicht alle hielten durch, weil die Belastungen sehr groß waren und einige

Kinder hatten. Wir waren vier, die die Prüfung danach bestanden. Es gab noch einige

Schwierigkeiten. Ich bekam mein Zeugnis nicht ausgehändigt, weil ich nach neuen

Bestimmungen die Landfrauenschuloberklasse nachmachen musste.

Ich ging dann aber nach Osnabrück und heiratete. Dort habe ich dann in der

Landfrauenschule Obernkirchen die Oberklasse mitgemacht und das

Abschlusszeugnis nach Süddeutschland geschickt

Mehrere Jahre habe ich im Lanndkreis Osnabrück in Dissen und in Schledehausen als

Berufsschullehrerin unterrichtet. 1961 wurde ich Mutter. Meine Tochter kam durch

meine Unterentwicklung 10 Wochen zu früh, doch entwickelte sie sich zwar

langsamer, aber normal. Vier 4 Kinder hab ich groß gezogen Wir lebten dann aber in

Osnabrück.

So weit über meine Erlebnisse. Jetzt bin ich schon über 80 Jahre alt. Ich habe viel

kämpfen müssen. Trotzdem darf ich immer noch leben. Man begreift, dass im Leben

nur durchkommt, wer nicht aufgibt. Wenn Sie mich fragen, ob das nicht Verbitterung

auslöst. Nein, kann ich nur sagen. Ich habe viel aus dem Erlebten gelernt. Wie oft

hatte ich Hilfen. Opferbereite Menschen, die in meinem Herzen weiter leben. Diese

Begegnungen haben mein Leben geprägt.

Ich gehe auf Mitmenschen zu, besonders auf Not leidende und Hilfsbedürftige. Es

gibt zu viele. Darum muss ich einfach aktiv sein. Aus Dankbarkeit an meine Helfer

und Verpflichtung , es auch für andere zu tun. Ich bin auch überzeugt, dass es Gottes

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Wille war, er braucht mich noch. Ich danke, dass ich noch so fit sein darf und

gebraucht werde.

Die meisten, die mit mir in Russland waren, sind schon tot. Niemand hat mir damals

so ein langes Leben zugetraut. So ist mein Bericht vielleicht für andere eine Hilfe. Ich

habe wahrheitsgemäß berichtet. Nicht Mitleid will ich erreichen, nur zeigen, dass es

überall Menschen gibt, die selbstlos Hilfe leisten ohne Unterschied nach Rasse oder

Religion, dass wir Menschen in der ganzen Welt lernen müssen, tolerant zueinander

zu werden, zu lernen, einander zu verstehen und uns gegenseitig anzunehmen.

In diesem Sinne möchte ich meinen Bericht als Zeitgeschichte abschließen. Danke,

das Sie das gelesen haben.

In der Not mit Papierresten einen Glückwunsch geschrieben.

Stichpunkte über Ablauf in der Verschleppung

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Mitgefangene bei einem späteren Treffen! 1993

Ilse und Ich!

Nachwort: Danken möchte ich den Helfern bei der Überarbeitung meines Berichtes.

Mein Sohn Ralf hat den Bericht mit den eingesetzten Bildern und anderen

Verbesserungen verschönert. Von Frau Damm-Putty- habe ich alle Briefe und andere

Erinnerungsstücke geerbt. Außerdem mit ihr manche Erinnerung zusammen

durchgesprochen so lange sie noch lebte. So manche Erinnerung wurde durch die

Treffen mit den Mitgefangenen aufgefrischt. Auch meine Großmutter und die Tante

trugen dazu bei durch ihre Berichte. So hoffe ich, dass Sie alles verstehen können.

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Meine Schwester

Wir waren noch mehrmals in Dobberphul zusammen. Siehe nächste Seite

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