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Ira stand neben mir, als sie von einem Offizier angesprochen wurde. Sechs Frauen
wollte er zum Wasser tragen haben. Als Ira ihm einige freiwillige Frauen mitgab,
fragte er:"Warum gehst du nicht mit?“ Sie antwortete:"Ich bin krank!“"Nanu, was
hast du?“ fragte er auf russisch. „Ich bin geschlagen worden!“ Er war sehr
erschrocken. Ira zeigte ihm die völlig bunt gefärbten und geschwollenen Stellen am
Körper. Er wurde zornig. Ira sagte uns dann, dass der Täter seine Strafe bekommen
würde. Der Offizier, der zur Transportleitung gehörte, schien wirklich ernstlich böse.
Endlich durften wir in den Umkleideraum. Alles mussten wir ausziehen und mit
Bügeln auf einen rollenden Ständer hängen. Da alles angeschlossen werden konnte
und mit Nummern versehen war, würden wir unsere Sachen wieder bekommen. Auch
hier bewachten uns Soldaten. Dann führte man uns in eine große Halle, die sogar
etwas warm war. Durch offene Seitenwände voneinander getrennt, gab es unzählige
Duschen, die zentral angestellt waren. Schnell wuschen wir uns. Auch hier sahen uns
die Männer ungeniert zu. Glückliche, die Seife hatten, gaben allen diese weiter.
Eigene Handtücher hatten fast alle noch selbst. Hier wurde der ersten Frau der Kopf
kahl geschoren. Sie soll völlig verlaust gewesen sein.
Nach längerem Warten bekamen wir unsere Kleidung wieder. Zum Abtöten von
Ungeziefern waren sie in einem überhitzten Raum. Wir hatten Bedenken, dass das
wirkungsvoll sein soll, weil die Kleidung sehr dicht ohne Zwischenraum
zusammenhing. Nach dem Anziehen und Zählen der Menschen, ging es zurück in den
Zug. Die Wagen sollen inzwischen auch gereinigt worden sein. Davon haben wir
nichts gemerkt. Bald lagen wir wieder auf unseren alten Plätzen unter Verschluss.
Bei Tagesanbruch fuhren wir weiter nach Norden. Das erkannten wir an der Sonne.
Wohin werden wir gebracht? Die Stimmung war wieder niederschmetternd, viele
weinten. Es trat eine bedrückende Stille ein. Bei der nächsten Ungezieferkontrolle
stellte ich die ersten Läuse fest. Sechzehn Stück zählte ich. Sie saßen in meinem
Wollkleid. Ihnen war die Hitze wohl sehr gut bekommen. Vorher hatte ich keine und
nun gleich so viele. Meine Nachbarinnen und auch Ira stellten das Gleiche fest. Wir
waren verärgert, schafften es aber, nach einigen Tagen frei zu sein davon.
Durch Iras Dolmetscherei kamen wir bald dahinter, dass wir Richtung Archangelsk
fuhren. Jetzt war die Bahnlinie fast nur einspurig. An der Verpflegung änderte sich
nichts. Auch die Viehzählung wurde bei behalten.
Wir hatten Moskau kaum verlassen, als wir durch die Luke sahen, dass der kleine
Schläger von Ira auf unseren Wagen zu humpelte. Nicht nur das, auch eine
verbundene Hand hatte er. Ira fürchtete sich so, dass sie sich schlafend stellte. Er
schloss den Wagen auf und rief nach Ira. Erst rührte sie sich nicht. Er sprach auf sie
natürlich russisch ein, da schnellte sie hoch und antwortete ihm empört. Nachher
berichtete sie uns, dass der Kerl wohl sich entschuldigen sollte, aber wieder frech
gewesen sei. Nach einem weiteren heftigen Wortwechsel reagierte Ira einfach nicht
mehr und er ging. Jeder Leser wird sich vorstellen können, dass wir der
Auseinandersetzung sehr ängstlich zugesehen haben. Ira hatte sich einen Moment wie
schutzsuchend an mich geklammert. Ich hatte mir vorgenommen, den Kerl nicht
wieder an sie heran zulassen. Als er fort war, weinte Ira heftig.
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