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Rußlandbericht

Der Rußlandbericht von Gisela Mikuteit

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Tabletten weggenommen. Das war so: Lilo war Hebamme. Trotz einer Schädigung

im Rücken, einem Buckel, musste sie mit nach Russland. Sie arbeitete im Revier als

Schwester. Es wurden ins Krankenrevier Vitamin- und Hefetabletten geliefert nach

ihrer Beobachtung. Wo blieben die Tabletten, die in großen Mengen kamen? Da sah

sie, dass die Ärztin diese wie Bonbons aß. Das war nicht vorgesehen, doch sagen

konnte Lilo als Gefangene das niemand. So passte sie auf, als die nächste Lieferung

kam. Sie nahm die Tablette an sich und verteilte jeden Morgen an alle im Lager Hefeund

Vitamintabletten, bis sie alle waren. Und die Ärztin? Sie vermisste ihre

„Bonbons“, aber sie wagte nicht, danach zu fragen. Sie hat aber gemerkt, wo sie

blieben.

Lilo hat auch uns Kranke versorgt. Sie tat dort und auch später viel Gutes. Davon

berichte ich noch. Wie lange ich im Revier war, weiß ich nicht genau, mindestens

drei Wochen. Das Fieber wollte nicht weichen. Starke Schmerzen beim Husten hatte

ich und manchmal beim Atmen. Auch bestimmte Bewegungen verursachten im

Brustbereich Schmerzen. Ich erfuhr es nicht vom Arzt, dass ich eine schwere

Rippenfellentzündung hatte.

Trotz der Schmerzen und der zeitweisen Benommenheit bekam ich mit, dass eine

Sonnenfinsternis erwartet wurde. Da inzwischen mehrere Kranke gestorben waren,

lagen wir nun mit 7 Schwerkranken im Revier. Ich hatte durch sie von dem Ereignis

erfahren. Einige Kranke gingen vor die Tür, um das zu sehen. Mit dunklen Scherben

konnten sie ungeblendet schauen. Die Scherben waren heimlich ins Lager gebracht

worden. Ich kroch auch von meinem Lager. Zum Gehen war ich nicht fähig. Es war

eine totale Sonnenfinsternis. Von meinem Ausflug hat niemand etwas gemerkt. Ich

habe es aber meinen Freundinnen erzählt.

Mein Zustand besserte sich nicht. Ich aß kaum, trank aber viel. Das Fieber war nicht

mehr so hoch, aber nicht weg. Meine Vizemutti Putty brachte mir eines Tages meine

paar Habseligkeiten, weil sie erfahren hatte, dass ich ins Lazarett sollte. Dann kam

der Aufbruch. Ich war so schwach, dass ich nicht laufen konnte. Putty und die drei

Mädels und andere Frauen kamen zum Abschied. Zwei Soldaten mit auf gepflanzten

Gewehren nahmen mich in die Mitte und stützten mich. Sie brachten mich zum

russischen Pferdewagen (Panniewagen?) genannt. Noch drei andere Frauen wurden

geholt. Auf dem Stroh legte man eine Frau und mich. Die beiden anderen Frauen

konnten noch sitzen. Vier Bewacher begleiteten uns, obwohl keine von uns fähig war,

davon zu laufen. Die Zurückbleibenden winkten uns nach, das habe ich kaum

wahrgenommen. Später erzählte mir Putty, dass alle geweint haben, weil sie glaubten,

dass wir nicht überleben würden.

Die Fahrt mit dem Wagen vergesse ich nicht. Es ging über Stock und Stein. Es gab

dort keine befestigten Straßen. Wir wurden hin und her geschüttelt. Einige Male

neigte sich der Wagen so zur Seite, dass wir glaubten, umzukippen. Mir wurde so

übel, dass ich mehrmals erbrach. Niemand kümmerte sich um mich. Ich konnte mich

seitlich festhalten und mit Stroh das Erbrochene weg schieben. Die Schmerzen in der

Brust waren durch das Schütteln unerträglich. Die Posten schauten sich nicht nach

uns um. Ich glaube sogar, dass sie Angst hatten, uns zu berühren. Wir könnten sie

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