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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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und die Trennung von der Familie kam.

Am 20. März war es, als ich im Schweinestall beim Ausmisten war. Fast damit fertig

wurde ich gerufen. Nanu! Ein Wachposten mit auf gepflanzten Gewehr steht in der

Futterküche. Die Frauen waren gerade bei der Vorbereitung der Abendmahlzeit für

die Schweine, die durch Geschrei ihren Hunger zeigten. Ich sollte mitkommen, lud er

mich mit einer schwachen Handbewegung ein. Mir wurde bange, da man den Russen

nicht trauen konnte. Durch Klopfen auf meine Schulter mit tröstenden Worten: "Du

gut, Du gut!“ versuchte er mich auf zu muntern, was ihm schlecht gelang. Er führte

mich über den Gutshof zur Kommandantur.

Aha, ich musste zum Kapitän kommen. In einer kleinen wenig schönen dunklen

Stube saß er mit einer Dolmetscherin, die sehr schlecht deutsch sprach. Ihre

dunkelblonden Zöpfe trug sie als doppelt geschlungenen Kranz um den Kopf. Sie war

schlank und man glaubte, eine Deutsche vor sich zu haben. Der Kapitän hatte

durchdringende tief liegende blaue Augen und war sehr klein und zierlich. Er lud

mich ein, niederzusitzen und stellte einige Fragen. Es waren meine Personalien. Dann

fragte er mich aus, was ich bei Hitler gemacht hätte. Ich war

Jungmädelgruppenführerin und habe das auch offen gesagt. Ich versicherte ihm aber,

dass wir nicht politisch tätig waren. Dazu waren wir noch zu jung. Er glaubte das

nicht ganz, aber danach durfte ich wieder in den Stall zur Arbeit gehen.

Ich lief aber erst zu Mutti in den Kuhstall und erzählte ihr weinend, dass ich zum

Verhör musste. Am Tag danach, als ich in unsere Unterkunft kam, jetzt in der

Brennerei trat gleich wieder ein Soldat mit einer Dolmetscherin ein. Sie wollten mich

zu einer anderen Arbeit abholen. „Du sollst,“ so erklärte die Dolmetscherin,“vier Km

entfernt auf einem Flugplatz schippen. Eine Decke kannst du mitnehmen und zieh dir

Holzschuhe an. Verpflegung bekommt ihr dort. In einer halben Stunde musst du an

der Kommandantur sein!“Wir trauten der Sache gar nicht. Wie viele Frauen waren

schon abgeholt worden und noch nicht wieder zurückgekommen. Wo sind sie alle

geblieben? Es wurde viel geflüstert, Russland, immer wieder Russland. Meinen

Bruder schickte ich zu Mutti und meiner Schwester, die noch nicht aus dem Kuhstall

zum Mittagessen gekommen waren. Ich zog mich inzwischen um. Alles, was ich an

Kleidung besaß und fast trocken war, zog ich übereinander an. Eine Decke legte ich

mir zurecht und aß schnell etwas vom schönen Kohlrübeneintopf.

Dann traf Mutti mit beiden Geschwistern ein. Zwei Tage vorher, am 19. März, war

Eva gerade 14 Jahre alt geworden, was wir fast vergessen hatten durch die Not. Alle,

auch die Mitbewohner waren sehr besorgt um mich. Eine Frau schenkte mir ein Brot.

Jemand wickelte mir noch etwas selbst gemachte Butter ein. Meine Mutter brachte

mich zur Kommandantur.

Noch andere Frauen mit ihren Angehörigen warteten, bis ein Wachposten alle in

einen Raum führte. Auch die nicht bestellten Angehörigen mussten mit hinein.

Stunden saßen wir dort. Mutti hatte noch nichts gegessen und trug an dem warmen

Märztag nur ein leichtes Kleid. Was nun, wenn sie so mit muss. In banger Sorge

saßen wir dort eingesperrt, während sich draußen immer mehr Russen versammelten,

Kanonen aufgefahren wurden und Musik spielte. Plötzlich entdeckte ich durch das

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