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husteten oder etwas mit der Brust hatten. Ich glaubte, dass mindestens ein Teil von
ihnen TBC hatte. Wenn ich hier bleiben muss, schaffe ich es nicht, gesünder zu
werden, sondern stecke mich noch an.
Ich hatte zwar immer noch starke Entzündungen an Armen und Beinen und
Schmerzen beim Atmen, fühlte mich aber nicht mehr so krank. So beschloss ich
aufzustehen und herumzulaufen. Ich ging von Pritsche zu Pritsche und kämmte alle
und vernichtete Läuse. Nur zu den ganz schwer kranken durfte ich nicht. Diese lagen
in einem Teil etwas abseits. Kamen die Schwestern rein, wurde ich sofort auf meine
Pritsche zurück geschickt. Ich stand immer wieder auf. Ich hoffte im Stillen und
betete darum, dass der Arzt reinkommen und das sehen möge.
Erst am zweiten Tage kam er wirklich und sah das. Er reagierte genau so, wie ich
gehofft hatte. Er rief eine Schwester und sprach mit ihr über mich. Ich konnte nichts
verstehen. Dann ging er. Nichts geschah. Es hatte aber wieder jemand russisch
verstanden von den Kranken und mir gesagt, dass ich hier raus soll, ich sei zu
unruhig.
Wir bekamen hier das gleiche Essen wie vorher, nur die warme Mahlzeit war besser
und kam zur Mittagszeit. Schwestern blieben dann so lange bei uns. Wir unterhielten
uns mit ihnen so weit das sprachlich ging. So bohrte ich jetzt. Ich fragte sie, ob die
anderen wirklich nach Hause kommen und stellte mich sehr unglücklich, dass wir
hier bleiben sollten. Da erst sagte die Schwester:"Du nicht weinen, Du kommst mit
nach Hause. Du darfst gleich rüber!"Ich war sehr froh, doch es bedrückte mich, dass
ich alle hier zurück lassen musste.
Das Abschied nehmen in diesem Raum war bitter für mich. Es lag hier auch eine
Bekannte, die ich schon vor der Verschleppung kannte. Anneliese Schönrock kam aus
Rufen. Von dort fuhren wir nach Pyritz zur Schule. Anneliese fuhr in dem Zug einen
Winter lang zu einem Nähkursus. Nun lag sie hier sehr krank. Sie bekam oft
Ohnmachtsanfälle, Hustenanfälle und aß kaum noch. Für mich war klar, dass sie
nicht überleben konnte.
Da sie oft besinnungslos lag, versuchte ich sie beim Abschied zu übergehen. Leider
merkte sie es doch. Sofort schrie sie nach mir. "Gisela, verlass mich nicht!" Es war
fürchterlich. Ich saß lange bei ihr und hielt ihre Hand und versuchte sie zu beruhigen.
Immer hoffte ich, sie würde einschlafen. Schließlich musste ich mich von ihr
gewaltsam lösen, weil ich gerufen wurde.
Als ich hinaus trat, hörte ich noch ihr Rufen nach mir. Man erzählte mir, dass sie
noch bis in die Nacht nach mir gerufen hat. Dann sei sie gestorben. Ich litt sehr
darunter. Die Frauen trösteten mich damit, dass sie dadurch schneller von ihrem
Leiden erlöst worden ist.
Als ich vor die Tür trat, stand eine bildhübsche junge Russin mit schwarzen Haaren
und blasser Gesichtshaut vor mir. Sie war schlank und etwas kleiner als ich. Mir
gefiel sie sofort. Sie sprach mich in überraschend gutem Deutsch an und gratulierte
mir, dass ich auch nach Hause darf. Ich war darauf so wenig vorbereitet, dass ich erst
nichts sagen konnte. Sie stellte sich dann vor:"Ich bin Nanni Braun!" Sie erzählte mir
dann, dass sie aus Moskau hier sei, um ihre Mutter zu besuchen. Sie hätte deutsch
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